Entscheidungsdatum
31.03.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W198 2192820-1/31E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Karl SATTLER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.03.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung öffentlicher, mündlicher Verhandlungen am 16.03.2021 und am 29.03.2021, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 22.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.10.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er für eine englische Organisation als Soldat gearbeitet habe und deshalb von den Taliban mit dem Tod bedroht worden sei. Sein Vater sei von den Taliban getötet worden.
3. Der Beschwerdeführer wurde am 08.03.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an zunächst an, dass er ca. sieben Monate nach seiner Einreise in Österreich zum ersten Mal den Gedanken gehabt habe, seinen Glauben zu wechseln. Er habe die Kirche besucht und habe von einem Freund ein Buch über das Christentum bekommen. Seitdem besuche er jeden Sonntag die Kirche. Am 10.06.2017 sei er getauft worden. Er habe seiner Frau, die in Afghanistan lebe, bereits von seiner Konversion erzählt. Der Beschwerdeführer führte weiters aus, dass sein Vater drei Tage vor seiner Ausreise aus Afghanistan von den Taliban ermordet worden sei. Seine Mutter sei zum Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers nach Pakistan gezogen. Seine Geschwister würden ebenfalls in Pakistan leben. Die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers würden in der Provinz Helmand leben, wo auch der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt habe. Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er Soldat gewesen sei. Er habe mit den Engländern und den Amerikanern gegen die Taliban gekämpft. Er sei aus diesem Grund einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt gewesen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan hätte er einerseits Angst vor den Taliban und andererseits hätte er Angst vor der Regierung. Er würde bereits am Flughafen aufgegriffen werden, da er seinen Dienst nicht mehr verrichtet habe.
4. Mit angefochtenem Bescheid vom 12.03.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß
§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer könne eine Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden.
5. Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 12.04.2018 Beschwerde erhoben. Darin wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung einerseits aufgrund der von ihm in der Einvernahme vor dem BFA geschilderten Gründe, die ihn ursprünglich zur Flucht gezwungen hätten, sowie andererseits aus religiösen Gründen aufgrund seiner Konversion befürchte. Warum die belangte Behörde vermeine, der Beschwerdeführer hätte seine persönliche Verbundenheit zur christlichen Religion nicht nachgewiesen, sei im Hinblick auf seine Aussagen sowie die vorgelegten Beweismittel nicht nachvollziehbar. Er habe ausführlich dargelegt, worin seine Motivation für die Konversion zum Christentum bestehe. Von einer Scheinkonversion könne im Hinblick auf die tiefe Integration des Beschwerdeführers in seine Kirchengemeinde, seiner regelmäßigen Besuche in der Kirche, seinem Religionsunterreicht sowie der erfolgten Taufe nicht ausgegangen werden. Im Falle der Rückkehr wäre der Beschwerdeführer asylrelevanter Verfolgung aufgrund seiner Konversion zum Christentum ausgesetzt. Dem Beschwerdeführer wäre Asyl, zumindest jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren.
6. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 18.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 16.03.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung, eines Vertreters der belangten Behörde sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführt. Im Zuge der Verhandlung wurden zwei Personen als Zeugen einvernommen.
8. Am 17.03.2021 langte eine Stellungnahme der belangten Behörde beim Bundesverwaltungsgericht ein.
9. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 18.03.2021 der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers die Stellungnahme der belangten Behörde vom 17.03.2021 übermittelt.
10. Am 26.03.2021 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht.
11. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 26.03.2021 der belangten Behörde die Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 26.03.2021 übermittelt.
12. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 29.03.2021 eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung, eines Vertreters der belangten Behörde sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführt. Im Zuge der Verhandlung wurde eine Person als Zeuge einvernommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, geboren XXXX . Er ist in der Provinz Helmand, Distrikt Laschkar Gah geboren. Bis zu seinem 15. Lebensjahr hat er in der Provinz Helmand gelebt, ist dann mit seiner Familie nach Pakistan gereist, wo er schließlich fünf Jahre lang gelebt hat. Anschließend ist er mit seiner Familie nach Helmand zurückgekehrt, wo er in der Folge bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt hat.
Der Beschwerdeführer hat keine Schule besucht. Er hat sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan als Brotbäcker gearbeitet. Nach seiner Eheschließung hat er drei Jahre lang als Soldat gearbeitet.
Die Mutter, der Onkel mütterlicherseits sowie die Geschwister des Beschwerdeführers leben in Pakistan. Die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers leben in der Provinz Helmand.
Der Beschwerdeführer ist volljährig. Er ist gesund und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer ist Hazara.
Der Beschwerdeführer befindet sich zuletzt seit spätestens 22.09.2015 in Österreich. Er ist illegal in das Bundesgebiet eingereist. Der Schwager und die Schwägerin des Beschwerdeführers leben in Österreich.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtgrund
In Afghanistan gehörte der Beschwerdeführer der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. In Österreich ist der Beschwerdeführer zum christlichen Glauben (röm.-kath.) übergetreten und bekennt sich offen dazu.
Der Beschwerdeführer hat von März 2016 bis Juni 2017 den Taufvorbereitungskurs besucht, ist seit 10.06.2017 getauft, ist ein aktives Mitglied in der persisch-afghanischen katholischen Gemeinde der Erzdiözese Wien und nimmt regelmäßig an Gottesdiensten, Gebeten, Katechesen und anderen Veranstaltungen der Gemeinde teil. Darüber hinaus besucht er regelmäßig die Sonntagsmesse in einer deutschsprachigen Pfarre.
Der Beschwerdeführer wäre in Afghanistan aufgrund seiner Religion, sowohl von staatlicher als auch von privater Seite einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt, da die Konversion zum Christentum in Afghanistan als Akt der Abtrünnigkeit sowie als Verbrechen gegen den Islam gesehen wird und sogar mit dem Tod bestraft werden könnte.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat/ maßgebliche Situation in Afghanistan:
Religionsfreiheit:
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha'i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 10.6.2020). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (USDOS 10.6.2020).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 10.6.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.7.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 10.6.2020), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 10.6.2020). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 10.6.2020). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren.
Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 10.6.2020). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 10.6.2020; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 10.6.2020).
Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hana- fitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 10.6.2020).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 10.6.2020).
Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 10.6.2020).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 10.6.2020). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 10.6.2020).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 10.6.2020).
Apostasie, Blasphemie, Konversion:
Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (FH 4.3.2020; vgl AA 16.7.2020, USDOS 10.6.2020).
Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 16.7.2020). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 10.6.2020) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).
Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 10.6.2020; AA 16.7.2020); jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020) Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen (LIFOS 21.12.2017; vgl. RA KBL 10.6.2020) - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017).
Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten Vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).
Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020).
Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 10.6.2020).
2. Beweiswürdigung
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppenzugehörigkeit, zur Abstammung aus Helmand sowie zum Aufenthaltsort seiner Angehörigen stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem BFA, in der Beschwerde, sowie in den Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht und auf die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari.
2.2. Zum vorgebrachten Fluchtgrund:
Was die individuellen Feststellungen hinsichtlich der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum anbelangt, wird aus folgenden Erwägungen vom oben festgestellten Sachverhalt ausgegangen:
Wie sich aus der Bestätigung der persisch-afghanischen katholischen Gemeinde der Erzdiözese Wien vom 27.02.2018 ergibt, hat der Beschwerdeführer seit März 2016 den Taufvorbereitungskurs besucht. Aus dem vorgelegten Taufschein geht hervor, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich am 10.06.2017 in der persisch-afghanischen katholischen Gemeinde der Erzdiözese Wien der Taufe unterzogen hat und sich zum christlichen Glauben bekennt. Aus den glaubhaften Ausführungen des Beschwerdeführers in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht in Zusammenschau mit den Zeugenaussagen wird ersichtlich, dass beim Beschwerdeführer auch eine innerliche Konversion erfolgte. Der Beschwerdeführer hat glaubhaft dargelegt, dass er aus freier persönlicher Überzeugung vom schiitischen Islam zum Christentum konvertiert ist, und er seinen Glauben nunmehr offen lebt. Er konnte seine Motivation für den Abfall vom Islam und die Zuwendung zum Christentum schlüssig darlegen.
Beweiswürdigend festzuhalten ist, dass die Taufe des Beschwerdeführers nicht „übereilt“ erfolgte, sondern sich der Beschwerdeführer über ein Jahr lang dafür vorbereitet hat. Er hat sich sohin die Zeit genommen um sich näher mit den Inhalten und Werten des Christentums auseinanderzusetzen. Der Beschwerdeführer stellte in den Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beweis, dass er über ein solides Wissen über das Christentum verfügt. So konnte er beispielsweise die sieben Sakramente sowie die vier Evangelisten nennen, wusste über die Bedeutung der christlichen Feiertage sowie über den Aufbau der Bibel Bescheid und konnte christliche Gebete nennen.
Der Beschwerdeführer brachte in der Verhandlung am 16.03.2021 überdies glaubhaft vor, dass er auch versuche, anderen Menschen den christlichen Glauben näher zu bringen. So führte er aus, dass er einem Freund angeboten habe, mit ihm in die Kirche zu gehen.
Dass die Konversion zum Christentum von Nachhaltigkeit getragen ist, zeigt sich dadurch, dass der Beschwerdeführer im März 2016 mit dem Taufvorbereitungskurs begann und nunmehr – fünf Jahre später – immer noch regelmäßig die Gottesdienste besucht und aktiv am Gemeindeleben teilnimmt. Auch hat der Beschwerdeführer am 17.03.2021 per Email beim Magistratischen Bezirksamt für den dritten Bezirk seinen Austritt aus der islamischen Religionsgemeinschaft beantragt. Er führte in der Verhandlung am 29.03.2021 dazu aus, dass er mit diesem Austritt seine innere Überzeugung als Christ auch nach außen zeigen wolle.
Durch die Zeugenaussagen wurde bestätigt, dass der Beschwerdeführer ehrliches Interesse am Christentum hat, seine Konversion ernst nimmt, ein integraler Teil der Kirche geworden ist und bemüht ist, nach christlichen Grundsätzen zu leben. Der in der Verhandlung am 16.03.2021 als Zeuge einvernommene Taufpate des Beschwerdeführers bestätigte nachvollziehbar und glaubwürdig, dass sich der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung zum Christentum hingewendet hat und dass diese Hinwendung auch nachhaltig ist. Er bestätigte, dass der Beschwerdeführer auch nach der Taufe regelmäßig bei Gottesdiensten und Katechesen dabei gewesen sei und er bis jetzt weiterhin die Gemeinde besuche; er sohin kontinuierlich diesen Weg mit großem Engagement gegangen sei. Der Zeuge führte weiters aus, dass er in den letzten Jahren viele Menschen auf diesem Weg begleitet habe, bei einigen die Hinwendung zum Christentum ein wenig „versande“, was beim Beschwerdeführer jedenfalls nicht der Fall sei, sondern sich der Beschwerdeführer stets mit Freude in der Gemeinde einbringe.
Der in der Verhandlung am 29.03.2021 als Zeuge einvernommene Pfarrer, welcher den Beschwerdeführer getauft hat, bestätigte ebenfalls, dass der Beschwerdeführer regelmäßig die Gottesdienste sowie sonstige religiöse Veranstaltungen besucht, konnte jedoch zur inneren Überzeugung keine näheren Angaben machen, da er keine persönliche Beziehung zum Beschwerdeführer hat, welche über die religiösen Feiern und Veranstaltungen hinausgeht.
Der Beschwerdeführer legte auch glaubhaft dar, dass er seinen Glauben auch nach außen trage. So führte er aus, dass er nicht nur Freunden und Bekannten in Österreich, sondern auch seinem in Pakistan lebenden Onkel und seiner in Afghanistan lebenden Ehefrau von seiner Konversion erzählt habe. Er brachte vor, dass er bereits vor seiner Taufe seiner Ehefrau erzählt habe, dass er Christ werden wolle. Die in der Verhandlung am 16.03.2021 als Zeugin einvernommene Schwägerin des Beschwerdeführers bestätigte, dass ihre Schwester (Ehefrau des Beschwerdeführers) über die Konversion des Beschwerdeführers Bescheid wisse. Der Beschwerdeführer ist faktisch und für Dritte wahrnehmbar zum christlichen Glauben konvertiert. Es wird vom erkennenden Richter davon ausgegangen, dass die Tatsache der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum über das persönliche Umfeld des Beschwerdeführers hinaus bekannt geworden ist, da er seinen Glauben auch gemäß den Zeugenangaben nach außen lebt. Nach Ansicht des erkennenden Richters besteht kein Grund, insgesamt an der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf dessen Konversion zum Christentum und der Verinnerlichung dieser Konversion zu zweifeln.
Zu den Ausführungen der belangten Behörde in der Stellungnahme vom 17.03.2021 ist beweiswürdigend wie folgt auszuführen: In der Stellungnahme wird vorgebracht, dass die Konversion freiwillig zu erfolgen habe und werde ein Vergleich mit der Freiwilligkeit bei einem Rücktritt vom Versuch im Strafrecht angestellt. Dieser Vergleich ist jedoch unzulässig, zumal sich der Begriff der Freiwilligkeit im Strafrecht nicht mit jenem im Asylrecht deckt und es sich hierbei um zwei völlig unterschiedliche Tatbestände handelt. Dem weiteren Argument, wonach sich der Beschwerdeführer nicht autonom dem Christentum zugewandt habe, sondern durch sein Umfeld, nämlich einen Freund, der ihm christliche Bücher und Filme gezeigt hat, zu diesem Schritt bewogen wurde, ist entgegenzuhalten, dass im gegenständlichen Fall – wie bereits ausgeführt – die Dauer und Nachhaltigkeit der Hinwendung des Beschwerdeführers zum Christentum gegenüber dem Umstand, dass sein Interesse für das Christentum von einer anderen Person geweckt wurde, überwiegt.
Wenn in der Stellungnahme vom 17.03.2021 bzw. bereits in der Verhandlung am 16.03.2021 seitens der belangten Behörde darauf hingewiesen wurde, dass der in der Verhandlung am 16.03.2021 als Zeuge einvernommene Taufpate des Beschwerdeführers in einem anderen Fall eine Bestätigung für eine Konversion ausgestellt hat ca. eine Woche bevor in diesem Fall die Ermittlungen ergeben haben, dass dieser Konvertit nach islamischem Recht in Pakistan geheiratet hat und durch diesen Akt gleichsam rückkonvertiert ist und es aufgrund dieses Falls eindeutig sei, dass die Ausstellungsmodalitäten solcher Bestätigungen fragwürdig seien, so ist dazu auszuführen, dass die Beweiswürdigung jeweils fallbezogen zu erfolgen hat und ist im gegenständlichen Fall – unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände - von einer tatsächlichen nachhaltigen Hinwendung des Beschwerdeführers zum Christentum auszugehen.
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 16.12.2020), den EASO-Richtlinien (Country Guidance Afghanistan) von Dezember 2020 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.
Da sich die gegenständliche Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß
§§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Der Beschwerdeführer konnte glaubhaft darlegen, dass er sich während seines Aufenthalts in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung und Entscheidung vom Islam abgewandt und dem Christentum zugewandt hat. Es sind auch keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die den Schluss zulassen würden, dass die Konversion zum christlichen Glauben bloß zum Schein erfolgt wäre.
Aus dem oben festgestellten Sachverhalt und den Feststellungen zur Situation der Christen in Afghanistan, insbesondere der vom Islam zum Christentum konvertierten Personen, ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als Person mit innerer christlicher Überzeugung, die er nicht verleugnen, sondern offen - sei es allein oder in Gemeinschaft - ausüben will, im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund ihrer religiösen Überzeugung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater Seite - ohne dass in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme - als auch von staatlicher Seite ausgesetzt wäre. Dass die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum den afghanischen Behörden oder anderen Personen in seinem familiären und sozialen Umfeld verborgen bleiben würde, kann nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Der Beschwerdeführer hat Teilen seiner Familie bereits mitgeteilt, dass er zum Christentum konvertiert ist und wissen diese Familienmitglieder daher über die Konversion Bescheid.
Im gegenständlichen Fall liegt daher das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in der religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers zum Christentum vor.
Auf Grund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts nach der Scharia und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie auf Grund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und Moralvorstellungen sowie der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, insbesondere gegenüber Konvertiten, und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems in ganz Afghanistan ist davon auszugehen, dass sich die oben dargestellte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet Afghanistans ergibt. Es ist daher hinsichtlich dieses dargestellten Verfolgungsrisikos davon auszugehen, dass keine inländische Fluchtalternative besteht.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen seiner religiösen Überzeugung einer vom Islam zum Christentum konvertierten Person verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.
Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs.1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Apostasie asylrechtlich relevante Verfolgung Christentum Flüchtlingseigenschaft Konversion Nachfluchtgründe religiöse Gründe wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W198.2192820.1.00Im RIS seit
18.06.2021Zuletzt aktualisiert am
18.06.2021