TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/6 W150 2182405-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.04.2021
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Entscheidungsdatum

06.04.2021

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W150 2182405-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1998 alias XXXX 1999, StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Andreas LEPSCHI, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 01.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.09.2020, zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde wird bezüglich Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX , geb. XXXX .1998 alias XXXX .1999, gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 06.04.2022 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistan, welcher der ethnischen Gruppe der HAZARA angehört sowie sich selbst als schiitischer Moslem definiert, stellte am 23.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am nächsten Tag, somit dem 24.07.2015, fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab dieser zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, wonach er „den Iran verlassen habe, weil mein dortiger Aufenthalt illegal war und ich keine Dokumente hatte. Deshalb konnte ich auch keiner Arbeit nachgehen. Das ist mein Asylgrund (Seite 9 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland müsse sich der Beschwerdeführer seiner Meinung nach vor nicht näher definierten Feinden seines Vaters sowie der allgemeinen Kriegssituation fürchten.

3. Mit Schriftsatz vom 13.10.2016, brachte der BF nachstehende Unterlagen als Beweismittel in Vorlage:

-        A1-Zertifikat, datiert mit XXXX 05.2016;

-        Bestätigung des Besuchs des Lernzentrums XXXX zum Zwecke des Nachholens eines positiven Pflichtschulabschlusses, datiert mit XXXX 05.2016;

-        Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs des Vereins XXXX , datiert mit XXXX 05.2016;

-        A2-Zertifikat, datiert mit XXXX 07.2016;

-        Bestätigung über die Teilnahme am „ XXXX “ – Programm des XXXX – Lernzentrums, datiert mit XXXX 09.2016;

-        Bestätigung der XXXX über die Teilnahme am Deutschkurs, datiert mit XXXX 03.2016.

4. Am 19.10.2017 abermals vor der belangten Behörde befragt, räumte der BF zunächst ein, anlässlich seiner Asylantragstellung vorsätzlich gelogen zu haben. Dies hätte sich allerdings ausschließlich auf seinen tatsächlichen Reiseweg und seine erkennungsdienstliche Behandlung in Griechenland bezogen; ansonsten entsprächen sämtliche seiner damaligen Angaben der Wahrheit. Zudem wäre er völlig gesund und daher auch verhandlungsfähig.

Ledig und kinderlos gehöre er sowohl der Volksgruppe der HAZARA als auch dem schiitischen Islam an.

Wenngleich seine beiden Eltern aus der Provinz BAYAM, Distrikt XXXX , in Afghanistan stammen würden und auch er selbst afghanischer Staatsbürger sei, wäre er in XXXX im Iran geboren und aufgewachsen. Im Heimatland seines Vaters und seiner Mutter sei der Beschwerdeführer noch nie gewesen. Stattdessen habe er im Iran insgesamt neun Jahre hindurch zwei afghanische Schulen besucht und nach deren Schließung neun Monate lang bei einem Schneider gearbeitet. Danach hätte der BF im Mai 2015 das Land verlassen.

Stets von den Einnahmen seines Vaters abhängig, habe dieser auch seine Schleppung bis ins Bundesgebiet finanziert, wobei sich die diesbezüglichen Kosten auf ungefähr US-$ 5.000,00.- belaufen würden. Der Entschluss für das Verlassen des Iran wäre zwei Wochen vor der Ausreise gefallen und sei eigentlich Schweden das ursprüngliche Zielland gewesen, „weil ich dort drei oder vier Freunde von früher habe (Seite 244 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Sämtliche vor seiner illegalen Einreise in Österreich passierten Staaten hätten seinen Mindestanforderungen nicht entsprochen, zumal „ich in ein besseres und sicheres Land wollte (Seite 244 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“

In Afghanistan verfüge der Beschwerdeführer über keinerlei Verwandte oder Freunde; sämtliche seiner familiären Anknüpfungspunkte wären im Iran aufhältig, abgesehen von einem Onkel väterlicherseits, welcher in Kanada ein neues Zuhause gefunden habe. Seine Kernfamilie setze sich aus seinen beiden Eltern, einem Bruder sowie vier Schwestern zusammen, welche ebenso wie sechs Onkel und drei Tanten zwar allesamt die afghanische Staatsangehörigkeit besitzen, aber dennoch ausnahmslos im iranischen XXXX leben würden. Den Kontakt zu diesen halte der BF über diverse elektronische Medien aufrecht.

Aufgrund gewaltsamer Konflikte innerhalb der schiitischen Glaubensgemeinschaft, konkret zwischen der Gruppe der SEPA und jener der NASR, in deren Verlauf auch einer seiner Onkel sein Leben verloren habe, hätte sich sein Vater vor etwa 24 Jahren dazu entschlossen, Afghanistan zu verlassen und in den Iran zu übersiedeln.

Der Beschwerdeführer selbst sei bereits im Iran geboren und aufgewachsen und habe dort auch nach seiner Schulzeit bei einem Schneider zu arbeiten begonnen. Im Zuge einer Kontrolle an seinem Arbeitsplatz hätten die iranischen Behörden allerdings festgestellt, wonach der BF nicht über eine entsprechende Arbeitserlaubnis verfügen würde. Wenngleich es seinem Vater mit Unterstützung eines iranischen Bekannten gelungen sei, den Beschwerdeführer von seinem Polizeigewahrsam zu erlösen, habe ein Sicherheitsbeamter für den Fall eines neuerlichen Aufgriffs unter vergleichbaren Umständen mit einer umgehenden Abschiebung nach Afghanistan gedroht. Angesichts dieser unerfreulichen Perspektive hätte sich der BF zwei Monate später zur endgültigen Ausreise aus dem Iran entschlossen; eine Zukunft in Afghanistan wäre seinerseits nicht in Betracht gezogen worden. Zwar habe das iranische Staatsoberhaupt angekündigt, demzufolge alle afghanischen Kinder – auch jene ohne Aufenthaltstitel – hinkünftig nicht nur iranische Schulen besuchen, sondern auch auf Dauer im Land bleiben und nicht mehr abgeschoben werden dürften; der Beschwerdeführer hätte aber nur den ersten Teil dieser Ankündigung von Landsleuten bestätigt erhalten – in Bezug auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung habe „soweit ich weiß (Seite 249 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)“ noch keiner eine solche ausgestellt bekommen.

Nach Afghanistan wolle der BF keinesfalls, da er es nicht ausschließen könne, dass die Konflikte zwischen den schiitischen Gruppen, aufgrund derer sein Vater ein Vierteljahrhundert zuvor das Land verlassen hätte, neuerlich aufbrechen könnten. Zwar hätten diese zwischenzeitlich ihre Namen geändert, wären aber weiterhin vor Ort präsent. „Ich selber war ja nicht dabei (Seite 49 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Generell würde man in Afghanistan den Beschwerdeführer aufgrund dessen Sprachfärbung sehr schnell dem Iran zuordnen und daher diesem nicht besonders freundlich gegenüberstehen. Auch sonst sei die allgemeine Sicherheitslage in diesem Staat ausgesprochen besorgniserregend, weshalb der BF Angst allein schon beim Gedanken einer potentiellen Zukunft im Herkunftsland seiner Eltern empfinden würde. „Ich weiß nicht, was mir passieren könnte (Seite 250 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“

Demgegenüber pflege er in Österreich regelmäßige Kontakte zur heimischen Bevölkerung, besuche die HTL, sowie diverse Deutschkurse. Zuletzt habe der Beschwerdeführer erfolgreich eine Prüfung auf B1-Niveau erfolgreich bestanden. Daneben lerne er auch das Gitarrenspiel, sei Mitglied bei den Pfadfindern, fungiere als Dolmetscher für Landsleute und spiele auch gerne Fußball. Beruflich strebe er eine Ausbildung als Bauingenieur an.

5. Im Rahmen seines erstinstanzlichen Rechtsganges brachte der BF folgende Beweismittel zur Vorlage:

-        Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung, datiert mit XXXX .02.2017;

-        HTL-Schulbesuchsbestätigung, datiert mit XXXX .10.2017;

-         XXXX Zertifikat A2, datiert mit XXXX .07.2016, „GUT BESTANDEN“;

-         XXXX Zertifikat A1, datiert mit XXXX .05.2016, „SEHR GUT BESTANDEN“;

-         XXXX Zertifikat B1, datiert mit XXXX .04.2017, „BEFRIEDIGEND BESTANDEN“;

-        Teilnahmebestätigung „Deutsch B2 Teil 1“, datiert mit XXXX .05.2017;

-        Teilnahmebestätigung „Deutsch B2 Teil 2“, datiert mit XXXX .06.2017;

-        Teilnahmebestätigung „Deutsch A1 - 1“, datiert mit XXXX .05.2016;

-        Deutschkursbesuchsbestätigung, datiert mit XXXX .03.2016;

-        Teilnahmebestätigung an einem Vorbereitungskurs für Pflichtschulabschluss, datiert mit XXXX .05.2016;

-        Teilnahmebestätigung an einem Vorbereitungskurs für Pflichtschulabschluss, datiert mit XXXX 09.2016;

-        Konvolut an Empfehlungsschreiben diverser Privatpersonen;

-        Bittbrief einer Privatperson an den Herrn Bundesminister für Inneres, datiert mit XXXX .08.2017;

-        Dolmetschbestätigung einer Allgemeinmedizinerin, datiert mit XXXX .03.2017.

6. Mit Schriftsatz, datiert mit 25.10.2017, erstattete der Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs eine schriftliche Stellungnahme in Bezug auf die ihm zuvor erstinstanzlich präsentierten Länderfeststellungen. Hierin verwies er primär auf die allgemeine prekäre Sicherheitslage sowie das Fehlen sozialer Anknüpfungspunkte in Afghanistan.

7. Mit Bescheid vom 01.12.2017, Zl. XXXX , wies die Erstinstanz den Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, wonach der BF keinerlei Furcht vor asylrelevanter Verfolgung glaubhaft gemacht hätte. So habe dieser keinerlei individuell gegen seine Person gerichtete Bedrohung in seinem Heimatland zu präsentieren vermocht und würden sich basierend auf den der Entscheidung zugrunde gelegten aktuellen Länderberichten keinerlei asylrelevanten Probleme für schiitische HAZARA, wie den BF, ableiten lassen.

Subsidiärer Schutz würde ihm nicht zuerkannt, da im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes auf Grund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe. Gesund und arbeitsfähig verfüge der BF nicht nur über eine mehrjährige Schulausbildung, sondern zudem über praktische Berufserfahrung, weshalb ihm der Erwerb des seinerseits benötigten Lebensunterhalts durch Einsatz seiner eigenen Arbeitsleistung in einer Großstadt wie KABUL durchaus zumutbar und möglich wäre.

Dass der Beschwerdeführer über keinerlei nennenswerte private oder familiäre Bindungen im Bundesgebiet verfüge, ergebe sich aus seinen eigenen diesbezüglichen Angaben. Die Deutschkenntnisse wären zwar als gut zu qualifizieren und würden durchaus auch soziale Kontakte zu der ansässigen Bevölkerung gepflegt, aber bestreite der BF demgegenüber seinen Lebensunterhalt seit seiner illegalen Einreise ins Bundesgebiet ausschließlich aus Leistungen der Grundversorgung und sei dieser zudem angesichts der erst zweieinhalb Jahre umfassenden Aufenthaltsdauer in Österreich weitaus stärker durch das soziale und kulturelle Umfeld seines Herkunftsstaats geprägt als vom westlichen Lebensstil. Wenngleich in einem Verein Mitglied und strafrechtlich bislang unbescholten, wäre das öffentliche Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in casu deutlich schwerer zu gewichten als das persönliche an einem dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet. Eine nennenswerte integrative Verfestigung könne vor diesem Hintergrund nicht abgeleitet werden. Demgegenüber hätte der BF einen Großteil seines Lebens in seinem ursprünglichen Kulturkreis verbracht, weshalb ihm eine Wiedereingliederung in seinen Heimatstaat objektiv möglich und zumutbar erscheine.

8. Gegen diesen Bescheid erhob der Genannte über seine rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Beschwerde.

9. In Vorbereitung auf die für wenige Tage später angesetzte mündliche Rechtsmittelverhandlung übermittelte der Beschwerdeführer über seinen gewillkürten Vertreter folgende Urkunde zum Nachweis über dessen zwischenzeitlich fortgeschrittenen Integrationsbemühungen:

-        Teilnahmebestätigung für eine Bildungsveranstaltung des XXXX „Deutsch C1 Teil 1“, datiert mit XXXX .02.2020;

-        Teilnahmebestätigung für eine Bildungsveranstaltung des XXXX „Deutsch C1 Teil 2“, datiert mit XXXX 03.2020;

-        Teilnahmebestätigung der XXXX für „Deutsch B2 – Grammatik“, datiert mit XXXX .12.2019;

-        Teilnahmebestätigung des XXXX für „Englisch A2“, datiert mit XXXX .05.2019;

-         XXXX - Zertifikat B2, datiert mit XXXX .04.2019;

-         XXXX - Zertifikat B2, Notenaufstellung, datiert mit XXXX .04.2019;

-        Jahreszeugnis XXXX Schuljahr 2017/18, datiert mit XXXX .07.2018;

-        Konvolut von diverser Empfehlungsschreiben verschiedener Privatpersonen;

-        Bestätigung über freiwillige Tätigkeit bei XXXX , datiert mit XXXX .08.2020;

-        Einstellungszusage für Hilfsarbeitertätigkeit der XXXX , datiert mit XXXX .08.2020;

-        Anmeldebestätigung für Integrationsprüfung B1 XXXX , datiert mit XXXX .08.2020;

-        Teilnahmebestätigung an Sportprojekt der CARITAS, undatiert;

-        Bestätigung der ehrenamtlichen Tätigkeit im Verein XXXX datiert mit XXXX .01.2020;

-        Bestätigung des freiwilligen Engagements im Verein XXXX (Hochbeetaufbauassistenz), datiert mit XXXX .08.2019;

-        Bestätigung der Mithilfe im XXXX , datiert mit XXXX .10.2017;

-        Bestätigung der Mithilfe in der Pfarre XXXX , datiert mit XXXX 10.2017.

10. Am 07.09.2020 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Im Rahmen der Befragung wurden die Fluchtgründe, die maßgebliche Lage in Afghanistan, das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sowie dessen Integrationsschritte erörtert.

Prinzipiell gesund und verhandlungsfähig nehme er aktuell auch keinerlei Medikamente; im bisherige Verfahren habe der BF ausschließlich die Wahrheit angegeben.

In formal-religiöser Hinsicht noch immer als Schiit zu qualifizieren, praktiziere er seit seiner Einreise ins Bundesgebiet seinen Glauben eher rudimentär; wenngleich er auf den Konsum von Schweinefleisch generell verzichte, bete der Beschwerdeführer nicht jeden Tag und trinke auch gerne Alkohol. Zudem helfe er in der Kirche mit. Ethnisch der Gruppe der HAZARA zuzuordnen, gehöre der BF der Untergruppe der SADAT an.

Bereits im Iran geboren, habe der Beschwerdeführer noch nie Afghanistan persönlich besucht und würden auch gegenwärtig sämtliche Kernfamilienmitglieder nach wie vor im Iran leben. Im Bundesgebiet verfüge der BF demgegenüber über keinerlei Verwandte.

Ledig und kinderlos, könne der Beschwerdeführer auf eine neunjährige Schulbildung sowie neun Monate Berufspraxis in einer Schneiderei im Iran zurückgreifen. In Österreich hätte er seit seiner Einreise darüber hinaus auch noch den Hauptschulabschluss erfolgreich nachgeholt und ein Jahr lang die HTL in XXXX besucht. Der Versuch, daran anschließend die Abendschule zu absolvieren, sei jedoch gescheitert.

Den Iran habe der BF deshalb verlassen, zumal es mit zunehmendem Alter immer schwieriger geworden wäre, in diesem Land weiterhin ohne Aufenthaltserlaubnis zu arbeiten oder eine Ausbildung zu machen. Stattdessen hätte die Abschiebung nach Afghanistan oder die Entsendung in den Krieg in Syrien gedroht. In sein eigentliches Heimatland habe der Beschwerdeführer aber keinesfalls gewollt, da er dort niemanden kennen würde und die allgemeine Sicherheitslage insgesamt als äußerst instabil gewertet werden müsse. Da bereits seine Eltern vor 25 Jahren schlechte Erfahrungen mit den Verhältnissen in Afghanistan gemacht hätten, wäre ihrerseits Europa als Zielland für den BF festgelegt worden. Zudem würden HAZARA ebenso wie Schiiten in Afghanistan generell als Minderheiten betrachtet und diskriminiert.

Ausschlaggebend für seine illegale Reise durch diverse Staaten bis nach Österreich sei eine behördliche Kontrolle bei seinem damaligen Arbeitgeber gewesen, in welcher er mangels Arbeitserlaubnis von der Polizei verhaftet worden wäre. Seinem Vater sei es mit Unterstützung eines iranischen Staatsangehörigen gelungen, den Beschwerdeführer wieder auf freien Fuß setzen zu lassen, jedoch habe die Sicherheitsbehörde für den Fall einer neuerlichen Festnahme mit einer dauerhaften Inhaftierung gedroht.

Seine Tagesfreizeit in Österreich verbringe der BF hauptsächlich mit Weiterbildungsaktivitäten in der Abendschule, freiwilligem Engagement ehrenamtlicher Prägung in diversen gemeinnützigen Organisationen, wie etwa den Pfadfindern, bei denen er auch Mitglied sei.

Der Rechtsmittelwerber legte anlässlich seiner Beschwerdeverhandlung folgende Dokumente und Schriftstücke vor:

-         XXXX -Zertifikat C1, mündliche Prüfung, „BESTANDEN“, datiert mit XXXX .09.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der HAZARA und führt den im Spruch genannten Namen. Sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt, als fiktives Geburtsdatum wurde mittels Altersfeststellung der XXXX 1998 festgelegt. Seine Muttersprache ist DARI. Konfessionell dem schiitischen Islam zugehörig, ist der BF ledig und kinderlos. Nach knapp neunjähriger Schulbildung absolvierte er neun Monate lang eine nicht vollendete Ausbildung in einer Schneiderei. Bis zu seiner Ausreise hat er mit seiner Kernfamilie (Eltern plus Geschwister) im gleichen Haushalt gewohnt. Der BF verfügt im Heimatland über keine familiären Anknüpfungspunkte. Uneingeschränkt gesund und arbeitsfähig, sind keine Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten des BF im Verfahren hervorgetreten und wurden solche auch nicht behauptet.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der BF ist unter Umgehung der Grenzkontrollen ins Bundesgebiet eingereist und hält sich zumindest seit dem 23.07.2015 durchgehend in Österreich auf. Aktuell verfügt er über praxistaugliche Kenntnisse der deutschen Sprache, die ihm die Kommunikation über Dinge des täglichen Lebens in fortgeschrittenem Maße ermöglichen. Offiziell hat der BF das Sprach-Niveau C1 erreicht, wobei dieser derzeit keiner legalen Beschäftigung nachgeht. Seit seiner illegalen Einreise ins Bundesgebiet erlangte der Beschwerdeführer erfolgreich den Pflichtschulabschluss und nimmt regelmäßig an ehrenamtlichen Aktivitäten teil.

Im österreichischen Bundesgebiet verfügt der BF weder über Kernfamilienmitglieder noch entfernte Verwandte.

Zum Entscheidungszeitpunkt erweist sich der Beschwerdeführer als unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des BF

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen, er könnte möglicherweise aufgrund einer angeblich ein Vierteljahrhundert zurückliegenden gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen zweier schiitischer Gruppen respektive seiner ethnischen Zugehörigkeit landesweit verfolgt werden, wird aus nachfolgend im Detail ausgeführten Gründen als nicht zutreffend festgestellt.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat

Die Eltern des BF haben Afghanistan vor über 25 Jahren und somit bereits vor dessen Geburt verlassen; der Beschwerdeführer kam im Iran zur Welt und verbrachte bis zu seiner Ausreise in selbigem Land sein ganzes Leben. In Afghanistan verfügt er weder über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte noch über ein gleichwertiges Unterstützungsnetzwerk, ausreichende Ortskenntnisse oder eine Berufsausbildung, welche ihm mit hinreichender Sicherheit eine wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit garantieren würde. Laut aktueller VfGH-Judikatur bedarf es außergewöhnlicher Umstände, die es einem Asylwerber, der einen Großteil seines Lebens außerhalb seines Herkunftslandes Afghanistan verbracht hat, dennoch ermöglicht, in sein Heimatland zurückzukehren.

Derartige außergewöhnliche Faktoren liegen in casu nicht vor, weshalb ausgehend von der ob zitierten höchstgerichtlichen Judikatur eine Rückkehr nach Afghanistan als unmöglich qualifiziert zu werden hat.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, zuletzt aktualisiert am 21.07.2020 - Anm.: die Quellenangaben finden sich in den Länderberichten selbst):

Neueste Ereignisse:

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, dieTaliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a). Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u. a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019). Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b). Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019).

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten.

Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019). Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen.

Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen USVertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019). Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).

Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i-Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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