Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. September 1995, Zl. 4.346.687/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der
"Jugosl. Föderation", der am 29. Mai 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist und noch am selben Tag den Antrag gestellt hat, ihm Asyl zu gewähren, hat den Bescheid des Bundesasylamtes vom 7. Juni 1995, mit dem dieser Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft. Mit dem Bescheid vom 28. September 1995 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner am 31. Mai 1995 erfolgten niederschriftlichen Befragung zu seinen Fluchtgründen angegeben, er habe am 5. Mai 1995 den Einberufungsbefehl erhalten. Er habe dem keine Folge leisten wollen, da er befürchtet habe, an die Front nach Bosnien geschickt zu werden. Er habe sich zu seinem Onkel begeben, bei dem er 10 Tage gelebt habe. Ein paar weitere Tage habe er sich bei seinem Cousin aufgehalten. Das alles sei notwendig gewesen, um Geld für die Flucht zusammenzubekommen. Auf die Frage, wie er darauf komme, daß man an die Front in Bosnien geschickt werde, antwortete der Beschwerdeführer, ein anderer Cousin von ihm sei im Dezember 1994 einberufen und über Nis an die Front nach Bosnien gebracht worden, wo er in bosnische Gefangenschaft geraten sei. Nach der Freilassung sei er nach Deutschland geflüchtet und habe von dort einen Brief an seine Familie geschrieben, die davon dann erzählt habe. Wo der Cousin in Bosnien eingesetzt gewesen sei, wisse er nicht. Er habe nur Angst, daß ihm dies auch passieren könnte. Auf die Frage, warum die Serben Albaner nach Bosnien schicken sollten, um gegen eigene Glaubensbrüder zu kämpfen, wo doch Gefahr bestehe, daß Albaner von der Front davonliefen, gab der Beschwerdeführer zur Antwort, dies sei richtig. Manche Albaner flüchteten von der Front. Den anderen würden von den Serben Gewehre ohne Munition in die Hand gegeben, sodaß diese dann von Bosniern erschossen würden. Damit sei das Ziel der Serben erreicht, daß die Albaner vernichtet würden. Auf die Frage, woher er das wisse, antwortete der Beschwerdeführer, von anderen Dorfbewohnern habe er das gehört. Diese seien aber auch selbst nicht in Bosnien gewesen, sondern hätten dies von wieder anderen Personen gehört. Im übrigen gab der Beschwerdeführer an, nach Erhalt des Einberufungsbefehles habe bei seinen Eltern eine Hausdurchsuchung stattgefunden, anläßlich derer seine Mutter, sein jüngerer Bruder sowie sein Onkel verprügelt worden seien. Das sei nicht derselbe Onkel gewesen, bei dem er in der Folge gewohnt habe. Drei Tage später sei die Polizei wieder zu seinen Eltern gekommen und habe ihnen vorgeworfen, sie wüßten wo er sei. Diesmal habe es keine Mißhandlungen gegeben. Man habe seinen Eltern gesagt, daß man wiederkommen werde. Ob die Polizei dann noch einmal gekommen sei, könne er jedoch nicht angeben. Im Einberufungsbefehl habe gestanden, falls man nach Mißachtung des Einberufungsbefehles erwischt werde, werde man verurteilt. Das Strafausmaß sei ihm nicht bekannt. Er wisse aber von Erzählungen, daß Leute zu Haftstrafen deswegen verurteilt worden sein sollen. Auf die Frage, ob er einberufen worden sei, weil er Angehöriger der albanischen Volksgruppe sei, antwortete der Beschwerdeführer "Nein". Die Serben würden genauso einberufen. Allerdings dürften diese den Militärdienst in den Kasernen im Kosovo ableisten. Auf die Frage, warum der Beschwerdeführer nicht von der Möglichkeit des Zivildienstes Gebrauch gemacht habe, antwortete er, davon noch nie etwas gehört zu haben. Er wolle erst in sein Heimatland zurückkehren, wenn der Kosovo eines Tages eine unabhängige Republik sei. Im übrigen habe er nichts mehr anzugeben.
Mit Bescheid vom 7. Juni 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers nicht nur infolge Verneinung seiner Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 ab, sondern auch unter Zugrundelegung der Annahme der Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991, weil der Beschwerdeführer sich vor Einreise in das Bundesgebiet in Slowenien aufgehalten hatte.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung wendete sich der Beschwerdeführer gegen die Annahme der Verfolgungssicherheit in Slowenien und brachte zu seiner Flüchtlingseigenschaft unter Verweis auf die mit ihm aufgenommene Niederschrift vor, es sei unrichtig anzunehmen, in der Bundesrepublik Jugoslawien werde hinsichtlich der allgemeinen Wehrpflicht nicht nach Ethnien differenziert. Es treffe zwar zu, daß auch Serben einberufen würden, doch sei die Behandlung der Kosovo-Albaner beim Militär erheblich schlechter und risikoreicher als jene der Serben. Während den Serben im wesentlichen die Möglichkeit gegeben werde, gefahrlos Militärdienst zu leisten, würden Kosovo-Albaner regelmäßig an die Front nach Bosnien geschickt. Diesbezüglich verwies der Beschwerdeführer neuerlich auf das Schicksal seines Cousins, der im Dezember 1994 einberufen, an die Front nach Bosnien gebracht worden, in bosnische Gefangenschaft geraten und nach seiner Freilassung nach Deutschland geflüchtet sei. Da die Behandlung der Kosovo-Albaner beim jugoslawischen Militär allein aus ethnischen Gründen wesentlich schlechter sei als jene der übrigen Volksgruppen Jugoslawiens, sei die Einberufung ethnisch motiviert, daher sei die Verfolgungssituation, die aus der Verweigerung der Erfüllung dieser Wehrpflicht bestehe, asylrelevant. Im übrigen machte der Beschwerdeführer die Verletzung des Parteiengehörs hinsichtlich jener Beweisergebnisse geltend, auf die die Feststellungen zur Situation im Kosovo gestützt, ihm jedoch nicht zur Kenntnis gebracht worden seien.
Die belangte Behörde begründete die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers nach Übernahme der im erstinstanzlichen Bescheid "richtig und vollständig" wiedergegebenen Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Vernehmung und nach Darstellung des Berufungs- bzw. Berufungsergänzungsvorbringens sowie der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage damit, die Militärdienstpflicht und deren Sicherstellung durch Strafandrohung stelle eine auf einem originären und souveränen staatlichen Recht beruhende legitime Maßnahme dar, weshalb eine unter Umständen auch strenge Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung als solche keine Verfolgung im Sinne des § 1 AsylG 1991 darstelle. Die Beweggründe des Beschwerdeführers, der von ihm geforderten Militärdienstpflicht nicht nachzukommen, nämlich daß er befürchtet habe, an die Front nach Bosnien geschickt zu werden, könne nicht nachvollzogen werden, da sich die Armee der Jugoslawischen Föderation, wie dies von der Behörde erster Instanz bereits ausgeführt worden sei, nicht im Kriegseinsatz in Bosnien-Herzegowina befinde. Die von ihm aufgestellten Behauptungen hinsichtlich der Einberufung, Gefangennahme und Flucht seines Cousins seien aus diesem Grunde auch nicht als glaubhaft anzusehen. Überdies erschien es der belangten Behörde nicht glaubhaft, daß vom Heimatstaat des Beschwerdeführers Angehörige von Volksgruppen, die die Kriegsziele nicht unterstützten und selbst sezessionistische Tendenzen hätten, an vorderster Front einzusetzen beabsichtigt hätte, da in diesen Fällen die Gefahr gegeben gewesen wäre, daß dieselben desertierten, ihre Waffen gegen die eigenen Befehlshaber richteten oder mit dem Feind kollaborierten.
Im übrigen nahm auch die belangte Behörde Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 in Slowenien an.
Der Beschwerdeführer bringt in bezug auf seine Flüchtlingseigenschaft unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit vor, er habe bereits in seiner Berufung ausführlich dargelegt, daß Kosovo-Albaner einer ganz anderen und vor allem schlechteren Behandlung ausgesetzt seien als Serben. Außerdem würden sie als Kanonenfutter eingesetzt werden. Unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht er geltend, die Begründung, wonach es für die herrschende serbische Mehrheit in der Bundesrepublik Jugoslawien nicht dienlich sei, Kosovo-Albaner an der vordersten Front einzusetzen, da die Gefahr bestünde, daß sie zum Feind überlaufen bzw. die Waffen gegen die eigenen Leute richten würden, sei nicht nachvollziehbar. Oftmals erkenne vielmehr der Feind nicht, ob Kosovo-Albaner bzw. Serben ihnen gegenüberstünden, ein Überlaufen zum Gegner sei daher schier unmöglich. Auf der anderen Seite seien die an vorderster Front eingesetzten Kosovo-Albaner zahlenmäßig zu wenig - es würden nicht alle einberufenen Kosovo-Albaner an die Front geschickt -, sodaß ein Erheben der Waffen gegen die serbische Mehrheit auch von vornherein zum Scheitern verurteilt sei. Die belangte Behörde habe also diesen Problemkreis nur unzureichend erforscht. Im übrigen sei die Argumentation der belangten Behörde ihm zum ersten Mal im angefochtenen Bescheid zur Kenntnis gebracht worden, sodaß eine Verletzung des Parteiengehörs vorliege.
Im übrigen wendet er sich gegen die Annahme der Verfolgungssicherheit in Slowenien.
Den Behörden des Verwaltungsverfahrens ist in der Sache zunächst insoweit beizupflichten, als die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Aslywerbers als Flüchtling rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in § 1 Z. 1 AsylG 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Gründen erfolgt, in denen damit gerechnet werden müßte, daß ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt werde, oder in denen davon auszugehen ist, daß eine dem Asylwerber wegen Wehrdienstverweigerung drohende Strafe aus diesen Gründen gegen diesen schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen verhängt würde (vgl. insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14089/A).
Wie in dem Fall, der dem angeführten Erkenntnis eines verstärkten Senates zugrundelag, hat der Beschwerdeführer bei seiner Ersteinvernahme zwar Ausführungen im Sinne obiger Judikatur (unterschiedlicher Einsatz der zum Wehrdienst Einberufenen) gemacht, die auf das Vorliegen von Verfolgung hindeuten würden. Als einzigen Grund für seine Weigerung, der Einberufung Folge zu leisten, nannte der Beschwerdeführer aber lediglich seine Furcht, in Bosnien an die Front geschickt zu werden. Auf die von beiden Verwaltungsinstanzen herangezogene Begründung, die Armee der Jugoslawischen Föderation sei im Zeitpunkt der erfolgten Einberufung bis heute in keine kriegerischen Auseinandersetzungen involviert, geht der Beschwerdeführer weder in der Berufung (samt Ergänzung) noch auch in der Beschwerde ein. In der Beschwerde wird nur davon gesprochen, Kosovo-Albaner würden im Rahmen der Wehrdienstableistung als "Kanonenfutter eingesetzt werden". Eine Versetzung "an die vorderste Front" oder Verwendung Wehrdienstpflichtiger oder Grundwehrsoldaten als "Kanonenfutter" setzt jedoch ein Kriegsgeschehen voraus. Da jene Armee, zu der der Beschwerdeführer einberufen worden ist, jedoch nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen der belangten Behörde in kriegerische Auseinandersetzungen in Bosnien nicht verwickelt ist, erscheint auch dem Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, daß der Beschwerdeführer an der "vordersten Front" eingesetzt hätte werden sollen.
Insoweit in der Berufungsergänzung sowie in der Beschwerde darauf verwiesen wird, Kosovo-Albaner hätten bei Ableistung des Militärdienstes (allgemeine) Benachteiligung und schlechtere Behandlung zu befürchten, ist zunächst darauf zu verweisen, daß die belangte Behörde auf dieses Vorbringen, ohne ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit zu belasten, nicht eingegangen ist, da sie gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 verpflichtet ist, ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen, und nicht eine der Voraussetzungen des Abs. 2 dieses Paragraphen für die Anordnung einer Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens erster Instanz vorlagen. Daß das Ermittlungsverfahren erster Instanz mangelhaft geblieben sei, hat der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht, sich vielmehr - abgesehen von einem ergänzenden Vorbringen in der Berufungsergänzung - auf seine Angaben anläßlich seiner niederschriftlichen Vernehmung bezogen. Im übrigen fehlt auch der Behauptung des Beschwerdeführers, Kosovo-Albaner würden bei Ableistung ihres Militärdienstes allgemein einer schlechteren Behandlung ausgesetzt, jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß dies in einer ERHEBLICHEN, DIE INTENSITÄT EINER VERFOLGUNG ERREICHENDEN WEISE im Sinne des bereits zitierten Erkenntnisses des verstärkten Senates vom 29. Juni 1994 geschehe.
Insoweit der Beschwerdeführer die Verletzung des Parteiengehörs im Zusammenhang mit den in seinem Heimatland herrschenden Verhältnissen rügt, ist ihm zu entgegnen, daß aufgrund obiger Darlegungen die Relevanz eines derartigen Verfahrensmangels nicht dargetan wurde.
Es kann daher keine Rechtswidrigkeit darin erkannt werden, wenn die belangte Behörde die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 verneint hat. Bei diesem Ergebnis kommt es aber auch nicht mehr darauf an, ob die belangte Behörde den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 zutreffend herangezogen hat, sodaß auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde nicht eingegangen werden muß (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 23. März 1994, Zlen. 94/01/0161, 0162).
Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995010546.X00Im RIS seit
20.11.2000