Entscheidungsdatum
26.03.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L503 2186762-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Waldhof, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2018, Zl. XXXX , betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
A.) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 und 2 VwGVG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruch des Bescheides zu lauten hat:
Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 18.12.2017 wird gemäß § 33 Abs 1 VwGVG abgewiesen.
B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz: „BFA“) vom 31.8.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden kurz: „BF“) auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt, gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
Dieser Bescheid wurde hinterlegt (Beginn der Abholfrist laut Rückschein: 6.9.2017).
2. Mit Schriftsatz seines nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertreters vom 18.12.2017 stellte der BF den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, verbunden mit einer Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 31.8.2017.
Begründend führte der rechtsfreundliche Vertreter im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zunächst aus, der gegenständliche Bescheid des BFA vom 31.8.2017 sei dem BF am 6.9.2017 zugestellt worden. Am 11.9.2017 sei der BF in der Kanzlei seines Rechtsvertreters gewesen, um den weiteren Verfahrensablauf zu besprechen. Bei diesem Termin habe der BF seinem Rechtsvertreter ausdrücklich den Auftrag erteilt, eine Beschwerde einzubringen, was dem BF zugesichert worden sei. Anschließend habe es der Rechtsvertreter verabsäumt, rechtzeitig die Beschwerde einzubringen. Erst nachdem sich der BF am 4.12.2017 per Mail bei seinem Rechtsvertreter nach dem Verfahrensstand erkundigt habe, sei diesem aufgefallen, dass er es verabsäumt hatte, besagtes Rechtsmittel rechtzeitig einzubringen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei rechtzeitig gestellt, da erst am 4.12.2017 das Hindernis, welches die rechtzeitige Einbringung verhindert habe, weggefallen sei.
Der Rechtsvertreter des BF treffe stets alle notwendigen Vorsorgen, um den ihm übertragenen Aufgaben mit größter Verantwortung nachzukommen. Die Vormerkung von Fristen wie der gegenständlichen werde im Kanzleibetrieb des Rechtsvertreters sehr sorgfältig und durch eine doppelte Absicherung geführt; zunächst würden die Fristen im EDV-System eingetragen und dann in das Fristenbuch übertragen. Am 11.9.2017, als der BF mit seinem Rechtsvertreter den Bevollmächtigungsvertrag abgeschlossen und ihn damit beauftragt habe, die Beschwerde einzubringen, habe sich gegen 16.00 Uhr aufgrund eines elektrischen Kurzschlusses in einer Kompakt-Kabeltrommel ein Stromausfall in den meisten Räumlichkeiten der Kanzlei ereignet; dabei sei das gesamte EDV-System ausgefallen und seien wichtige Termine und Fristen vorerst handschriftlich vorgemerkt worden. Gegen 17.00 Uhr sei ein Großteil der Kanzleiräumlichkeiten wieder mit Strom versorgt gewesen und habe auch der Großteil des EDV-Systems wieder funktioniert. Eine seit mehreren Jahren angestellte und sehr sorgfältige und zuverlässige Kanzleikraft habe dann angefangen, die Termine und Fristen im EDV-System, genauer im Microsoft Outlook, einzutragen. Sie sei dabei nicht an ihrem üblichen Arbeitsplatz gesessen, da dieser zu besagtem Zeitpunkt noch nicht mit Strom versorgt gewesen sei.
Als sie am nächsten Tag wieder an ihrem gewohnten Arbeitsplatz gesessen sei und die Fristen aus dem EDV-System in das Fristenbuch übertragen habe, sei „aus technisch nicht nachvollziehbaren Gründen der Fristvermerk für die gegenständliche Beschwerde in Ihrem Microsoft Outlook nicht angezeigt“ worden. Selbstverständlich sei jede EDV-Anlage in der Kanzlei über den gleichen Microsoft Outlook Zugang verbunden und seien „im Normalfall alle Termine und Fristen die auf einem System eingetragen werden auch auf allen anderen Systemen wahrzunehmen.“ Der Fristvermerk für die gegenständliche Beschwerde sei „deshalb nie in das Fristenbuch eingetragen“ worden und sei auch nicht auf dem für die Fristenkontrolle bestimmten EDV-System aufgeschienen. Obwohl der Rechtsvertreter das Fristenbuch stets sorgsam kontrolliere und eine Kanzleiangestellte zusätzlich dazu in ihrem EDV-System stets die eingetragenen Fristen kontrolliere, also eine doppelte Absicherung vorgenommen werde, sei es dem Rechtsvertreter, ohne dass ihn daran ein Verschulden getroffen hätte, nicht möglich gewesen, die gegenständliche Beschwerde rechtzeitig einzubringen. Der Stromausfall „und die damit zusammenhängenden nicht nachvollziehbaren Systemfehler im Microsoft Outlook“ würden ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis darstellen.
Folglich beantrage der BF gegen die Versäumung der Beschwerdefrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und hole gleichzeitig die versäumte Prozesshandlung nach, indem er gegen den Bescheid des BFA vom 31.8.2017 – näher begründet – Beschwerde erhebe.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 9.1.2018 wies das BFA den Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 71 Abs 1 AVG ab.
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, der Bescheid vom 31.8.2017 sei ordnungsgemäß hinterlegt worden (Beginn der Abholfrist: 6.9.2017) und habe die zweiwöchige Beschwerdefrist folglich mit Ablauf des 20.9.2017 geendet. Der Bescheid sei in Rechtskraft erwachsen, da innerhalb offener Frist keine Beschwerde eingebracht worden sei.
Erst am 18.12.2017 habe die rechtliche Vertretung des BF einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und gleichzeitig Beschwerde erhoben. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF bzw. seine rechtliche Vertretung durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen seien, die Rechtsmittelfrist einzuhalten und ihn bzw. seine rechtliche Vertretung kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Verschuldens treffe.
Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das BFA diesbezüglich insbesondere aus, es erscheine nicht nachvollziehbar, dass der BF einerseits anführe, dass seine rechtliche Vertretung alle notwendigen Vorsorgen treffe, um den ihr übertragenen Aufgaben mit größter Sorgfalt nachzukommen und die Vormerkung von Fristen durch eine doppelte Absicherung geführt werde, andererseits aber die nicht vorhandenen Eintragungen in das EDV-System und in das Fristenbuch zum Versäumnis der gegenständlichen Beschwerdefrist geführt hätten. Der BF sei am 11.09.2017 in der Kanzlei seiner rechtlichen Vertretung gewesen, als sich ein Stromausfall ereignet habe. Aufgrund des EDV-Ausfalls seien die wichtigen Termine und Fristen handschriftlich vorgemerkt worden. Am selben Tag sei die Frist für die Beschwerde zwar in das EDV-System, genauer Microsoft Outlook, eingetragen worden, aber am nächsten Tag nicht mehr zu Verfügung gestanden. Eine Eintragung in das Fristenbuch sei daher nicht möglich gewesen. Für das BFA wäre eine Eintragung aber dennoch möglich gewesen, da der BF selbst behaupte, dass während des Ausfalls des EDV-Systems die Fristen handschriftlich vorgemerkt worden seien. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum die handschriftliche Vormerkung nicht umgehend in das Fristenbuch erfolgt sei. Da die Dauer des Ausfalls nicht absehbar gewesen wäre, wäre es mehr als logisch gewesen, die Fristen zuerst in das Fristenbuch und dann in Microsoft Outlook einzutragen. Des Weiteren wäre es der Kanzleikraft möglich gewesen, den Eintrag in das EDV-System, nach Wiederherstellung der Stromversorgung, vorzunehmen und anschließend die Frist in das Fristenbuch einzutragen, ohne einen Tag zu warten. Auch wäre es der rechtlichen Vertretung selbst möglich gewesen, die Frist einzutragen bzw. zu veranlassen, dass die Frist in das Fristenbuch eingetragen wird, ehe sie im Microsoft Outlook vermerkt wird.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung stellte das BFA § 71 AVG dar und führte subsumierend aus, im gegenständlichen Fall sei die rechtliche Vertretung des BF nicht durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen, die Beschwerdefrist einzuhalten. Das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung sei dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten (VwGH 30.06.2016, Zl. Ra 2015/19/0155). Der Rechtsanwalt selbst habe die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Kanzleiangestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen (VwGH 30.11.1999, Zl. 99/05/0232). Diese Überwachungspflicht treffe den Anwalt unabhängig davon, ob der Kalender „händisch“ oder „EDV-mäßig“ geführt wird. Allein dadurch, dass die Frist auf einem Blatt Papier vermerkt wird, sei noch keine Garantie gegeben, dass im Fristenbuch („händisch“) oder Microsoft Outlook („EDV-mäßig“) eine Vormerkung tatsächlich erfolgt ist. Einer Auffassung, es würde eine überspitzte und lebensfremde Forderung an den Kanzleibetrieb eines Rechtsanwalts darstellen, wenn dieser jede einzelne Frist festsetzen und deren Eintragung selbst vornehmen bzw. jede einzelne Eintragung überwachen müsste, könne nicht beigepflichtet werden. Es erscheine durchaus zumutbar, dass ein Rechtsanwalt seiner Verantwortung auf diese Weise persönlich nachkommt. Das Verschulden von Kanzleikräften stelle für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Es sei jedenfalls durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind.
Im konkreten Fall habe der BF als Grund für die Fristversäumnis angegeben, dass das alleinige Verschulden auf einen Stromausfall und daraus entstehende Systemfehler im EDV-System zurückzuführen sei, wodurch eine Eintragung durch die Kanzleikraft und Einhaltung der Frist nicht möglich gewesen sei. Allerdings sei die Frist nach dem Stromausfall handschriftlich vorgemerkt worden und es wäre möglich gewesen, die Frist sogleich in das Fristenbuch einzutragen bzw. den handschriftlichen Vermerk so lange aufzubewahren, bis ein Datenabgleich mit dem EDV-System und den Eintragungen im Fristenbuch stattgefunden hätte.
Der für rechtskundige Parteienvertreter gebotene, strenge Sorgfaltsmaßstab hätte es im vorliegenden Fall erforderlich gemacht, eine Kontrollorganisation zu schaffen, um Fehler bei der Datenpflege ausschließen oder zumindest rasch entdecken zu können. Die für den Vertreter der Partei handelnde Mitarbeiterin hätte sich daher durch Abgleich des handschriftlichen Vermerks mit dem Fristenbuch und Microsoft Outlook vergewissern müssen, dass die Fristen korrekt eingetragen worden sind. Ein solcher Abgleich hätte divergierende Daten einfach erkennen lassen und solcherart eine rasche Reaktion ermöglichen können. Unter diesen Umständen sei es der Mitarbeiterin und damit dem rechtlichen Vertreter der Verfahrenspartei als über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzulasten, dass sie bei Eintragung der Fristen nicht überprüft hat, ob die Beschwerdefrist auch richtig eingetragen worden sei. Ein anderer Wiedereinsetzungsgrund sei nicht genannt worden.
Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei daher abzuweisen.
4. Mit Schriftsatz seines rechtsfreundlichen Vertreters vom 2.2.2018 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 9.1.2018. Darin wiederholte der Vertreter im Wesentlichen sein bereits im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags erstattetes Vorbringen und betonte, er sei der ihm zumutbaren Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen. Durch die eingerichtete doppelte Eintragung der Fristen (Eintragung im EDV-System und deren Übertragung ins Fristenbuch) habe er ein wirksames Kontrollsystem vorgesehen, welches geeignet sei, im Falle des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumnisse auszuschließen. Ausschließlich aufgrund des Stromausfalles am 11.9.2017 habe die – sorgfältige und zuverlässige - Kanzleikraft die Eintragung der Fristen nicht wie gewöhnlich vorgenommen, wobei hinsichtlich der diesbezüglichen Vorgangsweise am 11.9.2017 das bereits im Wiedereinsetzungsantrag erstattete Vorbringen wiederholt wurde. Bei dieser Vorgangsweise am 11.9.2017 hätten auch entsprechende Abgleiche stattgefunden: So seien zuerst die Fristen im Outlook mit dem handschriftlichen Vermerk verglichen worden und seien am nächsten Tag die Fristen im Outlook mit den Fristen im Fristenbuch verglichen worden. Bei den jeweiligen Abgleichen hätten keine divergierenden Daten festgestellt werden können, da diese ja jeweils übereingestimmt hätten.
Abschließend wurde wie folgt ausgeführt:
„Die Fristen wurden am 11.09.2017 zuerst handschriftlich, dann im EDV-System und letztlich am 12.09.2017 in das Fristenbuch eingetragen. Diese Vorgänge sind auch der Kontrolle meines Vertreters unterzogen worden. Dass die gegenständliche Frist letztlich nicht ins Fristenbuch eingetragen werden konnte, lag an einem unvorhersehbaren Fehler im EDV-System. Die beruflichen Sorgfaltspflichten bei der Kontrolle des Kanzleiapparates wurden eingehalten und traf meinen Vertreter kein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden.“
Abschließend wurde beantragt, das BVwG möge der Beschwerde Folge geben und den Bescheid im antragsstattgebenden Sinne abändern, in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Verfahrensergänzung an die Behörde erster Instanz zurückverweisen.
5. Am 21.2.2018 legte das BFA den Akt dem BVwG vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
6. Mit Schriftsatz seines rechtsfreundlichen Vertreters vom 17.3.2021 stellte der BF einen Fristsetzungsantrag.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Bescheid des BFA vom 31.8.2017, mit dem über den Antrag des BF auf internationalen Schutz (samt Rückkehrentscheidung) abgesprochen wurde, wurde ordnungsgemäß hinterlegt (Beginn der Abholfrist laut Rückschein: 6.9.2017). Allfällige Zustellungsmängel wurden seitens des rechtsfreundlichen Vertreters des BF nicht ins Treffen geführt, sondern führt dieser aus, dass der Bescheid am 6.9.2017 zugestellt wurde. Darüber hinaus ergibt sich der tatsächliche Erhalt des Bescheids durch den BF auch dadurch, dass er eigenen Angaben zufolge bereits am 11.9.2017 die Kanzlei seines Vertreters aufgesucht und eine Beschwerdeerhebung gegen den Bescheid in Auftrag gegeben hatte.
1.2. An jenem Tag (dem 11.9.2017) und zu jener Zeit, an dem der BF zum Beratungsgespräch bei seinem (nunmehrigen) Vertreter war und diesen mit der Einbringung der Beschwerde beauftragte, trat in der Kanzlei des Vertreters ein Stromausfall auf (zwischen 16:00 und 17:00 Uhr).
Die Fristvormerkung von Fristen, die in der Kanzlei des Vertreters am 11.9.2017 in diesem Zeitraum „anfielen“, wurde durch eine Kanzleikraft wie folgt vorgenommen:
In einem ersten Schritt wurden die Fristen handschriftlich vermerkt. In einem zweiten Schritt übertrug die Kanzleikraft – noch am selben Tag – nach Wiederherstellung der Stromversorgung die solcherart handschriftlich vermerkten Fristen in das Outlook-Programm. In einem dritten Schritt hat die Kanzleikraft sodann – erst am nächsten Tag – die in Outlook angezeigten Fristen (wiederum) handschriftlich vermerkt, und zwar diesmal im dafür vorgesehenen Fristenbuch.
Aus auch dem Vertreter nicht nachvollziehbaren Gründen schien die gegenständliche Frist jedoch nicht in Outlook auf, sodass auch keine Übertragung in das Fristenbuch erfolgte und die Beschwerdefrist (letzter Tag der Frist: 20.9.2017) versäumt wurde.
Erst am 4.12.2017, somit knapp drei Monate nach Ablauf der Beschwerdefrist – nachdem sich der BF bei seinem Vertreter hinsichtlich des Verfahrensstandes erkundigt hatte – fiel dem Vertreter auf, dass bis dato gar keine Beschwerde erhoben worden war.
1.3 Am 18.12.2017 wurde der gegenständliche Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, verbunden mit einer Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 31.8.2017, gestellt
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des BFA.
2.2. Die unter Punkt 1.1. getroffenen Feststellungen zur Zustellung des Bescheids vom 31.8.2017 ergeben sich unmittelbar aus dem Zustellnachweis und den diesbezüglichen, ausdrücklichen Angaben des rechtsfreundlichen Vertreters des BF.
2.3. Auch die unter Punkt 1.2. getroffenen Feststellungen zu den Ereignissen in der Kanzlei des rechtsfreundlichen Vertreters des BF am 11.9.2017 beruhen zur Gänze auf dem diesbezüglichen Vorbringen des rechtsfreundlichen Vertreters in seinem Wiedereinsetzungsantrag.
2.4. Dass der Wiedereinsetzungsantrag am 18.12.2017 gestellt wurde, folgt unmittelbar aus dem Akt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde mit einer Maßgabe
3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen
Die Zuständigkeit des BVwG und die Entscheidung durch Einzelrichter ergeben sich aus § 7 BFA-VG, § 6 BVwGG und § 33 VwGVG.
Die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Antrag vom 18.12.2017 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, konkret in die Beschwerdefrist gegen den Bescheid vom 31.8.2017.
3.2. Das BFA stützte die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf § 71 Abs 1 AVG. Dazu ist allerdings festzuhalten, dass bei Versäumen der Beschwerdefrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand § 33 VwGVG die maßgebliche Bestimmung ist und nicht § 71 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt (vgl. VwGH, 28.09.2016, Zl. Ro 2016/16/0013 oder auch zuletzt VwGH, 05.12.2018, Zl. Ra 2018/20/0441). Dies bedingt allerdings keine inhaltliche Änderung, zumal § 33 VwGVG dem § 71 AVG nachgebildet ist.
3.3. § 33 VwGVG lautet auszugsweise:
§ 33. (1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. […]
(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. […] Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.
(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen. […]
(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat. […]
3.4. Ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis stellt einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. VwGH 23.3.2017, Ra 2017/06/0027). Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne der obigen Ausführungen dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Vertreter verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind (vgl. VwGH 20.1.2016, Ra 2015/04/0098; 29.5.2015, Ra 2015/08/0013; 27.5.2014, 2014/16/0001). [VwGH vom 3.2.2021, Zl. Ra 2020/05/0056]
3.5. Im konkreten Fall bedeutet dies:
3.5.1. Vorweg ist gegenständlich zu prüfen, ob eine Frist versäumt wurde. Wie den obigen Ausführungen zu entnehmen ist, wurde der Bescheid des BFA vom 31.8.2017 ordnungsgemäß hinterlegt. Der Beginn der Abholfrist war der 6.9.2017, sodass der Bescheid mit diesem Tag als zugestellt gilt. Die – der damaligen Rechtslage nach zweiwöchige (§ 16 Abs 1 BFA-VG BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 24/2016) – Beschwerdefrist hatte folglich mit Ablauf des 20.9.2017 geendet. Die am 18.12.2017 eingebrachte Beschwerde wurde somit erst nach Ablauf der Beschwerdefrist erhoben.
3.5.2. Den eigenen Angaben des rechtsfreundlichen Vertreters zufolge kam es am 11.9.2017 gerade, als der BF zum Beratungsgespräch bei ihm gewesen sei, zu einem (kurzfristigen) Stromausfall in der Kanzlei. Infolgedessen seien in einem ersten Schritt die Fristen handschriftlich vorgemerkt worden. In einem zweiten Schritt habe die Kanzleikraft – noch am selben Tag – nach Wiederherstellung der Stromversorgung die solcherart handschriftlich vermerkten Fristen in das EDV-System (Outlook) übertragen. In einem dritten Schritt habe sie sodann – erst am nächsten Tag – die in Outlook angezeigten Fristen (wiederum) handschriftlich vermerkt, und zwar diesmal im Fristenbuch, und rühre auch die gegenständliche Fristversäumnis daher, zumal die gegenständliche Frist aus unerklärlichen Gründen nicht in Outlook (mit den anderen PCs) synchronisiert worden sei, sodass die Kanzleikraft die Frist mangels deren Aufscheinen im Outlook am nächsten Tag nicht in das Fristenbuch habe eintragen können.
3.5.3. Damit vermochte der Vertreter aber keinen Wiedereinsetzungsgrund im Sinne der dargestellten Rechtsprechung darzulegen:
Bereits die geschilderte Vorgangsweise mit den erwähnten drei Schritten birgt ein offenkundig hohes Fehlerpotential und kann insofern nicht von der Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt gesprochen werden. So erhellt nicht, warum die Frist nicht sogleich (handschriftlich) in das Fristenbuch eingetragen wurde; der Stromausfall hätte diesbezüglich kein Hindernis dargestellt, sondern im Gegenteil dies vielmehr unverzüglich geboten erscheinen lassen. Ganz unabhängig von allfälligen technischen Problemen mit der Outlook-Synchronisierung birgt die gewählte Vorgangsweise mit mehreren Übertragungsschritten schon per sei ein hohes Risiko von (menschlichen) Übertragungsfehlern.
Darüber hinaus wäre auch einerseits seitens der Kanzleikraft, andererseits aber insbesondere auch seitens des rechtsfreundlichen Vertreters selbst auf die Dokumentation der gegenständlichen Beschwerdefrist ein besonderes Augenmerk zu legen gewesen: So hat sich der (am 11.9.2017 zwischen 16:00 und 17:00 Uhr andauernde) Stromausfall den eigenen Angaben des rechtsfreundlichen Vertreters zufolge just zu jenem Zeitpunkt ereignet, als mit dem BF in der Kanzlei der weitere Verfahrensablauf besprochen und vom BF der Auftrag zur Erhebung der gegenständlichen Beschwerde erteilt worden sei; aufgrund dieses Stromausfalls sei im konkreten Fall, wie dargestellt, die Frist anders als üblich vorgemerkt worden, indem sie zunächst bloß handschriftlich (ohne Eingabe in Outlook) notiert worden sei. Wenn der rechtsfreundliche Vertreter nun selbst die Singularität der Ereignisse vom 11.9.2017 betont (Stromausfall zwischen 16:00 und 17:00 Uhr, gleichzeitig Beauftragung der Beschwerdeerhebung durch den BF), so wäre es nicht nur an der Kanzleikraft, sondern vor allem auch an ihm persönlich gelegen, die tatsächliche Eintragung dieser Frist in das Fristenbuch (nachträglich) zu kontrollieren. Dass einem rechtsfreundlichen Vertreter nicht abverlangt werden kann, die Eintragung sämtlicher Fristen (durch eine im allgemeinen sorgfältige) Kanzleikraft persönlich zu kontrollieren, ist seitens des BVwG unbestritten; im konkreten Fall allerdings war sich der rechtsfreundliche Vertreter eigenen Angaben zufolge bei Entgegennahme des Auftrags zur Erhebung der Beschwerde dessen bewusst, dass der in seiner Kanzlei gewöhnlich praktizierte, „übliche“ Weg der Fristvormerkung hier gerade nicht eingehalten werden kann. Somit wäre es ihm im konkreten Fall aber zumutbar – und auch erforderlich – gewesen, die tatsächliche Eintragung im Fristenbuch (nachträglich) zu kontrollieren, sodass insofern auch seinen vagen Andeutungen im Wiedereinsetzungsantrag, wonach aus „technisch nicht nachvollziehbaren Gründen“ der Fristvermerk für die gegenständliche Beschwerde im Outlook-Programm auf jenem PC, den die Kanzleikraft üblicherweise verwendet, nicht angezeigt worden sei – sodass auch die spätere Eintragung im Fristenbuch unterblieben sei -, keine rechtliche Relevanz zukommt. Der rechtsfreundliche Vertreter des BF ist in Anbetracht der ihm bewussten Umstände des 11.9.2017 der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften im Sinne der Rechtsprechung des VwGH (vgl. z. B. VwGH vom 3.2.2021, Zl. Ra 2020/05/00569) nicht nachgekommen.
Nur der Vollständigkeit halber ist auch darauf hinzuweisen, dass dem rechtsfreundlichen Vertreter des BF nach dem Besprechungstermin mit dem BF am 11.9.2017 nur mehr 9 Tage zur fristgerechten Erhebung der Beschwerde zur Verfügung gestanden wären. Insofern ist doch verwunderlich, dass ihm die Unterlassung der Beschwerdeerhebung erst knapp drei Monate nach Ablauf der Beschwerdefrist auffiel, als sich der BF nach dem Verfahrensstand erkundigte. Zwar kann keinem Vertreter abverlangt werden, sämtliche Fristen zur Verfassung von Schriftsätzen selbst im Kopf zu behalten, allerdings bestand in Anbetracht des – bereits am Tag der Besprechung – nahenden Ablaufs der Beschwerdefrist zeitlich doch ein konkreter Handlungsbedarf im Hinblick auf die Verfassung des Beschwerdeschriftsatzes. Dass vor diesem Hintergrund nicht nur die Beschwerdefrist (etwa knapp) versäumt wurde, sondern dem Vertreter vielmehr über Monate hinweg das Erfordernis der Beschwerdeerhebung gar nicht auffiel und er erst durch Nachfragen des BF darauf aufmerksam wurde, zeugt auch dem Grunde nach nicht – im Sinne der Rechtsprechung des VwGH (vgl. vom 4.9.2020, Zl. Ra 2020/02/0187) - von einer Organisation des Kanzleibetriebes, die eine fristgerechte Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit sicherstellt.
3.5.4. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung des VwGH ist davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall von einem minderen Grad des Versehens nicht gesprochen werden kann. Folglich ist die Beschwerde spruchgemäß mit der Maßgabe abzuweisen, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 18.12.2017 gemäß § 33 Abs 1 VwGVG (anstelle des vom BFA in unzutreffender Weise zitierten, im Ergebnis aber identischen § 71 Abs 1 AVG) abgewiesen wird.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des VwGH zu den Wiedereinsetzungsgründen.
Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da sich der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde als geklärt erweist.
Schlagworte
minderer Grad eines Versehens Sorgfaltspflicht WiedereinsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L503.2186762.2.00Im RIS seit
17.06.2021Zuletzt aktualisiert am
17.06.2021