TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/13 W177 2172203-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.04.2021
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Entscheidungsdatum

13.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


W177 2172203-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Volker NOWAK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 20.09.2017, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.04.2018 und am 24.11.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz „BF“), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 17.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 19.07.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er aus der Provinz Ghazni stamme. In seinem Heimatland wären noch seine Mutter, seine beiden Brüder und seine Schwester aufhältig. Er selbst sei zuletzt in Kabul aufhältig gewesen. Seine Muttersprache sei Dari. Er sei zwölf Jahre in die Schule und zwei Jahre auf die Universität gegangen. Er sei Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass er sein Heimatland aus Armut und finanziellen Gründen verlassen habe. Die Sicherheitslage sei seitens der Taliban sehr beeinträchtigt gewesen. Im Falle seiner Rückkehr habe er Angst vor den Taliban.

3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz „BFA“) am 29.08.2017 gab der BF an, dass er gesund sei und keine Medikamente einnehme. Er legte auch noch eine afghanische Arbeitsbestätigung, Fotos aus Afghanistan und ein Konvolut an integrationsbegründenden Unterlagen vor.

Er sei afghanischer Staatsbürger, schiitischer Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Seine Muttersprache sei Dari. Er stamme Provinz Ghazni, wo er sich bis zu seinem siebenten Lebensjahr im Distrikt XXXX und bis zu seinem 13. Lebensjahr im Distrikt XXXX aufgehalten habe. Danach habe er von 2004 bis 2009 in der Provinz Kabul gelebt. Dort würden heute noch seine Mutter, zwei Brüder und eine Schwester aufhältig sein. Mit seiner Familie sei der BF regenmäßig in Kontakt. Er sei zehn Jahre in Ghazni und zwei Jahre in Kabul in die Schule gegangen. Danach habe er einen zweijährigen IT-Lehrgang an einer Universität in Kabul abgeschlossen. Bis 2010 habe er auch zwei Jahre in einer Bank gearbeitet, ehe er in den Iran, wo er in einem Steinbruch gearbeitet habe, gegangen sei. Finanzielle Probleme habe es in Afghanistan nicht gegeben, jedoch könne er aufgrund der Probleme seines Vaters nicht mehr nach Afghanistan zurückkehren.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF im Wesentlichen aus, dass sein Vater getötet worden sei, als die Familie noch in der Provinz Ghazni gelebt habe. Er sei gezielt bei einem Minenunfall getötet worden. Die dafür verantwortlichen Leute würden noch heute nach dem BF suchen. Die Familie sei danach nämlich nach Kabul gezogen, wo es zwei Vorfälle gegeben habe. Im September 2008 habe man versucht den BF zu entführen und im Jänner 2009 sei auf den BF geschossen worden. Es sei beide Mal dasselbe Auto gewesen, jedoch wären einmal drei, das andere Mal zwei maskierte Männer in unterschiedlichen Gewändern im Wagen gewesen. Aufmerksam gemacht, dass er in der Erstbefragung andere Fluchtgründe angeführt habe, führte der BF aus, dass er dies damals übersehen habe und sein Deutsch noch nicht so gut gewesen sei. Dass er entführt oder getötet hätte werden sollen, basiere auf einer Vermutung seinerseits, zumal er sich beide Male rechtzeitig in Sicherheit habe bringen können. Sein Vater habe damals der Bevölkerung gegen die feindlichen Truppen geholfen. Eine Gruppe würde den BF töten wollen, weil sie so ihre Macht demonstrieren könne. Solange es dieser Gruppierung gäbe, sei die Bedrohung noch aktuell. Die übrigen Brüder seien noch zu jung, um bedroht werden zu können. Dass er erst ein Jahr nach der zweiten Bedrohung ausgereist sei, begründete der BF dahingehend, dass die Lage auf dem Weg in den Iran nicht sicher genug gewesen wäre und er das Geld für Flucht ansparen hätte müssen. Den Iran habe er verlassen, weil er sich dort nicht weiterbilden hätte können. Er sei bereits mit zwölf Jahren Bankangestellter gewesen, weil er drei Klassen übersprungen habe. Die Arbeit habe er aufgrund seiner Englisch- und IT-Kenntnisse bekommen.

In seinem Heimatland habe er kein Problem mit der Polizei oder staatlichen Stellen gehabt. Er sei dort auch nicht festgenommen worden. Er sei kein Mitglied einer politischen Partei gewesen. Sein Vater sei lediglich wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt worden, jedoch nicht von staatlichen Stellen. Es habe dort auch keine Probleme aufgrund seiner Religionszugehörigkeit oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit gegeben.

Von wem genau seine Bedrohung in Afghanistan ausgehe, wisse er nicht. Nur sein Vater hätte mit diesen Leuten zu tun gehabt. Diese Bedrohung würde aber in allen Landesteilen gleich hoch sein. Über die Sicherheitslage in Afghanistan wisse er Bescheid. In Österreich besuche er Deutsch- und Integrationskurse, betreibe Sport und sei im Bereich der Freiwilligenarbeit tätig. Er sei nicht in Vereinen tätig und lebe hier von der Grundversorgung. Er sei weder unterhaltspflichtig noch habe er hier Verwandte.

4. Mit Bescheid vom 20.09.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.). Ebenso wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.). Weiters wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt und es wurde gegen ihm gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde festgehalten, dass der BF in seiner Fluchtgeschichte nicht nachvollziehbar habe schildern können, dass er in Jahren 2008 und 2009 von maskierten und bewaffneten Männern bedroht worden wäre. Da es zu keiner Konfrontation gekommen sei, basiere bereits diese Annahme auf bloßen Vermutungen. Ebenfalls habe das Vorbringen, dass es sich hierbei um Männer gehandelt habe, die sieben Jahre zuvor seinen Vater getötet hätte, nur auf bloßen Vermutungen aufgebaut. Es sei nicht nachvollziehbar gewesen, dass diese Personen aus einer anderen Provinz nach so langer Zeit den BF in einer Millionenstadt aufsuchen hätten sollen, zumal der BF auch keinen plausiblen Grund für ein mögliches Aufsuchen seiner Person darlegen habe können. Die fluchtauslösenden Vorfälle wären daher nicht glaubwürdig gewesen. Ebenso habe sich der BF danach unbehelligt für fünf Jahre im Iran aufhalten können. Eine Asylrelevanz bzw. eine aktuelle Furcht vor Bedrohung oder Verfolgung wären daher auszuschließen gewesen. Ebenso habe der BF seine Fluchtgeschichte im Vergleich zur Erstbefragung ausgetauscht. Dies würde ebenfalls indizieren, dass das Fluchtvorbringen, in dem keine persönliche Bedrohung glaubhaft vorgebracht worden sei, lediglich auf einem gedanklichen Konstrukt basiere. Außerdem habe der BF keine plausiblen Antworten dahingehend geben können, dass er bereits im Alter von zwölf Jahren ein Bankbeamter gewesen sei, wie dies aus einem vorgelegten Schreiben aus Afghanistan zu entnehmen wäre. Da der BF einen völlig unglaubwürdigen persönlichen Eindruck hinterlassen habe, könne daraus geschlossen werden, das der BF gegenständlichen Asylantrag nur zum Zwecke der Aufenthaltserlangung in Österreich gestellt habe.

Aufgrund dessen, dass es sich bei der Herkunftsprovinz Kabul um eine auf dem Luftweg problemlos erreichbare Provinz handeln würde, die als hinreichend sicher eingestuft werde, sei es dem BF zumutbar, sich in dieser Gegend Afghanistans wieder anzusiedeln. Ebenfalls würden dort noch die Familienangehörigen des BF unbehelligt leben. Eine Gefahrenlage im Sinne des Art. 3 EMRK würde beim BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch nicht vorliegen. Es bestünde daher im Falle seiner Rückkehr auch keine reale Gefahr, die einer Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würde. Betreffend die Rückkehrentscheidung würden die öffentlichen Interessen überwiegen.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 21.09.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 21.09.2017 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

6. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 27.09.2017 beim BFA eingelangte und fristgerecht durch seine rechtsfreundliche Vertretung in vollem Umfang erhobene Beschwerde. In dieser wurde festgehalten, dass der Vater des BF aufgrund seiner politischen Gesinnung von einer Gruppe namens „Toran“ getötet worden wäre und diese Gruppe ihn in Kabul zweimal entführen habe wollen. Der BF habe auch die Telefonnummer eines in Afghanistan lebenden Freundes bekanntgegeben, dass dieser sein Vorbringen verifizieren könne. Er habe auch nachvollziehbar darlegen können, dass seine Familie wegen der Tötung seines Vaters die Provinz Ghazni verlassen habe und er nach den beiden Entführungsversuchen in Kabul aus wohlbegründeter Furcht Afghanistan verlassen habe. Ebenso habe der BF Bedenken, dass auch gegen weitere Geschwister vorgegangen werden könnte.

Angesichts der in Afghanistan vorherrschenden Sicherheitslage, insbesondere in der Heimatprovinz Ghazni, aber auch in der Provinz Kabul, hätte die belangte Behörde dem BF zumindest den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen.

Seine Integration in Österreich habe er durch die vorgelegten Urkunden auch darlegen können. Angesichts seiner kurzen Aufenthaltsdauer sei diese als außergewöhnlich zu betrachten. Des Weiteren wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz „BVwG“) am 28.09.2017 vom BFA vorgelegt. In dieser führte die belangte Behörde aus, dass sie die Abweisung der Beschwerde und die vollinhaltliche Bestätigung der Entscheidung des Bundesamtes beantrage.

8. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 17.04.2018, im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ebenso wie seine bevollmächtige Vertretung persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Der gegenständliche Verfahrensakt wurde nach umfangreicher Belehrung des BF zum Inhalt der Verhandlung erklärt. Er legte ein afghanisches Gerichtsurteil über den Anspruch der Familie auf Geldleistungen aufgrund des Todes seines Vaters vor, sowie handschriftliche Anmerkungen zu Kopien zweier Seiten der Niederschrift vor dem BFA. Er stellte richtig, dass sein Vater gestorben sei, weil er in einem Auto gewesen wäre, das über eine Mine gefahren sei. Er sei in der Provinz Ghazni geboren worden und ein schiitischer Moslem. Er sei ledig und habe keine Kinder. Im Jahr 2007 habe er seinen Schulabschluss gemacht und ein zwei jähriges Studium begonnen. Nebenbei habe er auch in einer Bank gearbeitet. Sein Vater sei glaublich 2003 verstorben und er habe mit 17 Jahren in der Bank zu arbeiten begonnen. Nach seiner Einschulung habe er dort in der Buchhaltung und im Management gearbeitet. Er habe damit zum Lebensunterhalt der Familie beigetragen. Seine Verwandten würden nach wie vor in Kabul leben, jedoch würden sie sich dort nicht sicher fühlen. De Familie sei nicht in Sicherheit, weil sie Probleme mit einer Gruppe namens Arbaci habe. Aus diesem Grund habe auch er Afghanistan verlassen. Er habe schon überlegt, die Familie in den Iran zu schicken, jedoch sei er dort ebenfalls nicht sicher genug.

Der erste Vorfall habe sich im August 2008 zugetragen, der zweite im November 2009. Er habe danach nicht mehr gearbeitet und im Dezember 2009 – nach dem Entschluss der Mutter – Afghanistan verlassen. Er sei dann bis zum Jahr 2015 im Iran geblieben, ehe er nach Europa weitergezogen sei.

Sein Vater sei beim Militär ein Generalsmajor gewesen und habe als hochrangiger Offizier in Ghazni gegen sowohl gegen die Taliban, als auch gegen die Gruppe Arbaci gekämpft. Dabei habe er der Bevölkerung geholfen, dass diese ihre Wege in Sicherheit zurücklegen könne. Zu seinem Bruder habe er über soziale Netzwerke regelmäßigen Kontakt. Es habe seit 2009 zwar keine Übergriffe auf die Familie gegeben, jedoch habe auch dieser Bruder Angst, dass ihm so etwas zustoßen könne, wie dem BF. Die Sicherheitslage habe sich in Kabul auch drastisch verschlechtert. Er befürchte eine aktuelle Verfolgungsgefahr, weil damals auch ein Sohn eines weiteren Opfers des Anschlages entführt worden sei. Dieser sei von Arbaci unter Todesdrohungen schließlich zwangsrekrutiert worden. Da der BF dies nicht wolle, könne er nicht nach Afghanistan zurückkehren. Diese habe sich bereits im Jahr 2007 zugetragen und davon habe er erfahren, wie die Familie bereits in Kabul wäre. Daher wisse er auch, dass die Vorfälle im Jahr 2008 und 2009 ihm gegolten hätten und dies die Arbaci gewesen wären. Beim Vorfall im August 2008 habe er sich in ein Haus zurückgezogen, wo er sich vor den in einem Auto befindlichen maskierten Männern versteckt hätte. Der Besitzer habe ihm nach einer Stunde mitgeteilt, dass sich niemand mehr auf der Straße befinde. Ob die Verfolger das Auto angehalten hätten, wisse er nicht mehr. Er könne sich nur mehr an Fußgänger in der Ferne erinnern. Beim zweiten Vorfall im November 2009 habe er unter einer Brücke auf einen Linienbus gewartet. Im Zuge dessen sei wieder dasselbe Auto mit hoher Geschwindigkeit gekommen und habe neben ihm angehalten. Er habe zwei maskierte Männer mit Sonnenbrillen erkennen können, jedoch sei er schnell auf die Brücke geflohen und dort mit einem Linienbus davongefahren. Der Weg zur Bushaltestelle sei etwa einen bis zwei Kilometer lang gewesen. Da seine Familie in Afghanistan sonst keine privaten Feindschaften habe, könne es sich hierbei nur um Angehörige der gegnerischen Gruppe gehandelt haben, zumal die Arbaci in Kabul und ganz Afghanistan aktiv wären. Diese Gruppierung würde sogar Familien angreifen und deren Frauen vergewaltigen. Die Taliban würden hingegen nicht nach Kabul kommen. Diese Gruppierung sei es auch gelungen, den Sohn eines Bekannten seines Vaters, der ebenfalls wie sein Vater bei der Hezb-e Harakat gewesen sei, zu entführen. Seinen Angehörigen sei bislang noch nichts zugestoßen, weil die Arbaci diese aus den Augen verloren hätten. Er selbst sei über seine Arbeitsstelle von den Arbaci ausgeforscht worden. Vor dem BFA habe er die Arbaci noch nicht angeführt, weil er dazu nicht gefragt worden sei und er nicht daran gedacht habe, hierzu Angaben zu machen. In Afghanistan habe er mit einem Sohn eines Dorfältesten aus seinem Heimatdistrikt über dieses Problem gesprochen. Seine Mutter habe noch Kontakt zu diesem. Sonstigen Personen habe er sich, abgesehen von seinen Familienangehörigen, nicht anvertraut. Von der Person, der er sich anvertraut hätte, habe er sich Hilfe erwartet.

Toran sei ein Militärrang. Diesen habe sein Vater in der Partei bekleidet. Er sei mächtig und für Sicherheitsagenden zuständig gewesen. Nach dem Tod seines Vaters habe die Partei nicht mehr in der ursprünglichen Form weiterexistiert. Mittlerweile agiere sie nur mehr ausschließlich in der Provinz Ghazni.

Seine Mutter habe heute noch Angst vor den Arbaci. Eine Übersiedlung in eine andere afghanische Großstadt sei nicht zielführend, weil diese sich zu Kabul nicht unterscheiden würden. Falls er nach Afghanistan zurückmüsse, würde er dies sofort wieder verlassen und nach Pakistan oder in den Iran ziehen.

Zu seinem Leben in Österreich gefragt, führte er aus, dass er hier keine Verwandten habe. Seinen Alltag konnte er auf Deutsch beschreiben, wobei er bereits einen Sprachkurs auf dem Niveau B1 absolviert habe. Die Prüfung habe er noch nicht absolviert. Er sei in der Gemeinde gemeinnützig tätig und wolle gerne Gastronomie-Werbeassistent werden. Er lebe vom Sozialgeld und den Einkünften aus den gemeinnützigen Tätigkeiten. Er sei kein Mitglied in Vereinen, betreibe aber viel Sport. Er habe hier österreichische und afghanische Freunde, die er regelmäßig treffe. Da er seine Dokumente bei der Überfahrt nach Griechenland ins Meer werfen habe müssen, habe er sich sein Duplikat seiner Tazkira über seinen Bruder ausstellen lassen. Dies habe er auf antraten seiner Rechtsberaterin gemacht. Nach Erörterung der aktuellen Situation im Herkunftsstaat wurde das Beweisverfahren vorläufig geschlossen.

9. Mit Schreiben vom 14.06.2018 und 07.11.2018 legte die rechtsfreundliche Vertretung des BF jeweils integrationsbegründende Unterlagen vor.

10 Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.12.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache vom bisher zuständigen Gerichtsabteilung (W259) abgenommen und der Gerichtsabteilung W199 neu zugewiesen.

11. Mit Schreiben vom 16.01.2019, 16.10.2019 und 30.10.2019 legte die rechtsfreundliche Vertretung des BF jeweils eine anders datierte Arbeitsbestätigung einer gemeinnützigen Tätigkeit des BF, wobei diese Schreiben mit dem aktuellen Datum versehen wurden. Am 03.07.2020 legte er diese Bestätigung erneut vor und einhergehend wurde die Beendigung dieser Tätigkeit festgehalten. Außerdem legte er eine Teilnahmebestätigung an einem Sozialprojekt vor.

12. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 17.07.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache vom bisher zuständigen Gerichtsabteilung W199 abgenommen und der Gerichtsabteilung W177 neu zugewiesen.

13. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 24.11.2020, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ebenso wie seine bevollmächtige Vertretung persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde verzichtete, mit Schreiben vom 21.10.2020 entschuldigt, auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Der BF gab zu Beginn der Verhandlung an, dass er in der Lage sei, der Verhandlung folgen zu können. Nachdem die Parteien auf das Verlesen der Aktenteile verzichteten, erklärte der erkennende Richter diese Aktenteile zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und zum Inhalt der hier zu Grunde liegenden Niederschrift. Danach erfolgte die vorläufige Beurteilung über die politische und menschenrechtliche Situation in seinem Herkunftsstaat, auch unter der Berücksichtigung von COVID-19.

Der BF wurde aufgefordert einfache Rechnungen zu lösen, von denen er eine der beiden Aufgaben fehlerhaft löste. Er vermeinte Rechnen an der Schule und Universität gelernt zu haben, wobei seine Noten mittelmäßig gewesen wären. Die daraufgestellte Aufgabe 10x10 löste er mit der Antwort 100 richtig. 10² löste er hingegen mit 20 und gab an, dass Mathe sehr schwer für ihn sei. Anhand eines Beispiel vermeinte er, dass man den Durchschnitt einer Menge von fünf Werten aus addieren und halbieren berechnen könnte.

Die Schule habe er 2007 beendet. Wie alt er damals gewesen sei, wisse er nicht. Auf Nachfrage des Richters, führte der BF aus, dass er dann 17 gewesen sei, woraufhin der erkennende Richter feststellte, dass der BF verhandlungsfähig, orientiert und bewusstseinsklar sei. Jedoch hielt dieser auch fest, dass der BF aufgrund seiner im Verfahren getätigten Angaben über seine Personaldaten im Jahr 2007 zwölf Jahre alt gewesen sei.

Sein Vater sei Toran bei der Hezb-e Wadat gewesen. Die Leute, die ihn entführen hätten wollen seien eher von der Gruppierung Arbaci als von den Taliban gewesen. Sein Vater sei bei der Hezb-e Harakat gewesen. In welchem Verhältnis diese zur Hezb-e Wadat stehe, wisse er nicht. Nach Verlesung der Anfragebeantwortungen zu den vom BF genannten Milizen vermeinte dieser nicht mehr zu wissen, wann er das Tazkira-Duplikat erhalten hätte. Glaublich sei dies 2016 oder 2017 gewesen. Dahingehend konfrontiert, dass dieses Duplikat bereits 2014 ausgestellt worden sei, gab der BF an, dass er seinen Bruder schon damals vom Iran beauftragt hätte, ein Duplikat zu besorgen, weil er nach Europa habe gehen wollen. Auf den Vorhalt, dass der BF dann im Verfahren gelogen hätte, weil er meinte, dass ihn die Rechtsberaterin gefragt hätte, ob er sich ein Duplikat besorgen hätte können, wich der BF in seiner Antwort aus.

Nach Erörterung der Situation im Falle einer Rückkehr des BF, insbesondere die Möglichkeit einer Ansiedlung in Herat oder Mazar-e Sharif, führte dessen Vertretung aus, dass der dem BF eine Rückkehr aufgrund der Pandemiesituation und seiner Volksgruppenzugehörigkeit nicht zumutbar sei. Der BF selbst vermeinte, dass er nicht zurückkönne, weil ihn diese Gruppierung in Afghanistan überall leicht schnappen könnte.

In Österreich habe er sich außergewöhnlich integriert, weil er Prüfungen über einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 abgelegt und er bereits den Kurs auf dem Niveau B1 absolviert habe. Er habe auch Integrationskurse sowie gemeinnützige Tätigkeiten durchgeführt und wolle im Falle eines positiven Bescheides einer Arbeit in einem Restaurant nachgehen.

Danach folgte der Schluss der mündlichen Verhandlung. Gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG entfiel die Verkündung der Entscheidung.

14. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Afghanische Arbeitsbestätigung

?        Fotos aus Afghanistan

?        Afghanisches Gerichtsurteil

?        Zahlreiche Bestätigungen für die Durchführung gemeinnütziger Tätigkeiten

?        Schulbesuchsbestätigungen

?        Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen

?        ÖSD-Sprachzertifikat (Niveau A2)

?        Teilnahmebestätigungen an zahlreichen Integrationskursen und Sozialprojekten

?        Referenz und Empfehlungsschreiben

?        ACCORD-Anfragen über die Gruppierungen Arkati und Nasri aus den Jahren 2014 und 2017

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

1.1.    Zum sozialen Hintergrund des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und gehört der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.

Der BF wurde nach seinen Angaben Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni geboren. Vom siebenten bis zum 13.Lebensjahr hielt er sich in seiner Heimatprovinz im Distrikt XXXX auf, ehe er mit seiner Familie nach Kabul zog, wo er bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan lebte. In seinem Heimatland hat der BF insgesamt zwölf Jahre die Schule besucht und ist zwei Jahre auf die Universität gegangen. Er hat in Kabul Berufserfahrung in einer Bank gesammelt und im Iran in einem Steinbruch gearbeitet. In seinem Heimatland leben noch seine Mutter und seine Geschwister (zwei Brüder und eine Schwester). Zu seinen Angehörigen besteht regelmäßiger Kontakt. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF ist in Österreich bislang strafrechtlich unbescholten. Der BF ist in seinem Herkunftsstaat auch nicht vorbestraft und hatte dort keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.

Der BF ist nach seiner Ausreise aus Afghanistan über den Iran und die Türkei in Griechenland auf das Gebiet der EU eingereist. Am 17.07.2015 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF stellte am 17.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er sein Heimatland aus Armut und finanziellen Gründen verlassen habe. Die Sicherheitslage sei seitens der Taliban sehr beeinträchtigt gewesen. Im Falle seiner Rückkehr habe er Angst vor den Taliban. Im Laufe des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens steigerte der BF sein Vorbringen mehrmals.

Es wird festgestellt, dass der BF nicht einer seitens Gruppierung/Miliz aufgrund der politischen Tätigkeiten seines Vaters bedroht bzw. gesucht wird.

Der BF wurde weder von den Taliban noch einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung noch von sonstigen Privatpersonen entführt, festgehalten oder von diesen oder dieser bedroht. Der BF wurde seitens der Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung oder von sonstigen Privatpersonen nicht aufgefordert mit diesen oder dieser zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Der BF wurde von den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung oder von sonstigen Privatpersonen weder angesprochen noch angeworben noch sonst in irgendeiner Weise bedroht. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung oder von sonstigen Privatpersonen, die ihn suchen würden.

Festgestellt wird, dass der BF in Afghanistan keiner landesweiten Verfolgung ausgesetzt ist.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch eine sonstige regierungsfeindliche Gruppierung oder durch andere Personen.

Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Es kann daher festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.

1.3.    Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Dem BF ist eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz Ghazni, die als volatile Provinz eingestuft wird, aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage nicht zumutbar. Da seine weitere Herkunftsprovinz Kabul nicht zu den volatilen Provinzen Afghanistans zählt, ist eine Rückkehr in diese möglich.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch noch – neben einer Rückkehr nach Kabul – die Ansiedlung in einer der größeren Städten Afghanistans zumutbar. Auch bei einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder in der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF ist gesund und leidet an keinen Krankheiten. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF.

Die Angehörigen des BF leben derzeit in Kabul. Die Familie des BF kann ihn daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan unterstützen.

Für den Fall, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keine Unterstützung von seiner Familie, mit der er in regelmäßigem Kontakt steht, erhalten würde, hat der BF jedenfalls die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde in der Beschwerdeverhandlung über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.

Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut, weil er in seinem Heimatland in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen ist und er dort auch zwölf Jahre die Schule und zwei Jahre die Universität besucht sowie Arbeitserfahrung gesammelt hat.

1.4.    Zum Leben in Österreich:

Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 17.07.2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 17.07.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der BF hat keine weiteren Familienangehörigen in Österreich. Beim BF finden sich keine besonderen Merkmale zur einer Abhängigkeit zu anderen im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigten Personen.

Der BF pflegte in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und anderen Afghanen. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und ist auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften, ist der BF auch kein Mitglied von Vereinen.

Der BF besuchte zahlreiche Deutschkurse und konnte dies auch durch Teilnahmebestätigungen und Zertifikate bestätigen. Er ist daher in der Lage, auf elementarer Ebene in einfachen, routinemäßigen Situationen des Alltags- und Berufslebens auf Deutsch zu kommunizieren.

Der BF lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt über keine schriftliche Einstellungszusage und ist zuletzt ausschließlich freiwillig gemeinnützig tätig gewesen. Eine wirtschaftliche Integration ist dem BF jedoch nicht gelungen.

1.5.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.5.1. Politische Lage

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (in der aktuellen Fassung vom 21.07.2020, bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Stand 21.7.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt (WHO 20.7.2020; vgl. JHU 20.7.2020, OCHA 16.7.2020), mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet (OCHA 16.7.2020; vgl. DS 19.7.2020). 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar (OCHA 15.7.2020). Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte (TN 14.7.2020). Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (AnA 18.7.2020).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (OCHA 16.7.2020, vgl. BBC-News 30.6.2020).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen (OCHA 8.7.2020; vgl. RA KBL 16.7.2020). Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (OCHA 8.7.2020).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig (OCHA 16.7.2020, vgl. TN 12.7.2020). Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (OCHA 15.7.2020).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren (TN 18.7.2020). Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (TN 12.7.2020).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (TN 18.7.2020).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (TN 18.7.2020; vgl. Mangalorean 19.7.2020).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (WB 10.7.2020; vgl. AN 10.7.2020).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (RA KBL 16.7.2020; vgl. OCHA 8.7.2020).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (RA KBL 16.7.2020; WHO o.D).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 19.3.2020) und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde (RA KBL 16.7.2020; vgl. TN 4.5.2020). Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (RA KBL 16.7.2020; vgl. UNICEF 19.4.2020).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (RA KBL 16.7.2020).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (RA KBL 16.7.2020).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird (OCHA 16.7.2020). Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen (OCHA 15.7.2020). Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind (WFP 15.7.2020, OCHA 15.7.2020). Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (FAO 16.4.2020; vgl. OCHA 16.7.2020; vgl. WB 10.7.2020).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (TN 20.7.2020).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (TN 20.7.2020; vgl. AnA 19.7.2020, DS 19.7.2020).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (TN 12.7.2020).

Stand 29.6.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen (RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Stand: 18.5.2020

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an CO-VID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevö

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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