TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/12 W138 2191822-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.04.2021
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Entscheidungsdatum

12.04.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §55
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W138 2191822-1/36E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Klaus HOCHSTEINER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.03.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.04.2021:

A)

I. den Beschluss gefasst:

Das Verfahren wird infolge Zurückziehung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 28 Abs. 1 und 31 Abs. 1 VwGVG insoweit eingestellt.

II. zu Recht erkannt:

1. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird abgewiesen.

2. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. und V. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß §§ 54, 55 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

3. Der Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: „BF“ genannt) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 05.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016.

2. Am 05.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Zu seinem Fluchtgrund befragt brachte der BF vor, dass sein Vater für die afghanische Regierung gearbeitet habe. Die Taliban hätten seinen Vater verfolgt. Als sein Vater vor 5 Monaten verschwand habe er auch Angst gehabt ebenfalls entführt zu werden und habe das Land verlassen.

3. Am 29.01.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Außenstelle Linz (im Folgenden: „BFA“ genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zunächst an, in der Provinz Ghazni geboren, und aufgewachsen zu sein. Er sei Hazara und schiitischer Moslem. Er habe 12 Jahre die Schule besucht und ein Jahr in Kabul studiert.

Zu seinem Fluchtgrund befragt brachte der BF vor, dass er und sein Freund Wache gehalten hätten. Sie hätten gesehen wie ein Auto von den Taliban durchsucht worden sei und hätten in die Luft geschossen. Die Taliban hätten daraufhin zurückgeschossen und die Leute mitgenommen. Die Leute aus seiner Ortschaft hätten entschieden, dass der BF und sein Freund gegen die Gefangenen ausgetauscht werden sollten, weil sie ohne Rückfrage an die Zentrale gehandelt hätten.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Weiters wurde in Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

5. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die im Wege seiner Rechtsvertretung am 04.04.2018 erhobene Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid, welche fristgerecht beim BFA einlangte.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 01.04.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung persönlich teilnahm. Der Beschwerdeführer zog in der mündlichen Verhandlung die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides zurück.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1 Zur Person des BF:

Der BF wurde am XXXX geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, schiitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Die Muttersprache des BF ist Dari. Der BF stammt aus der Provinz Ghazni. Der BF besuchte in Afghanistan zwölf Jahre die Schule und besuchte ein Jahr die Universität in Kabul. Die Familie des BF lebt mittlerweile in Pakistan.

Seit Beginn seines Aufenthalts in Österreich ist der Beschwerdeführer bestrebt, die deutsche Sprache zu erlernen und ist in der Lage sich auf Deutsch zu verständigen. Er verfügt über ein ÖIF Prüfungszeugnis Deutsch-Test Niveau B1. Der BF macht seit dem Jahr 2017 eine Lehre als Prozesstechniker. Der BF hat einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag unterschrieben und könnte nach seiner Lehrabschlussprüfung sofort unbefristet Vollzeit zu arbeiten beginnen.

Der Beschwerdeführer war während des mittlerweile über fünfeinhalb Jahre andauernden Verfahrens bemüht, sich in die österreichische Gesellschaft bestmöglich einzugliedern. Der BF hat eine Schwester in Österreich mit der er in regelmäßigem Kontakt steht. Der BF ist seit dem Jahr 2017 selbsterhaltungsfähig.

Der BF zog in der mündlichen Verhandlung vom 01.04.2021 die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 12.03.2018 explizit zurück.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Herkunft des BF, zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit, zu seinem Gesundheitszustand, sowie zu seiner familiären Situation in Afghanistan, in Pakistan und in Österreich ergeben sich aus dem diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringen und vorgelegten Unterlagen des BF im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl („BFA“) und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht („BVwG“).

Dass der BF unbescholten ist ergibt sich aus der Einsichtnahme ins österreichische Strafregister.

In der mündlichen Verhandlung war klar das Bemühen des Beschwerdeführers, die deutsche Sprache bestmöglich zu erlernen, zu erkennen. Die weiteren Feststellungen zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich sowie jene zu seinem Arbeitsvorvertrag ergeben sich aus seinen glaubhaften und schlüssigen Angaben in der mündlichen Verhandlung, die durch die vorgelegten Unterstützungsschreiben, das ÖIF Sprachzertifikat, den Lehrvertrag und den Arbeitsvorvertrag dokumentiert sind. Hinzu kommen dokumentierte Bemühungen des Beschwerdeführers, auf eigenen Beinen zu stehen und berufstätig zu sein.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 82/2015, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (siehe insbesondere § 1 BFA-VG, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 25/2016).

Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes – Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A I.):

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Eine Einstellung eines Verfahrens ist dann vorzunehmen, wenn ein Erledigungsanspruch nach Beschwerdeeinbringung verloren gegangen ist. Dies liegt unter anderem dann vor, wenn eine Beschwerde zurückgezogen wird. (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, zu § 28 VwGVG Rz 5).

§ 7 Abs. 2 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 (im Folgenden: VwGVG), normiert, dass eine Beschwerde nicht mehr zulässig ist, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheids ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat.

Eine Zurückziehung der Beschwerde durch die beschwerdeführende Partei ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich. Mit der Zurückziehung ist das Rechtsschutzinteresse der beschwerdeführenden Partei weggefallen, womit einer Sachentscheidung die Grundlage entzogen und die Einstellung des betreffenden Verfahrens - in dem von der Zurückziehung betroffenen Umfang - auszusprechen ist (vgl. Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2015, § 7 VwGVG, Rz 20; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2013, § 7 VwGVG, K 5 ff.).

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Beschwerde zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offen lässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (vgl. zu Berufungen Hengstschläger/Leeb, AVG, § 63, Rz 75 mit zahlreichen Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

Eine solche Erklärung liegt im vorliegenden Fall vor, weil der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer die Zurückziehung seiner Beschwerde nach eingehender Beratung mit seinem Rechtsvertreter in der mündlichen Verhandlung aus freien Stücken klar zum Ausdruck gebracht hat; einer Sachentscheidung durch das Gericht ist damit die Grundlage entzogen.

Das Beschwerdeverfahren ist daher mit Beschluss einzustellen (vgl. dazu VwGH 29.04.2015, 2014/20/0047, wonach aus den Bestimmungen des § 28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 VwGVG hervorgeht, dass eine bloß formlose Beendigung [etwa durch Einstellung mittels Aktenvermerkes] eines nach dem VwGVG vom Verwaltungsgericht geführten Verfahrens nicht in Betracht kommt).

Im vorliegenden Fall hat der BF seine Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des gegenständlichen Bescheides in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG vom 01.04.2021 nach eingehender Beratung mit seiner Rechtsberaterin zurückgezogen, womit die Voraussetzung für die Einstellung des Verfahrens in Bezug auf die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des gegenständlichen Bescheides gegeben ist.

Zu A) II. 1 Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG:

Soweit sich die Beschwerde gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG wendet, ist sie ebenfalls nicht begründet:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen.

Der BF befindet sich seit Oktober 2015 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

Zu Spruchpunkt A) II 2. – Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels:

Soweit sich die Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebungen des Beschwerdeführers (Spruchpunkte IV. und V. des angefochtenen Bescheides) wendet, ist sie hingegen begründet:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Nach der Rechtsprechung des EGMR hängt es von den Umständen des jeweiligen Falles ab, ob es angebracht ist, sich eher auf den Gesichtspunkt des Familienlebens zu konzentrieren als auf den des Privatlebens (EGMR 23.04.2015, 38030/12, Khan, Rn. 38; 05.07.2005, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 59). Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Ewald Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52).

Zugunsten des Beschwerdeführers ist sein konsistentes Bemühen an Integration und das ernsthafte Bemühen zum Erlernen der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Er besucht seit Beginn seines Aufenthaltes laufend Deutschkurse, spricht Deutsch auf gutem B1 Niveau und kann seinen Alltag sprachlich bewältigen. Sein besonderer Integrationswille zeigt sich auch dadurch, dass er trotz der langen und ungewissen Verfahrensdauer alles ihm Mögliche unternommen hat, um in Österreich als Person aufgenommen und selbsterhaltungsfähig zu werden. Zudem hat er seine Identität bereits bei Antragstellung offengelegt, sofort begonnen Deutsch zu lernen und sein Privatleben darauf ausgerichtet, rasch die Sprache zu erlernen. Er sucht aktiv Kontakte zu Österreichern und hat sich von Anbeginn und von sich aus in ein nachhaltig förderliches und unterstützendes Umfeld eingebracht. Der BF hat in Österreich eine Schwester zu der er in regelmäßigem Kontakt steht. In seiner Freizeit verbringt er viel Zeit mit seiner Schwester und deren Kindern. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass grundsätzlich ein hohes öffentliches Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen besteht (VwGH 18.03.2010, 2010/22/0023), dass das Privatleben während des unsicheren Aufenthaltsstatus entstand, der Beschwerdeführer sich dessen auch bewusst sein musste und der Umstand, dass er nicht straffällig geworden ist, keine Erhöhung des Gewichts der Schutzwürdigkeit der persönlichen Interessen bewirkt (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112). Allerdings lag die Unsicherheit des Aufenthalts nicht insofern qualifiziert vor, als das Beschwerdeverfahren noch anhängig und für den Mitbeteiligten noch keine rechtskräftig auferlegte Rückkehrverpflichtung bestand (vgl. zu dieser Abgrenzung schon VfGH 7.10.2010, B 950/10 ua, VfSlg. 19.203, Punkt II.2.4. der Entscheidungsgründe). Auch der Verwaltungsgerichtshof hat dargelegt, dass „freilich“ ein gradueller Unterschied dahin zu machen sei, ob die Integration auf einem nur durch Folgeanträge begründeten unsicheren Aufenthaltsstatus basiere oder während eines einzigen, ohne schuldhafte Verzögerung durch den Fremden lange dauernden Asylverfahrens erfolgt sei (siehe VwGH 29.2.2012, 2010/21/0233, und daran anschließend VwGH 20.3.2012, 2010/21/0471 bis 475). Außerdem war zugunsten des BF die - ohne sein Verschulden - lange Dauer des gegenständlichen Verfahrens von über fünf Jahren unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG („Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist“) zu berücksichtigen. Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich wesentlich von dem Erkenntnis VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, zugrunde liegenden, einen Lehrling betreffenden Fall, in dem keine derartigen persönlichen Beziehungen zu seiner Schwester bestanden und überdies auch nur eine Aufenthaltsdauer von etwa dreieinhalb Jahren gegeben war, während sich der BF bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses bereits über fünfeinhalb Jahre in Österreich aufhielt.

Im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das private Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich höher zu bewerten ist, als das öffentliche Interesse an einer Rückkehrentscheidung.

Zur Zuerkennung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten:

Nach § 55 Abs. 1 AsylG ist eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist nach § 55 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen

Der BF erhält für seine Lehre als Prozesstechniker eine Lehrlingsentschädigung, welche die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet und übt somit eine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht bzw überschritten wird.

Dem Beschwerdeführer war gegenständlich daher gemäß § 55 Abs 1 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen.

Zu Spruchpunkt A) II 3 Ersatzlose Behebung des Spruchpunktes VI. des angefochtenen Bescheides:

Im gegenständlichen Fall ist die Rückkehrentscheidung betreffend den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig. Da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise somit nicht mehr vorliegen, war der Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben (vgl. dazu auch VfGH vom 13.09.2013, U 370/2012; VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Erwerbstätigkeit Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Zurückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W138.2191822.1.00

Im RIS seit

17.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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