TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/22 W238 2176907-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.2021
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Entscheidungsdatum

22.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W238 2176907-4/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.03.2021, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte erstmals am 24.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund an, dass er zuletzt illegal im Iran gelebt habe. Im März 2015 habe er seine Freundin kennengelernt. Ihre Familie sei gegen die Beziehung gewesen. Er sei sodann von der Familie seiner Freundin bedroht worden, weshalb er und seine Freundin sich entschlossen hätten, den Iran zu verlassen.

Anlässlich der am 14.09.2017 durchgeführten Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) präzisierte der Beschwerdeführer seine Angaben hinsichtlich Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Geburtsort, Familienstand sowie Schulbildung und Berufserfahrung. Weiters gab er an, dass er nicht wisse, wann und warum seine Familie Afghanistan ursprünglich verlassen habe. Er und seine Geschwister seien alle im Iran geboren worden. Seine Familie lebe weiterhin im Iran. Er habe den Iran verlassen, weil ihn die Verwandten seiner Freundin und die Familie des Mannes, dem sie versprochen gewesen sei, bedroht hätten. Seit seiner Ausreise werde seine eigene Familie deshalb bedroht. Seine Freundin habe sich mittlerweile von ihm getrennt.

2. Mit Bescheid des BFA vom 12.10.2017, Zahl XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Weiters wurde nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gegen ihn erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV).

3. In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde insbesondere ausgeführt, dass der Beschwerdeführer der sozialen Gruppe jener Personen angehöre, welche die Staatsangehörigkeit eines Landes besitzen, in dem sie nie gelebt haben, dort keinerlei Anknüpfungspunkte aufweisen und bei einer Rückkehr Bedrohung und/oder Verfolgung zu erwarten hätten. Dieser Umstand bestehe beim Beschwerdeführer aus dem Grund der Beziehung zu einer Frau, die einem anderen Mann versprochen gewesen sei und deren auch in Afghanistan weit verzweigte Familie dies bestrafen wolle. Ihm sei daher der Status des Asylberechtigten im Sinne der GFK zuzuerkennen. In eventu sei ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren, weil er nie in Afghanistan gelebt habe und dort auch über keinerlei Anknüpfungspunkte verfüge. Außerdem sei er um seine Integration in Österreich sehr bemüht.

4. Die Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.07.2018, Zahl W261 2176907-1/14E, rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

5. Der Beschwerdeführer kam in weiterer Folge seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 12.12.2020 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Er wurde dazu von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag und durch die belangte Behörde am 29.12.2020 und am 25.01.2021 einvernommen.

Seinen Folgeantrag begründete der Beschwerdeführer zusammengefasst damit, dass er im Iran geboren worden und seit seiner Geburt Flüchtling sei. Er habe nie eine Heimat gehabt; auch im Iran sei er misshandelt und beleidigt worden. In Afghanistan würden Hazara verfolgt, weil sie Schiiten seien. Zudem habe er keine Familie dort. Seine ursprünglichen Fluchtgründe halte er aufrecht. Schließlich brachte er psychische und physische Probleme vor.

6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 03.03.2021 wurde der Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG 2005 kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Das BFA führte zu den ersten beiden Spruchpunkten im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren keine neuen Fluchtgründe geltend gemacht habe. Bezüglich des Vorbringens einer dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgungsgefahr durch die Familie seiner damaligen Freundin habe bereits das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass es objektiv nicht dazu geeignet sei, den Asylantrag des Beschwerdeführers zu begründen. Auch sei festgestellt worden, dass eine Rückkehr in den Herkunftsstaat trotz fehlender sozialer und familiärer Anknüpfungspunkte bei Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative möglich sei. Im Vorverfahren sei auch ausgeschlossen worden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Hazara einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt zu sein. Der Beschwerdeführer habe Befunde über das Bestehen einer Anpassungsstörung, die Inanspruchnahme eines Abklärungsgesprächs für eine Psychotherapie und das Vorliegen einer chronischen Gastritis vorgelegt. Er leide jedoch an keiner lebensbedrohlichen Krankheit, zumal psychische Erkrankungen auch in Afghanistan behandelbar seien. Auch die aktuelle COVID-19-Pandemie erfordere nicht die Zuerkennung von subsidiärem Schutz, wobei der Beschwerdeführer keiner Risikogruppe angehöre. Die von Amts wegen zu berücksichtigende Ländersituation habe ebenfalls keinen entscheidungsrelevanten neuen Sachverhalt hervorgebracht. Da weder in der maßgeblichen Sachlage noch in der maßgeblichen Rechtslage eine Änderung eingetreten sei, stehe die Rechtskraft des Erkenntnisses dem neuerlichen Asylantrag entgegen.

7. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wurden insbesondere die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe im Lichte der aktuellen Berichtslage bekräftigt. Die belangte Behörde sei auf die veränderten Umstände in Afghanistan und in der persönlichen Situation des Beschwerdeführers (auch mit Blick auf dessen gesundheitlichen Probleme) nicht hinreichend eingegangen. Abgesehen von der Verschlechterung der Sicherheitslage habe die belangte Behörde insbesondere auch die aktuellen Richtlinien von EASO von Juni 2019 zur Prüfung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative von Rückkehrern, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, unberücksichtigt gelassen. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen vulnerablen, im Iran geborenen Hazara ohne Netzwerk in Afghanistan, weshalb eine Neuansiedlung in afghanischen Großstädten ausgeschlossen sei. Gegen eine Rückkehr des Beschwerdeführers würden auch seine psychische Erkrankung, der fehlende effektive Zugang zu Medikamenten und einer Therapie sowie die sozioökonomischen Auswirkungen der Pandemie auf die ohnehin angespannte Versorgungslage sprechen. Abschließend wandte sich der Beschwerdeführer gegen die verfügte Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot. Der Beschwerde wurden (bereits dem BFA vorgelegte) medizinische Beweismittel beigelegt.

8. Die Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht unter Anschluss des Verwaltungsaktes am 18.03.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch dieses Erkenntnisses angegebenen Namen. Er ist afghanischer Staatsbürger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara mit schiitisch-muslimischem Glauben. Er spricht Farsi und Dari.

Er wurde XXXX im Iran ( XXXX ) geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise nach Europa.

Er ist ledig und hat keine Kinder.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers lebt im Iran. In Afghanistan verfügt er über kein tragfähiges soziales oder familiäres Netzwerk.

Der Beschwerdeführer besuchte im Iran die Schule. Er hat keine Berufsausbildung, arbeitete jedoch im Iran einige Jahre überwiegend auf Baustellen.

Der Beschwerdeführer weist psychische und physische Beeinträchtigungen auf. Konkret wurden bei ihm eine posttraumatische Belastungsreaktion, Anpassungsstörungen, eine psychosoziale Belastungssituation, Verdacht auf Somatisierung, diffuse Bauchschmerzen bei massiv überblähtem Kolonrahmen, (unklare) chronische Diarrhoe, Gastritis und Bulbitis, Verdacht auf entzündliche Erkrankung im GI-Trakt und Vitamin-D-Mangel festgestellt. Er führte am 22.12.2020 ein Abklärungsgespräch für eine psychotherapeutische Behandlung. Der Beschwerdeführer nimmt diverse Medikamente ein.

Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 24.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Als Fluchtgründe gab er bei seinen Einvernahmen (einschließlich der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht) eine ihm drohende Verfolgungsgefahr wegen einer vorehelichen Beziehung, wegen seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit und wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe jener Personen, die eine Staatsangehörigkeit eines Landes besitzen, in dem sie nie gelebt haben und keinerlei Anknüpfungspunkte aufweisen, an.

Das BFA wies den Antrag vom 24.12.2015 mit Bescheid vom 12.10.2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.07.2018 rechtskräftig als unbegründet abgewiesen, dies auf Grundlage des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Afghanistan vom 02.03.2017 in der Fassung vom 30.01.2018, der UNHC-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 und folgender (auszugsweise wiedergegebener) Feststellungen:

„Der BF hat den Iran mit seiner damaligen Freundin verlassen, da die Familie des Mädchens gegen die Beziehung war und den BF zweimal bedrohte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF aus diesem Grund im gesamten Staatsgebiet Afghanistans Verfolgung droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Überstellung nach Afghanistan in die Provinz Bamyan, der Herkunftsprovinz seiner Familie, ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit durch Verwandte des Mädchens, mit dem er aus dem Iran geflohen ist, drohen würde.

Dem BF steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative zur Verfügung. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedlung außerhalb seiner Heimatprovinz, insbesondere in der Stadt Kabul, liefe der BF nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF ist jung und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in der Stadt Kabul – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Er hat im Iran bereits Berufserfahrung in verschiedenen Berufen am Bau, unter anderem als Fliesenleger, Bauarbeiter und Installateur sowie auch als Teppichknüpfer gesammelt, die er in seinem Heimatstaat ebenfalls wird nutzen können.

Die Stadt Kabul ist von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug zu erreichen.

Der BF ist gesund. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in die Stadt Kabul Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

…“

Der Beschwerdeführer stellte am 12.12.2020 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, im Zuge dessen zwar keine neuen Fluchtgründe vorbracht wurden, jedoch eine maßgebliche Änderung der Sachlage betreffend seinen Gesundheitszustand und die spezifisch den Beschwerdeführer betreffende Berichtslage (vgl. dazu die EASO Country Guidance, zuletzt vom Dezember 2020 zu außerhalb Afghanistans geborenen Rückkehrern) zutage trat, welche bei der Prüfung des Bestehens einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Bezug auf die Prüfung des Asylantrags sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu einem anderen Verfahrensergebnis führen könnte.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 03.03.2021 wurde der Folgeantrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan festgestellt, keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und ein Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren erlassen. Das BFA begründete die Zurückweisung des Folgeantrags im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren keine neuen Fluchtgründe geltend gemacht habe. Weder in der Sachlage noch in der Rechtslage seien maßgebliche Änderungen eingetreten.

Im Zuge der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit näherer Begründung (u.a.) eine Änderung der Sachlage (Gesundheitszustand und Länderinformationen) geltend gemacht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den von ihm jeweils vorgebrachten Fluchtgründen sowie zum Verfahrensgang konnten auf Grundlage des vorangegangenen – mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.07.2018, Zahl W261 2176907-1/14E, rechtskräftig abgeschlossenen – Asylverfahrens (Verwaltungs- und Gerichtsakt) und des das gegenständliche Beschwerdeverfahren betreffenden Aktes getroffen werden, insbesondere auf Basis der Niederschriften vom 24.12.2015 über die Erstbefragung des Beschwerdeführers betreffend den ursprünglichen Asylantrag, die Einvernahme durch die belangte Behörde vom 14.09.2017 und die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 11.04.2018, auf Basis des Bescheides des BFA vom 12.10.2017, der Niederschriften über die Erstbefragung des Beschwerdeführers betreffend den Folgeantrag vom 12.12.2020 und die Einvernahmen durch die belangte Behörde vom 29.12.2020 und vom 25.01.2021, des nunmehr angefochtenen Bescheides des BFA vom 03.03.2021 sowie der dagegen erhobenen Beschwerde vom 17.03.2021. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers konnte auf Grundlage der von ihm beigebrachten medizinischen Beweismittel festgestellt werden.

Bezüglich der Feststellung, dass im Zuge der Asylantragstellung vom 12.12.2020 eine maßgebliche Änderung der Sachlage betreffend den Gesundheitszustand und die spezifisch den Beschwerdeführer betreffende Berichtslage zutage trat, wird auf die relevanten Berichte von EASO, die medizinischen Beweismittel und die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen verwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die gegen den angefochtenen Bescheid erhobene Beschwerde erweist sich als rechtzeitig und zulässig. Sie ist auch begründet.

Zu A) Behebung des angefochtenen Bescheides:

3.1. Zur Entscheidung in der Sache

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht die Rechtskraft einer Entscheidung einem neuerlichen Antrag entgegen, wenn keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vorliegt und in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten ist (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122). Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die „entschiedene Sache“, also durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Identität der Sache als eine der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 68 Abs. 1 AVG ist dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, der dem rechtskräftigen Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat. Im Übrigen ist bei der Überprüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich verändert hat, vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne dass dabei dessen sachliche Richtigkeit nochmals zu ergründen wäre, weil die Rechtskraftwirkung ja gerade darin besteht, dass die von der Behörde entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen berührt die Identität der Sache nicht. In Bezug auf die Rechtslage kann nur eine Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften selbst bei der Frage, ob Identität der Sache gegeben ist, von Bedeutung sein, nicht aber eine bloße Änderung in der interpretativen Beurteilung eines Rechtsbegriffs oder einer Rechtsvorschrift bei unverändertem Normenbestand (VwGH 24.06.2014, Ro 2014/05/0050).

Erst nach Erlassung des Bescheides hervorgekommene Umstände, die eine Unrichtigkeit des Bescheides dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern bilden lediglich unter den Voraussetzungen des § 69 AVG einen Wiederaufnahmegrund (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Im Folgeantragsverfahren können – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben (VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089). In Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen – berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (VwGH 09.03.2015, Ra 2015/19/0048). Nur dann, wenn die Ermittlungen der Behörde ergeben, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, ist der Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122).

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat fallbezogen somit zu prüfen, ob die belangte Behörde aufgrund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zum Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).

Maßstab der Rechtskraftwirkung bildet die Entscheidung, mit der zuletzt in der Sache entschieden wurde (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783), im vorliegenden Fall somit das rechtskräftige Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.07.2018 zu Zahl W261 2176907-1/14E.

Ein Antrag auf internationalen Schutz, also das – auf welche Weise auch immer artikulierte – Ersuchen eines Fremden in Österreich, sich dem Schutz Österreichs unterstellen zu dürfen, gilt als Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bei Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005). Das wirkt sich auch bei der Behandlung von Folgeanträgen aus: Hinsichtlich eines Folgeantrags in einem Asylverfahren nach dem AsylG 2005 ist das Bundesamt (das Bundesverwaltungsgericht) verpflichtet, Sachverhaltsänderungen sowohl in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VfSlg. 19.466/2011 mwN; VfGH 10.03.2020, E 611/2020).

Daraus ergibt sich, dass maßgebliche – der Zurückweisung eines Folgeantrags entgegenstehende – Sachverhaltsänderungen nicht zwingend in der Geltendmachung eines neuen Fluchtgrundes gelegen sein müssen, sondern etwa auch (nur) Umstände betreffen können, die bei der Prüfung des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu berücksichtigen sind (und dadurch wiederum sowohl eine andere Beurteilung in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten begründen können).

Fallgegenständlich stellte die belangte Behörde sohin zwar zutreffend fest, dass vom Beschwerdeführer im Vergleich zum vorangegangenen Asylverfahren keine neuen Fluchtgründe vorgebracht wurden. Sie verkannte jedoch, dass im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.07.2018 festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer zweimal von der Familie seiner damaligen Freundin bedroht wurde. Das Bundesverwaltungsgericht konnte insoweit nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass dem Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Afghanistan in die Provinz Bamyan (Herkunftsprovinz seiner Familie) ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit durch Verwandte des Mädchens, mit dem er aus dem Iran geflohen ist, drohen würde. Der Beschwerdeführer wurde diesbezüglich vom Bundesverwaltungsgericht auf die Inanspruchnahme einer – damals als zumutbar erachteten – innerstaatlichen Fluchtalternative (insbesondere in Kabul) verwiesen.

Mit Blick auf das vom Bundesverwaltungsgericht im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren bereits zugrunde gelegte Fluchtvorbringen brachte der Beschwerdeführer im nunmehrigen Verfahren Sachverhaltsänderungen in Bezug auf seinen Gesundheitszustand und die Lage im Herkunftsstaat vor, die bei der Beurteilung des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative maßgeblich sind.

Denn im Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative bedarf es einer Auseinandersetzung mit den allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und den persönlichen Umständen des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 05.04.2018, Ra 2018/19/0154, mwN).

3.3. Hinsichtlich der mangelnden familiären und sozialen Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Afghanistan ist zunächst auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach einem leistungsfähigen Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zugemutet werden könne.

Aus der EASO-Country Guidance (zuletzt vom Dezember 2020) geht allerdings hervor, dass für jene Gruppe von Rückkehrern nach Afghanistan, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könne; es bedürfe einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw. Verbindungen zu Afghanistan sowie sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans (vgl. VfGH 12.12.2019, E 3369/2019).

Derartigen Länderberichten, wie insbesondere Berichten von EASO oder den Richtlinien des UNHCR, ist bei der Beurteilung der Situation im Rückkehrstaat bei der Prüfung, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, besondere Beachtung zu schenken (vgl. VfGH 12.12.2019, E 3369/2019; 12.12.2019, E 2692/2019; 04.03.2020, E 4399/2019, jeweils mwN; VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 17.12.2019, Ra 2019/18/0278 ua.). Das bedeutet insbesondere, dass sich das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht mit den aus diesen Länderberichten hervorgehenden Problemstellungen im Hinblick auf eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, und zwar in Bezug auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers, auseinanderzusetzen haben.

In seinen jüngeren Entscheidungen wies der Verfassungsgerichtshof ausdrücklich darauf hin, dass die bisherige – zu außerhalb Afghanistans geborenen und aufgewachsenen, alleinstehenden, jungen und arbeitsfähigen afghanischen Männern ohne familiäres Netzwerk in Afghanistan ergangene – Judikatur auf einer älteren Berichtslage fußte. Der Verfassungsgerichtshof betonte, dass die Country-Guidance von EASO von der Beurteilung hinsichtlich der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul für leistungsfähige Asylwerber im erwerbsfähigen Alter auch ohne Unterstützungsnetzwerk im Neuansiedlungsgebiet ausdrücklich jene Gruppe von Rückkehrern ausnimmt, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben. Der Verfassungsgerichtshof rügte in seiner aktuellen Judikatur nicht nur die (fallbezogen) fehlende Auseinandersetzung mit der erwähnten Berichtslage, sondern führte wörtlich aus, dass es „[m]it Blick auf die dargestellte Berichtslage und die wiedergegebene Rechtsprechung … einer Begründung [bedarf], auf Grund welcher außergewöhnlichen Umstände es dem Beschwerdeführer dennoch möglich sein könnte, nach Afghanistan zurückzukehren, ohne dass er in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art. 2 EMRK auf Leben sowie gemäß Art. 3 EMRK, weder der Folter, noch erniedrigender oder unmenschlicher Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt wird“ (vgl. dazu die im Plenum des Verfassungsgerichtshofes ergangenen Erkenntnisse vom 12.12.2019, E 3369/2019 und E 2692/2019).

Nach der maßgeblichen Berichtslage müssen – so die aktuelle Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes – zu den Umständen, wie sie für alleinstehende, gesunde Männer im erwerbsfähigen Alter, die in Afghanistan aufgewachsen sind oder längere Zeit dort gelebt haben, eine innerstaatliche Fluchtalternative unter anderem in Mazar-e Sharif zumutbar erscheinen lassen, für einen Rückkehrer, der seit dem frühen Kindesalter außerhalb Afghanistans gelebt hat, qualifizierte Umstände, insbesondere im Hinblick auf Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person sowie Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans, hinzutreten, um von einer im Hinblick auf Art. 2 und 3 EMRK zumutbaren Rückkehrsituation ausgehen zu können (VfGH 12.12.2019, E 3369/2019; 12.12.2019, E 2692/2019; 04.03.2020, E 4399/2019; weiters etwa VfGH 26.02.2020, E 188/2020; 08.06.2020, E 1044/2020; 09.06.2020, E 3835/2019; 14.07.2020, E 4666/2019; 06.10.2020, E 1728/2020 (Aufhebung im Plenum); 06.10.2020, E 1887/2020 (Aufhebung im Plenum); 06.10.2020, E 2406/2020 (Abweisung im Plenum), 06.10.2020, E 2795/2019 (Aufhebung im Plenum), 07.10.2020, E 1759/2020; 07.10.2020, E 2176/2020; vgl. in diesem Sinn etwa auch VwGH 28.08.2019, Ra 2018/14/0308; 17.12.2019, Ra 2019/18/0405 sowie VwGH 28.01.2020, Ra 2019/18/0204). Rückkehrer, die nie, nur im Kleinkindalter oder nur sehr kurze Zeit in Afghanistan gelebt haben, stehen nämlich gegenüber solchen, die in Afghanistan aufgewachsen sind, bei der Sicherung ihrer grundlegenden existenziellen Bedürfnisse vor besonderen Herausforderungen, mit denen sich die Behörde und das Bundesverwaltungsgericht auseinanderzusetzen haben.

Solche besonderen bzw. qualifizierten Umstände können den Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes zufolge in einem insbesondere familiären Unterstützungsnetzwerk oder in sonstigen besonderen Verbindungen ebenso liegen wie in einer entsprechenden Ausbildung oder Berufserfahrung, die, weil sie auch außerhalb Afghanistans gegeben wäre, auf eine entsprechende Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers schließen lässt. Die Tatsachen alleine, dass es sich beim Betroffenen um einen gesunden, jungen Mann im erwerbsfähigen Alter handelt, der, weil er in einer afghanischen Familie aufgewachsen ist, mit den afghanischen kulturellen Gepflogenheiten vertraut ist, reichen als einschlägiges Personenprofil, im Unterschied zu alleinstehenden, gesunden und erwerbsfähigen Männer, die in Afghanistan aufgewachsen sind, für Rückkehrer, die seit dem frühen Kindesalter außerhalb Afghanistans gelebt haben, nicht aus (VfGH 06.10.2020, E 1887/2020).

Auch der Verwaltungsgerichtshof mahnt in Bezug auf die in Rede stehende Gruppe von Rückkehrern eine Auseinandersetzung mit der spezifischen Berichtslage ein (z.B. VwGH 28.08.2019, Ra 2018/14/0308; vgl. weiters auch VwGH 29.04.2019, Ra 2019/20/0175; 07.06.2019, Ra 2019/14/0114; 17.06.2019, Ra 2018/20/050024.06.2019, Ra 2018/20/0434; 18.07.2019, Ra 2019/19/0197; 18.07.2019, Ra 2019/19/0197; 17.09.2019, Ra 2019/14/0160; 30.09.2019, Ra 2018/01/0068; 11.12.2019, Ra 2019/20/0500; VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0243; 17.12.2019, Ra 2019/18/0398; 30.12.2019, Ra 2019/18/0241; 29.01.2020, Ra 2019/18/0258; 30.01.2020, Ra 2020/20/0003; 13.02.2020, Ra 2019/01/0488; 24.09.2020, Ra 2020/20/0334; 12.10.2020, Ra 2020/20/0001; 21.10.2020, Ra 2020/19/0288; siehe aber auch VwGH 28.08.2019, Ra 2018/14/0308; 17.12.2019, Ra 2019/18/0405; 28.01.2020, Ra 2019/18/0204). In seiner Entscheidung vom 17.09.2019, Ra 2019/14/0160 führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass „(auch) EASO … nicht davon ausgeht, jenen afghanischen Staatsangehörigen, die außerhalb Afghanistans geboren wurden und/oder für längere Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, wäre die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in ihrem Heimatland schlechthin unzumutbar. Vielmehr hält EASO fest, eine solche könnte bei Fehlen eines sie unterstützenden Netzwerks nicht zumutbar sein (‚may not be reasonable‘). Im Weiteren empfiehlt EASO bei der vorzunehmenden Bewertung den oben wiedergegebenen Umständen Beachtung zu schenken. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Umstände, deren Existenz sämtlich bejaht oder verneint werden müsste. Zudem sind diese Ausführungen des EASO im Kontext seiner gesamten Ausführungen zur innerstaatlichen Fluchtalternative zu verstehen. Die Einbeziehung dieser Umstände soll der Beurteilung dienen, ob der betreffende Fremde trotz längerer Abwesenheit von seinem Heimatland ausreichend mit jenen Gegebenheiten vertraut ist oder über jene Fertigkeiten oder Unterstützung verfügt, sodass es ihm möglich sein wird, sein grundlegendes Auskommen zu sichern (…).“

Bezogen auf den gegenständlichen Beschwerdefall bedeutet das Folgendes:

Seitens der belangten Behörde wurde die Berichtslage in Bezug auf Rückkehrer, die seit der Geburt bzw. dem frühen Kindesalter außerhalb Afghanistans gelebt haben, nicht beachtet. Die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichte enthalten weder aktuelle und hinreichend spezifische Informationen betreffend Fälle wie jenen des Beschwerdeführers, der im Iran geboren und aufgewachsen ist, noch traf das BFA diesbezüglich eine Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw. Verbindungen zu Afghanistan sowie sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund. Sie nahm diesbezüglich nicht die erforderlichen – von EASO formulierten – spezifischen Prüfungskriterien in den Blick, sondern bezog sich auf die allgemeine Rückkehrsituation von alleinstehenden, nicht lebensbedrohlich erkrankten Männern im erwerbsfähigen Alter. Sie nannte in ihren Ausführungen zudem keinen konkreten Rückkehrort in Afghanistan (s. hiezu VfGH 03.10.2019, E 4959/2018 ua.).

Auch die nunmehr bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers begründen – insbesondere in Zusammenschau mit der vor etwa einem Jahr erstmals aufgetretenen COVID-19-Pandemie und den daraus resultierenden Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Versorgungslage sowie auf den Zugang zu Gesundheitsversorgung – maßgebliche Änderungen des Sachverhalts, welche bei der Beurteilung des Bestehens einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative zu berücksichtigen sind und ein anderes Verfahrensergebnis jedenfalls nicht ausschließen. Zwar erfolgte insoweit eine (zumindest rudimentäre) Auseinandersetzung im angefochtenen Bescheid. Jedoch führte die belangte Behörde – im Spannungsverhältnis zu ihrer zurückweisenden Entscheidung in den Spruchpunkten I. und II. – diesbezüglich aus, dass beim Beschwerdeführer „keine lebensbedrohliche Krankheit“ bestehe, zumal die vorgebrachte posttraumatische Belastungsstörung auch in Afghanistan behandelbar sei. Weiters wurde festgehalten, dass „die aktuelle COVID-19-Pandemie […] nicht die Zuerkennung von subsidiärem Schutz“ erfordere. Mit dieser Argumentation übersieht die Behörde allerdings, dass eine solcherart inhaltliche Auseinandersetzung erst dann zu erfolgen hat, wenn eine maßgebliche Sachverhaltsänderung bejaht und eine Sachentscheidung erlassen wird.

Das Folgeantragsverfahren hat daher mit Blick auf den geänderten Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die aktuelle Berichtslage einen neuen Sachverhalt zum Gegenstand, der erst nach der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes entstand.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Änderung des Vorbringens nur dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann, und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist (VwGH 24.03.2011, 2007/07/0155).

Die Berücksichtigung der in Rede stehenden Sachverhaltsänderungen (Gesundheitszustand, Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, Berichtslage zu außerhalb Afghanistans geborenen Rückkehrern) im Rahmen einer Sachentscheidung kann in Folge einer allenfalls geänderten Beurteilung des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative Asylrelevanz entfalten, zumal das Bundesverwaltungsgericht von der Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers hinsichtlich einer drohenden – wenn auch nicht landesweiten – Verfolgungsgefahr durch Verwandte seiner damaligen Freundin ausging. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides ist daher möglich. Auch im Hinblick auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes kann bei Bedachtnahme der maßgebenden Sachverhaltsänderungen eine andere Beurteilung nicht ausgeschlossen werden.

Des Weiteren muss die behauptete Sachverhaltsänderung in Bezug auf wiederholte Asylanträge zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 15.03.2006, 2006/18/0020).

Der aktuelle Gesundheitszustand des Beschwerdeführers wurde durch Befunde belegt und von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellt. Die maßgebliche Berichtslage zur COVID-19-Pandemie und zu außerhalb Afghanistans geborenen Rückkehrern ist ebenfalls objektiv nachvollziehbar.

3.4. Hat die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen, so ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrundeliegenden Antrag würde demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).

Der Beschwerde war daher stattzugeben, der angefochtenen Bescheid zu beheben und der belangten Behörde die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Für das fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides der verfahrensgegenständliche Asylantrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist und über diesen von der belangten Behörde neuerlich, nämlich meritorisch abzusprechen ist (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).

3.5. In Folge Behebung der Spruchpunkte I. und II. liegen auch die Voraussetzungen für die Beurteilung der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, für die Zulässigkeit der Abschiebung, für die Ausreisefrist und für die Erlassung eines Einreiseverbots nicht mehr vor, weshalb die Spruchpunkt III. bis VII. mangels einer gesetzlichen Grundlage keinen Bestand mehr haben können und ebenfalls aufzuheben waren.

3.6. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

Im vorliegenden Beschwerdefall nimmt das Bundesverwaltungsgericht von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 zweiter Satz BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG Abstand, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter Pkt. II.3. zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes,); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Bescheidbehebung entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung Folgeantrag Gesundheitszustand Pandemie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W238.2176907.4.00

Im RIS seit

17.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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