Entscheidungsdatum
09.03.2021Norm
AsylG 2005 §57Spruch
I406 2213218-3/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias 31.12.1986, StA. Nigeria alias Kamerun, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2021, Zl. XXXX , beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer reiste erstmals im Jahr 2003 unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er behauptete, Staatsangehöriger Kameruns zu sein. Sein Asylverfahren wurde mit Erkenntnis des damaligen Asylgerichtshofes vom 11.08.2010 in zweiter Instanz rechtskräftig negativ entschieden. Gleichzeitig wurde eine Ausweisung des Beschwerdeführers nach Kamerun ausgesprochen.
2. Der Beschwerdeführer kam seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nach.
3. Im Jahr 2016 ergab sich erstmals der Verdacht, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Staatsangehörigen Nigerias handeln könne. Bei der LPD Wien langte ein anonymer Hinweis ein, wonach sich der Beschwerdeführer mit einer falschen Identität in Österreich aufhalte und es sich bei ihm um einen nigerianischen Staatsangehörigen handle. Dem anonymen Hinweis war eine Kopie eines nigerianischen Reisepasses beigegeben.
4. Am 17.01.2019 stellte der Beschwerdeführer beim Magistrat XXXX einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte, wobei er sich jener nigerianischen Identität bediente, die bereits der LPD XXXX im Jahr 2016 zur Kenntnis gebracht worden war. Dem Antrag legte er eine Kopie seines nigerianischen Reisepasses Nr. XXXX bei.
5. Während seines Aufenthaltes im Bundesgebietes wurde der Beschwerdeführer mehrfach straffällig. Aufgrund dessen teilte ihm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA; belangte Behörde) mit Parteiengehör vom 19.02.2019 mit, dass es die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot beabsichtige.
Der Beschwerdeführer übermittelte am 23.04.2019 eine schriftliche Stellungnahme und ersuchte unter Berufung auf sein Privat- und Familienleben, von der Erlassung eines Einreiseverbotes abzusehen.
6. Mit Bescheid vom 05.05.2020 erteilte das BFA dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Kamerun zulässig sei. Dem Beschwerdeführer wurde eine zweiwöchige Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt. Außerdem wurde gegen ihn ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
7. Das Bundesverwaltungsgericht behob diesen Bescheid mit Beschluss vom 13.10.2020, Zl. I406 2213218-2/11E und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass das BFA geeignete Ermittlungsschritte zur Feststellung der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und damit verbunden die sich auf den Herkunftsstaat beziehenden Feststellungen unterlassen habe, obwohl bereits ab 2016 der begründete Verdacht bestanden habe, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um einen Staatsangehörigen Kameruns, sondern um einen Staatsangehörigen Nigerias handeln könnte und dem BFA eine Kopie seines nigerianischen Reisepasses vorgelegt worden sei.
8. Mit angefochtenem Bescheid vom 11.01.2021, Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.), die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt (Spruchpunkt III.), ihm keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.), einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) und gegen ihn ein auf die Dauer von 6 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).
Zur Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers traf das BFA auf Seite 5 des Bescheides die folgenden Feststellungen: „Sie sind laut Ihren Angaben Staatsbürger von Kamerun und Ihre Identität steht nicht fest. Sie behaupten XXXX zu heißen und am XXXX geboren zu sein. Sie stellten unter Ihrem alias Namen XXXX , geboren am XXXX einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels und legten dabei die Kopie eines nigerianischen Reisepasses, einen spanischen Aufenthaltstitel und die Kopie einer Heiratsurkunde mit einer spanischen Staatsbürgerin vor.“ Beweiswürdigend führte das BFA aus: „Da Sie bis dato keinen Reisepass vorgelegt haben steht Ihre Identität nicht fest. Sie legten zwar eine Kopie eines Reisepasses vor. Sie haben laut diesem Pass einen anderen Namen und haben behauptet, dass es sich hierbei um Ihren Bruder handelt.“
Zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbotes wurden die sieben strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers aufgezählt (Bescheid Seiten 6 - 7) und in der rechtlichen Beurteilung textbausteinartig ausgeführt, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiege (Bescheid Seite 105).
9. Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung fristgerecht am 08.02.2021 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Beschwerde. Der angefochtene Bescheid greife unzulässig in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ein. Er habe sein Heimatland vor ca. 17 Jahren verlassen und sei seitdem nicht mehr dorthin zurückgekehrt. In Österreich habe er zwei Kinder und in Spanien lebe seine Ehefrau. Das BFA habe sein Familienleben in Österreich und Spanien nicht ausreichend ermittelt. Weiters gehe das BFA davon aus, dass seine restlichen Familienangehörigen im Kamerun oder in Nigeria leben, obwohl keine entsprechenden Ermittlungen angestellt worden seien. Die Feststellungen der belangten Behörde seien völlig unklar und in sich widersprüchlich, weshalb man von einem ordnungsgemäß geführten Verfahren in der ersten Instanz nicht sprechen könne. Bei der Verhängung des Einreiseverbotes habe das BFA keine Einzelfallprüfung vorgenommen und sei seiner Pflicht zur Durchführung eines grundrechtskonformen Abwägungsvorganges nicht nachgekommen. Die für den Beschwerdeführer sprechenden günstigeren Anhaltspunkte seien völlig willkürlich ignoriert worden und auch auf das Kindeswohl sei nicht ausreichend Bedacht genommen worden.
10. Am 24.02.2021 legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
Das BFA hat neuerlich die Staatsangehörigkeit und damit verbunden die Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers nicht bzw. nur ansatzweise ermittelt.
Dem vorliegenden Verwaltungsakt kann außerdem nicht entnommen werden, dass die belangte Behörde angemessene Ermittlungsschritte zur Erhebung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich gesetzt hätte. Die belangte Behörde unterließ es, nähere Fragen zur Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen Kindern in Österreich und seiner Ehefrau in Spanien zu stellen. Im angefochtenen Bescheid wurden lediglich die familiären Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers als gegeben angenommen. Eine Ermittlung der konkreten Ausgestaltung der vom Beschwerdeführer aufgezeigten Beziehungen im Bundesgebiet ist unterblieben.
Auch hat es das BFA verabsäumt, sämtliche in der Strafregisterauskunft angeführten Urteile einzuholen und nachvollziehbar darzulegen, inwieweit die Art und Schwere der verübten Taten sich negativ auf das Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers auswirken. Eine gesamtheitliche nachvollziehbare Gefährdungsprognose unter Miteinbeziehung seiner privaten und familiären Interessen wurde nicht erstellt und auch auf das Kindeswohl nicht Bedacht genommen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten, unstrittigen Verwaltungsunterlagen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in Folge: VwGVG), hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gem. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht.
Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen.
Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheids kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/2014).
Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs. 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest, noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern, zumal gravierende Ermittlungslücken vorliegen.
3.2. Bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit bzw. des Herkunftsstaates handelt es sich zweifellos um eine zentrale Frage im asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren (vgl. etwa VwGH E 16.04.2009, 2008/19/0706; 20.02.2009, 2007/19/0535), welche grundsätzlich von der Verwaltungsbehörde zu klären ist, da ansonsten im Fall der Klärung des Herkunftsstaates durch das Bundesverwaltungsgericht das gesamte sich an die Feststellung knüpfende Ermittlungsverfahren zum Herkunftsstaat vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert würde.
Auch der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die Verbindung zu einem bestimmten Herkunftsstaat inhärent.
Das BFA hat zwar das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria zitiert, gleichzeitig jedoch neuerlich keine eindeutigen Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen. Das BFA stellte fest, dass der Beschwerdeführer laut seinen Angaben Staatsbürger von Kamerun sei, und dass seine Identität nicht feststehe. Er habe unter einer alias Identität einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt und die Kopie eines nigerianischen Reisepasses vorgelegt. Auch lässt der angefochtene Bescheid nachvollziehbare beweiswürdigende Erwägungen vermissen. Das BFA führte beweiswürdigend aus, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Er habe lediglich die Kopie eines Reisepasses vorgelegt, laut diesem Pass einen anderen Namen und er habe behauptet, dass es sich hierbei um seinen Bruder handle. In der rechtlichen Beurteilung führt das BFA aus: „Ihre restlichen Familienangehörigen leben im Kamerun oder in Nigeria“ (Bescheid Seite 98), obwohl keine entsprechenden Ermittlungen zu dieser Frage angestellt wurden.
Aus dem Bescheid ist in einer Gesamtschau nicht ersichtlich, ob das BFA eine nigerianische oder eine kamerunische Staatangehörigkeit des Beschwerdeführers als gegeben erachtet.
3.3 Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).
In seinem Beschluss vom 28.11.2019, Ra 2019/19/0359, mwN, hob der Verwaltungsgerichtshof hervor, dass es notwendig sei, sich bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl auseinanderzusetzen.
Dem vorliegenden Verwaltungsakt kann nicht entnommen werden, dass die belangte Behörde angemessene Ermittlungsschritte zur Erhebung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich gesetzt und die nach § 9 BFA-VG gebotene Interessensabwägung vorgenommen hätte. Die belangte Behörde unterließ es, nähere Fragen zur Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen Kindern in Österreich und seiner Ehefrau in Spanien zu stellen. Im angefochtenen Bescheid wurden lediglich die familiären Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers als gegeben angenommen und aufgezählt. Eine genaue Ermittlung, wie sich das vom Beschwerdeführer behauptete Familienleben im Bundesgebiet gestaltet und eine Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes auf das (bzw. Vereinbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mit dem) Kindeswohl ist unterblieben. Eine im Gefolge eines Parteiengehörs vom Beschwerdeführer am 23.04.2019 – somit vor beinahe zwei Jahren - übermittelte schriftliche Stellungnahme ist jedenfalls nicht ausreichend.
3.4 Des Weiteren ist bei Erlassung eines Einreiseverbotes eine Gefährdungsprognose durchzuführen. Im Rahmen einer Gefährdungsprognose ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl etwa VwGH 06.12.2019, Ra 2019/18/0437 mwN).
Das BFA hat sich auch nicht mit dem konkreten straffälligen Verhalten des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und keine Ermittlungen durchgeführt, um eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose treffen zu können. Im angefochtenen Bescheid wurden lediglich die Daten des Strafregisters wiedergegeben. Feststellungen zu den einzelnen Verurteilungen, den konkreten Taten des Beschwerdeführers und den von den Strafgerichten herangezogenen Milderungs- und Erschwerungsgründen wurden nicht getroffen. Es wurden nicht alle in der Strafregisterauskunft angeführten Urteile (insbesondere das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 05.12.2017) eingeholt und verabsäumt, nachvollziehbar darzulegen, inwieweit die Art und Schwere der verübten Taten sich negativ auf das Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers auswirken. Es ist nämlich nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden (vgl. VwGH 19.05.2015, Ra 2015/21/0001; 19.05.2015, Ra 2014/21/0057, mwN).
Eine gesamtheitliche nachvollziehbare Gefährdungsprognose unter Miteinbeziehung der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers wurde nicht erstellt. Vielmehr begnügte sich das BFA mit allgemein gehaltenen Textbausteinen, ohne auf den Einzelfall Bezug zu nehmen.
3.5 Die im angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde grob mangelhaft geführten Ermittlungsverfahrens getroffenen Feststellungen und Erwägungen entsprechen jedenfalls nicht den Erfordernissen einer umfassenden und in sich schlüssigen
Text
Begründung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung (vgl § 60 iVm § 58 Abs. 2 AVG).
Aus den dargelegten Gründen erweisen sich die durchgeführten Sachverhaltsermittlungen des BFA als ungenügend und es liegen besonders schwerwiegende Mängel des behördlichen Verfahrens bei der Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes vor.
Folglich hat eine Zurückverweisung der Sache an das BFA zu erfolgen, weil die belangte Behörde die erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen bzw. den maßgebenden Sachverhalt bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Da zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Erhebungen selbst durchführt.
Deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 (2. Satz) VwGVG mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit neuerlich zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Im weiteren Verfahren wird das BFA diese aufgezählten Verfahrensmängel sanieren müssen und ein umfassendes Ermittlungsverfahren zu führen haben, indem entsprechend den obigen Ausführungen konkrete Ermittlungsschritte zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seinem Privat- und Familienleben im Bundesgebiet, der von ihm ausgehenden Gefährdung und den möglichen Auswirkungen der Entscheidung auf das Wohl seiner Kinder gesetzt werden.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Dies ist gegenständlich der Fall.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Einreiseverbot Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Herkunftsstaat Identitätsfeststellung Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung Staatsangehörigkeit Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I406.2213218.3.00Im RIS seit
17.06.2021Zuletzt aktualisiert am
17.06.2021