Entscheidungsdatum
09.04.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W250 2215406-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 11.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am 12.02.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er für die afghanische Regierung als Spion gearbeitet und Informationen darüber weitergeleitet habe, wo die Taliban seien und was sie vorhätten. Als die Taliban dies erfahren hätten, hätten sie den Beschwerdeführer umbringen wollen. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor den Taliban. Der Beschwerdeführer legte diverse Dokumente vor.
3. Am 04.05.2018 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren bezeichnet als Bundesamt bzw. belangte Behörde) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er in Afghanistan ca. sechs bis sieben Monate vor seiner Ausreise für die Sicherheitsdirektion des Landes gearbeitet habe, nachdem er einen früheren Mitschüler namens XXXX , der für die Sicherheitsdirektion des Landes tätig gewesen sei, zufällig am Bazar in XXXX getroffen habe und mit ihm über die Talibanpräsenz und deren Verbrechen gesprochen habe. Nach einem Gespräch mit dem Sicherheitsdirektor namens XXXX , sei vereinbart worden, dass der Beschwerdeführer Informationen über die Taliban und ihre Präsenz weiterleiten solle. Er sei auf der Strecke zwischen Kabul und XXXX oft unterwegs gewesen und habe Informationen über die Taliban gesammelt und an die Sicherheitsdirektion per SMS weitergeleitet. Er habe sechs bis sieben Mal per SMS Informationen über Stationen, die Präsenz und Straßenminen der Taliban an den Sicherheitsdirektor gemeldet und dafür jeweils ca. 3.000 Afhani erhalten. Am 02.07.2015 sei ein namentlich genannter hochrangiger Kommandant der Taliban ( XXXX ) in der Gegend aktiv gewesen und der Sicherheitsdirektor des Distrikts XXXX habe bei einen Minenangriff der Taliban, in seinem Auto, Verletzungen erlitten. Der Beschwerdeführer habe den genannten Taliban Kommandanten gesehen und diese Information an die Sicherheitsdirektion geleitet, woraufhin der besagte Taliban- Kommandant getötet worden sei. Der Beschwerdeführer habe Drohanrufe und später auch Drohbriefe von den Taliban erhalten und er habe sich diesbezüglich an die Sicherheitsdirektion gewandt. Eines nachts sei das Haus des Beschwerdeführers von den Taliban gestürmt worden. Da der Beschwerdeführer nicht zuhause gewesen sei, hätten sie die Mutter und Schwester des Beschwerdeführers bedroht und gesagt, dass der Beschwerdeführer sich stellen solle und sie ihn töten würden. Als der Beschwerdeführer am nächsten Tag nachhause gekommen sei, habe ihm seine Mutter geraten das Land zu verlassen. Die Taliban hätten ein Kopfgeld auf den Beschwerdeführer angesetzt und überall Fotos von ihm verteilt, da sie ihn für den Tod des genannten Kommandanten verantwortlich gemacht hätten. Schon in derselben Nacht habe der Beschwerdeführer seinen Heimatort verlassen und sei nach Kabul gegangen, wo er sich im Haus seiner Tante mütterlicherseits vier Tage habe verstecken können, bis sein Cousin einen Drohanruf der Taliban erhalten habe. Daraufhin habe der Beschwerdeführer das Land verlassen. Ca. neun Monate nach seiner Ankunft in Österreich habe er von seiner Mutter erfahren, dass sein Bruder von den Taliban mitgenommen worden sei. Er habe nur durch die Hilfe der Weißbärtigen im Ort freigelassen werden können, die eine Vereinbarung mit den Taliban geschlossen hätten. Ca. ein Monat später sei der besagte Bruder verschollen. Bei einer Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer von den Taliban, die sein Foto verteilt hätten und ihn überall im Land finden könnten und gezielt nach ihm suchen würden, ermordet zu werden.
Der Beschwerdeführer legte die besagte Vereinbarung des Mullahs und der Weißbärtigen des Distriktes XXXX mit den Taliban über die Festnahme des Bruders des Beschwerdeführers durch die Taliban und dessen Wiederbefreiung vor. Aus dieser (die bei der Einvernahme durch den anwesenden Dolmetscher übersetzt wurde) geht hervor, dass der Bruder des Beschwerdeführers verpflichtet ist den Beschwerdeführer an die Taliban auszuliefern, weil dieser für die Sicherheitsbehörden gearbeitet hat. Das Dokument ist mit einem Stempel und der Unterschrift des Mullahs des Dorfes und mit einem Stempel und einer Unterschrift des Bezirksvorstehers sowie mit neun Fingerabdrücken samt Unterschriften der Dorfältesten („Mitglieder des Rates der Weißbärtigen“) versehen.
Der Beschwerdeführer legte außerdem ein Konvolut an Unterlagen über seine Integrationsbemühungen vor: ein bestandenes ÖSD Zertifikat A2 vom 03.01.2018, eine Bestätigung über gemeinnützige Tätigkeiten vom 02.05.2018, eine Deutschkurs B1 Teilnahmebestätigung vom 27.04.2018, sowie weitere diverse Deutschkurs- Besuchsbestätigungen, eine Teilnahmebestätigung eines Lehrlingsintensivkurses vom 28.09.2017, eine Schulbesuchsbestätigung einer XXXX Fachberufsschule vom 19.04.2018, eine Erste Hilfe Kurs Bestätigung vom 21.09.2016, eine Bestätigung des Lehrgangs „Übergangsstufe an MHS für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch“ einer Fachschule für wirtschaftliche Berufe vom 30.06.2017, eine Teilnahmebestätigung Infotage für Asylwerberinnen vom 05.12.2017, eine Arbeitsbestätigung über gemeinnützige Arbeit vom 23.4.2018, ein Empfehlungsschreiben der XXXX Fachberufsschule vom 25.04.2018 mit 12 Unterschriften versehen.
4. Am 14.05.2018 wurde die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt vom 04.05.2018 fortgesetzt und er wurde zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Er gab an die Berufsschule und einen B1 Deutschkurs zu besuchen, gemeinnützige Arbeit zu leisten, Freunde zu haben und Fußball und Volleyball zu spielen.
5. Am 08.10.2018 stellte das Bundesamt eine interne Anfrage an die Staatendokumentation mit konkreten Fragen betreffend dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers.
6. Am 14.01.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt zu den Ergebnissen der Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation erneut niederschriftlich einvernommen.
Der Beschwerdeführer legte weitere Unterlagen betreffend seine Integrationsbemühungen vor: Deutschkurs Besuchsbestätigungen Level B1 vom 11.01.2019, Teilnahmebestätigungen vom 27.10.2018 und 16.11.2018, eine Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF vom 18.10.2018.
7. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.01.2019, zugestellt am 01.02.2019, wies die belangte Behörde sowohl den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 Asylgesetz 2005 – AsylG (Spruchpunkt I.) als auch jenen auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe keine Bedrohung oder Verfolgung seiner Person in seinem Heimatland im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention oder aus sonstigen Gründen glaubhaft gemacht. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes seien unglaubwürdig. Es könne weder festgestellt werden, dass er als Informant für die Sicherheitsdirektion in seiner Herkunftsprovinz tätig gewesen sei, noch, dass er von den Taliban gesucht werde und Fotos von ihm in der ganzen Provinz XXXX ausgehändigt worden seien. Weiters wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer als gesundem, jungem und arbeitsfähigem Mann mit familiärem Netzwerk in Afghanistan und mit Schulbildung und beruflicher Erfahrung eine Rückkehr dorthin, zwar nicht in seine Herkunftsprovinz XXXX , aber insbesondere in andere Großstädte des Landes wie z.B. in die Stadt Kabul oder Mazar-e Sharif zumutbar und möglich sei. Ein schützenswertes Privatleben bestehe in Österreich nicht.
8. Mit Schreiben vom 28.02.2019, eingelangt am selben Tag, erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, fristgerecht Beschwerde. Darin beantragte er, die Gewährung des Status des Asylberechtigten, in eventu des subsidiär Schutzberechtigten, in eventu die Feststellung, dass ein schützenswertes Privatleben iSd Art 8 EMRK vorliegt und eine Ausweisung aus Österreich unzulässig ist.
In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, die Angaben vor der belangten Behörde zu seinen Fluchtgründen würden der Wahrheit entsprechen und er ging auf die im angefochtenen Bescheid festgestellten Widersprüche ein um diese aufzuklären. Er gab an, die vorgebrachten Geschehnisse hätten sich wie dargestellt ereignet und er habe aus Afghanistan fliehen müssen, da ihn die Taliban ansonsten aufgrund seiner Informationsweitergabe an die Sicherheitsdirektion getötet hätten. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihm nicht zur Verfügung und eine Rückkehr sei ihm nicht möglich.
9. Am 04.03.2019 langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.
10. Am 12.02.2021 und 15.02.2021 legte der Beschwerdeführer Unterlagen über seine Integrationsbemühungen vor: eine Bestätigung über die Arbeitstätigkeit des Beschwerdeführers im Ausmaß von max. 80 Stunden pro Monat in der Küche in einem Altenheim vom 10.02.2021, ein Unterstützungsschreiben einer Kollegin, eine Bestätigung über die ehrenamtliche Tätigkeit des Beschwerdeführers als Dolmetscher vom 01.02.2021, eine Arbeitsbestätigung über die ehrenamtliche Mitarbeit bei der Grünraumpflege einer Gemeinde vom 14.03.2019, die Mitgliedskarte einer Stadtbücherei, das Zeugnis der bestandenen Integrationsprüfung B1 vom 20.02.2020, ein Unterstützungsschreiben der Küchenleitung des Arbeitsplatzes des Beschwerdeführers vom 11.02.2021 aus der seine gute Integration hervorgeht und die vom gesamten Team (19 Personen) unterschrieben wurde, sowie ein weiteres Unterstützungsschreiben seiner Deutschkursleiterin mit einer ausgezeichneten Sozialprognose vom 15.02.2021.
Er brachte vor, es würde eine Bereitschaft zur Übernahme in ein ordentliches Dienstverhältnis bei seinem derzeitigen Arbeitgeber vorliegen und bei Zugang zum Arbeitsmarkt sei eine künftige Selbsterhaltungsfähigkeit prognostizierbar. Er sei in Österreich gut integriert und hätte zahlreiche Freundschaften geknüpft. Außerdem nahm er zu dem vom erkennenden Gericht ins Verfahren eingebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 16.12.2020 Stellung.
11. Am 26.02.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers statt, bei welcher der Beschwerdeführer einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern.
Im Rahmen der Verhandlung wurde der Beschwerdeführer insbesondere ausführlich zu seiner Identität, seiner Herkunft, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen Familienverhältnissen und seinem Leben in Afghanistan, seinen Fluchtgründen sowie seinem Leben in Österreich befragt.
Das erkennende Gericht brachte neben dem bereits zur Kenntnis gebrachten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren ein.
In Ergänzung der bereits vorgelegten Unterlagen legte der Beschwerdeführer drei weitere Unterstützungsschreiben von Kollegen und Freunden ua. vom Februar 2021 vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zum Beschwerdeführer:
1.1.1. Zu seiner Person:
Der volljährige und ledige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer spricht Dari als Muttersprache, er spricht außerdem noch Paschtu und Deutsch (AS 145, OZ 13 Verhandlungsprotokoll vom 26.02.2021; S. 3, 5, 6).
Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX , Distrikt XXXX in der Provinz XXXX in Afghanistan geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen drei Brüdern und einer Schwester aufgewachsen. Der Beschwerdeführer hat zwölf Jahre lang die Schule in XXXX besucht und abgeschlossen. Seine Familie hatte Grundstücke und Gärten und sein Vater war Schuldirektor. Der Beschwerdeführer erlernte in Afghanistan keinen Beruf, er arbeitete drei Jahre auf den landwirtschaftlichen Grundstücken der Familie. Der Vater des Beschwerdeführers verstarb, die Mutter und die Schwester verkauften das Haus sowie die Grundstücke und leben derzeit im Iran. Ein Bruder lebt ebenfalls im Iran, ein Bruder in London und ein Bruder ist in Afghanistan verschollen. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Mutter und Schwester im Iran. Der Beschwerdeführer hat noch weitere Verwandte (Tanten väterlicher- und mütterlicherseits) in Afghanistan, mit denen er keinen Kontakt hat (AS 145, OZ 13; S. 5, 7, 8).
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer ist gesund (AS 143, OZ 13;S.3). Er ist in Österreich gut integriert, hat viele Freunde und Bekannte, arbeitete regelmäßig ehrenamtlich und übt seit eineinhalb Jahren eine Berufstätigkeit aus. Er absolvierte diverse Kurse und hat berufliche Zukunftspläne sowie eine Einstellungszusage. Er versteht und spricht sehr gut Deutsch und absolvierte die Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 (OZ 11, OZ 13; S. 8f.).
1.1.2. Zur befürchteten Verfolgung in Afghanistan:
1.1.2.1. Zur Tätigkeit als Informant
Der Beschwerdeführer war in Afghanistan als Informant für die Sicherheitsdirektion in seiner Herkunftsprovinz tätig und leitete Informationen über die Taliban an die Sicherheitsdirektion weiter. Er berichtete über die Präsenz der Taliban und ihr Vorgehen entlang der Route zwischen Kabul und XXXX (wieviele Personen wo anwesend waren, ob sie bewaffnet waren, wo es zu Angriffen kam, wo Mienen gelegt wurden, etc.). Der Beschwerdeführer hat damit ca. ein halbes Jahr vor seiner Ausreise begonnen und ca. sieben Mal per SMS und durch Anrufe Informationen über die Taliban an den Sicherheitsdirektor gemeldet und dafür jeweils danach ca. 3.000 Afhani in bar sowie Ladebons für sein Handy erhalten. Durch die Informationen des Beschwerdeführers wurden Taliban getötet.
1.1.2.2. Zur vorgebrachten Verfolgung durch die Taliban
Im Sommer 2015 reiste ein namentlich genannter hochrangiger Kommandant der Taliban aus Pakistan nach Afghanistan und war in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers aktiv. Dabei wurde auch der Sicherheitsdirektor des Distrikts XXXX bei einem Angriff der Taliban, in seinem Auto verletzt. Bei einer Bargeldübergabe in der Sicherheitsdirektion an den Beschwerdeführer wurde ihm ein Foto des Taliban-Kommandanten gezeigt. Einige Zeit später sah der Beschwerdeführer den besagten Kommandanten und leitete diese Information umgehend an die Sicherheitsdirektion weiter. Aufgrund dessen wurde der Kommandant noch am selben Tag durch einen Polizeiangriff getötet. Die Taliban erfuhren, dass der Beschwerdeführer als Informant für die Regierung tätig und für den Tod zahlreicher Taliban verantwortlich war. Sie drohten ihm zunächst durch Drohanrufe. Der Beschwerdeführer wechselte seine Handy Sim-Karte und berichtete der Sicherheitsdirektion davon. Die Drohanrufe gingen weiter und er bekam auch Drohbriefe. Seitdem hielt er sich vorsichtshalber kaum mehr zuhause auf. Eines nachts wurde das Haus des Beschwerdeführers von Anhängern des getöteten Kommandanten gestürmt. Der Beschwerdeführer war nicht anwesend, seine Mutter und Schwester jedoch schon, die von den Taliban verletzt und bedroht wurden. Der Beschwerdeführer erfuhr, dass die Taliban ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt und Fotos von ihm verbreitet hatten. Noch in derselben Nacht verließ er seinen Heimatort und versteckte sich zunächst bei seiner Tante väterlicherseits und später bei seiner Tante mütterlicherseits. Deren Sohn, der Cousin des Beschwerdeführers, erhielt nach vier Tagen einen Drohanruf der Taliban. Daraufhin verließ der Beschwerdeführer das Land.
Ca. neun Monate nach der Ankunft des Beschwerdeführers in Österreich wurde sein Bruder von den Taliban entführt. Er konnte nur durch die Vermittlung der „Weißbärtigen im Ort“ freigelassen werden, die eine Vereinbarung mit den Taliban schlossen. Die Taliban ließen den Bruder des Beschwerdeführers frei, aber nur unter der Bedingung, dass er den Beschwerdeführer finden und an die Taliban übergeben würde, widrigenfalls würden sie den Bruder töten. Ca. ein Monat später war der Bruder verschollen.
1.1.2.3. Bedrohung bei einer Rückkehr
Der Beschwerdeführer befürchtet im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der Drohungen der Taliban gegen ihn und der Präsenz der Taliban in ganz Afghanistan, verfolgt zu werden. Die Taliban haben Fotos des Beschwerdeführers verbreitet und ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Zudem wurden nach seiner Flucht seine Familie bedroht und sein Bruder entführt.
Es muss davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit als Informant für die Sicherheitsdirektion eine politische bzw. religiöse Gesinnung gegen die Ideologie und Zielsetzungen der Taliban zugeschrieben wird, zumal er Informationen über die Präsenz und die Tätigkeiten der Taliban an die Sicherheitsdirektion weitergeleitet hat und dadurch mehrere Taliban, darunter auch zumindest ein Taliban-Kommandant getötet wurden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan läuft der Beschwerdeführer Gefahr, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in seine Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch die Taliban ausgesetzt zu sein. Der afghanische Staat ist derzeit nicht in der Lage, den Beschwerdeführer in seinem Heimatland hinreichend vor diesen Bedrohungen durch die Taliban zu schützen.
Die Bedrohung des Beschwerdeführers ist aktuell. Gegenüber der Familie des Beschwerdeführers wurden nach seiner Flucht mehrfach Drohungen betreffend den Beschwerdeführer ausgesprochen. Die Taliban kennen den Namen und das Aussehen des Beschwerdeführers da Fotos von ihm verbreitet wurden und ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt wurde.
Dem Beschwerdeführer steht daher eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative nicht zur Verfügung, da er im ganzen Land von den Taliban erkannt werden kann.
Gründe, nach denen ein Ausschluss des Beschwerdeführers hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, liegen im Verfahren nicht vor.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:
? Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 16.12.2020 (LIB)
? UNHCR-Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018
? EASO Country Guidance Afghanistan, Dezember 2020
? EASO Informationsbericht Afghanistan, Strategien der Aufständischen: Einschüchterung und gezielte Gewalt gegen Afghanen, Dezember 2012
Ebenfalls sind die folgenden Anfragebeantwortungen der von der belangten Behörde im Verfahren an die Staatendokumentation gestellten Anfragen in die Entscheidungsfindung mit eingeflossen:
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.10.2018 zu Afghanistan zu der Frage: „Wie funktioniert die finanzielle Entschädigung eines Informanten der Sicherheitsbehörde? Gibt es für Informanten eine besondere Ausbildung bzw. ein Auswahlverfahren?“
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.10.2018 zu Afghanistan zu XXXX : Sicherheitslage, Erreichbarkeit 2015
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 16.10.2018 zu Afghanistan zu der Frage: „Wie ist das mobile Netz im Distrikt XXXX , Provinz XXXX ? Ist es möglich, jederzeit eine SMS zu verschicken oder einen Anruf zu tätigen?“
1.2.1. Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 4).
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, Kapitel 5).
Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (LIB, Kapitel 7).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB, Kapitel 5).
1.2.2. Aktuelle Entwicklungen
Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 4).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (LIB, Kapitel 5).
Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen. Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der Regierung vor, ihren Teil der Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (LIB, Kapitel 4).
Im September starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (LIB, Kapitel 4). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt. Für den Berichtszeitraum 01.01.2020-30.09.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012. Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gehen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (LIB, Kapitel 5).
Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung, wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben. Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Doch bisher (Stand 10.2020) hat es keine Fortschritte gegeben, da sich die kriegführenden Seiten in Prozessen und Verfahren verzettelt haben, so diplomatische Quellen (LIB, Kapitel 4).
1.2.3. Sicherheitsbehörden (aus dem LIB)
Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 14.10.2020).
Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 11.3.2020). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (USDOD 1.7.2020).
Die Truppenstärke der ANDSF ist seit Jänner 2015 stetig gesunken. Aber eine genaue Zählung des afghanischen Militär- und Polizeipersonals war schon immer schwierig. Der Rückgang an Personal wird allerdings auf die Einführung eines neuen Systems zur Gehaltsauszahlung zurückgeführt, welches die Zahlung von Gehältern an nichtexistierende Soldaten verhindern soll (SIGAR 30.1.2010; vgl. SIGAR 30.7.2020; NYT 12.8.2019; vgl. SIGAR 30.7.2020). Gewisse Daten wie z.B. die Truppenstärke einzelner Einheiten werden teilweise nicht mehr publiziert (USDOD 30.1.2020).
Die Anzahl der in der ANDSF dienenden Frauen hat sich erhöht (USDOD 1.7.2020). Nichtsdestotrotz bestehen nach wie vor strukturelle und kulturelle Herausforderungen, um Frauen in die ANDSF und die afghanische Gesellschaft zu integrieren (USDOD 12.2019).
Afghanische Nationalarmee (ANA)
Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 11.3.2020). Soldaten, welche die ANA am Ende des vertraglich vereinbarten Dienstes verlassen, sind für etwa ein Viertel des Rückgangs der Mannstärke verantwortlich. Die Gefechtsverluste machen nur einen kleinen Prozentsatz der monatlichen Verluste aus und sind im Berichtszeitraum im Vergleich zu früheren Perioden deutlich zurückgegangen (USDOD 1.7.2020). im Jahr 2018 kündigte Präsident Ghani die Etablierung einer neuen territorialen Eingreiftruppe der Afghanischen Nationalen Armee (ANA TF) an. Jede Kompanie (Tolai) besteht aus Soldaten aus einem bestimmten Distrikt, wird aber von Offizieren von außerhalb dieses Distrikts geführt, die bereits in der regulären ANA dienen oder in der ANA-Reserve sind. Ziel ist es, dass die Territoriale Truppe schließlich 36.000 Mann stark ist (AB 15.1.2020; vgl. AB 1.7.2020).
Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)
Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Auch ist sie verantwortlich für die Sicherheit Einzelner und der Gemeinschaft sowie den Schutz gesetzlicher Rechte und Freiheiten. Obwohl die ANP mit und an der Seite der ANA im Kampf gegen die Aufständischen arbeiten, fehlt es der ANP an Ausbildung und Ausrüstung für traditionelle Aufstandsbekämpfungstaktiken. Das Langzeitziel der ANP ist nach wie vor, sich zu einem traditionellen Polizeiapparat zu wandeln (USDOD 1.7.2020).
Dem Innenministerium (MoI) unterstehen die vier Teileinheiten der ANP: Afghanische Uniformierte Polizei (AUP), Polizei für Öffentliche Sicherheit (PSP, beinhaltet Teile der ehemaligen Afghanischen Polizei für Nationale Zivile Ordnung, ANCOP), Afghan Border Police (ABP), Kriminalpolizei (AACP), Afghan Local Police (ALP), und Afghan Public Protection Force (APPF). Das Innenministerium beaufsichtigt darüber hinaus drei Spezialeinheiten des Polizeigeneralkommandanten (GCPSU), sowie die Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA).
Die ANP rekrutiert lokal in 34 Rekrutierungsstationen in den Provinzen. Die neuen Rekruten werden zur Polizeiausbildung in eines der zehn regionalen Ausbildungszentren entsandt. Die Polizeiausbildung besteht im Allgemeinen aus einem 8- bis 12-wöchigen Ausbildungskurs. Neben der elementaren Polizeiausbildung mangelt es der ANP an einem institutionalisierten Programm zur Entwicklung von Führungskräften - sowohl auf Distrikt-, als auch auf lokaler Ebene (USDOD 12.2019). Die ALP untersteht dem Innenministerium, der Personalstand wird jedoch nicht den ANDSF zugerechnet (USDOD 1.7.2020; vgl. SIGAR 30.4.2019). Eine Rekrutierungskampagne, die sich auf den Zuwachs weiblicher Rekruten konzentrierte, führte zu positiven Ergebnissen. Zwischen Juni und September 2019 traten zusätzlich 138 Frauen ihren Dienst bei der ANP an (USDOD 12.2019).
1.2.4. Regierungsfeindliche Gruppierungen, Taliban und Rekrutierung
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 5).
Taliban
Die Taliban positionieren sich selbst als Schattenregierung Afghanistans, und ihre Kommissionen und Führungsgremien entsprechen den Verwaltungsämtern und -pflichten einer typischen Regierung. Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind. Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LIB, Kapitel 5).
Die Taliban rekrutieren in der Regel junge Männer aus ländlichen Gemeinden, die arbeitslos sind, eine Ausbildung in Koranschulen haben und ethnisch paschtunisch. Schätzungen der aktiven Kämpfer der Taliban reichen von 40.000 bis 80.000 oder 55.000 bis 85.000, wobei diese Zahl durch zusätzliche Vermittler und Nicht-Kämpfer auf bis zu 100.000 ansteigt. Obwohl die Mehrheit der Taliban immer noch Paschtunen sind, gibt es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) innerhalb der Taliban. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt (LIB, Kapitel 5).
1.2.5. Herkunftsprovinz Maidan Wardak
Die Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) grenzt im Norden an Parwan und Bamyan, im Osten an Kabul und Logar und im Süden und Westen an Ghazni. Die Provinzhauptstadt Maidan Shahr befindet sich etwa 40-50 Kilometer südwestlich von Kabul. Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Wardak im Zeitraum 2020/21 auf 637.634 Personen. Sie besteht aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara (LIB, Kapitel 5.33.).
Der Highway Kabul-Kandahar durchquert die Distrikte Maidan Shahr, Narkh und Saydabad. Diese Straße gilt als eine der gefährlichsten in Afghanistan. Jedoch während des dreitägigen Waffenstillstandes zu Eid-al-Firt im August 2020 kam es entlang der Straße zu keinen Zusammenstößen und die Taliban lösten ihre Kontrollpunkte vorübergehend auf (LIB, Kapitel 5.33.).
Wardak ist eine der am heftigsten umkämpften Provinzen Afghanistans und wird zum größten Teil von den Taliban kontrolliert. Das Machtgleichgewicht in der Provinz Wardak blieb über Jahre hinweg relativ stabil. Die Sicherheitslage hat sich im Lauf des Jahres 2019 verschlechtert und seit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen den USA und den Taliban im Februar 2020 hat der Einfluss der Taliban in Wardak zugenommen. Auch im volatilen Distrikt Sayedabad gab es in den letzten Jahren fast täglich Kämpfe zwischen Regierungskräften und Taliban. Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Wardak im Verantwortungsbereich des 203. ANA Corps, das der Task Force Southeast unter der Leitung von US-Truppen untersteht. Einheiten des Nationalen Sicherheitsdirektorates (NDS), der vom US-Geheimdienst CIA unterstützt werden, führen in der Provinz Wardak nächtliche Operationen durch, wobei es Berichten zufolge zu willkürlichen Angriffen gegen Zivilisten, Hinrichtungen und anderen Menschenrechtsverletzungen, kommt (LIB, Kapitel 5.33.).
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 184 zivile Opfer (108 Tote und 76 Verletzte) in der Provinz Wardak. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und Suchoperationen. In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen und Luftschlägen. Die Taliban greifen regelmäßig Kontrollpunkte, Einrichtungen oder Konvois der Sicherheitskräfte an und es kommt zu Gefechten mit den Regierungstruppen, was zu Opfern unter den Sicherheitskräften und den Aufständischen führt. Bei einem Angriff der Taliban auf eine Basis des NDS in der Nähe der Provinzhauptstadt Maidan Shahr wurden im Jänner 2019 über 100 Sicherheitskräfte getötet (LIB, Kapitel 5.33.).
In der Provinz (Maidan) Wardak kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
1.2.6. Provinzen Balkh und Herat
Balkh:
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die NSIA schätzt die Bevölkerung in Balkh im Zeitraum 2020-21 auf 1,509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 Einwohner in Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird (LIB, Kapitel 5.5.).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. Die Ring Road verbindet Balkh mit den Nachbarprovinzen Jawzjan im Westen und Kunduz im Osten sowie in weiterer Folge mit Kabul. Rund 30 km östlich von Mazar-e Sharif zweigt der National Highway von der Ring Road Richtung Norden zum Grenzort Hairatan/Termiz ab. Dies ist die Haupttransitroute für Warenverkehr zwischen Afghanistan und Usbekistan. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (LIB, Kapitel 5.5.).
Balkh zählte zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert, da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen. Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz, wobei mit Stand Oktober 2019 keine städtischen Zentren unter ihrer Kontrolle standen. Anfang Oktober 2020 galt der Distrikt Dawlat Abad als unter Talibankontrolle stehend, während die Distrikte Char Bolak, Chimtal und Zari als umkämpft galten. Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, jedoch fanden 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern statt, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Auf Regierungsseite befindet sich Balkh im Verantwortungsbereich des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps, das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird. Weiters unterhalten die US-amerikanischen Streitkräfte eine regionale Drehscheibe in der Provinz (LIB, Kapitel 5.5.).
Im Zeitraum 01.01.-30.09.2020 dokumentierte UNAMA 553 zivile Opfer (198 Tote, 355 Verletzte) in der Provinz, was mehr als eine Verdopplung gegenüber derselben Periode im Vorjahr ist. Im ersten Halbjahr 2020 war hinsichtlich der Opferzahlen die Zivilbevölkerung in den Provinzen Balkh und Kabul am stärksten vom Konflikt in Afghanistan betroffen. Der UN-Generalsekretär zählte Balkh in seinen quartalsweise erscheinenden Berichten über die Sicherheitslage in Afghanistan im März und Juni 2020 zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes und auch im September galt Balkh als eine der Provinzen mit den schwersten Talibanangriffen im Land. Es kam zu direkten Kämpfen und Angriffen der Taliban auf Distriktzentren oder Sicherheitsposten. Die Regierungskräfte führten Räumungsoperationen durch. Auch in Mazar-e Sharif kam es wiederholt zu IED-Anschlägen. Zudem wurde von der Entführung und Ermordung von Zivilisten in der Provinz berichtet (LIB, Kapitel 5.5.).
Herat:
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt. Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Herat im Zeitraum 2020-21 auf 2,140.662 Personen, davon 574.276 in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (LIB, Kapitel 5.13.).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden. Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Straßen verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala. Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (LIB, Kapitel 5.13.).
Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte, wie z.B. Shindand, als unsicher gelten, weil die Kontrolle zwischen der Regierung und den Taliban umkämpft ist, kam es in Herat-Stadt in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte. Darüber hinaus fanden im Juli und September 2020 Angriffe statt, die sich gegen Schiiten richteten. Bezüglich krimineller Handlungen wurde beispielsweise über bewaffnete Raubüberfälle und Entführungen berichtet. Je weiter man sich von der Stadt Herat (die im Januar 2019 als „sehr sicher“ galt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der. Pushtkoh und Zerko befanden sich im Februar 2020 einem Bericht zufolge vollständig in der Hand der Taliban, während die Kontrolle der Regierung in Obe auf das Distriktzentrum beschränkt ist. Dem Long War Journal (LWJ) zufolge kontrollierten die Taliban Ende November 2020 jedoch keinen Distrikt von Herat vollständig. Mehrere Distrikte wie Adraskan, Ghoryan, Gulran, Kushk, Kushk-i-Kuhna, Obe und Shindand sind umstritten, während die Distrikte um die Stadt Herat unter der Kontrolle der Regierung stehen (LIB, Kapitel 5.13.).
Während ein UN-Bericht einen Angriff in der Nähe einer schiitischen Moschee im Oktober 2019 dem Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) zuschrieb und ein Zeitungsartikel vom März 2020 behauptete, dass der ISKP eine Hochburg in der Provinz unterhält, gab eine andere Quelle an, dass es unklar sei, ob und welche Art von Präsenz die ISKP in Herat hat. Auf Regierungsseite befindet sich Herat im Verantwortungsbereich des 207. Afghan National Army (ANA) „Zafar“ Corps, das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (LIB, Kapitel 5.13.).
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Im Jahr 2020 wurden mehrere Fälle von zivilen Opfern aufgrund von Luftangriffen gemeldet. Es kam in mehreren Distrikten der Provinz Herat zu Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und den Taliban, sowie zu Angriffen der Taliban auf Regierungseinrichtungen. Die Regierungstruppen führten in der Provinz Operationen durch (LIB, Kapitel 5.13.).
Mazar-e Sharif/ Herat Stadt
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird. Sie hat 484.492 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 5.5).
Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, jedoch fanden 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) statt, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Bewohner der Stadt berichteten insbesondere von bewaffneten Raubüberfällen. Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften (LIB, Kapitel 5.5). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 5.35.). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). National Airlines (Kam Air, Ariana Air) bieten internationale Flüge von Russland, Indien und Iran nach Mazar-eh Sharif an. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (LIB, Kapitel 5.35.).
Gegenwärtig gibt es in Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren (LIB, Kapitel 3).
Mazar-e Sharif und die Provinz Balkh sind historisch betrachtet das wirtschaftliche und politische Zentrum der Nordregion Afghanistans. Mazar-e Sharif profitierte dabei von seiner geografischen Lage, einer vergleichsweise effektiven Verwaltung und einer relativ guten Sicherheitslage. Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Balkh ist landwirtschaftlich eine der produktivsten Regionen Afghanistans wobei Landwirtschaft und Viehzucht die Distrikte der Provinz dominieren. Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden (LIB, Kapitel 22). Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind auch aktuell geöffnet (LIB, Kapitel 3).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76 %), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken. Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patienten in dieses Krankenhaus überwiesen. Es verfügt über 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet (LIB, Kapitel 23).
Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Sie hat 574.276 Einwohner (LIB, Kapitel 5.13.).
In Herat-Stadt kam es in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte. Darüber hinaus fanden im Juli und September 2020 Angriffe statt, die sich gegen Schiiten richteten. Bezüglich krimineller Handlungen wurde beispielsweise über bewaffnete Raubüberfälle und Entführungen berichtet. Je weiter man sich von der Stadt Herat (die im Januar 2019 als „sehr sicher“ galt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban (LIB, Kapitel 5.13.). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar. Der Flughafen Herat befindet sich etwa 10 km südlich von Herat-Stadt entfernt. Derzeit werden auf dem Flughafen jährlich etwa 350.000 Passagiere abgefertigt, und die Verwaltung des Flughafens sowie die Instandhaltung des Flugplatzes werden von den NATO-Streitkräften unter italienischem Kommando durchgeführt. Nationale Airlines (Kam Air und Ariana Air) fliegen Herat international aus Iran an. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Herat (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen nach Kabul, Maimana und Chighcheran (LIB, Kapitel 5.35.). Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind. Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt. Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (LIB, Kapitel 22).
Gegenwärtig gibt es in Herat keine Ausgangssperren (LIB, Kapitel 3).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind auch aktuell geöffnet (LIB, Kapitel 3).
Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70 %) und zu Abwasseranlagen (30 %). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an. Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken, unter anderem das staatliche Herat Regional Hospital (LIB, Kapitel 23).
1.2.7. Risikoprofile, Internationaler Schutzbedarf aus den UNHCR Richtlinien
Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen Berichten zufolge systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung, regierungsnahe bewaffnete Gruppen, die afghanische Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationaler humanitärer Hilfs- und Entwicklungsakteure, unterstützen bzw. mit diesen in Verbindung stehen. Auf eine (vermeintliche) Verbindung kann zum Beispiel durch ein bestehendes oder früheres Beschäftigungsverhältnis oder durch familiäre Bindungen geschlossen werden. Zu den Zivilisten, die gezielt aufs Korn genommen werden, zählen Distrikt- und Provinzgouverneure, Mitarbeiter der Justiz und der Staatsanwaltschaft, ehemalige Polizeibeamte und Polizisten außer Dienst, Stammesälteste, Religionsgelehrte und religiöse Führer, Frauen im öffentlichen Raum, Lehrer und andere Staatsbedienstete, Zivilisten, von denen angenommen wird, dass sie die Werte regierungsfeindlicher Kräften ablehnen, Menschenrechtsaktivisten sowie humanitäres Hilfspersonal und Entwicklungshelfer.
Zwischen 1. Januar und 31. Dezember 2017 schrieb UNAMA 570 gezielte Tötungen regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) zu, die 1 032 zivile Opfer (650 Tote und 382 Verletzte) forderten, was 10 Prozent aller zivilen Opfer des Jahres entsprach. Die Anzahl der von AGEs verübten derartigen Anschläge stieg von 483 im Jahr 2016 auf 570 im Jahr 2017 und die Zahl der dabei getöteten Zivilisten erhöhte sich um 13 Prozent.
Im Januar 2018 führten die Taliban drei getrennte Angriffe in Kabul durch, bei denen 150 Zivilisten getötet und mehr als 300 verletzt wurden. In einer öffentlichen Erklärung begründeten die Taliban am 28. Januar 2018 einen dieser Angriffe, jenen auf das Innenministerium, mit folgenden Worten: „Dieses Ziel war der Feind, und auch die Mitarbeiter des Ministeriums waren die Hauptleidtragenden.”
Am 25. April 2018 kündigten die Taliban ihre Frühlingsoffensiven, die Al Khandaq Jihadi Operations an. Wie schon in den Jahren zuvor hieß es darin, die Offensive würde sich „gegen die ausländischen Besatzungskräfte und deren Unterstützer im Land“ richten. Trotz des erklärten Ziels der Taliban, „besonders auf den Schutz des Lebens und Besitzes des zivilen Volkes zu achten“, gibt es immer wieder Berichte, dass die Taliban und andere AGEs gezielt Zivilisten und nach humanitärem Völkerrecht geschützte Objekte angreifen würden.
Über gezielte Tötungen hinaus setzen die regierungsfeindlichen Kräfte Berichten zufolge auch Drohungen, Einschüchterung und Entführungen ein, um Gemeinschaften und Einzelpersonen einzuschüchtern und auf diese Weise ihren Einfluss und ihre Kontrolle zu erweitern, indem diejenigen angegriffen werden, die ihre Autorität und Anschauungen infrage stellen UNHCR 30.08.2018).
1.2.8. Actors of persecution or serious harm, aus der EASO Country Guidance Afghanistan, Dezember 2020
Anti-government elements:
The Taliban are considered as the most powerful anti-government group and control large parts of Afghanistan. They position themselves as the shadow government of Afghanistan, and their commission and governing bodies replicate the administrative offices and duties of a typical government. Regarding militant operations, it is a networked insurgency, with strong leadership at the top and decentralised local commanders who can mobilise resources at the district level. The Taliban are accused of targeted killings, they have also been involved in deliberate targeting of civilians and in both indiscriminate and targeted attacks against civilian objects. They continue to operate parallel justice mechanisms, based on a strict interpretation of the Sharia, leading to executions by shadow courts and punishments deemed to be cruel, inhuman, and degrading. The Taliban have also been reported to use torture against detainees.
Anti-Government Elements A number of armed insurgent groups, or Anti-Government Elements (AGEs) are operating on the territory of Afghanistan. The groups are responsible for a wide range of human rights violations. Their targets differ, often depending on the political or military objectives of the respective group. The most significant groups are listed in this section. a. Taliban The Taliban are considered as the most powerful group and control large parts of Afghanistan (see Overview: areas of control). They position themselves as the shadow government of Afghanistan, and their commission and governing bodies replicate the administrative offices and duties of a typical government. The Taliban have become an organised political movement and have evolved to become a local governance actor in the country by gaining and holding territory and thereby undertaking some responsibility for the well-being of local communities. Regarding militant operations, it is a networked insurgency, with strong leadership at the top and decentralised local commanders who can mobilise resources at the district level [Anti-government elements, 2.1]. Throughout the US-Taliban negotiations, and despite the reshuffling of its provincial appointments, the Taliban leadership has been able to maintain unity within the