TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/6 L502 2151208-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.04.2021
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Entscheidungsdatum

06.04.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L502 2151208-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.03.2017, FZ. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.03.2021 zu Recht erkannt:

A)

1. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I, II und III, erster Satz, als unbegründet abgewiesen.

2. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III, zweiter Satz, stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen XXXX gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

3. Gemäß § 55 Abs. 1 Z. 1 und 2 AsylG wird XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

4. Spruchpunkt III, dritter Satz, und Spruchpunkt IV des Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 30.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 01.06.2015 erfolgte die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. In der Folge wurde das Verfahren zugelassen.

3. Am 05.10.2016 wurde er beim Bundesamt für Fremdenswesen und Asyl (BFA) zu seinem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen.

Er brachte dabei mehrere Beweismittel in Vorlage, die in Kopie zum Akt genommen wurden. Die in arabischer Sprache vorgelegten Urkunden wurden samt einer Übersetzung in die deutsche Sprache vorgelegt.

4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine Frist von 4 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV).

5. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 07.03.2017 wurde ihm von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

6. Gegen den ihm durch Hinterlegung mit 08.03.2017 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner ehemaligen Vertretung vom 22.03.2017 fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde erhoben.

Unter einem wurden weitere Beweismittel vorgelegt.

7. Mit 27.03.2017 langte die Beschwerdevorlage des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.

8. Mit 10.01.2018 und 23.02.2018 langten beim BVwG Urkundenvorlagen über die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung zugunsten des BF sowie Teilnahmebestätigungen für Sprachkurse ein.

9. Am 16.01.2019, am 19.09.2019 und am 07.01.2020 langten weitere Urkundenvorlagen über die jeweilige Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen zugunsten des BF ein.

10. Am 18.08.2020 langte ein Sprachprüfungszeugnis des BF auf dem Niveau A1 in Kopie ein.

11. Am 01.03.2021 langte eine weitere Beweismittelvorlage seiner Rechtsberatung ein.

12. Das BVwG führte am 03.03.2021 eine mündliche Verhandlung in der Sache des BF in dessen Anwesenheit und der seiner Rechtsberaters durch.

Er legte im Zuge dessen weitere Beweismittel vor, die in Kopie zum Akt genommen wurden. Dabei wurden ihm auch Länderberichte zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht.

13. Mit Eingabe vom 12.03.2021 legte er eine Kopie eines Dienstvertrags vor.

14. Mit Eingabe vom 02.04.2021 legte er eine Kopie eines Zeugnisses über die Ablegung der Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 vor.

15. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus den Datenbanken der Grundversorgungsinformation, des AJ-Web, des Melde- sowie des Strafregisters.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Identität des BF steht fest. Er ist irakischer Staatsangehöriger und gehört der arabischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter.

Er wurde in der Provinz Al Anbar geboren, lebte vor der Ausreise aber mit seinen Angehörigen in Bagdad, wo er mit diesen im Stadtteil XXXX eine Mietwohnung bewohnte und ein Elektrofachgeschäft betrieb.

Im Irak leben in Bagdad ein Bruder und drei Schwestern des BF, zwei Brüder in Ramadi, zwei weitere in der Nähe von Arbil, zwei weitere Schwestern ebenso in Ramadi und eine in den VAE. Er ist zumindest mit einem der Brüder in Ramadi in Kontakt.

Er begann seine Reisebewegung im Oktober 2014 in Bagdad, von wo aus er gemeinsam mit seiner Gattin und der gemeinsamen Tochter auf dem Luftweg in die Türkei reiste. Von dort versuchte er vorerst gemeinsam mit seinen Angehörigen auf dem Seeweg nach Griechenlang überzusetzen. Nach einem ersten misslungenen Versuch gelang es ihm alleine nach Griechenland zu gelangen, während seine Angehörigen in der Türkei verblieben, wo sie sich bis dato aufhalten. Von Griechenland ausgehend reiste er über mehrere Länder bis ins österreichische Bundesgebiet, wo er im Gefolge seiner unrechtmäßigen Einreise am 30.05.2015 den gg. Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither aufhält.

1.2. Er bezog ab der Einreise bis 15.01.2018, von 01.05.2018 bis 01.10.2019 und von 08.09.2020 bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber.

Er ging von 27.07. bis 31.07.2017 und von 14.09. bis 30.09.2017 jeweils einer geringfügigen Beschäftigung als Gartenhelfer nach. Zu seinen Gunsten wurde für die Zeiträume von 09.01. bis 08.07.2018, von 16.01. bis 15.07.2019, von 20.09. bis 31.12.2019 und von 07.01. bis 06.06.2020 jeweils eine Beschäftigungsbewilligung als landwirtschaftliche Hilfskraft auf einem Pferdehof erteilt und ging er dieser Tätigkeit jeweils im Ausmaß von 30 bzw. 40 Wochenstunden nach. Beginnend mit 22.03.2021 ist er in einer Käserei als Hilfskraft in einer Vollzeitstellung unbefristet erwerbstätig und verdient damit EUR 1.500,- monatlich brutto.

Er besuchte mehrere Kurse für den Erwerb der deutschen Sprache, legte die Sprachprüfung auf dem Niveau A1 und die Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 erfolgreich ab und verfügt inzwischen über gute Deutschkenntnisse.

Er bewohnt seit Juli 2016 ein gemietetes altes Haus, dessen Erdgeschoß er selbst und dessen erstes Stockwerk ein Untermieter bewohnt.

Er ist in seinem sozialen Umfeld gut integriert und nimmt am lokalen Vereinsleben teil.

Er leidet an keinen gravierenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen und ist voll erwerbsfähig.

In Österreich lebt eine seit ca. 30 Jahren hier niedergelassene Schwester des BF mit ihrer Tochter. Zu diesen hat er regelmäßigen Kontakt.

Er ist bis dato in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Er hat den Irak nicht aufgrund individueller Verfolgung durch Angehörige einer schiitischen Miliz verlassen und ist im Falle einer Rückkehr in den Irak auch nicht der Gefahr einer Verfolgung durch diese ausgesetzt.

1.4. Er ist bei einer Rückkehr in den Irak auch nicht aus sonstigen individuellen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort einer maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt und findet dort eine hinreichende Existenzgrundlage vor.

1.5. Sicherheitslage in Al-Anbar

1.5.1. Al-Anbar ist die größte Provinz des Irak und macht rund ein Drittel des gesamten Staatsgebiets des Irak aus. Ungeachtet seiner Größe ist al-Anbar aufgrund seiner großen Wüstengebiete eine der am dünnsten besiedelten Regionen des Landes. Die Provinz umfasst sieben Bezirke: Ana, Falludscha, Haditha, Heet, al-Qa‘im, Ramadi und ar-Rutba. Hauptstadt von al-Anbar ist Ramadi. Al-Anbar grenzt an drei andere Länder, nämlich Syrien im Westen und Nordwesten, Jordanien im Westen und Saudi-Arabien im Südwesten.

Für 2019 schätzte die irakische CSO (Zentrale Statistikorganisation) die Bevölkerung der Provinz auf 1.818.318. Die Provinz wird überwiegend von sunnitischen Arabern bewohnt, ist aber auch Heimat für eine kleine christliche Minderheit. Das gesellschaftspolitische Gefüge von al-Anbar basiert seit jeher auf lokalen Hierarchien und verfügt über eine ausgeprägte Stammesstruktur, in der Stammesführer und sunnitische Geistliche in lokalen Angelegenheiten noch immer große Autorität genießen.

Verschiedene militärische Gruppen und Sicherheitsakteure sorgten für die Sicherheit in der Provinz al-Anbar; zu ihnen gehörten die ISF, die Polizei, lokale und externe Volksmobilisierungseinheiten (PMF) einschließlich schiitischer und sunnitischer Stammesmilizen. Einem Bericht von Al Monitor zufolge „ist in der Provinz al-Anbar eine Vielzahl von Kontrollpunkten verstreut, an denen unterschiedliche Sicherheitskräfte tätig sind. Diese behindern das Fortkommen und sorgen aufgrund der ineffektiven Kommunikation zwischen den diensthabenden Verantwortlichen für Verwirrung über ihre Zuständigkeiten. 2019 und auch 2020 wurden weiterhin gelegentliche Anschläge durch aufständische Gruppen einschließlich des IS auf Straßen und an Kontrollstellen in der Provinz al-Anbar gemeldet. Laut Angaben von iMMAP im Juni 2020 gab es Meldungen zu explosionsgefährlichen Stoffen auf Straßen in der Provinz al-Anbar in und um Rutbah, Falludscha, Ramadi, Heet und auf der Straße zwischen al-Qa‘im und dem Grenzübergang.

Zwei der drei offiziellen Grenzübergänge zwischen Irak und Syrien liegen in der Provinz al-Anbar, der Übergang al-Qa‘im-Bukamal und der Übergang Tanf-Walid weiter südlich, die Berichten vom März 2020 zufolge geschlossen blieben. Der Grenzübergang zwischen Irak und Syrien in al-Qa‘im

wurde von der irakischen Regierung am 30. September 2019 geöffnet und unterstand der Kontrolle durch die Grenzpolizei, auch wenn verschiedene PMU weiterhin Präsenz rund um den Hauptkontrollpunkt zeigten. Der Grenzübergang Turaybil-Karameh zu Jordanien sowie der Grenzübergang Arar zu Saudi-Arabien sind ebenfalls in der Provinz al-Anbar gelegen. Medienberichten zufolge war der Grenzübergang Turaybil-Karameh 2019 in Betrieb, während der Übergang Arar geschlossen blieb, seine Wiedereröffnung aber für Oktober 2020 geplant war. Der Grenzübergang Arar und die in seiner Nähe gelegene Stadt Al-Nukhaib wurden von PMU kontrolliert, darunter die irakischen Hisbollah-Brigaden, Al-Najaba, Khorasani und Imam Ali.

In einem Bericht des USDOS von 2020 heißt es: „Bei der Grenzsicherung bestand nach wie vor eine kritische Fähigkeitslücke, da die ISF nur über begrenzte Fähigkeiten verfügen, die Grenzen Iraks zu Syrien und Iran umfassend zu sichern.“ Die Grenze mit Syrien südlich der KRI blieb durchlässig und bot sich an für Aktivitäten des ISIL und anderer terroristischer Netzwerke sowie für Schmuggel und andere strafbare Aktivitäten. Von Iran unterstützte PMU erhielten ihre Präsenz an den größeren Grenzübergängen des Irak aufrecht. Berichten aus dem Jahr 2019 zufolge operierten Einheiten der Kataib Hisbollah entlang der Grenze und unterhielten Kontrollpunkte an der Grenzstraße (Fernstraße 20). Derselben Quelle zufolge kontrollierte Kataib Hisbollah auch den Einreisepunkt Husseibah und wurden die Grenzübergänge Akashat über einen Stützpunkt der Kataib Hisbollah am Flugfeld H-3 nahe Rutbah koordiniert.

In der Zeit vor dem ISIL fand rund ein Viertel der Bevölkerung der Provinz al-Anbar Beschäftigung in der Landwirtschaft. Gemäß dem Carnegie Endowment Report vom März 2020 hat die Kataib Hisbollah große Teile landwirtschaftlicher Flächen mit rund 1 600 landwirtschaftlichen Betrieben im Gebiet Masharii an der Südseite von al-Qa‘im in eine militärische Zone umgewandelt und allen örtlichen Bauern die Nutzung verboten. Mitglieder des Gemeinderats von al-Qa‘im haben sich über die wirtschaftlichen Verluste für die Gemeinschaft beschwert, zumal rund 40 % der örtlichen Bevölkerung ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft verdienen.

1.5.2. Hintergrund des Konflikts und bewaffnete Akteure in der Provinz

Im Zeitraum von kurz nach der 2003 unter Führung der USA erfolgten Invasion in Irak bis 2006 galt die Provinz al-Anbar als Zentrum einer anhaltenden sunnitischen Aufstandsbewegung gegen die US-Streitkräfte. Gegen Ende 2006 taten sich sunnitische Stämme in Ramadi zu einer Bewegung zusammen, der „al-Anbar Erwachungsbewegung“, die zum Partner der US-Streitkräfte im Kampf gegen Al-Qaida wurde und Mitte 2007 zur Niederlage der aufständischen Gruppe in Ramadi beitrug. Die Erwachungsbewegung verbreitete sich in der übrigen Provinz und anderen Teilen Iraks, woraufhin es zu einem Rückgang der Gewalt und einer Zeit vergleichsweiser Ruhe und Stabilität in al-Anbar kam.

Vor dem Hintergrund des Rückzugs der US-Streitkräfte aus Irak Ende 2011 begann sich der ISIL verstärkt in Ramadi, Falludscha und verschiedenen Städten in der Provinz al-Anbar zu zeigen. Im Dezember 2013 eskalierten nach der Verhaftung von Ahmed al-Alwani, einem Politiker aus al-Anbar, Zusammenstöße zwischen sunnitischen Stammesmilizen und der irakischen Armee. Am 1. Januar 2014 übernahm der ISIL die Kontrolle über die Städte der Provinz und verließen die ISF weitgehend fluchtartig ihre Stellungen. Ohne eine geeinte Opposition überrannte der ISIL Kontrollpunkte und Posten der Polizei überall in der Provinz al-Anbar und übernahm er die Kontrolle über große Teile der Provinz, darunter Rutba, al-Qa‘im, Heet und die Hauptstadt Ramadi. Operationen des US-Militärs wurden wieder aufgenommen nach dem Eindringen des ISIL in Mossul im Juni 2014, wobei US-Streitkräfte Ende 2014 in den Luftwaffenstützpunkt al-Asad in al-Anbar zurückkehrten.

Nach einer Reihe langwieriger Kämpfe mit Unterstützung durch das US-Militär zwischen Dezember 2015 und Juni 2016 eroberte die irakische Regierung Falludscha und Ramadi unter erheblicher Schwächung des ISIL zurück. Die Militäroffensive zur Rückeroberung von ISIL-Territorium wurde im November 2017 mit der Rückeroberung von Rawa abgeschlossen, der letzten vom ISIL kontrollierten Stadt.

Die Herrschaft des ISIL und seine militärischen Operationen zur Wiedergewinnung der Kontrolle über al-Anbar hinterließen von Zivilpersonen bewohnte Gebiete mit „weitgehender Zerstörung öffentlichen und privaten Eigentums“ zurück und lösten mehrere Wellen von Massenvertreibung aus.268 Fast eine halbe Million Menschen floh zwischen Januar und Mai 2014 vor dem Vorrücken des ISIL, und eine zweite Vertreibungswelle entstand 2015/2016 aufgrund der militärischen Kampagne zur Rückeroberung von Gebieten vom ISIL. Bis Juni 2020 kehrten mehr als 1,5 Millionen Menschen in die Provinz al-Anbar zurück, in der es nach Angaben der IOM zu Spannungen zwischen denen kam, die während des ursprünglichen Vorrückens des ISIL geflohen waren, und denen, die anfänglich dageblieben waren und erst später flohen.

Bis November 2018 wurden in der Provinz al-Anbar 24 weitere Massengräber entdeckt, von denen viele die sterblichen Überreste von Zivilisten und Angehörigen der ISF enthielten. Im Dezember 2019 wurde ein Massengrab in der Nähe der Stadt Falludscha mit den Leichnamen von 643 sunnitischen arabischen Zivilpersonen entdeckt, die vermutlich dem Stamm der Al Muhamdah angehörten und 2016 verschwanden, nachdem ihre Gebiete von schiitischen Milizen übernommen worden waren, die unter der Flagge der PMU kämpften. Berichten zufolge wurde von den irakischen Behörden eine Untersuchung eingeleitet.

Irakische Sicherheitskräfte (ISF) und mit ihnen verbundene Gruppen

Die ISF tragen über die regionalen Einsatzkommandos die Gesamtverantwortung für die Sicherheit in der Provinz. Laut einem ISW-Bericht von 2017 über die irakische Gefechtsgliederung sollen Berichten zufolge regionale Einsatzkommandos in Irak als Hauptquartiere auf regionaler Ebene fungieren und in einem bestimmten Zuständigkeitsgebiet für das Kommando und die Aufsicht über verschiedene ISF-Einheiten verantwortlich sein. Die Provinz al-Anbar war aufgeteilt zwischen dem Einsatzkommando al-Anbar (Anbar Operations Command, AOC), zuständig für Ramadi und Falludscha und die sie umgebenden Wüstengebiete, und dem Einsatzkommando Jazeera und Badia (Jazeera and Badia Operations Command, JBOC), zuständig für den größten Teil der Provinz al-Anbar westlich von Ramadi, einschließlich des westlichen Euphrat-Tals, des westlichsten Bezirks Rutba, der Fernstraße zwischen Amman und Bagdad und eines Großteils der Jazeera- und Badia-Wüsten. Das JBOC war Berichten zufolge unterbesetzt und daher in hohem Maße von der Unterstützung der Kämpfer des lokalen Stammes der Jughaifi abhängig, die den Bezirk Haditha beanspruchen. Neben dem AOC und dem JBOC haben die ISF weitere Einsatzkommando-Einheiten aus dem ganzen Land in al-Anbar stationiert.

Einige Teile der Provinz al-Anbar, insbesondere entlang der syrischen und iranischen Grenze mit großen Wüstengebieten, gelten jedoch als „schwer kontrollierbar“ Die ISF bestehen in erster Linie aus Einheiten der Armee, der Bundespolizei280 und der mobilen Abteilung für Notfallmaßnahmen. Nach Medienberichten von 2018/2019 gab es Pläne, die Kontrolle der Sicherheit schrittweise von den ISF auf die lokale und föderale Polizei zu übertragen, auch in der Provinz al-Anbar.282 Es sollten Berichten zufolge Grenzschutzeinheiten in der Provinz al-Anbar an den Grenzübergängen zu Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien eingesetzt werden.

Streitkräfte der Vereinigten Staaten (USA) und internationale Streitkräfte

Im März 2020 sollen Berichten zufolge US-Streitkräfte weiterhin zwei Militärstützpunkte in der Provinz al-Anbar in der Nähe der irakisch-syrischen Grenze betrieben haben, einen in Tanf-Walid im Bezirk ar-Rutbah und den anderen in Ain al-Asad in der Nähe des Bezirks Baghdadi. Ferner waren US-Streitkräfte früher, während des Feldzugs gegen den ISIL, nahe des alten Bahnhofs in al-Qa‘im stationiert, wurden aber seit Mitte März 2020 auf einen anderen Stützpunkt in Kirkuk verlegt. Der Stützpunkt al-Qa‘im wurde Ende März 2020 von den ISF übernommen.

Volksmobilisierungseinheiten (PMU)

Viele der Regierung zugehörige PMU sowie Milizen mit engeren Verbindungen zu Iran sind nahe al-Qa‘im in der Nähe der syrisch-irakischen Grenze aktiv. Laut dem Bericht 2019 von Michael Knights wird der Unterabschnitt Akashat von den Brigaden Allah al-Tawfiya (PMU-Brigade 19), Liwa al-Tafuf (PMU-Brigade 13) und Saraya Talia al-Khurasani (PMU-Brigade 18) mit Beschlag belegt. Der Unterabschnitt Husseibah/al-Qa‘im wurde im Wesentlichen von Liwa al-Tafuf (PMU-Brigade 13) mit Beschlag belegt. Der Kommandeur von Liwa al-Tafuf, Qasim Muslih, stand auch an der Spitze der PMU Western Anbar Axis, der Sektor-Hauptquartier für alle PMU-Operationen entlang der Grenze und in Rutbah war. Liwa al-Tafuf und Kataib Hisbollah kontrollierten gemeinsam alle Schmuggel- und Handelsaktivitäten über die Grenze.

Michael Knights berichtete ferner, dass das Euphrat-Tal, das sich hinunter zum östlichen Teil der Provinz al-Anbar erstreckt, überwiegend unter der Kontrolle von ISF und Liwa al-Muntadher (PMU-Brigade 7) und Kataib Ansar al-Hujja (PMU-Brigade 29) stand. 2019 berichtete die gleiche Quelle, dass sich am östlichen Ende dieses Gebiets der über den Euphrat führende Grenzübergang Husseibah befindet, und zwar gegenüber den Albu Kamal-Gebieten in Syrien, wo PMU wie Kataib Hisbollah (PMU-Brigade 45), Kataib Al-Imam Ali (PMU-Brigade 40) und Harakat al-Abdal (PMU-Brigade 39) Kampftruppen unterhielten. Kataib Hisbollah (PMU-Brigade 45) kontrollierte die Straße zwischen al-Qa‘im und Akashat in Richtung Südwesten. Qassim Musleh ist der Anführer der PMU für den westlichen Teil von al-Anbar und damit der Kataib Hisbollah-Brigaden. Einige Einheiten der Kataib Hisbollah sind formell in die von der Regierung bezahlten PMU eingegliedert worden, doch stehen die meisten Einheiten nicht unter staatlicher Kontrolle.

In Berichten heißt es, dass die Vielzahl der Sicherheitsakteure und hier vor allem der im Westen der Provinz al-Anbar operierenden PMU sich häufig untereinander nicht abspricht, dass es „zu Verwirrung kommt“, sie keine einheitliche Sicherheitsstrategie verfolgen und somit bei der örtlichen Bevölkerung Bedenken und Misstrauen hervorrufen. Medienberichten zufolge „war lange Zeit nur schwer zu bestimmen, über welche Präsenz, welche Mannstärke und welchen relativen Einfluss die verschiedenen Sicherheitskräfte verfügen, und zwar sowohl die der Zentralregierung unterstehenden als auch die anderen Akteuren unterstehenden“, und weiter: „Angehörige der Zivilbevölkerung haben sich bei Al-Monitor bei mehreren Besuchen in dem Gebiet nach dessen Befreiung von der Herrschaft des Islamischen Staats im November 2017 wiederholt über die verwirrende Vielfalt von Sicherheitskräften beschwert, von denen einige keinerlei Abzeichen, wohl aber Waffen tragen.“

Sunnitische Stammesmilizen

Sunnitische Stammesstreitkräfte wurden seit 2014 im Rahmen des Kampfes gegen den ISIS in Irak mobilisiert und in die PMU integriert. Die Initiative wurde teilweise von den USA gefördert, und die Streitkräfte sind unter dem Namen Tribal Mobilization Force (TMF) oder Stammes-haschd in den Provinzen al-Anbar und Ninawa bekannt, denen zufolge Stammesstreitkräfte nach einer Rückeroberung von Gebieten vom ISIL dort die Rolle lokaler „Sicherungs“-Streitkräfte spielen sollten.

Nach Angaben des Anführers der Stammesstreitkräfte in der Provinz al-Anbar, Scheich Qatari Samarmad al-Obeidi, waren dort im Juni 2019 schätzungsweise 10 000 besoldete Mitglieder der TMF stationiert. Ferner waren ungefähr 7 500 Kämpfer im Osten der Provinz al-Anbar registriert, darunter in Ramadi und Falludscha, während 2 500 Kämpfer in den westlichen Bezirken der Provinz wie Heet, Haditha und al-Qa‘im stationiert waren. Eine der größeren dieser Gruppen soll Berichten zufolge die Hamza-Brigade unter der Führung von Rabah al-Mahallawi sein, bestehend aus Angehörigen des Stammes der Bou Mahal, die nahe Husseibah eingesetzt wurden. Die andere ist die Upper Euphrates Brigade, die mit dem Stamm Karbuli verbunden ist und von Musa al-Karbuli und Assif Ibrahim al-Karbuli angeführt wird. Berichten zufolge soll die Brigade in Karabla und in der Nähe des Akkas-Erdgasfelds eingesetzt worden sein.

Nach Angaben des Anführers der Stammesstreitkräfte in al-Anbar, Scheich Qatari Samarmad al-Obeidi, hatten bis Juni 2019 weitere 4 000 Kämpfer in der Provinz al-Anbar zuvor eine militärische Ausbildung erhalten und waren im Besitz einer behördlichen Anordnung, die sie als offizielle Kämpfer bezeichnete, doch gehörten sie nicht zu den offiziellen TMF und erhielten auch keinen Sold. Diese Kämpfer sollten in die TMF aufgenommen werden und einen Sold von der irakischen Regierung erhalten.

ISIL

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen führte im Februar 2020 aus: „Zwar hat das Gesamtausmaß der Gewalt im Zusammenhang mit dem ISIL abgenommen, doch stellt die Gruppe nach wie vor eine erhebliche Bedrohung dar und hat sie sich in ihrer Taktik auf Aufstände mit weiterhin in verschiedenen Teilen des Landes verübten Anschlägen verlegt.“ Leerräume in der Sicherheit, hervorgerufen durch den Einsatz von ISF bei Protesten gegen die Regierung, den COVID-19-Lockdown sowie den Abzug eines Großteils der US-Streitkräfte aus Irak wurden vom ISIL Berichten zufolge ausgenutzt, um an Stärke zu gewinnen und sich in Teilen des Irak, darunter die Provinz al-Anbar, neu zusammenzufinden. Berichten zufolge verübt der ISIL weiterhin in entlegenen Gebieten Iraks Anschläge auf offizielle Kontrollpunkte, Infrastruktur und Amtsträger. Der verstorbene Husham al-Hashimi, ein führender irakischer Sicherheitsanalyst, bezeichnete die Operationen des ISIL in der ersten Jahreshälfte 2020 als „Mordkampagne“. Das Stockholmer Internationale Institut für Friedensforschung berichtet im Juni 2020, die geografische Ausdehnung und die Aktivitäten des ISIL hätten sich seit Ende Dezember 2018 in den Provinzen al-Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninawa und Salah al-Din fast verdoppelt. Nach Ansicht der ICG sind die Anschläge der militanten Gruppe im Frühjahr 2020 „nachdrücklicher“ geworden und haben sich im Wesentlichen auf einen ländlichen Streifen quer durch das Zentrum und den Norden Iraks, auf die Provinzen Kirkuk, Salah al-Din und Diyala sowie auf den westlichen Rand der Provinz al-Anbar entlang der Grenze zu Jordanien und Saudi-Arabien erstreckt.

Nach Ansicht von Husham al-Hashimi verfügte per Dezember 2019 der ISIL über rund 350 bis 400 aktive Kämpfer, die von 400 inaktiven Kämpfern oder „Schläferzellen“ unterstützt wurden, die sich hauptsächlich um die Logistik in ihren jeweiligen „Sektoren“, darunter dem „Sektor“ al-Anbar kümmerten. Kleine Patrouillen von neun bis elf Männern waren an verschiedenen Orten tätig und führten Anschläge durch. Laut ICG sind viele dieser aktiven ISIL-Kämpfer Iraker und leben in ihrem jeweiligen Einsatzgebiet, doch waren nach Schätzungen von Husham al-Hashimi die meisten der übrigen 200 bis 300 ausländischen Kämpfer in Irak in al-Anbar stationiert. Die ISIL-Kämpfer konnten sich die abgelegenen Wüstengebiete von al-Anbar zu Nutze machen, die nur schwer zu kontrollieren sind.317 Die ISIL-Kämpfer nutzten vergrabene Container als unterirdische Stützpunkte; einige von ihnen durchquerten große Flächen als Hirten verkleidet.

Knights und Almeida stellten im Mai 2020 fest, der ISIL unterhalte aktive Anschlagszellen in folgenden Gebieten der Provinz al-Anbar: Akashat; Grenzbereich al-Qa‘im/Abu Kamal; Wadi Horan/Rutbah; Nukhayb; Korridor Rawah-Anah-Haditha; Hit; Ramadi und Razazah-See; Karmah und südliches Thar und Falludscha/Amiriyat al-Fallujah.

1.5.3. Neueste Sicherheitstrends und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung

In einer Eskalation der Feindseligkeiten zwischen den USA und Iran wurde zwischen Dezember 2019 und Januar 2020 eine Reihe von Anschlägen in Irak verübt, darunter auch in der Provinz al-Anbar. Am 29. Dezember 2019 flog das US-Militär Luftangriffe auf fünf Stellungen der Kataib Hisbollah nahe der irakisch-syrischen Grenze (drei in der Provinz al-Anbar und zwei in Syrien), bei denen mehr als 25 PMU-Kämpfer getötet und Dutzende verletzt wurden. Dieser Angriff ließ die Spannungen zwischen den USA und von Iran unterstützten Gruppen und der irakischen Regierung weiter eskalieren und führte zu einem Anschlag von den PMU nahestehenden Demonstranten auf die US-Botschaft in Bagdad am 31. Dezember 2019. Als Reaktion befahl die US-Administration am 3. Januar 2020 einen Drohnenangriff, bei dem der Kommandant der Kataib Hisbollah, Abu Mahdi al-Muhandis, und der iranische Generalmajor Qassem Soleimani, Anführer der IRGC’s Quds Force, auf dem Baghdad International Airport getötet wurden. Am 7. Januar 2020 wurden in einem Vergeltungsschlag 22 iranische ballistische Raketen auf US-Truppen im Stützpunkt Ain al-Asad im Westen von al-Anbar und auf einen Stützpunkt in der Nähe von Erbil abgefeuert, in dem ebenfalls US-Truppen stationiert waren; hierbei wurden 34 Angehörige der US-Truppen verletzt und entstand erheblicher Sachschaden am Stützpunkt Ain al-Assad. In der Folge bemühten sich beide Seiten um eine Deeskalation der Krise.

In mehreren aufeinander folgenden Berichten des UN-Sicherheitsrats aus 2019 und der ersten Jahreshälfte 2020 hieß es, Überbleibsel des ISIL verübten häufig asymmetrische Anschläge auf die Bevölkerung und die Sicherheitskräfte des Irak, insbesondere in den Provinzen al-Anbar, Bagdad, Diyala, Erbil, Kirkuk, Ninawa und Salah al-Din. Einer Analyse von Knights und Almeida vom Mai 2020 ist zu entnehmen, dass es von allen beobachteten Provinzen in den Jahren 2018 und 2019 in der Provinz al-Anbar die wenigsten Anschläge gab, nämlich im Durchschnitt 7,0 ISIL-Anschläge pro Monat in 2018 und 8,7 pro Monat in 2019. Nach April 2019 jedoch gab es in al-Anbar erneut versuchte Anschläge auf Menschenmengen, darunter auf Städte wie Ramadi und Hit, sowie eine zunehmende Einschüchterung von Stämmen in ländlichen Gegenden mit Terrortaktik wie versuchte Selbstmordbombenattentate gegen Märkte, Moscheen und Hirten. Größere und relativ neu aussehende Waffenverstecke wurden im Korridor Hit - Ramadi gefunden, also in Reichweite von Hit, Ramadi, Falludscha und Bagdad.

Laut einer Analyse von Joel Wing von Musings of Iraq war der ISIL während des ganzen Jahres 2019 überwiegend damit beschäftigt, Kämpfer und Material von Syrien über die Provinzen al-Anbar und Ninawa nach Irak zu verlegen.

Im ersten Quartal 2020 schoss die Zahl der durchschnittlichen monatlichen Anschläge in al-Anbar auf 27,6 in die Höhe; das ist das Dreifache des Durchschnitts von 2019. Bombenattentate auf der Straße kamen zunehmend zum Einsatz, meist gegen nicht gepanzerte zivile Fahrzeuge der PMU auf den Wüstenfernstraßen zwischen Qaim und Rutbah, die von der Hochebene des Wadi Horan aus angegriffen wurden. Für den gleichen Zeitraum wurden in größerem Umfang taktische Operationen von Zügen mit 30 oder mehr mit Panzerfäusten und Mörsern bewaffneten Männern sowie Anschläge von Heckenschützen gegen mukhtars in den Dörfern gemeldet.

Gemäß einer Analyse von Joel Wing von Musings on Iraq startete der ISIL im gesamten Irak eine „Frühjahrskampagne“, da es in den Monaten April und Mai 2020 zu einem spürbaren Anstieg der Gewalt kam, die im Juni 2020 dann wieder weitgehend abnahm. Die Provinz al-Anbar meldete zehn Vorfälle im April, 17 Vorfälle im Mai und vier Vorfälle im Juni 2020, was einen seltenen Höhepunkt bei Sicherheitsvorfällen in der Provinz bedeutet und ein Hinweis darauf ist, dass „al-Anbar nicht mehr wie früher ein Zentrum des Aufstands ist“.

Berichten zufolge wurden 2019 und 2020 im Kampf gegen den ISIL in der Provinz al-Anbar und vor allem im Westen der Provinz weiterhin Suchaktionen und militärische Einsätze unterschiedlichen Ausmaßes durchgeführt. Im Februar 2020 starteten die ISF aufgrund des seit kurzem festzustellenden Aufwärtstrends bei aufständischen Aktivitäten wie Bombenanschläge, Überfälle aus dem Hinterhalt, Entführungen, Erpressung und Brandstiftung einen größeren Einsatz („Heroes of Iraq“) gegen Schläferzellen des ISIL in Gebieten der Provinz al-Anbar, die an Syrien und Jordanien grenzen. An der Operation waren mehrere Abteilungen der ISF beteiligt, darunter Grenzschutzeinheiten, das Einsatzkommando al-Anbar, das Einsatzkommando Bagdad und das Einsatzkommando Al-Jazeera, mit Unterstützung durch die irakische Luftwaffe. Im Mai 2020 lief eine weitere größere militärische Operation („Desert Lions Operation“) an, mit der Gebiete von Überbleibseln des ISIL befreit werden sollten, und in deren Mittelpunkt der Norden der Provinz al-Anbar, der Süden der Provinz Ninawa und der Westen der Provinz Salah al-Din standen. Im Juni 2020 gab es in der Provinz al-Anbar insgesamt zehn Suchaktionen, „in deren Mittelpunkt stand, Bewegungen des IS über die syrische Grenze und die Provinz in andere Teile Iraks zu unterbinden.“ Berichten zufolge haben gegen den ISIL gerichtete Operationen nur begrenzte Wirkung im Sinne einer Vertreibung des ISIL aus der Provinz al-Anbar.

Einige Beispiele für Sicherheitsvorfälle

•        Am 11. Januar 2019 explodierte eine Autobombe auf einem Markt in al-Qa‘im, tötete zwei Zivilpersonen und verletzte 25 weitere.

•        Zwischen Januar und März 2019 haben ISIL-Kämpfer „irakische Trüffelsucher gekidnappt und in einigen Fällen hingerichtet, meist in den Wüsten im Westen der Provinz al-Anbar. Die ISF bestätigten die Entführung von 44 Trüffelsuchern in diesem Jahr; vermutlich gab es aber noch mehr nicht gemeldete Fälle.“ Die ISF bestätigten die Entführung von 44 Trüffelsuchern im ersten Quartal 2019, vermutlich gab es aber noch mehr nicht gemeldete Fälle. Am 13. März 2019 tötete ein Angehöriger des ISIL einen Einwohner, der beim Sammeln von Löwentrüffeln in der Wüste gekidnappt worden war. Am 15. Februar 2019 wurden acht Zivilpersonen beim Sammeln von Trüffeln bei zwei voneinander unabhängigen Vorfällen verschleppt. Fünf Personen wurden im Bezirk Rawa und drei im Bezirk Haditha im Westen der Provinz al-Anbar verschleppt. Am 28. Januar 2019 töteten ISIL-Kämpfer zwei irakische Bauern bei der Suche nach Löwentrüffeln und entführten einen weiteren im Bezirk Haditha.

•        Am 6. Mai 2019 zündeten nicht identifizierte Täter offensichtlich als Vergeltung eine Bombe in einem der Familie eines ISIL-Angehörigen gehörenden Haus im Zentrum der Stadt Heet in der Provinz al-Anbar.

•        Am 29. August 2019 erschossen nicht identifizierte Killer vier irakische Soldaten und verwundeten sieben weitere an einem Kontrollpunkt des Militärs in der Provinz al-Anbar.

•        Im Januar 2020 kam bei einer vom ISIL in der Grenzstadt Al-Nukhaib, rund 20 km von der Grenze zu Saudi-Arabien entfernt, herbeigeführten Explosion einer Autobombe ein irakischer Offizier ums Leben und wurden fünf weitere verletzt.

•        Anfang Februar 2020 wehrten PMU innerhalb einer Woche zwei Anschläge von ISIL-Kämpfern auf von PMU bemannte Kontrollposten im Westen der Provinz al-Anbar ab.

•        Am 21. März 2020 kamen zwei irakische Soldaten bei einem doppelten Bombenattentat in der Stadt Rutba im Westen der Provinz al-Anbar ums Leben. Zwar übernahm keine Gruppe die Verantwortung für diesen Anschlag, doch werden derartige Anschläge in dem Gebiet Berichten zufolge gemeinhin von ISIL-Kämpfern verübt.

•        Am 5. April 2020 kamen vier irakische Soldaten bei einem ISIL-Anschlag auf einen Kontrollpunkt westlich der Stadt Rutba im Westen der Provinz al-Anbar ums Leben.

•        Am 25. Juli 2020 kam bei der Explosion einer Motorradbombe in der Nähe von Kubaisa in der Provinz al-Anbar ein Soldat ums Leben und wurde ein weiterer verletzt.

Zahl der zivilen Opfer

Die nachstehende Tabelle gibt Auskunft über mit bewaffneten Konflikten zusammenhängende Vorfälle und zivile Opfer in der Provinz, die von der UNAMI für den Zeitraum 1. Januar 2019 - 31. Juli 2020 erfasst wurden.

Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle

Im Referenzzeitraum verzeichnete ACLED 124 Kämpfe, 100 Vorfälle von ferngesteuerter Gewalt/Explosionen, 16 Fälle von Gewalt gegen Zivilpersonen, 0 Unruhen; das sind insgesamt 240 sicherheitsrelevante Vorfälle dieser Arten in der Provinz al-Anbar, meist im Bezirk Ar-Rutba. Ferner wurden für den Referenzzeitraum 16 Demonstrationen in der Provinz al-Anbar gemeldet.

Fähigkeit des Staates zur Sicherung von Recht und Ordnung

In einem Medienartikel von 2018 hieß es, der Staat verfüge in der Provinz al-Anbar nur über geringe Autorität, „weil angesichts der Vielzahl von Streitkräften in Irak der Gouverneur der Provinz [al-Anbar] sich beklagte, er verfüge gar nicht über die Macht, einige Angelegenheiten in seiner eigenen Provinz zu untersuchen.“ Insbesondere in al-Qa‘im unterstanden in Anbetracht der in Berichten immer wieder erwähnten Präsenz einer Vielzahl lokaler und nicht lokaler PMU nicht alle Milizen der irakischen Zentralregierung und waren ihr gegenüber nicht rechenschaftspflichtig und gingen einige sogar völlig unabhängig von der irakischen Regierung vor. Darüber hinaus gefährdete der bereits genannte Mangel an Koordinierung zwischen verschiedenen Sicherheitsakteuren das Funktionieren eines Sicherheitssystems. In einem Bericht des Carnegie Middle East Centre über die Vielzahl von in al-Qa‘im stationierten Streitkräften hieß es: „Aufgrund der durch die Anwesenheit von Milizen verursachten Spannungen und der Schwäche der offiziellen Sicherheitskräfte ist es schwierig geworden, Städte an der Grenze in vollem Umfang zu sichern und Ressourcen in den Wiederaufbau und in eine langfristige Stabilisierung zu lenken.“

Berichten zufolge ärgerten sich die meisten sunnitischen arabischen Einwohner über die anhaltende Dominanz der vorherrschend schiitischen PMU, die nach wie vor große Bereiche in al-Anbar kontrollierten und dort patrouillierten. Die PMU begingen in der Provinz al-Anbar während der militärischen Operationen gegen den ISIL 2016 und 2017 ausgedehnte und massive Menschenrechtsverletzungen, darunter außergerichtliche Hinrichtungen und andere ungesetzliche Tötungen. Da nach Ansicht von Michael Knights die örtliche Bevölkerung den Sicherheitskräften nicht vertraut und Angst vor ihnen hat, sind viele Einwohner nicht bereit, mit diesen Sicherheitsakteuren zusammenzuarbeiten. Der oberste sheikh eines der größten Stämme in dem Gebiet, Scheich Rabah al-Karbouly, sagt hierzu: „Die örtliche Bevölkerung ist noch immer unzufrieden wegen angeblicher Beschlagnahmen von Land in dem Gebiet durch die PMU, wegen des Machtverhältnisses zwischen ihnen und anderen irakischen Sicherheitskräften bei der Bemannung von Kontrollpunkten und wegen des anhaltenden Schmuggels.“ Zivilpersonen beklagten sich in Medien „über die verwirrende Vielfalt von Sicherheitskräften, von denen einige keinerlei Abzeichen, wohl aber Waffen tragen.“ Des Weiteren heißt es von dem vielfältigen Spektrum von PMU, dass sie ihren eigenen Interessen Vorrang einräumen und sich nicht um die Förderung der Rückkehr von Flüchtlingen oder um den Wiederaufbau kümmern und damit die Bedürfnisse der örtlichen Bevölkerung ignorieren.

Nach Ansicht von Beobachtern waren PMU-Gruppierungen mit Sicherheitsfunktionen in kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel, räuberische Erpressung und illegale Steuererhebung verwickelt und gefährdeten damit Existenzgrundlagen und wirtschaftliche Entwicklung. Insbesondere in al-Qa‘im haben Milizen der örtlichen Wirtschaft geschadet, indem sie das Monopol auf Schwarzmarktaktivitäten erhoben, hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Schmuggel von Kraftstoff und anderen Waren aus Syrien über die Grenze, und zwar Berichten zufolge sowohl vor als auch nach der offiziellen Wiedereröffnung des Grenzübergangs am 1. Oktober 2019. Ein Angehöriger eines irakischen Sicherheitsorgans wurde in dem Bericht des Carnegie Middle East Centre mit den Worten zitiert, „dass staatliche Institutionen nicht wirksam Gebiete überwachen konnten, die durch von den IRGC unterstützte Milizen im grenznahen Gebiet bei al-Qa‘im kontrolliert wurden“. Des Weiteren sollen einem Bericht des Carnegie Middle East Center vom März 2020 zufolge die meisten Milizen und sogar einige Angehörige von Sicherheitskräften unmittelbar an Erpressungen beteiligt gewesen sein. So heißt es dort beispielsweise: „Einwohner berichteten, einige Stammeskämpfer, die nunmehr des früheren Schutzes durch das US-Militär oder die irakische Regierung verlustig gegangen sind, hätten dieses Minus durch regelmäßige Erpressung von Unternehmern und Ladenbesitzern wettmachen wollen“.

Schäden an der Infrastruktur und explosive Kampfmittelrückstände

Laut einer Studie aus dem Jahr 2018, die die irakische Regierung zusammen mit der Weltbank durchgeführt hat, gehört al-Anbar zu den Provinzen mit hohen konfliktbedingten Schäden an kritischer Infrastruktur. Dabei handelt es sich insbesondere um Schäden an Wohngebäuden, in der Landwirtschaft, an wesentlichen kommunalen Diensten sowie in den produktiven Sektoren Industrie und Handel. Von den in den sieben am stärksten vom Konflikt betroffenen irakischen Provinzen entfallen bei den Schäden an Wohngebäuden 19 % auf die Provinz al-Anbar. Insgesamt wurden während des Konflikts mit dem ISIL in der Provinz al-Anbar 29 000 Häuser völlig zerstört. Die öffentliche Stromversorgung ist als Ergebnis des Konflikts „erheblich zurückgegangen“. So ergab beispielsweise in der Stadt Falludscha in der Provinz al-Anbar „eine Analyse der Schäden am öffentlichen Stromnetz, dass 85 % der öffentlichen Elektrizitätsinfrastruktur der Stadt während der Besetzung durch den ISIL Schaden erlitten hatten.“ Nach Ansicht der Weltbank gab es aufgrund des Konflikts und der daraus resultierenden Vertreibung der Bevölkerung, von Plünderung und Diebstahl und von Todesfällen einen erheblichen Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge. In der Schadens- und Bedarfsanalyse (DNA) war jedoch von einigen Verbesserungen in einigen wenigen landwirtschaftlichen Untersektoren per September 2017 die Rede, insbesondere durch Reparaturen an der Wasserinfrastruktur entlang des Euphrat. Analysen zufolge galt die Provinz al-Anbar als bei Weitem am härtesten getroffen, was Schäden in den Produktivsektoren Industrie und Handel angeht, einschließlich schwerer Beschädigungen von Phosphat- und Betonfabriken, deren Wiederaufbaukosten sich Schätzungen zufolge auf 3,3 Trillionen IQD belaufen sollen.

2019 und 2020 wurden in der Provinz al-Anbar weiter Wiederaufbau- und Modernisierungsvorhaben durchgeführt; dabei wurden fast 19 991 Häuser fertiggestellt und waren 5 726 entweder in der Planung oder im Bau, derweilen noch nach Finanzmitteln für 2 200 Häuser gesucht wurde, wie der Shelter Cluster Iraq am 5. August 2020 feststellte. Amnesty International wusste hingegen zu berichten, dass während des gesamten Jahres 2019 der Wiederaufbau in vom Konflikt schwer betroffenen Provinzen, darunter al-Anbar, weiterhin nur schleppend verlief.

Berichten zufolge stellt die Kontamination mit Sprengkörpern ein Hindernis für die sichere Rückkehr von Binnenvertriebenen sowie für humanitäre Aktivitäten in mehr als einem Drittel der Bezirke dar, die in den Provinzen al-Anbar, Bagdad, Kirkuk, Ninawa und Salah al-Din vom Humanitarian Country Team in Irak geprüft wurden.

Vertreibung und Rückkehr

Per 30. Juni 2020 stammten 10 % aller Binnenvertriebenen in Irak aus der Provinz al-Anbar, meist aus den Bezirken Ramadi (67 266), Falludscha (48 594) und al-Qa‘im (11 956). Gleichzeitig hat die Provinz al-Anbar insgesamt 36 162 Binnenvertriebene aufgenommen; das ist die achthöchste Zahl von Binnenvertriebenen in allen 18 Provinzen mit Vertriebenen. 74 % der Binnenvertriebenen in al-Anbar wurden innerhalb der Provinz vertrieben, während 24 % aus der Provinz Babil stammen. Der gleichen Quelle zufolge leben 44 % der Binnenvertriebenen in der Provinz al-Anbar in „prekären Unterkünften“, womit al-Anbar die Provinz mit dem höchsten Anteil von in „prekären Unterkünften“ lebenden Binnenvertriebenen in Irak ist. Während des Jahres 2019 wurden Berichten zufolge zahlreiche Binnenvertriebene in die Sekundärvertreibung gedrängt, aufgrund „erzwungener und verfrühter Rückkehr und erzwungenen oder durch Nötigung erreichten Verlassens von Lagern und informellen Siedlungen in den Provinzen Ninawa, Salah Al-Din, al-Anbar, Kirkuk und Diyala.“

Es kehren mehr Menschen nach al-Anbar zurück als von dort vertrieben werden, weshalb die Provinz al-Anbar weiterhin die zweithöchste Zahl von Rückkehrern verzeichnet, und zwar insgesamt 1 503 468 Rückkehrer per 30. Juni 2020. Die drei Bezirke mit den meisten Rückkehrern sind Ramadi (593 250), Falludscha (552 138) und Heet (176 034).387 Nach Auffassung der IOM hat die Provinz al-Anbar die drittgrößte Zahl von Rückkehrern zu verzeichnen (122 256 Menschen), die unter „schwierigen Bedingungen“ leben (ein Hinweis auf Mangel an Existenzgrundlage, Diensten, sozialem Zusammenhalt und Sicherheit). In Gebieten mit Rückkehrern, darunter in al-Anbar, bleiben die Beschäftigungsmöglichkeiten beschränkt und die Lebensmittelunsicherheit hoch. Analysen zufolge leiden 35 637 Rückkehrer in der Provinz al-Anbar unter Lebensmittelunsicherheit; das ist unter den Provinzen in Irak die dritthöchste Zahl. Laut Angaben der IOM gibt es zwei Gebiete in der Provinz al-Anbar, in denen es seit April 2020 keine Rückkehrer gab, hauptsächlich aufgrund von mangelnder Sicherheit und verbotener Rückkehr.

(Quelle: Security Situation Iraq – Country of Origin Information Report; EASO, Oktober 2020)

1.6. Sicherheitslage in Bagdad

1.6.1. Bagdad, die Hauptstadt des Irak, ist in der Provinz Bagdad gelegen. Bagdad liegt im Tigris-Tal im Zentrum des Irak und ist die flächenmäßig kleinste Provinz (4 555 km2). Sie ist das wirtschaftliche Drehkreuz des Landes; in ihr befindet sich die massiv geschützte Grüne Zone, „in der die US-Botschaft und Büros der irakischen Regierung untergebracht sind“.

Die Stadt Bagdad umfasst die folgenden Bezirke: Adhamiya, al-Karch, Karrada, al-Kazimiyya, Mansour, Sadr City, al-Rashid, Rusafa und 9 Nisan („Neu-Bagdad“). Das übrige Gebiet der Provinz Bagdad umfasst die Bezirke al-Madain, Tadschi, al-Tarmia, Mahmudiyah und Abu Ghuraib. Das Gebiet rund um die Hauptstadt bis zu den Grenzen mit Diyala, al-Anbar, Salah al-Din und Babil wird als „Bagdad-Gürtel“ bezeichnet.

Für 2019 schätzte die irakische CSO (Zentrale Statistikorganisation)460 die Bevölkerung der Provinz auf 8 340 711 Einwohner, von denen 1 043 279 in ländlichen Gebieten und 7 297 432 in städtischen Gebieten lebten. Die CIA schätzte die Bevölkerung von Bagdad 2020 auf 7 144 000 Einwohner. Ungeachtet seiner geringen Größe hat Bagdad mehr Einwohner als die übrigen Provinzen, und diese leben zu 87 % in Städten. Bagdad weist die höchste Bevölkerungsdichte aller irakischen Provinzen auf.

Quellen zufolge leben in der Provinz sowie in der Hauptstadt Bagdad sowohl schiitische als auch sunnitische Muslime sowie eine „Anzahl kleinerer christlicher Gemeinschaften“. Bagdad war einer der wichtigsten Schauplätze der religiös motivierten Kämpfe, die in den Jahren 2006 und 2007 nach der von den USA angeführten Invasion des Jahres 2003 tobten. Damals zwangen Bombenangriffe und Tötungen in zahlreichen Gebieten Bagdads die Bevölkerung, sich an anderen Orten niederzulassen und dabei religiös bedingte Grenzen zu achten; den Berichten zufolge waren daran auch schiitische Milizen beteiligt, die die sunnitischen Einwohner aus manchen Gebieten vertrieben. Darüber hinaus berichtete Landinfo im Jahr 2015, dass „die meisten Wohnviertel in Bagdad in der Vergangenheit stets eine gemischte Bevölkerung aus Sunniten und Schiiten hatten, die gewaltsamen religiösen Säuberungen der 2000er Jahre jedoch dazu führten, dass die Stadt mittlerweile deutlich stärker von Segregation geprägt ist und in erster Linie von Schiiten bewohnt wird“.

In der Encyclopaedia Britannica heißt es, „der Großteil des produzierenden Gewerbes, des Finanzwesens und des Handels des Irak ist in und um Bagdad konzentriert“. Dies umfasst mindestens die Hälfte der Großindustrie des Irak. Das Ölfeld östlich von Bagdad ist 65 km lang und 11 km breit und birgt eine Reserve von acht Millionen Barrel Öl. Darüber hinaus ist Bagdad gut an den Rest des Landes angebunden und verfügt über einen der wichtigsten Flughäfen in Irak, den Baghdad International Airport.

Der Overseas Security Advisory Council (OSAC) stellte fest, dass es überall in Bagdad-Stadt „improvisierte Kontrollpunkte“ neben den „zahlreichen Sicherheitskontrollpunkten der Regierung“ gibt. Der OSAC stellte ferner fest, dass Maßnahmen zur Beschränkung des Zugangs zur Internationalen Zone im Dezember 2018 gelockert wurden. Im Oktober 2019 wurde jedoch im Zusammenhang mit den über die Stadt hereinbrechenden Protesten der Zugang zur Internationalen Zone stärker eingeschränkt. In Berichten heißt es, dass „sich je nach besserer oder schlechterer Sicherheitslage der Zugang zur Internationalen Zone rasch ändern kann, was sich unmittelbar auf diplomatische Vertretungen, den privaten Sektor und Wohngebäude auswirkt“. Der Iraq Humanitarian Fund und iMMAP veröffentlichten eine Karte zum Ausmaß des Risikos durch explosionsgefährliche Stoffe auf Straßen in der Provinz Bagdad zwischen dem 1. und dem 30. April 2020. Dieser Karte zufolge waren die Straßen mit hohem Risiko in Tarmiyah, Abu Ghuraib und Mahmoudiya zu finden. Straßen mit geringerem Risiko waren in den genannten Gebieten angegeben, aber auch in Mada’in und in vereinzelten Stadtteilen von Bagdad-Stadt.

1.6.2. Hintergrund des Konflikts und bewaffnete Akteure in der Provinz

Im Jahr 2013 verstärkte der ISIL seine Terroranschläge auf Bagdad drastisch. Insbesondere auf schiitische Ziele in der Stadt wurden Anschläge mit Autobomben (VBIED) verübt. Mit dieser Strategie versuchte der ISIL, die Unfähigkeit der irakischen Behörden und der ISF zu demonstrieren und ein Wiedererstarken der schiitischen Milizen zu bewirken. Diese Wellen von Anschlägen mit VBIED setzten sich im Jahr 2014 fort. Die Befürchtung, dass der ISIL Bagdad im Sommer 2014 überrennen könnte, bewahrheitete sich nicht; jedoch kam es in Zaidan und Abu Ghuraib im Westen der Provinz (etwa 20 km vom Stadtzentrum entfernt) zu Kämpfen zwischen dem ISIL und der irakischen Armee. Auch aus Mahmudiyah und Latifiya im Süden der Stadt wurden Feuergefechte mit dem ISIL gemeldet. Darüber hinaus wurden im Jahr 2014 in den schiitischen Bezirken Bagdads weiterhin regelmäßig Terroranschläge auf öffentliche Plätze verübt. Im Juni 2014 wurden aufgrund der vom ISIL verübten Überfälle die schiitischen Milizen in Bagdad mobilisiert. Während die irakische Armee in erster Linie die Sicherheit im Stadtzentrum gewährleistete, waren diese Milizen vorwiegend in den Vorstädten Bagdads präsent. Das sichtbare Wiederauftreten dieser Milizen rief bei der sunnitischen Minderheit in der Stadt Erinnerungen an den Bürgerkrieg der Jahre 2006 und 2007 wach, als schiitische Milizen religiöse Säuberungen gegen die sunnitische Bevölkerung Bagdads durchführten.

Im Jahr 2014 gab es Berichte über religiös motivierte Tötungen durch schiitische Milizen sowie über Morde an sunnitischen Zivilisten, die Angehörigen verschiedener Milizen zugeschrieben wurden. Die massiven religiös motivierten Tötungen der Jahre 2006 und 2007 kamen jedoch in Bagdad weder 2014 noch in den Jahren danach erneut vor.

Nach Angaben des ISW stellte der ISIL seine Anschläge mit Autobomben und Sprengstoffwesten im Jahr 2016 in Bagdad für einige Monate ein, griff jedoch im April und Mai 2016 erneut auf diese Taktiken zurück, um Anschläge in Bagdad zu verüben. Dem ISW zufolge gelang es den ISF, Autobomben abzufangen; aufgrund der politischen Umwälzungen und der angespannten Sicherheitslage konnte der ISIL jedoch zwischen dem 4. April und dem 11. Mai 2016 in Bagdad 23 Anschläge mit VBIED und Sprengstoffwesten verüben, die zumeist Sicherheitskräfte und Kontrollpunkte zum Ziel hatten, aber auch beispielsweise Märkte, Beisetzungen und Pilger. Im April 2016 wurden bei Bombenanschlägen in Bagdad mehrere Zivilisten getötet und verletzt, als der ISIL die Zivilbevölkerung und schiitische Pilger ins Visier nahm. Im Mai 2016 verübte der ISIL in dem schiitischen Stadtviertel Sadr City einen großen Bombenanschlag, bei dem 52 Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden; in Baquba in der Provinz Diyala, das zur Peripherie des Bagdad-Gürtels gehört, explodierte eine weitere Bombe und tötete zehn Menschen. Am 11. Mai 2016 wurden bei drei zeitgleichen Anschlägen des ISIL in Bagdad 93 Zivilpersonen getötet und viele weitere verletzt. Im Juli 2016 kamen im Stadtbezirk Karrada in Bagdad bei einem Selbstmordanschlag 324 Menschen ums Leben, als der ISIL eine Lkw-Bombe vor einem Einkaufszentrum detonieren ließ. Anhand seiner eigenen Daten erklärte der Irak-Experte Joel Wing im August 2017, dass der ISIL ausgehend von den ländlichen Gebieten rund um Bagdad weitere Anschläge verübte, die Zahl der Vorfälle jedoch von 12 auf drei pro Tag zurückging. Im Jahr 2017 verübte der ISIL in Bagdad auf Märkten und in Geschäften zahlreiche Anschläge auf Menschenmengen. Beispielsweise wurden im Januar 2017 in dem schiitischen Stadtviertel Sadr City 35 Menschen von einer Autobombe getötet. Weitere drei Menschen starben bei einem Anschlag mit einer Autobombe vor dem al-Kindi-Krankenhaus in Bagdad. Im selben Monat kamen bei zwei Selbstmordanschlägen auf einen überwiegend von Schiiten besuchten Markt in Bagdad 28 Menschen ums Leben. Ab dem zweiten Quartal 2018 ging die Zahl der ISIL-Anschläge auf Menschenmengen deutlich zurück.

Irakische Armee, Polizei

Einem vom ISW 2017 veröffentlichten Bericht zufolge unterstanden die Einheiten der irakischen Armee in Bagdad dem Einsatzkommando Bagdad (Baghdad Operations Command, BOC), das in das Gebietskommando al-Karch und das Gebietskommando Rusafa unterteilt ist. Die Sondereinheit (Special Forces Division, SFD) des Premierministers ist für die Sicherheit in der Internationalen Zone und den Schutz des Premierministers zuständig. Die SFD erstattet dem Verteidigungsministerium über das BOC und das Gemeinsame Einsatzkommando (JOC) sowie dem Premierminister Bericht. Darüber hinaus ist sie insbesondere während der schiitischen Pilgerschaften für die Sicherung einiger weiterer Gebiete Bagdads verantwortlich.

Die irakische Armee in Bagdad gliedert sich in die Gebietskommandos Rusafa (östliches Bagdad) und Karch (westliches Bagdad) des BOC:

•        Gebietskommando Karch: 6. Division der irakischen Armee, eine der Einheiten, die den westlichen Bagdad-Gürtel sichern. Die 22., 24. und 54. Brigade sind nördlich und nordwestlich der Hauptstadt stationiert, die 54. auch in Mansour in Zentralbagdad. Die 59. Brigade ist im Norden Bagdads (in Karma, nahe bei Falludscha) und südlich der Hauptstadt stationiert. Keiner Brigade zuzuordnende Einheiten sind im Südwesten von Bagdad, in der Provinz al-Anbar sowie in al-Kazimiyya nordwestlich der Hauptstadt aktiv.

•        Gebietskommando Rusafa: 9. Panzerdivision der irakischen Armee. Dies ist die einzige Panzerdivision der irakischen Armee, daher ist ihr Zuständigkeitsbereich eher funktional als geografisch definiert. Die 9. Division der irakischen Armee ist nicht in Bagdad stationiert.

Am 7. April 2020 berichtete Rudaw: „Heute übernahmen die irakischen Streitkräfte erneut die Kontrolle über das Lager [Abu Ghuraib] innerhalb des Hauptquartiers der 6. Division der irakischen Streitkräfte in der Hauptstadt Bagdad, das von (französischen) Beratern der Internationalen Koalitionsstreitkräfte genutzt wurde.“ Und weiter führte die Quelle aus: „Die Übergabe von Abu Ghuraib ist die letzte einer raschen Abfolge von Übergaben der Kontrolle über Stützpunkte an die irakischen Streitkräfte in den letzten Wochen“.

Von der dem Innenministerium unterstehenden Bundespolizei sind in Bagdad die folgenden Divisionen präsent: die 1. Division der Bundespolizei, zuständig für den Südwesten, den Westen und den Südosten Bagdads sowie die Kanalzone (im Osten der Hauptstadt); die 2. Division der Bundespolizei, die einzige Panzergrenadierdivision der Bundespolizei und für die Sicherheit Bagdads zuständig. Sie wird in erster Linie bei Anti-Terror-Operationen in Bagdad und im Bagdad-Gürtel eingesetzt, sichert die Pilgerwege und nimmt Aufgaben der Strafverfolgung wahr. Die 4. Division der Bundespolizei deckt das südliche Bagdad sowie Gebiete im Süden der Hauptstadt ab, wie beispielsweise das Gefängnis in al-Karch. Die 3. Brigade der Abteilung für Notfallmaßnahmen ist westlich von Bagdad stationiert.

Die Stadt Bagdad und ihre Vorstädte sind grundsätzlich unter der Kontrolle der Behörden; in der Praxis jedoch nehmen die Behörden die Aufgaben der Verteidigung und Strafverfolgung gemeinsam mit den von Schiiten dominierten PMU wahr, sodass ihre Kontrolle „unvollständig“ ist bzw. mit diesen Milizen geteilt wird. In seinem Bericht über die Aufstellung der irakischen Streitkräfte vom Dezember 2017 erklärte das ISW:

„Das BOC ist für die Sicherheit sowohl in Bagdad als auch in großen Teilen des Bagdad-Gürtels rund um die Hauptstadt zuständig. Der Zuständigkeitsbereich des BOC umfasst die früheren Zuständigkeitsbereiche der Einsatzkommandos Karch und Rusafa. Die irakischen Schiitenmilizen, einschließlich der todbringenden Stellvertreter- und Sadristenmilizen, operieren außerhalb des Kommandos und der Kontrolle des BOC. Sie haben ungestraft Verbrechen und Entführungen begangen sowie Stützpunkte und ausschließlich von ihnen kontrollierte Zonen im Nordosten und Süden Bagdads errichtet und hatten bei einigen wenigen Gelegenheiten sogar Auseinandersetzungen mit den ISF. Mittlerweile sichert die dem Einsatzführungskommando [Joint Operations Command, JOC] angegliederte SFD des Premierministers die Grüne Zone sowie wesentliche Infrastrukturen rund um Bagdad. Ungeachtet dessen ist das BOC für gewöhnlich eines der am besten ausgestatteten Einsatzkommandos der ISF. Angesichts seiner Funktion bei der Sicherung der Hauptstadt geht man davon aus, dass es über eine höhere Mannstärke verfügt als alle anderen Einsatzkommandos.“

Die Informationen über die irakische Armee und Polizei stammen aus dem Jahr 2017; neuere Angaben konnten nicht gefunden

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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