TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/6 W104 2012980-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.04.2021
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Entscheidungsdatum

06.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W104 2012980-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Christian BAUMGARTNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , vom 14.6.2019, Zl. 1017481007-190593771, zu Recht:

A)

I.       Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

II.      In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dem Antrag vom 23.4.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von zwei Jahren erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang

1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 6.5.2014 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 3.9.2014, Zl. 1017481007, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.).

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9.6.2016, W233 2012980-1/10E, wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A.I.). Jedoch wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt A.II.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 9.6.2017 erteilt (Spruchpunkt A.III.) und Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben (Spruchpunkt A.IV.). Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B).

Das Bundesverwaltungsgericht stellte in seinem Erkenntnis vom 9.6.2016 fest, der Beschwerdeführer gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Er sei in der afghanischen Provinz Ghazni geboren, habe dort vier Jahre die Schule besucht und verfüge über keine Berufsausbildung. Dem Beschwerdeführer drohe keine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan. Allerdings sei ihm eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Afghanistan derzeit nicht zumutbar. Die Rückführung in seinen Herkunftsstaat stelle mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar. Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, das vom Beschwerdeführer vorgebrachte fluchtauslösende Ereignis sei nicht glaubhaft, da der Beschwerdeführer dieses vage, unpersönlich und detailarm geschildert habe. Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der realen Gefahr ausgesetzt sei, in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden, stütze sich auf den vorliegenden Verwaltungsakt der belangten Behörde, das Vorbringen in der Beschwerde und die Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

In der rechtlichen Beurteilung dieses Erkenntnisses begründete das Bundesverwaltungsgericht die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer wie folgt:

„[…] 5.3.3.1. Aus den herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich zwar, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt.

Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im (westlich geprägten) Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. […]

Beim BF handelt es sich zwar um einen arbeitsfähigen jungen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es muss demgegenüber aber maßgeblich berücksichtigt werden, dass der BF aus der Provinz Ghazni, welche auch laut den jüngsten Länderinformationen (Stand vom 21. Jänner 2016) zu den volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans zählt, wo regierungsfeindliche aufständische Gruppe in den verschiedenen Distrikten aktiv sind und regelmäßig Aktionen durchführen und dass im März 2015 Ghazni als jene Provinz angesehen wurde, die die höchste Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle im Monat März zu verzeichnen hatte. Den ebenfalls vom BVwG in das Verfahren eingebrachten Neusten Erkenntnissen – Integrierte Kurzinformation zu den Länderinformationen vom 5. April 2016 ist zu entnehmen, dass im Jahr 2015 70 % der sicherheitsrelevanten Vorfälle in den südlichen, östlichen und südöstlichen afghanischen Regionen registriert wurden und die Provinzen Ghazni (also die Heimatprovinz des BF), neben den Provinzen Helmand, Kandahar, Kunar und Nangarhar zu den volatilsten Provinzen, in denen 49 % aller sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert wurden, zählen.

Es ist daher nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass es dem BF – wie die belangte Behörde im Bescheid ausführt – aufgrund dessen, dass der BF über Angehörige und ein soziales Netz in seinem Heimatland verfüge, nach seiner Rückkehr Unterstützung erhalten zu können. Zudem unterlässt es die belangte Behörde näher darauf einzugehen, in welche afghanische Provinz der BF zurückkehren könnte.

Eine Rückkehr wäre allenfalls dann möglich, wenn der BF über die für eine solche Ansiedelung notwendigen finanziellen Mittel oder zumindest vor Ort über ein ausreichendes familiäres bzw. soziales Netzwerk verfügen würde, was jedoch hier nicht der Fall ist. Der BF verfügt in seiner Heimat Afghanistan seit 1 ½ Jahren über keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Es ist damit mehr als fraglich, ob er sich nach seiner Abwesenheit - wenn auch nur mit einfachen Tätigkeiten - in Afghanistan wieder integrieren und ein ausreichendes Einkommen erzielen könnte, um sich eigenständig in ausreichendem Maße zu versorgen und eine neue Existenz aufzubauen. Selbst in Kabul ist die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Wohnraum, Beschäftigung, Wasser und Gesundheitsversorgung nur sehr eingeschränkt möglich. Diese wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen für Rückkehrer werden noch zusätzlich durch die auch in den Länderberichten festgestellten signifikanten Zuzüge von Binnenvertriebenen und der mindestens 3.000 bedürftigen Familien in Kabul verschlimmert.

5.3.4. Im gegenständlichen Fall kann daher unter Berücksichtigung der den BF betreffenden individuellen Umstände nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der BF im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse des BF und der derzeit in Afghanistan vorherrschenden Sicherheits- und Versorgungslage mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde. […]“

Weder der Beschwerdeführer, noch die belangte Behörde erhoben gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9.6.2016, W233 2012980-1/10E, Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bzw. eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Das Erkenntnis vom 9.6.2016 ist daher rechtskräftig.

5. Mit Schreiben vom 20.4.2017 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab diesem Antrag mit Bescheid vom 7.6.2017, Zl. 1017481007, statt und erteilte dem Beschwerdeführer die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 9.6.2019. Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass aufgrund der allgemeinen Lage in Afghanistan in Verbindung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet worden sei.

6. Der Beschwerdeführer beantragte mit Schreiben vom 23.4.2019 die neuerliche Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

7. Mit Aktenvermerk vom 13.6.2019 hielt die belangte Behörde fest, dass sich aus den dem Bundesamt zugegangenen Informationen betreffend den Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung infolge geänderter persönlicher Umstände nicht bzw. nicht mehr vorliegen. Es sei von der Erfüllung des Tatbestandes gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 auszugehen.

8. Der Beschwerdeführer wurde am 13.6.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zwecks Prüfung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung bzw. der Einleitung eines Aberkennungsverfahrens niederschriftlich im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari einvernommen. Zu seinem Lebenslauf befragt, schilderte der Beschwerdeführer, er sei in der Provinz Ghazni geboren und aufgewachsen, habe dort vier Jahre die Schule besucht und bis zu seiner Ausreise in der Landwirtschaft gearbeitet. Das von ihm bewirtschaftete Grundstück habe der Familie gehört. Zu seinen Familienverhältnissen gab er an, seine Eltern, drei Brüder und zwei Schwestern würden zwischenzeitlich im Iran leben. Der Beschwerdeführer stehe in regelmäßigem Kontakt mit seiner Familie. Zur finanziellen Situation seiner Familie im Iran führte er aus, es reiche zum Überleben. Sein Vater und sein jüngerer Bruder würden arbeiten, seine Mutter sei Hausfrau. Eine Tante väterlicherseits und drei (Halb-)Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers seien ebenfalls im Iran aufhältig. Sein Onkel väterlicherseits lebe nach wie vor in der Provinz Ghazni und sei dort als Kommandant der Polizei und Beauftragter der Terrorbekämpfung tätig. Eine Halbtante mütterlicherseits lebe ebenfalls in Ghazni. Der Beschwerdeführer habe keinen Kontakt mit seinen in Afghanistan lebenden Verwandten. Zu seinem Leben in Österreich führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er habe an Deutschkursen teilgenommen und sechs Monate lang einen Pflichtschulabschlusskurs besucht. Diesen habe er jedoch nicht abgeschlossen. Er habe keine familiären oder privaten Bindungen an Österreich. Der Beschwerdeführer wohne zu zweit in einer Mietwohnung und lebe vom Sozialamt und von der Caritas. Er sei kein Mitglied in einem Verein und besuche derzeit in Österreich keine Kurse. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte der Beschwerdeführer, bei einem Selbstmordattentat ums Leben zu kommen. Es gebe keine Arbeit und keine Sicherheit. Außerdem habe er niemanden in Afghanistan. In Mazar-e Sharif oder Herat würde er aufgrund seiner mangelnden Berufsausbildung keine Arbeit finden und hätte daher Angst, obdachlos zu werden. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Beschwerdeführer darauf hin, dass sich seine subjektive Lage seit der Gewährung von subsidiärem Schutz nach Ansicht der belangten Behörde geändert habe. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei ihm zumutbar, da er insbesondere in Herat oder Mazar-e Sharif Sicherheit erlangen könne und eine zumutbare Lebenssituation vorfände. Dem Beschwerdeführer sei es möglich, selbst unter schweren Bedingungen am Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden und allenfalls durch Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, zumal er nunmehr auf die Unterstützung seiner im Iran und in Afghanistan lebenden Familie zurückgreifen könne. Der Beschwerdeführer führte dazu aus, dass ein einfacher Arbeiter in Afghanistan nur 200 Afghani am Tag verdiene und er mit diesem Einkommen nicht leben könne.

9. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 14.6.2019, zugestellt am 19.6.2019, wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Erkenntnis vom 9.6.2016, W233 2012980-1/10E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und sein Antrag vom 23.4.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 (gemeint: Z 5) AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 (gemeint: Z 4) FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, aktuell würden keine Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorliegen. Zudem habe sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, geändert. Der Beschwerdeführer verfüge nunmehr über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan und im Iran. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer von seinen Verwandten finanzielle Unterstützung erwarten könne. Dies sei einer der großen Unterschiede zur damaligen Gewährung des subsidiären Schutzes. Zudem habe der Beschwerdeführer im Gegensatz zum früheren Entscheidungszeitpunkt neben allgemeiner Lebenserfahrung auch weitere Erfahrungen sammeln können. Durch seine in Österreich durchgeführten Ausbildungen sowie durch seine Arbeitserfahrung als Landwirt in seinem Heimatland habe der Beschwerdeführer nunmehr eine größere Chance, sich am Arbeitsmarkt durchzusetzen. Zudem sei nunmehr eine Starthilfe durch die Familie des Beschwerdeführers zu erwarten. Hinsichtlich der erworbenen Lebenserfahrungen sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthalts in Österreich bereits von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, auf bestehende Netzwerke zurückzugreifen. Der damit gewonnene Erfahrungsschatz werde dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr zweifelsohne zugutekommen und hilfreich sein. Daraus ergebe sich eine zwischenzeitlich völlig geänderte subjektive Situation im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan. Zudem sei anzumerken, dass nunmehr – im Gegensatz zum damaligen Entscheidungszeitpunkt – für sämtliche relevanten staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen, Organisationen und Behörden feststehe, dass alleinstehende, arbeitsfähige Männer in gewissen Regionen Afghanistans jedenfalls ein zumutbares Leben führen können. Dadurch komme zum Ausdruck, dass sich die Lage für Rückkehrer jedenfalls insoweit gebessert habe, als sämtliche mit Asylverfahren befassten Einrichtungen nunmehr zu einer positiven Prognose für Rückkehrer kommen würden. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in Afghanistan sei nicht vorgebracht worden. Eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative sei mit den Städten Mazar-e Sharif und Herat gegeben. Der Beschwerdeführer sei gesund und arbeitsfähig und könne daher im Fall seiner Rückkehr für seine Existenzsicherung aufkommen. Zudem könne er auf die Unterstützung internationaler und nationaler Rückkehrorganisationen und NGOs zurückgreifen. Eine Niederlassung in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) sei dem Beschwerdeführer insbesondere aufgrund seiner in Österreich gesammelten Arbeitserfahrung zumutbar. Die seinerzeitige Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer sei lediglich aufgrund des Unterbleibens der ordnungsgemäßen Prüfung des Vorliegens einer tauglichen innerstaatlichen Fluchtalternative erfolgt. Im letztmaligen Entscheidungszeitpunkt sei noch davon ausgegangen worden, dass Unterstützungsmöglichkeiten im Fall einer Rückkehr erforderlich seien, um eine innerstaatliche Fluchtalternative annehmen zu können. Zwischenzeitlich sei es jedoch ständige Rechtsprechung, dass für die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) kein soziales oder familiäres Netzwerk erforderlich sei, sofern es sich um einen arbeitsfähigen, erwachsenen und gesunden Mann handle. Derzeit liege keine Gefährdungslage vor, welche gegen Art. 3 EMRK verstoße und eine Aufrechterhaltung des subsidiären Schutzes begründen könne. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten sei dem Beschwerdeführer daher abzuerkennen gewesen.

10. Dagegen richtet sich die am 12.7.2019 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwere bringt im Wesentlichen vor, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe sich teilweise auf den ersten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gestützt und dies damit begründet, dass in Mazar-e Sharif und in Herat laut den zugrundeliegenden Länderfeststellungen keine Gefährdungslage erkennbar sei. Die Behörde habe hier verkannt, dass sich der Tatbestand des ersten Falles, wonach einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen sei, wenn die Voraussetzungen für dessen Zuerkennung nicht vorliegen, ausschließlich auf Fälle beziehe, in denen der Status zuerkannt worden sei, ohne dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung erfüllt gewesen seien. Soweit die Behörde ausführe, dass es dem Beschwerdeführer nunmehr aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sehr wohl zumutbar sei, auch ohne familiäres Netzwerk nach Mazar-e Sharif oder Herat zurückzukehren, sei festzuhalten, dass eine andere rechtliche Würdigung eines im Wesentlichen unveränderten Sachverhaltes nicht die Aberkennung des rechtskräftig zuerkannten subsidiären Schutzes rechtfertige. Der zweite Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 stelle auf eine Änderung der Umstände ab, die so wesentlich und nicht nur vorübergehend ist, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Es müsse eine entsprechende Nachhaltigkeit der positiven Veränderungen im Herkunftsland des Fremden gewährleistet sein, was im Regelfall eine längere Beobachtungsphase erfordere. Den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan seien keine grundlegenden Veränderungen seit der Gewährung des subsidiären Schutzes zu entnehmen. Auch die persönliche Situation des Beschwerdeführers habe sich seit 2016 nicht grundlegend geändert. Dem Beschwerdeführer fehle es weiterhin an einer finanziellen Unterstützung durch seine Familie im Fall einer Rückkehr. Seine Kernfamilie lebe im Iran; zu seinen übrigen Familienangehörigen habe der Beschwerdeführer keinen Kontakt. Auch hinsichtlich der Schul- und Berufsbildung des Beschwerdeführers seien keine substantiellen Änderungen eingetreten, zumal er keine wesentliche und nachhaltige Berufserfahrung erlangt habe.

11. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

12. Am 22.7.2019 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht eine Bestätigung über die erfolgte verpflichtende Rückkehrberatung gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG.

13. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde mit Schreiben vom 7.8.2019 das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand: 4.6.2019) zur Stellungnahme.

14. Mit Schreiben vom 19.11.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand: 13.11.2019) und gab den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme.

15. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.2.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der erkennenden Gerichtsabteilung zugewiesen.

16. Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Bestätigung der XXXX über Besuch eines Deutschkurses im Zeitraum 26.5.2014 bis 3.7.2014 vom 3.7.2014;

?        Bestätigung der XXXX über Besuch des Kurses „Deutsch als Zweitsprache – Lesen und Schreiben: Brückenkurs“ im Zeitraum 4.8.2014 bis 28.8.2014 vom 28.8.2014;

?        Bestätigung der XXXX über Besuch des Kurses „Deutsch als Zweitsprache – Deutsch für AnfängerInnen A1“ im Zeitraum 29.10.2014 bis 21.11.2014 vom 21.11.2014;

?        ÖSD-Zertifikat A2 (bestanden) vom 28.7.2015;

?        Bestätigung der XXXX über Teilnahme am „Sprachkurs Deutsch“ im Zeitraum 26.6.2017 bis 8.9.2017 vom 17.7.2017;

?        ÖSD-Zertifikat A2 (gut bestanden) vom 27.8.2018;

?        Bestätigung von „ XXXX “ über Teilnahme am Kurs „Deutsch B1“ im Zeitraum 3.9.2018 bis 7.12.2018 vom 5.12.2018;

?        Bestätigung der XXXX über Teilnahme am Basisbildungskurs im Zeitraum März 2015 bis Juni 2015 (undatiert);

?        Bestätigung der XXXX über Teilnahme am Basisbildungskurs im Zeitraum September 2015 bis Dezember 2015 (undatiert);

?        Bestätigung der XXXX über Teilnahme am Pflichtschulabschlusskurs (Dauer: 1.2.2016 bis 30.12.2016) vom 18.2.2016;

?        Bestätigung des ÖIF über Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs vom 2.7.2018;

?        Laborbefund XXXX vom Juni 2014.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

?        Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und den hg. Verfahrensakt betreffend die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer (W233 2012980-1);

?        Einsichtnahme in die Informationen der Staatendokumentation und die Informationen der Word Health Organization (WHO) zur aktuell maßgeblichen Situation aufgrund der COVID-19-Pandemie;

?        Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente und Berichte.

2.       Feststellungen:

2.1.    Zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX in der afghanischen Provinz Ghazni im Distrikt XXXX (auch: XXXX ) im Dorf XXXX geboren. Er ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er kann diese Sprache jedoch weder lesen, noch schreiben. Weiter spricht der Beschwerdeführer Deutsch auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wuchs in seinem Heimatdorf mit seinen Eltern, drei Brüdern und einer Schwester im familieneigenen Haus auf. Die Familie besaß eigene Grundstücke und lebte von der Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer besuchte in Afghanistan vier Jahre eine Grundschule und half anschließend seinem Vater in der familieneigenen Landwirtschaft. Er hat keine Berufsausbildung.

Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers leben seit ungefähr Mitte 2018 im Iran. Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigem Kontakt mit seiner Familie. Sein Vater und sein jüngerer Bruder arbeiten, seine Mutter ist Hausfrau. Das Einkommen der Familie reicht zum Überleben. Die Familie des Beschwerdeführers wäre jedoch nicht in der Lage, den Beschwerdeführer im Fall seiner Niederlassung in Afghanistan vom Iran aus finanziell unterstützen. Im Iran leben außerdem eine Tante väterlicherseits und drei (Halb-)Onkel des Beschwerdeführers. Ein Onkel väterlicherseits und eine Halbtante mütterlicherseits sind nach wie vor in der Heimatprovinz Ghazni aufhältig. Zu seinen in Afghanistan lebenden Verwandten hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt. Weitere – allenfalls auch entfernte – Verwandte oder sonstige Bezugspersonen des Beschwerdeführers leben nicht in Afghanistan. Er verfügt in Afghanistan nach wie vor über kein soziales oder familiäres unterstützungsfähiges Netzwerk.

Der Beschwerdeführer stellte am 6.5.2014 seinen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet und hält sich seither durchgehend in Österreich auf.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9.6.2016, W233 2012980-1/10E, wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 9.6.2017 erteilt. Tragende Gründe für die Gewährung des subsidiären Schutzes waren das Fehlen eines familiären oder sozialen unterstützungsfähigen Netzwerks in Afghanistan, die (finanzielle) Mittellosigkeit des Beschwerdeführers und die allgemeine prekäre Sicherheits- und Versorgungslage.

Diese Aufenthaltsberechtigung wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 7.6.2017, Zl. 1017481007, mit Gültigkeit bis zum 9.6.2019 verlängert.

Der Beschwerdeführer besuchte seit seiner Einreise mehrere Deutsch-, Basisbildungs- und Integrationskurse. Im Juli 2015 und im August 2018 absolvierte der Beschwerdeführer jeweils eine Deutschprüfung auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen und erwarb je ein ÖSD-Zertifikat mit der Bewertung „bestanden“ bzw. „gut bestanden“. Weiter nahm er im Jahr 2016 an einem Pflichtschulabschlusskurs teil, den er jedoch nach sechs Monaten abbrach. Der Beschwerdeführer verfügt über keine Berufserfahrung in Österreich. Er bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Er ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig.

2.2.    Zur Änderung der Umstände seit der Gewährung von subsidiärem Schutz

Seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9.6.2016, W233 2012980-1/10E, mit welchem dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ist es weder zu einer nachhaltigen maßgeblichen Änderung seiner subjektiven bzw. persönlichen Situation noch zu einer Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan gekommen. Die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes mit Erkenntnis vom 9.6.2016, W233 2012980-1/10E, geführt haben (Fehlen eines familiären oder sozialen unterstützungsfähigen Netzwerks in Afghanistan, Fehlen hinreichender finanzieller Mittel des Beschwerdeführers, allgemeine prekäre Sicherheits- und Versorgungslage) haben sich seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer insgesamt nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert.

2.3.    Zur Lage im Herkunftsstaat

Die folgenden Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

?        Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation, Stand 16.12.2020 (im Folgenden: LIB);

?        Homepage der Word Health Organization (WHO), letzter Zugriff jeweils am 1.4.2021 (im Folgenden: WHO);

https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/coronavirus-disease-covid-19;

https://covid19.who.int/region/emro/country/af

Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 4).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, Kapitel 5).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (LIB, Kapitel 7).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB, Kapitel 5).

Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 4).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (LIB, Kapitel 5).

Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen. Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der Regierung vor, ihren Teil der am 29.2.2020 von den Taliban mit der US-Regierung geschlossenen Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (LIB, Kapitel 4).

Im September starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (LIB, Kapitel 4). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt. Für den Berichtszeitraum 01.01.2020-30.09.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012. Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gehen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (LIB, Kapitel 5).

Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung, wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben. Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Doch bisher (Stand 10.2020) hat es keine Fortschritte gegeben, da sich die kriegführenden Seiten in Prozessen und Verfahren verzettelt haben, so diplomatische Quellen (LIB, Kapitel 4).

COVID-19

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 20 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen (60 Jahre oder älter) und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs) auf, einschließlich Verletzungen von Herz, Leber oder Nieren (WHO).

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.02.2020 in Herat festgestellt. Offiziellen Zahlen der WHO zufolge gab es bis 16.11.2020 43.240 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 1.617 Tote. Mit dem Herannahen der Wintermonate deutet der leichte Anstieg an neuen Fällen darauf hin, dass eine zweite Welle der Pandemie entweder bevorsteht oder bereits begonnen hat (LIB, Kapitel 3).

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind. Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden. Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet. Die Taliban erlauben in von ihnen kontrollierten Gebieten medizinischen Helfern den Zugang im Zusammenhang mit der Bekämpfung von COVID-19 (LIB, Kapitel 3).

Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. UNOCHA erwartet, dass 2020 bis zu 14 Millionen Menschen (2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u. a. Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung) angewiesen sein werden. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg ihrer Rate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, so leben in urbanen Gebieten rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze (LIB, Kapitel 22).

Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft. Der durchschnittliche Verdienst eines ungelernten Tagelöhners in Afghanistan variiert zwischen 100 AFN und 400 AFN pro Tag (LIB, Kapitel 22).

Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (LIB, Kapitel 22).

Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst. Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes. Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne. Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (LIB, Kapitel 3).

Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (LIB, Kapitel 3). Das afghanische Arbeits- und Sozialministerium (MoLSAMD) bietet ad hoc Maßnahmen für einzelne Gruppen, wie zum Beispiel Familienangehörige von Märtyrern und Kriegsverwundete, oder Lebensmittelhilfe für von Dürre betroffene Personen, jedoch keine groß angelegten Programme zur Bekämpfung von Armut (LIB, Kapitel 22, Unterkapitel 22.1).

Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet (LIB, Kapitel 3).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 22).

Medizinische Versorgung

Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt. Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Eine medizinische Versorgung in rein staatlicher Verantwortung findet jedoch kaum bis gar nicht statt. Insbesondere im Zuge der Covid-19-Pandemie zeigten sich Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems, das bei Vorsorge (Schutzausstattung), Diagnose (Tests) sowie medizinischer Versorgung von Erkrankten akute Defizite aufweist. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden (LIB, Kapitel 23).

Zahlreiche Staatsbürger begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich. Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig. Berichten zufolge können Patienten in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar (LIB, Kapitel 23).

Es mangelt an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab - mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. WHO und USAID zählten zwischen Jänner und August 2020 30 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen (LIB, Kapitel 23).

Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an. Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken, unter anderem das staatliche Herat Regional Hospital. Allerdings wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland. In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken. Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patienten in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (LIB, Kapitel 23).

Mit Stand vom 21.09.2020 war die Zahl der COVID-19-Fälle in Afghanistan seit der höchsten Zahl der gemeldeten Fälle am 17.6.2020 kontinuierlich zurückgegangen, was zu einer Entspannung der Situation in den Krankenhäusern führte, wobei Krankenhäuser und Kliniken nach wie vor über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten berichten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19. Auch sind die Zahlen der mit COVID-19 Infizierten zuletzt wieder leicht angestiegen. In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult. UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist, wobei auch die Stigmatisierung die mit einer Infizierung einhergeht hierbei eine Rolle spielt. Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert. Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (LIB, Kapitel 3).

Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan hoch stigmatisiert. Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. Zwar sieht das Basic Package of Health Services (BPHS) psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vor, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig. Die WHO geht davon aus, dass in ganz Afghanistan im öffentlichen, wie auch privaten Sektor insgesamt 320 Spitäler existieren, an welche sich Personen mit psychischen Problemen wenden können. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. In folgenden Krankenhäusern kann man außerdem Therapien bei Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten: Mazar-e -Sharif Regional Hospital: Darwazi Balkh; in Herat das Regional Hospital und in Kabul das Karte Sae Mental Hospital. Wie bereits erwähnt gibt es ein privates psychiatrisches Krankenhaus in Kabul, aber keine spezialisierten privaten Krankenhäuser in Herat oder Mazar-e Sharif. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim Private Hospital) die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern. In Mazare-e Sharif existiert z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (LIB, Kapitel 23.1.).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB, Kapitel 18).

Hazara:

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten, auch bekannt als Jafari Schiiten. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch. Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, findet ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen. Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht. Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – halten an. In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (LIB, Kapitel 18.3.).

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB, Kapitel 17).

Schiiten:

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (LIB, Kapitel 17.1).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB, Kapitel 17.1.)

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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