TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/6 W284 2209031-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.04.2021
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Entscheidungsdatum

06.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


W284 2209031-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. WAGNER-SAMEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2018, Zl. 1086933402-151330079, betreffend Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 12.09.2015 seinen Antrag auf internationalen Schutz. Es erfolgte am nächsten Tag eine Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Am 14.05.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA bzw. belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) niederschriftlich einvernommen.

Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 10.10.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Dem Beschwerdeführer wurde eine 14-tägige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht vollumfänglich Beschwerde. Darin stützte er sich auf die schwierige Situation der Turkmenen im Irak, welche insbesondere durch die schiitischen Milizen gefährdet seien.

Am 08.03.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt und dem Beschwerdeführer als Partei die Möglichkeit gegeben, seine Fluchtgründe ausführlich darzulegen. Der Vertreter des Beschwerdeführers verwies in der Verhandlung insbesondere auf S. 87 der EASO Country Guidance, wonach die Miliz Hezbullah Teil der PMU (Popular Mobilisation Units; auch Volksmobilisierungskräfte bzw. Al-Hashd ash-Sha´bi) sei. Diese sei als staatlicher Akteur zu klassifizieren, weshalb der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Irak staatlicher Verfolgung ausgesetzt sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der XXXX geborene und demnach 38-jährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, Turkmene und sunnitischer Moslem. Der in XXXX , gebürtige Beschwerdeführer hat sieben Brüder und vier Schwestern. Sein Vater ist bereits verstorben. Er ist ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer besuchte im Herkunftsort die Schule, studierte sodann in Mossul und XXXX , wo er das Studium im Jahr 2008 beendete. Zwischenzeitig wohnte er für ein halbes Jahr in Bagdad. Danach begab er sich in die Türkei, wo er bis zum Jahr 2011 Türkisch und Mathematikwissenschaften studierte. Der Beschwerdeführer wohnte in Studentenwohnheimen und an den Wochenenden bzw. im Sommer bei der Mutter im Elternhaus. Nach seiner Rückkehr in den Irak unterrichtete er ab dem 27.11.2011 an der Universität XXXX und ab 20.06.2014 an deren Niederlassung in Bagdad. Dort lebte er zunächst in einem Flüchtlingslager, sodann in einer Mietwohnung. Der Beschwerdeführer verdiente den Lebensunterhalt als Universitätsdozent und durch die Pension seiner Mutter. Er verließ seinen Herkunftsstaat schließlich am 20.08.2015 auf legalem Weg mit einem Visum für die Türkei.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer nicht von der Hezbullah („Hizib Allah“) oder der einer anderen schiitischen Miliz bedroht wurde. In diesem Zusammenhang wurde er weder von Mitgliedern zu Hause aufgesucht, noch wurde er mit dem Leben bedroht. Es hat keine vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung seiner Person durch Milizen stattgefunden.

Dem Beschwerdeführer droht für den Fall einer Rückkehr keine Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Ihm wäre die notdürftigste Lebensgrundlage nicht entzogen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung an.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers lebt aktuell im Irak. Seine Mutter und sein jüngster Bruder leben in einem Flüchtlingscamp in Bagdad, seine älteren Geschwister in Mossul. Der Beschwerdeführer steht nach wie vor in Kontakt zu seinen Verwandten und Bekannten im Herkunftsstaat.

In Österreich befindet sich ein Bruder des Beschwerdeführers (HAMAN Abbas, IFA 1067341704), mit dem er gemeinsam ein Zimmer in einem Asylheim bewohnt und der sich ebenso im offenen Asylverfahren befindet. Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über keine sonstigen familiären Anknüpfungspunkte.

Der Beschwerdeführer spricht Deutsch auf B1-Niveau, befindet sich seit dem Wintersemester 2018 im Doktoratsstudium der Technischen Wissenschaften an der JKU (Johannes-Kepler-Universität Linz), hat ein Stipendium bekommen und publizierte eine wissenschaftliche Arbeit. Er ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig, sondern bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur Lage im Irak:

Sicherheitslage Bagdad

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).

Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.

Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vgl. FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vgl. Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).

Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.1.2019). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.1.2019; vgl. FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).

Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).

In vielen der irakischen Sicherheitsoperationen übernahm die PMF eine Führungsrolle. Als Schnittstelle zwischen dem Iran und der irakischen Regierung gewannen sie mit der Zeit zunehmend an Einfluss (GS 18.7.2019).

Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vgl. TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vgl GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellte Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019).

Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen (DIS/Landinfo 5.11.2018; vgl. USDOS 21.6.2019). Einige PMF gehen jedoch auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 11.3.2020).

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018).

Geleitet wurden die PMF von Jamal Jaafar Mohammad, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Abu Mahdi al-Mohandis, einem ehemaligen Badr-Kommandanten, der als rechte Hand von General Qasem Soleimani, dem Chef der iranischen Quds-Brigaden fungierte (GS 18.7.2019). Am 3.1.2020 wurden Abu Mahdi Al-Muhandis und Generalmajor Qassem Soleimani bei einem US-Drohnenangriff in Bagdad getötet (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Als Rechtfertigung diente unter anderem ein Raketenangriff, der der Kataib-Hezbollah (KH) zugeschrieben wurde, auf einen von US-Soldaten genutzten Stützpunkt in Kirkuk, bei dem ein Vertragsangestellter getötet wurde (MEMO 21.2.2020). Infolge dessen kam es innerhalb der PMF zu einem Machtkampf zwischen den Fraktionen, die einerseits dem iranischen Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, andererseits dem irakischen Großayatollah Ali as-Sistani nahe stehen (MEE 16.2.2020).

Der iranische Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei ernannte Brigadegeneral Esmail Ghaani als Nachfolger von Soleimani (Al Monitor 23.2.2020). Am 20.2.2020 wurde Abu Fadak Al-Mohammedawi zum neuen stellvertretenden Kommandeur der PMF ernannt (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020). Vier PMF-Fraktionen, die dem schiitischen Kleriker Ayatollah Ali as-Sistani nahe stehen, haben sich gegen die Ernennung Mohammadawis ausgesprochen und alle PMF-Fraktionen aufgefordert, sich in die irakischen Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Premierministers zu integrieren (Al Monitor 23.2.2020).

Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt (AA 12.1.2019). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (USDOS 21.6.2019). Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.1.2019).

Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga (USDOS 11.3.2020). Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul (USCIRF 4.2019).

Turkmenen

Turkmenen stellen die dritt-größte Ethnie des Irak dar (EPRS 31.5.2016; vgl. MRG 11.2017b; OFPRA 14.11.2017). Seit 2012 werden sie offiziell vom irakischen Parlament als eine der drei größten ethnischen Gruppen des Landes anerkannt (AW 2.10.2015). Angaben zur Bevölkerungszahl der Turkmenen unterscheiden sich massiv. Sie reichen von 400.000 (AA 12.1.2019), über 600.000 bis zu 2 Millionen (MRG 11.2017b) bzw. 3 Millionen (AW 2.10.2015). Die meisten irakischen Turkmenen leben im Norden des Landes, in einem Bogen, der sich von Tal Afar über Mossul, Erbil, Altun Kopru, Kirkuk, Tuz Khurmatu und Kifri nach Khanaqin erstreckt (MRG 11.2017b; vgl. MRG 21.1.2020). Turkmenen nennen diese Gebiete „Türkmeneli“ („Land der Turkmenen“). Kirkuk nimmt dabei eine besondere Stellung ein und wird von Turkmenen oft als ihre inoffizielle Hauptstadt betrachtet (YRIS 6.2018; vgl. AW 2.10.2015). Es finden sich auch turkmenische Gemeinden in größeren irakischen Städten, wie Bagdad und Basra (YRIS 6.2018). Etwa 60% der Turkmenen sind Sunniten, der Rest Zwölfer-Schiiten bzw. Angehörige anderer schiitischer Konfessionen (MRG 11.2017b). Turkmenen aus Ninewa sind traditionell Schiiten (MRG 21.1.2020). Rund 30.000 Turkmenen sind Christen (OFPRA 14.11.2017).

Insbesondere schiitische Turkmenen wurden zum Ziel von Angriffen des Islamischen Staates (IS), wie z.B. in seinen Kampagnen gegen die mehrheitlich schiitisch-turkmenischen Städte Tal Afar und Amerli. Hunderte turkmenische Frauen und Mädchen wurden vom IS entführt (MRG 11.2017b). 600 vom IS entführte schiitische Turkmenen, darunter mehr als 120 Kinder bleiben weiterhin vermisst (IHCHR 2018; vgl. MRG 11.2017b; USDOS 21.6.2019). Eine andere Quelle berichtet von etwa 1.300 vermissten schiitischen Turkmenen (USDOS 11.3.2020).

Die irakischen Turkmenen erleben seit 2003 Bombenanschläge, Attentate und Entführungen, sowie Landraub (EPRS 31.5.2016; vgl. IHCHR 2018). In den sogenannten umstrittenen Gebieten gibt es Berichte von Diskriminierung von Turkmenen durch die Behörden der kurdischen Regionalregierung (KRG) (USDOS 13.3.2019).

2014 flohen die meisten schiitischen Turkmenen vor dem IS in den Südirak, während 2017 viele sunnitische Turkmenen vor der Rückeroberung flohen (MRG 11.2017b). Sunnitische Turkmenen, insbesondere solche aus den vormals vom IS kontrollierten Gebieten, werden wie sunnitische Araber manchmal an der Rückkehr in ihre Heimatregionen gehindert (UNHCR 5.2019). Nach der Rückkehr der zentralstaatlichen Kontrolle über Kirkuk im Oktober 2017 sahen sich Turkmenen und andere Minderheiten mit Diskriminierung, Vertreibung und in einigen Fällen mit Gewalt durch Regierungskräfte, insbesondere durch mit dem Iran verbundenen PMF konfrontiert (USDOS 13.3.2019). Sunnitische Turkmenen wurden bei offensichtlich außergerichtlichen Hinrichtungen durch irakische Sicherheitskräfte ermordet (MRG 11.2017b). Es gab auch Berichte über willkürliche und rechtswidrige Verhaftungen, Erpressungen und Entführungen von Turkmenen in der westlichen Ninewa-Ebene (USDOS 11.3.2020).

Turkmenen beklagen mangelnde politische Repräsentation auf nationaler Ebene, sowie in der öffentlichen Verwaltung (AW 2.10.2015). Im kurdischen Regionalparlament sind für sie fünf Sitze reserviert (AA 12.1.2019). Obwohl die irakische Verfassung das Recht auf Bildung in der turkmenischen Sprache schützt, verhindert der schlechte Zustand des Bildungssystems des Landes in vielen Fällen den Zugang turkmenischer Kinder zu muttersprachlicher Bildung (MRG 11.2017b). In der Kurdischen Region im Irak (KRI) existieren 21 turkmenische Schulen (USDOS 21.6.2019).

IDPs und Flüchtlinge

Seit Jänner 2014 hat der Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) im Irak die Vertreibung von ca. sechs Millionen Irakern verursacht, rund 15% der Gesamtbevölkerung des Landes (IOM 4.9.2018). Anfang 2019 waren noch etwa 1,8 Millionen Menschen intern Vertrieben (IDPs) (FIS 17.6.2019; vgl. HRW 14.6.2019). Anfang 2020 betrug die Zahl der IDPs noch 1,4 Millionen (IOM 28.2.2020; vgl. UNICEF 31.12.2019; UNOCHA 27.1.2020). Die Zahl der IDPs sinkt seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 sukzessive (IOM 28.2.2020); die Zahl der Rückkehrer ist gestiegen (IOM 10.2019). Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Zahlen an IDPs im Irak von März 2014 bis Februar 2020. Das Diagramm mit den blauen Balken links unten veranschaulicht die Verteilung der IDPs auf die jeweiligen Gouvernements.

Grafiken ist zu entnehmen, dass die Gouvernements mit den höchsten Zahlen an IDPs Ninewa, gefolgt von Anbar, Salah ad-Din, Kirkuk, Diyala, Bagdad, Erbil und Dohuk sind (IOM 31.12.2019).

Verbesserungen in der Versorgung mit Elektrizität und Wasser haben die Lebensbedingungen für Rückkehrer in einigen Bezirken, darunter auch Ost-Mossul in Ninewa und Khanaqin in Diyala etwas verbessert (IOM 10.2019).

Massive Zerstörung von Wohnungen und Infrastruktur, die Präsenz konfessioneller- oder parteiischer Milizen, sowie die anhaltende Bedrohung durch Gewalt machten es vielen IDPs schwer, nach Hause zurückzukehren (FH 4.3.2020). In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes- und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende Familien sahen sich aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen mit einer neuerlichen Vertreibung konfrontiert. Zwangsvertreibungen, kombiniert mit dem langwierigen und weitgehend ungelösten Problem von Millionen von Menschen, die in den letzten Jahrzehnten entwurzelt wurden, belasten die Kapazitäten der lokalen Behörden (USDOS 11.3.2020).

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Kurdischen Region im Irak (KRI) finden regelmäßig statt. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.1.2019).

Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger (IOM 1.4.2019). Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD (Anm.: ca. 296 EUR) (IOM 13.6.2018). Die Wohnungspreise in der KRI sind 2018 um 20% gestiegen, während die Miete um 15% gestiegen ist, wobei noch höhere Preise prognostiziert werden (Ekurd 8.1.2019). In den Städten der KRI liegt die Miete bei 200-600 USD (Anm.: ca. 185-554 EUR) für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 12 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 8-19 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 23-31 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000-60.000 IQD (Anm.: ca. 31-46 EUR) für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom. Die Rückkehr von IDPs in ihre Heimatorte hat eine leichte Senkung der Mietpreise bewirkt. Generell ist es für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten, während es in Hinblick auf Wohnungen einfacher ist (IOM 1.4.2019).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussen sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 12.2019).

Im Zuge seines Rückzugs aus der nordwestlichen Region des Irak, 2016 und 2017, hat der Islamische Staat (IS) die landwirtschaftlichen Ressourcen vieler ländlicher Gemeinden ausgelöscht, indem er Brunnen, Obstgärten und Infrastruktur zerstörte. Für viele Bauerngemeinschaften gibt es kaum noch eine Lebensgrundlage (USCIRF 4.2019). Im Rahmen eines Projekts der UN-Agentur UN-Habitat und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) wurden im Distrikt Sinjar, Gouvernement Ninewa, binnen zweier Jahre 1.064 Häuser saniert, die während der IS-Besatzung stark beschädigt worden waren. 1.501 Wohnzertifikate wurden an jesidische Heimkehrer vergeben (UNDP 28.4.2019).

Es besteht keine öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrer. Private Immobilienfirmen können jedoch helfen (IOM 1.4.2019).

2. Beweiswürdigung:

Mangels Vorlage eines Originaldokumentes konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden und liegt Verfahrensidentität vor.

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere zu seiner Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, den Lebensumständen, der Ausbildung, seiner beruflichen Tätigkeit sowie seinen ungetrübten Gesundheitszustand betreffend, weshalb er auch mit Blick auf COVID-19 keiner Risikogruppe angehört, basieren auf den im Verfahren gleichgebliebenen und daher als glaubwürdig erachteten Angaben des Beschwerdeführers (AS 179, S. 5 und 7 Verhandlungsniederschrift; VNS) und den in Vorlage gebrachten Unterlagen (AS 35, 37 und 39). Dass der Beschwerdeführer in XXXX , in der Türkei und in Bagdad wohnhaft war ergibt sich ebenso aus seinen gleichbleibenden Angaben im Verfahren (AS 177, S. 5 und 7 VNS).

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers sowie sein Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung sind den (mit Stand jeweils vom 05.02.2021) aktuell eingeholten Strafregister- und GVS-Auszügen zu entnehmen; dass er auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, gab er damit übereinstimmend auch in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll (VNS S. 6).

Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers auf B1-Niveau ergeben sich aus dem letztgültig im Akt einliegenden Zertifikat (AS 159). In der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer eingangs eine Bestätigung über den Erhalt des „ XXXX Stipendiums“ und über Integrationsleistungen vom 03.03.2021 sowie Zulassungs- und Studienbestätigungen des Beschwerdeführers betreffend das Doktoratsstudium der Technischen Wissenschaft an der XXXX (OZ 14) vor. Aus den Integrationsunterlagen vom 09.12.2020 ergibt sich, dass er wissenschaftlich publiziert.

Die Feststellungen zum in Österreich wohnhaften Bruder und zur Kernfamilie des Beschwerdeführers im Irak und dass er Kontakt zu diesen hat, ergibt sich aus seinen Angaben im behördlichen Verfahren (AS 181) und in der mündlichen Verhandlung (S. 5, 12 und 13 VNS) sowie daraus, dass ihm der aktuelle Aufenthaltsort seiner Geschwister und seiner Mutter bekannt ist. Ebenso war festzustellen, dass der Beschwerdeführer Kontakt zu seinem Freund in Bagdad hat (S. 13 VNS).

Der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Fluchtgrund, wonach er von einem Studenten, der Zugehöriger der schiitischen Miliz Hezbullah sei, verfolgt und bedroht worden sei, hat sich dagegen nicht bewahrheitet:

Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.03.2021 konnte der Beschwerdeführer keinen glaubwürdigen Eindruck der von ihm geschilderten Verfolgungssituation durch den besagten Studenten, der gleichzeitig Mitglied der schiitischen Miliz Hezbullah sei, erwecken.

Hierbei muss er sich einerseits seine widersprüchlichen Angaben anlasten lassen, da der Beschwerdeführer nicht in der Lage war, gleichbleibende Ausführungen zum fluchtkausalen Ereignis zu tätigen. Auf Aufforderung in der mündlichen Verhandlung, den besagten Vorfall bei seiner Mutter zuhause zu beschreiben, schilderte er, wie sein Neffe hinausgegangen sei, um zu schauen, was los sei, weil man Schüsse und Schreie auf der Straße gehört habe. Konkret danach gefragt, ob nur der Neffe, oder auch wer anderer hinausgegangen sei, erwiderte der BF dezidiert, dass nur sein Neffe hinausgegangen sei (S. 9 VNS). Auf Vorhalt durch die verhandlungsführende Richterin, wonach der BF zuvor in seiner Einvernahme im Gegensatz hierzu angegeben hat, dass seine Mutter sich vor die Gruppierung gestellt habe (AS 185), änderte der Beschwerdeführer seine diesbezügliche Angabe und führte auf einmal an, dass beide hinausgegangen seien. Trotz wiederholter Nachfragen, gab er nur lapidar zu Protokoll: „Sie hat das gemacht, damit ich flüchten kann“ (S. 10 VNS) und blieb eine konkrete Antwort schuldig. Ferner verstrickte er sich in Widersprüchen hinsichtlich seiner Angaben zu den Begegnungen mit seinem Verfolger, dem Studenten, den er während seiner Tätigkeit als Dozent in Tel Afar habe durchfallen lassen. Der erste Vorfall habe an der Universität stattgefunden, als der Beschwerdeführer den Studenten wegen des Schummelns angezeigt habe und es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen sei. Der Beschwerdeführer habe die Angelegenheit dem Leiter des Instituts weitergeleitet woraufhin der Student suspendiert worden sei. Danach habe er ihn erst wieder in Bagdad gesehen; dazwischen habe es keinen einzigen Kontakt gegeben (S. 8 VNS). Zu einem späteren Zeitpunkt in der Verhandlung änderte der Beschwerdeführer die Art der Begegnung und führte indessen an, dass er den Studenten während des Angriffes im Haus in Bagdad eigentlich gar nicht gesehen, sondern nur gehört haben will (S. 10 VNS). Ein weiterer, eklatanter Widerspruch ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer in der behördlichen Einvernahme noch davon berichtete, dass der Student ihn nach dem Angriff im Haus über Facebook habe wissen lassen, dass er ihn habe töten wollen und er ihn noch erwischen würde (AS 185). In der mündlichen Verhandlung erwähnte der Beschwerdeführer eine solche Kontaktaufnahme allerdings mit keinem Wort. Ganz im Gegenteil schilderte er die Ereignisse derart, dass er am Tag nach dem Vorfall den Irak verlassen habe, weshalb er seinen Verfolger weder gesehen, noch etwas von ihm gehört habe (S. 11 VNS). Aufgrund der grob widersprüchlichen Angaben und seines Unvermögens, diese in der mündlichen Verhandlung aufzuklären, konnte der Beschwerdeführer schon aus diesem Grund nicht den Eindruck vermitteln, er habe das vom ihm geschilderte Vorbringen persönlich erlebt oder sei gar persönlich bedroht worden, was bereits klar gegen die Glaubhaftigkeit seiner bloßen Behauptungen spricht.

Zum anderen waren die Angaben des Beschwerdeführers logisch nicht nachvollziehbar. Er schilderte den fluchtauslösenden Vorfall im Haus in Bagdad derart, dass sein Neffe immer wieder hinausgegangen sei, um nachzusehen, was sich vor dem Haus zutrage. Auch die Mutter des Beschwerdeführers wäre hinausgegangen und hätte sich sogar vor die Milizen gestellt, damit ihr Sohn zwischenzeitlich flüchten könne. Warum die Milizen in dieser Situation den Neffen, nicht aber die Mutter erschossen haben sollen, wobei sie sich sogar vor sie gestellt haben soll, erschließt sich logisch nicht. Weshalb die bewaffneten Milizen unter den geschilderten Umständen die Mutter nicht einmal zur Seite gestoßen hätten, um ins Haus vorzudringen und den Beschwerdeführer zu erwischen – jedoch den Neffen erschossen haben sollen – ist umso weniger nachvollziehbar. Der Erklärungsversuch des Beschwerdeführers, wonach es sich bei seiner Mutter um eine ältere Frau handle, vermochte nicht nachvollziehbar zu erklären, wieso eine organisierte, bewaffnete Einheit sich von einer weiblichen Person im hohen Alter davon abhalten lässt, in ein Haus vorzudringen. Zudem war auch der Neffe unbewaffnet und gab der Beschwerdeführer auch zu keinem Zeitpunkt an, dass dieser sich mit den Milizen angelegt hätte. Das geschilderte Szenario entbehrt der Logik und kann daher nicht als glaubwürdig beurteilt werden.

Dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt Anzeige bei der Polizei erstattet hat (AS 187 und S. 8 VNS) und problemlos legal (AS 7 und 179; S. 12 VNS) aus dem Irak ausreisen konnte, passt vor diesem Hintergrund ebenfalls ins Bild. Wenn der Beschwerdeführer tatsächlich Verfolgung vor der schiitischen Miliz Hezbullah – als Teil der PMU und somit dem Innenministerium unterstellt – gefürchtet hätte, so wäre er beim Versuch der legalen Ausreise definitiv mit Problemen konfrontiert gewesen, zumal den Länderberichten zu entnehmen ist, dass die PMF aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten die Fähigkeit haben, jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer gar keiner Verfolgung ausgesetzt war.

Soweit der Beschwerdeführer eine Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den irakischen Turkmenen geltend macht, ist dem klar zu entgegnen, dass es ihm nicht möglich war eine solche, gegen ihn gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Danach gefragt, wie sich die gravierendsten Probleme geäußert haben, gab er nur allgemein und oberflächlich an, dass die Turkmenen weder von den Arabern, noch von den Kurden erwünscht seien. Selbst auf gezielte Nachfrage beschränkten sich seine Schilderungen darauf, dass es sich im Berufsleben äußere und er die ersten zwei Jahre unentgeltlich unterrichtet habe (S. 6 VNS). Den Schilderungen des Beschwerdeführers ist aber eindeutig zu entnehmen, dass es ihm sehr wohl möglich war, zu studieren und sogar über Jahre hinweg als Universitätsdozent zu arbeiten. Obzwar er anfangs Schwierigkeiten gehabt haben mag, hatte er die Möglichkeit seiner Profession, schließlich auch gegen Bezahlung (S. 7 VNS), nachzugehen; eine von ihm dargestellte Benachteiligung im Berufsleben wurde gerade in seinem Fall nicht schlagend. Andererseits machte der Beschwerdeführer auch keine Probleme bei der Nahrungsversorgung oder Wohnungssuche geltend. Selbst als Binnenvertriebene hatten der Beschwerdeführer, seine Mutter und sein jüngerer Bruder einen Platz in Flüchtlingscamps und wohnen letztere auch aktuell in solch einem Lager. Soweit er weiters angibt, seine Geschwister würden sich „als Schiiten ausgeben“ (S. 12 VNS), ergibt sich auch daraus keine Gruppenverfolgung (von Sunniten) im Sinne des Asylrechts. Vielmehr kann man daraus ableiten, dass es keine offenkundige Unterscheidung zwischen Schiiten und Sunniten gibt. Mag auch eine sunnitenfeindliche Politik im Irak vorherrschen und es in unterschiedlicher Intensität zu Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung kommen, kann dennoch nicht von einer zielgerichteten und - systematischen - Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung in einer asylrelevanten Intensität ausgegangen werden.

Unter Bezugnahme auf S. 87 der (mit Stand Jänner 2021 aktuellsten) EASO Country Guidance, auf welche die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers im Zuge der der mündlichen Verhandlung verwies und die – neben den bereits verfahrensgegenständlichen Länderinformationen der Staatendokumentation – als Erkenntnisgrundlage im Verfahren auch herangezogen wird, ergibt sich auch nicht, dass die Volksmobilisierungseinheiten ausgerechnet und gezielt turkmenische sunnitische Araber ins Visier nehmen würden. Aus dem EASO Leitfaden geht hervor, dass die zwar überwiegend schiitisch geprägten PMU auch über beträchtliche sunnitische Kräfte verfügen.

Mit Blick darauf, dass arabisch-sunnitische, alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer im arbeitsfähigen Alter in der Stadt Bagdad sogar ohne Unterstützung durch ihre Familie bzw. ihren Stamm bestehen können (verwiesen wird hierzu auf die rechtliche Beurteilung), muss auf die Wohnsituation des Beschwerdeführers nicht genauer eingegangen werden.

Die Feststellungen zum Irak stützen sich auf die angeführten Quellen. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben. Angesichts der Seriosität der darin angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Sofern die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers in der in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Stellungnahme (S. 13 VNS) die Bedeutung der Volksmobilmachungskräfte PMU hervorstreicht und auf den jüngst aktualisierten EASO Country-Guidance von Jänner 2021 verweist, wird auch keine von den zugrunde gelegten Länderinformationen abweichende Berichtslage dargetan. Der Beschwerdeführer konnte mangels glaubhaftem Vorbringen leidglich nicht davon überzeugen, persönlich von diesen Kräften asylrelevant verfolgt zu werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mangels abweichender Regelung im AsylG, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 6 BVwGG durch Einzelrichter.

Zu A)

Abweisung der Beschwerde:

1. Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht, oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, "aus Gründen" der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0047 unter Hinweis auf VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031).

Da der Beschwerdeführer die behaupteten Fluchtgründe nicht hat glaubhaft machen können, liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl, die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, nicht vor.

Hinsichtlich des bloßen Umstands der turkmenischen Volksgruppenzugehörigkeit und sunnitischen Religionszugehörigkeit ist darauf hinzuweisen, dass sich entsprechend der herangezogenen Länderberichte und aktuellen Medienberichte die Situation für Minderheiten oder sunnitische Araber nicht derart gestaltet, dass von Amts wegen aufzugreifende Anhaltspunkte dafür existieren, dass diese gegenwärtig im Irak generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit allein aufgrund ihrer Volks- oder Religionszugehörigkeit einer eine maßgebliche Intensität erreichenden Verfolgung ausgesetzt bzw. staatlichen Repressionen unterworfen sein würden.

Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 15.3.2016, Ra 2015/01/0069). Die vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde zitierten Auszüge aus verschiedenen Berichten zum Irak, genügen vor dem Hintergrund der fehlenden Individualisierung und der mangelnden Glaubhaftmachung des individuellen Vorbringens daher nicht, um eine maßgeblich wahrscheinliche Verfolgung des Beschwerdeführers annehmen zu können.

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen ebenso wie allfällige persönliche und wirtschaftliche Gründe keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, 95/20/0329 mwN).

Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Beschwerdeführer eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung droht. Dass im Irak eine generelle und systematische Verfolgung von Turkmenen sunnitischer Glaubensrichtung stattfindet, kann aus den länderkundlichen Feststellungen zur Lage im Irak nicht abgeleitet werden. Wenn auch eine sunnitenfeindliche Politik im Irak vorherrscht und es in unterschiedlicher Intensität zu Vertreibungen mit dem Ziel religiösen Homogenisierung oder zu Entführungen kommt, kann noch nicht von einer zielgerichteten und systematischen Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung in einer asylrelevanten Intensität ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer hat demnach nicht bereits aufgrund seiner turkmenischen Volkszugehörigkeit oder sunnitischen Glaubensrichtung eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl zur Gruppenverfolgung etwa VwGH 7.2.2020, Ra 2019/18/0400, wonach diese auch darin begründet sein kann, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende Gruppenverfolgung, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 7.2.2020, Ra 2019/18/0400, mwN).

Es gibt bei Zugrundelegung des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak maßgeblich wahrscheinlich Gefahr laufen würde, einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

2. Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz setzt somit voraus, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in seine Heimat entweder eine reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in der Irak mit sich bringen würde.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095, mit weiteren Nachweisen). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236 mwN).

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 13.12.2017, Ra 2017/01/0187, mwN).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR vom 28. November 2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi gg. Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR vom 17. Juli 2008, Nr. 25904/07, NA gg. Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR Sufi und Elmi, RNr. 217).

In Bezug auf die Corona-Pandemie hat der Verwaltungsgerichtshof jüngst klargestellt (vgl. VwGH vom 05.02.2021, Ra 2020/19/0322, Rz 23 ff) dass auch hinsichtlich der Thematik „spürbare Auswirkungen der Corona-Pandemie“ bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Diesem Judikat folgend, gelingt es mit dem bloßen Hinweis auf spürbare Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Bewegungsfreiheit der Menschen im Irak und auf die Versorgungslage vor Ort jedoch nicht aufzuzeigen, warum bei einem gesunden, erwerbsfähigen und volljährigen Mann diese Gefahr schlagend werden sollte.

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 Asyl 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) und umfasst - wie der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH vom 17. Februar 2009, C- 465/07, Elgafaji, und vom 30. Jänner 2014, C-285/12, Diakite).

Nach der dargestellten Rechtsprechung sowohl des EGMR als auch des EuGH ist von einem realen Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte einerseits oder von einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts andererseits auszugehen, wenn stichhaltige Gründe für eine derartige Gefährdung sprechen.

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (vgl. VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016, mwN).

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Im gegenständlichen Fall gehört der Beschwerdeführer keiner Personengruppe mit speziellem Risikoprofil an, weshalb sich daraus kein zu berücksichtigender Sachverhalt ergibt, der gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zur Unzulässigkeit der Abschiebung, Zurückschiebung oder Zurückweisung in den Herkunftsstaat führen könnte.

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059). Der Beschwerdeführer hat auch nicht vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

UNHCR vertritt die Ansicht, dass arabisch-sunnitische, alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer im arbeitsfähigen Alter in der Lage sind, in der Stadt Bagdad auch ohne Unterstützung durch ihre Familie bzw. Stamm zu bestehen. Dem Beschwerdeführer ist daher jedenfalls eine Rückkehr nach Bagdad zumutbar.

Hinzu kommt, dass im Fall des Beschwerdeführers überdies davon ausgegangen wird, dass er den Großteil seines Lebens im Irak verbracht hat, dort aufgewachsen und somit ortskundig ist. Er lebte auch in Bagdad und verfügt dort über ein familiäres Netzwerk – seine Mutter und sein jüngerer Bruder leben im Flüchtlingscamp – und jedenfalls über zahlreiche Anknüpfungspunkte, seien es Freunde und Arbeitskollegen, zu denen ebenso Kontakte bestehen bzw. diese wiederhergestellt werden können. Selbst wenn das Elternhaus des Beschwerdeführers nicht mehr vorhanden sein sollte, könnte sich der Beschwerdeführer vorerst eine Mietwohnung suchen und – wie bereits nach seiner Rückkehr aus der Türkei und vor der Ausreise aus dem Irak – beispielsweise wieder an der Universität arbeiten, oder aber auch durch Gelegenheitsjobs den notwendigen Lebensunterhalt erwirtschaften. Der Beschwerdeführer gab zudem an, dass er auch von der Pensionszahlung seiner Mutter gelebt hatte, was ihm auch weiterhin offen steht, da er in der mündlichen Verhandlung angab, dass sie diese noch bezieht. Der Beschwerdeführer ist gesund, nicht für Kinder sorge- bzw. unterhaltspflichtig und könnte daher bei Rückkehr in den Irak seine Grundbedürfnisse abdecken. Neben seiner grundsätzlichen Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben verfügt der Beschwerdeführer darüber hinaus über ein verhältnismäßig hohes Bildungsniveau und sind keine Gründe/Hindernisse ersichtlich, weshalb er sich nicht neuerlich erfolgreich im Irak, dessen Werte- und Orientierungshaltung er von klein auf

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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