TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/19 96/11/0285

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Veröffentlicht am 19.03.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §50 Abs1;
AVG §50 Abs2;
VStG §25 Abs1;
VStG §25 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des P in B, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. G in K, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 3. September 1996, Zl. IIb2-K-3439/1-1996, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G vorübergehend für die Dauer von vier Wochen, gerechnet ab der am 28. März 1996 erfolgten Zustellung des Mandatsbescheides der Erstbehörde vom 26. März 1996, entzogen.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, nach dem Inhalt der Anzeige vom 12. März 1996 habe der Beschwerdeführer am 10. März 1996 um 22,45 Uhr an einem näher bezeichneten Ort einen dem Kennzeichen nach bestimmten PKW gelenkt. Anläßlich der Beanstandung durch ein besonders geschultes und behördlich zur Atemluftuntersuchung ermächtigtes Straßenaufsichtsorgan seien Alkoholisierungssymptome festgestellt worden. Der Beschwerdeführer sei deutlich aufgefordert worden, sich der Atemluftuntersuchung zu unterziehen. Er habe sich jedoch - anstatt der Aufforderung Folge zu leisten - in sein Haus begeben, habe dieses versperrt und sei nicht mehr herausgekommen.

Der Beschwerdeführer habe behauptet, die Aufforderung zur Atemluftuntersuchung sei nicht in rechtsgültiger Weise vorgenommen worden. Aufgrund des Fehlens von Ausführungen zu der Frage, aus welchen Gründen die Aufforderung rechtsungültig gewesen sein soll, bestehe kein Anlaß, an den in der Anzeige enthaltenen Ausführungen des Meldungslegers M. zu zweifeln und den damals ebenfalls anwesenden Gendarmeriebeamten L. als Zeugen zu vernehmen.

Aufgrund der vom Beschwerdeführer begangenen Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 sei ihm die Lenkerberechtigung für die Dauer von vier Wochen zu entziehen gewesen.

Gegen diesen Bescheid - und zwar erkennbar nur gegen den die Entziehung betreffenden Ausspruch und nicht auch gegen die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abweisung des Antrages auf Bestätigung des Außerkrafttretens des Mandatsbescheides - richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorauszuschicken ist, daß eine die belangte Behörde bindende rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der ihm angelasteten Übertretung bei Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht vorlag, sodaß die belangte Behörde die Frage, ob der Beschwerdeführer diese Übertretung begangen hat und damit eine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 vorliegt, selbständig als Vorfrage zu beurteilen hatte.

Gemäß § 39 Abs. 2 AVG, der zufolge § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren gilt, hat die Behörde das Ermittlungsverfahren von Amts wegen zu führen. Der den Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit für das Verwaltungsstrafverfahren unterstreichende § 25 Abs. 2 VStG verpflichtet die Behörde, die der Entlastung des Beschuldigten dienenden Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden.

Der belangten Behörde lag die Anzeige vom 12. März 1996 vor, in der der Meldungsleger M. ausführt, auf die Aufforderung, den Führerschein vorzuweisen, habe der Beschwerdeführer erklärt, er werde diesen "im Haus holen". Noch bevor er in das Haus gegangen sei, sei er aufgefordert worden, sogleich mitzukommen, um den Alkotest durchzuführen. Er sei aber dann ins Haus gegangen, habe dieses versperrt und sei nicht mehr herausgekommen. Der Beschwerdeführer habe die Aufforderung und die Folgen der Verweigerung bestimmt begriffen, weil ihm dies eindringlichst gesagt worden sei.

Der Beschwerdeführer bestritt in der Vorstellung und in der Berufung ausdrücklich, daß eine "rechtsgültige Aufforderung" zur Atemluftuntersuchung an ihn ergangen sei, und beantragte jeweils die Vernehmung des bei dem Vorfall vom 10. März 1996 anwesenden Gendarmeriebeamten L. In der Berufung rügte er das Unterbleiben der von ihm begehrten Vernehmung dieses Gendarmeriebeamten als Verfahrensmangel.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kann dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht entnommen werden, er sei zwar zur Atemluftuntersuchung aufgefordert worden, diese Aufforderung sei aber - aus nicht näher genannten Gründen - nicht rechtsgültig. Das Vorbringen des Beschwerdeführers inkludiert vielmehr auch die Bestreitung der Tatsache, zur Atemluftuntersuchung aufgefordert worden zu sein. Bei dieser Sachlage durfte sich die belangte Behörde nicht damit begnügen, vom Inhalt der Anzeige auszugehen und das Vorbringen des Beschwerdeführers als Schutzbehauptung abzutun. Die Eigenschaft eines nicht als Zeuge vernommenen Anzeigers als Organ der öffentlichen Sicherheit (Meldungsleger) allein reicht nämlich nicht aus, einen leugnenden Verdächtigen der ihm zur Last gelegten Tat als überführt ansehen zu können (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 26. Juni 1978, Slg. Nr. 9.602/A). Die belangte Behörde hätte daher den Meldungsleger und gegebenenfalls auch den weiteren bei der Amtshandlung anwesenden Gendarmeriebeamten als Zeugen vernehmen müssen, um aufgrund der Ergebnisse eines mängelfreien Ermittlungsverfahrens in freier Beweiswürdigung beurteilen zu können, welche Tatsachen sie als erwiesen annimmt.

Die belangte Behörde hat somit Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

freie BeweiswürdigungBeweismittel Amtspersonen Meldungsleger Anzeigen Berichte Zeugenaussagen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996110285.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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