TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/16 W123 2201309-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.03.2021
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Entscheidungsdatum

16.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W123 2201309-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.03.2020, Zl. 1143553502/181219170, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der (damals minderjährige) Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste mit seiner Mutter und seinen beiden Geschwistern nach Österreich ein und stellte am 05.02.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge der Erstbefragung am 06.02.2018 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dass seine Mutter Probleme mit der Familie seines Vaters gehabt habe. Sein Vater habe bei einem Anschlag ein Bein verloren. Sein Onkel habe sie ständig geschlagen und misshandelt. Aus diesem Grund sei er mit seiner Familie geflüchtet.

3. Der Beschwerdeführer wurde im weiteren Verfahrensverlauf am 08.05.2018, vertreten durch seine Mutter, niederschriftlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) einvernommen. Dabei wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein Fluchtvorbringen. Die Mutter des Beschwerdeführers stellte einen Antrag auf ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG.

4. Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 07.06.2018, Zl. 11435553502/180128281, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 05.02.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.06.2020 erteilt (Spruchpunkt III.).

5. Der Beschwerdeführer erhob fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides der belangten Behörde vom 07.06.2018.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.09.2019 sowie am 08.11.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.02.2020, W229 2201307-1/13E und W229 2201308-1/13E, wurde der Mutter des Beschwerdeführers sowie seinem minderjährigen Bruder internationaler Schutz im Rahmen eines Familienverfahrens nach § 34 Abs. 2 AsylG gewährt.

8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.02.2020, W229 2201309-1/15E, wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 07.06.2018 als unbegründet abgewiesen.

9. Am 14.11.2019 wurde der Beschwerdeführer neuerlich von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer gab zur strafrechtlichen Verurteilung an, dass er ein friedvoller Mensch sei und die erste Verurteilung unter Alkoholeinfluss gewesen sei. Er versuche jetzt, ein guter Mensch zu sein und es werde keine Verfehlungen des Beschwerdeführers mehr geben. Zur vorgehaltenen Straftat in Linz gab der Beschwerdeführer gab an, dass er nie in Linz gewesen sei und die Tat bestreite, welche in Linz verhandelt worden sei.

10. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die ihm mit Bescheid vom 07.06.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen ihn ein auf Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.)

11. Gegen den im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer am 13.05.2020 fristgerecht Beschwerde und brachte zusammenfassend vor, dass die belangte Behörde ihn nicht einvernommen, sondern ihm lediglich ein schriftliches Parteiengehör zugestellt habe. Der Beschwerdeführer hätte bei Einhaltung der Ermittlungspflicht angeben und zu Beweis bringen können, dass es sich bei der zweiten aufgelisteten Verurteilung vom Landesgericht für Strafsachen Linz vom 24.05.2019 um einen Fehler handeln müsse. Der Beschwerdeführer sei nie in Linz vor Gericht gewesen und habe die angeführte Straftat nicht begangen. Es müsse sich hierbei um eine Verletzung (eventuell Namensgleichheit) handeln. Die Rechtsvertretung könne angeben, dass es teilweise bei Strafregisterauszügen zu Namensgleichheiten und Verwechslungen kommen könne und diese anhand der Namen der Eltern aufgeklärt werden könnten. Der Beschwerdeführer sei seit der Tat am 07.10.2018 nicht mehr straffällig geworden und bereue seine Tat zutiefst. Er lebe in einem stabilen Umfeld und verbringe viel Zeit mit seiner Familie, mit der im gemeinsamen Haushalt lebe sowie mit seiner Freundin.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Bayat bzw. der Hazara an. Er besuchte in Kabul acht Jahre lang die Schule. Der Beschwerdeführer ist nicht verheiratet oder verlobt und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer ist gesund.

1.2. Der Beschwerdeführer lebt mit seinen Eltern, seiner Schwester und seinem jüngeren Bruder gemeinsam in einer Wohnung in Wien. Sein älterer Bruder lebt ebenfalls in Wien. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.02.2020 wurde der Mutter des Beschwerdeführers sowie seinem minderjährigen Bruder internationaler Schutz im Rahmen eines Familienverfahrens nach § 34 Abs. 2 AsylG gewährt. Der Vater des Beschwerdeführers verfügt über eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich.

1.3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.02.2019, Zl. XXXX , (RK 26.02.2019), wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB bzw. wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten verurteilt, welche unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

1.4. Dem Verfahrensakt liegt ein Urteil des Landesgerichtes Linz vom 24.05.2019, XXXX , bei (AS 83 ff). Danach wurde der Jugendliche namens „ XXXX “, geboren am XXXX in XXXX /Iran, afghanischer Staatsbürger, wohnhaft in XXXX , wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB sowie wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

1.5. Der Beschwerdeführer stellt aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.02.2019 keine Gefahr für die Allgemeinheit dar.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Auskünfte aus dem Strafregister (SA), dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem AJ-WEB Auskunftsverfahren (mit jeweils Stand: 16.03.2021) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Feststellungen zum Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers beruhen auf den Ermittlungsergebnissen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.02.2020, W229 2201309-1/15E, den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 14.11.2019 bzw. auf den unbestritten gebliebenen Ausführungen im angefochtenen Bescheid.

2.2. Entgegen den Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer nicht „mehrmals straffällig“ (vgl. AS 122). Es liegt „nur“ eine Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 22.02.2019 wegen des Vergehens der Nötigung bzw. des Vergehens der Körperverletzung vor. Diese Tatsache ist nunmehr auch durch den aktuellen Strafregisterauszug vom 16.03.2021 bestätigt, in dem nur mehr die Verurteilung des Beschwerdeführers vom 22.02.2019 aufscheint.

Die seitens der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid herangezogene weitere Verurteilung des Landesgerichtes Linz vom 24.05.2019 betrifft offenkundig eine andere Person. Zwar wurde im ursprünglichen Strafregisterauszug (Stand: 29.05.2020) die Verurteilung des Landesgerichtes Linz vom 24.05.2019 dem Beschwerdeführer zugerechnet (vgl. Geburtsdatum „ XXXX , Geburtsort Maidan Wardak“). Jedoch ergibt sich bereits aus dem Spruch des Urteils des Landesgerichtes Linz (vgl. AS 83), dass es sich bei Herrn XXXX um eine andere Person als den Beschwerdeführer handeln muss, da zum einen keine Namensgleichheit besteht (vgl. „ XXXX “ vs „ XXXX “), zum anderen Geburtsdatum bzw. Geburtsort nicht ident sind. Demnach ist Herr XXXX am „ XXXX “ in „ XXXX /Iran“ geboren, der Beschwerdeführer hingegen am XXXX in Maidan Wardak/Afghanistan. Zudem ist aus der ZMR-Anfrage ersichtlich, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt in „ XXXX “, wohnhaft war.

Die Verurteilung durch das Landesgericht Linz vom 24.05.2019 ist somit nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen und hätte seitens der belangten Behörde bei der Beurteilung der Aberkennung des subsidiären Schutzes keine Berücksichtigung finden dürfen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Die im gegenständlichen Fall maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

„§ 9 (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1.       die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2.       er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3.       er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1.       einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2.       der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3.       der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“

3.2. Im vorliegenden Fall sind die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides schon deshalb aufzuheben, da die belangte Behörde in der rechtlichen Beurteilung – zu Unrecht – ausführte, dass der Beschwerdeführer „bereits mehrmals wegen des Vergehens der Körperverletzung und wegen dem Vergehen der Widerstand gegen die Staatsgewalt rechtskräftig verurteilt“ worden sei (vgl. AS 157). Der Beschwerdeführer wurde jedoch nur einmal nach § 83 Abs. 1 StGB bzw. wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt niemals verurteilt (vgl. die obigen Ausführungen unter 1.3. bzw. 2.2.). Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und der Allgemeinheit stellt der Beschwerdeführer aus diesen Gründen somit keinesfalls dar.

Es verbliebe daher lediglich die Verurteilung des Beschwerdeführers vom 22.02.2019 wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB bzw. wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB. Warum aber der Beschwerdeführer bereits aus diesen Gründen eine Gefahr für die Allgemeinheit iSd § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG wäre, wurde im angefochtenen Bescheide nicht dargelegt.

Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt (§ 9 Abs. 2 Z 2 AsylG), erfordert jedoch eine Gefährdungsprognose. Der Verwaltungsgerichtshof verwies in seinem Erkenntnis vom 30.08.2017, Ra 2017/18/0155, auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13.12.2011, U 1907/19 (VfSlg. 19591), wonach eine Gefahr für die Sicherheit und Allgemeinheit eines Landes nur dann gegeben sei, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet sei oder, wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen, da § 9 Abs. 2 (Z 2) AsylG in Umsetzung der Statusrichtlinie ergangen sei und daher richtlinienkonform interpretiert werden müsse.

In Anbetracht der vorliegenden Verurteilung des Beschwerdeführers, einerseits wegen § 105 Abs. 1 StGB (Nötigung) und andererseits wegen § 83 Abs. 1 StGB (Körperverletzung) kommt daher eine Anwendung von § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG gegenständlich nicht in Betracht.

Eine allfällige Prüfung des Aberkennungstatbestandes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG, kommt gegenständlich schon deshalb nicht in Betracht, da es sich bei diesem Tatbestand um eine rechtskräftige Verurteilung wegen eines Verbrechens handeln muss. Der Beschwerdeführer wurde jedoch zu keinem Zeitpunkt von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt.

3.3. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG lagen sohin gegenständlich nicht vor.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides zu beheben.

Da dem Beschwerdeführer mit diesem Erkenntnis in Folge der Behebung von Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides weiterhin der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zukommt, verlieren die übrigen von der belangten Behörde getroffenen Aussprüche III. bis VII. ihre rechtliche Grundlage, weshalb diese ebenfalls ersatzlos aufzuheben waren.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Der Sachverhalt ist im Gegenstand aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG – ungeachtet des diesbezüglichen Parteiantrags – eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte (vgl. auch § 24 Abs. 4 VwGVG).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter A) zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 2 Behebung der Entscheidung Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Gefährdungsprognose Körperverletzung Nötigung Rückkehrentscheidung behoben strafrechtliche Verurteilung Vergehen Versorgungslage Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W123.2201309.2.00

Im RIS seit

23.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

23.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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