TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/14 L516 2151512-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.04.2021
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Entscheidungsdatum

14.04.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch


L516 2151512-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.02.2017, Zahl XXXX , nach mündlicher Verhandlung am 20.11.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs 1 und § 8 Abs 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und es wird festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß § 55 Abs 1 iVm Abs 2 AsylG wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 17.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 24.02.2017 (I.) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG sowie (II.) des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen die Spruchpunkte I.-III. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde; diese bildet damit den Inhalt des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache am 20.11.2020 eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner damaligen Rechtsvertretung teilnahm; die belangte Behörde erschien nicht.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Paschtunen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest. (NS EB 17.04.2015 S 1; NS EV 20.01.2017 S 2, 7)

Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Peshawar in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, wo er bis zu seiner Ausreise im Stadtviertel XXXX lebte. Er besuchte in Pakistan von 2006 bis zu seiner Ausreise 2015 die Schule XXXX . Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Die Mutter des Beschwerdeführers lebt bei ihrem Bruder, dem Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers, in einem Ort der sich ungefähr 30-40 Kilometer von Peshawar entfernt befindet. Der Vater des Beschwerdeführers ist an einer Krankheit verstorben, als der Beschwerdeführer noch sehr jung gewesen ist. Auch der einzige Bruder des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Mit seiner Mutter hat der Beschwerdeführer ein bis zwei Mal monatlich telefonischen Kontakt. (NS EB 17.04.2015 S 1, 3; NS EV 20.01.2017 S 3-5; VS 20.11.2020 S 5)

Der Beschwerdeführer verließ seinen Heimatort und Pakistan im März 2015 und reiste über verschiedene Länder nach Österreich. (NS EB 17.04.2015 S 3; NS EV 20.01.2017 S 5)

1.2 Zu seiner Lebenssituation in Österreich

1.2.1 Mitte April 2015 reiste der Beschwerdeführer als unbegleiteter Minderjähriger in Österreich ein, wo er sich gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz seit nunmehr beinahe sechs Jahren ununterbrochen aufhält. Es handelt sich gegenständlich um seinen ersten und einzigen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer hat von Beginn seines Verfahrens an sämtlichen Ladungen Folge geleistet und an seinem Verfahren mitgewirkt, weshalb ihm die bisherige Verfahrensdauer nicht anzulasten ist. (IZR)

1.2.2 Der Beschwerdeführer hat im Schuljahr XXXX die Klasse XXXX der Berufsschule für Lebensmittel, Touristik und Zahntechnik besucht und die Übergangsstufe an BMHS für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch abgeschlossen sowie einen Erste Hilfe Einführungskurs absolviert. Der Beschwerdeführer ist gegenwärtig auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde in Österreich angewiesen. Er hat bereits zwei Mal eine Beschäftigung gefunden, die er jedoch mangels Vorliegen einer dazu erforderlichen Beschäftigung nach kurzer Zeit wieder aufgeben musste. Er bewarb und bewirbt sich jedoch weiterhin bei verschiedenen Arbeitgebern. Der Beschwerdeführer zeigt sich damit insgesamt sowohl lernwillig und –fähig als auch eigeninitiativ, arbeitsfähig und –willig. (Urkundenvorlagen (AS 163, 171-173, OZ 5); VS 20.11.2020, S 4f; VS 20.11.2020, Beilage; Dokumentenvorlage 25.11.2020 (OZ 13))

Der Beschwerdeführer hat mehrere Deutschkurse besucht und hat das ÖSD-Deutschzertifikat auf dem Sprachniveau A2 am 31.10.2017 mit sehr gutem Erfolg sowie das ÖSD-Deutschzertifikat auf dem Sprachniveau B1 am 19.02.2018 mit befriedigendem Erfolg bestanden. In der mündlichen Verhandlung konnte der Beschwerdeführer auf Deutsch schnell, flüssig und spontan in freier Erzählung auf die auf Deutsch gestellten Fragen antworten. Er verstand auch darüber hinaus im gesamten Verlauf der mündlichen Verhandlung die deutschsprachige Konversation und hat auch immer wieder auf Deutsch geantwortet. (Urkundenvorlage (OZ 7, 9); VS 20.11.2020 S 4f)

Der Beschwerdeführer hat mittlerweile seinen Lebensmittelpunkt, viele Freunde, seine Bekannte und sein soziales Netz in Österreich. Er ist gesund. (VS 20.11.2020 S 3-5)

Er ist strafrechtlich unbescholten. (Strafregister der Republik Österreich)

1.3 Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz zusammengefasst im Wesentlichen vor:

Bei der Erstbefragung am 17.04.2015 begründete er seinen Antrag damit, dass sein älterer Bruder ein Geschäft betrieben habe, in welchem Mobiltelefone repariert und Musik auf Speicherkarten hochgeladen worden seien. Der Beschwerdeführer habe dem Bruder im Geschäft ausgeholfen und eines Tages seien Taliban gekommen und der Beschwerdeführer sei aufgefordert worden, das Geschäft zu schließen und keine Musik zu verkaufen. Der Beschwerdeführer habe den Taliban gesagt, dass diese mit seinem Bruder, der zu jenem Zeitpunkt nicht im Geschäft gewesen sei, sprechen sollten. Am nächsten sei er in der Schule gewesen, sein Bruder im Geschäft. Als sich der Beschwerdeführer auf den Weg in das Geschäft gemacht habe, habe er einen Anruf erhalten und er sei gewarnt worden, nicht in das Geschäft zu gehen; er habe erfahren, dass sein Bruder von den Taliban im Geschäft erschossen worden sei. Da die Taliban auch den Beschwerdeführer töten wollten, sei sein Leben in Gefahr gewesen; sein Onkel mütterlicherseits habe ihn daher von Pakistan weggeschickt. (NS EB 17.04.2015 S 5)

Bei der Einvernahme am 20.01.2017 vor dem BFA führte der Beschwerdeführer aus, sein Bruder habe ein Geschäft für CDs und Handyreparaturen gehabt. Auch Pornofilme seien dort verkauft worden. Der Beschwerdeführer sei am Nachmittag im Geschäft gewesen. Die Taliban hätten den Verkauf der Filme nicht akzeptiert, wegen der Reparatur der Mobiltelefone hätten sie keine Schwierigkeiten gemacht. Eines Tages hätten die Taliban den Beschwerdeführer im Geschäft nach dem Bruder gefragt und der Beschwerdeführer habe geantwortet, dass der Bruder nicht da sei. Am nächsten Tag seien die Taliban wiedergekommen und sie hätten wieder nach dem Bruder gefragt, doch der Bruder sei nicht da gewesen. Die Taliban hätten dem Beschwerdeführer gesagt, dass der Bruder im Geschäft warten solle und, dass sie am nächsten Tag wiederkommen würden. Als der Beschwerdeführer am Abend nach Hause gekommen sei, habe er alles dem Bruder erzählt. Am dritten Tag sei der Beschwerdeführer am Weg von der Schule nach Hause gewesen. Ein Nachbargeschäft habe den Beschwerdeführer angerufen, dass er nicht in das Geschäft kommen solle, da der Bruder von den Taliban getötet worden sei und der Beschwerdeführer ebenso getötet werden würde, wenn er käme. Dann habe der Beschwerdeführer seinen Onkel angerufen und jener habe gesagt, dass er zu ihm fahren solle. Der Beschwerdeführer sei mit seiner Mutter zu jenem Onkel gefahren, sei zwei Tage bei jenem geblieben und am dritten Tag geflüchtet. Das Geschäft gebe es nicht mehr, sie hätten das Geschäft verlassen. (NS EV 20.01.2017 S 7, 8)

In der mündlichen Verhandlung am 20.11.2020 führte der Beschwerdeführer – zusammengefasst – aus, er habe in Pakistan am Vormittag die Schule besucht, habe danach zu Hause Mittag gegessen und sei am Nachmittag in das Geschäft seines Bruders gegangen, um diesem zu helfen. An einem späten Nachmittag seien die Taliban ins Geschäft gekommen. Er sei von jenen gefragt worden, wem das Geschäft gehöre und er habe geantwortet, dass es seinem Bruder gehöre. Dann habe einer der Taliban gesagt, dass sie (gemeint: der Beschwerdeführer und sein Bruder) das Geschäft schließen sollten. Er habe geantwortet, dass der Talib mit seinem Bruder darüber sprechen solle. Sein Bruder sei zu jenem Zeitpunkt nicht im Geschäft gewesen und der Beschwerdeführer habe den Taliban gesagt, dass sie am nächsten Morgen kommen sollten. Am nächsten Tag seien die Taliban zur gleichen Zeit wie am Tag davor zum Beschwerdeführer ins Geschäft gekommen. Sein Bruder sei wieder nicht da gewesen. Die Taliban hätten dem Beschwerdeführer erklärt, dass der Beschwerdeführer seinem Bruder ausrichten solle, das Geschäft zu schließen. Am Abend als der Bruder nach Hause gekommen sei, habe der Beschwerdeführer dem Bruder von den Besuchen der Taliban erzählt. Der Bruder habe dem Beschwerdeführer gesagt, dass der Beschwerdeführer keine Angst haben solle und dass sich der Bruder um alles kümmern werde. Am dritten Tage sei der Beschwerdeführer am Vormittag wieder in die Schule gegangen. Nach dem Unterricht habe er sich auf den Weg nach Hause gemacht. Der Besitzer eines Nachbargeschäftes, mit dem sie befreundet gewesen seien, habe den Beschwerdeführer angerufen und erzählt, dass der Beschwerdeführer nicht zum Geschäft kommen solle, weil die Taliban das Geschäft niedergebrannt und den Bruder getötet hätten. Der Beschwerdeführer sei nach Hause gekommen und habe seiner Mutter alles erzählt. Danach habe der Beschwerdeführer seinen Onkel mütterlicherseits angerufen. Dieser Onkel wohne ca 40 Km von Peshawar entfernt. Sein Onkel hat zu seiner Mutter und zum Beschwerdeführer gesagt, dass sie beide zu ihm gehen sollten. Der Beschwerdeführer war zwei Tage bei ihm. Der Onkel habe einen Schlepper organisiert und der Beschwerdeführer habe Pakistan verlassen (VS 20.11.2020 S 6/7)

1.4 Zur Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Antragsgründe und Rückkehrbefürchtung

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach sein Bruder wegen dem Verkauf von Pornofilmen von den Taliban getötet worden sei und diese auch den Beschwerdeführer töten wollen würden, ist nicht glaubhaft. Er hat damit nicht glaubhaft gemacht und es ergibt sich auch sonst nicht, dass er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ganz Pakistan einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung von erheblicher Intensität ausgesetzt wäre.

1.5. Zur Lage in Pakistan

Politische Lage

Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa. Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden. Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete von GilgitBaltistan und Azad Jammu & Kashmir, dem auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie (“Line of Control”) zwischen Indien und Pakistan liegenden Teil Kaschmirs. Beide Gebiete werden offiziell nicht zum pakistanischen Staatsgebiet gerechnet und sind in Teilen autonom. Das Hauptstadtterritorium Islamabad (“Islamabad Capital Territory”) bildet eine eigene Verwaltungseinheit (AA 1.2.2019a).

Die gesetzgebende Gewalt in Pakistan liegt beim Parlament (Nationalversammlung und Senat). Daneben werden in den Provinzen Pakistans Provinzversammlungen gewählt. Die Nationalversammlung umfasst 342 Abgeordnete, von denen 272 vom Volk direkt für fünf Jahre gewählt werden. Es gilt das Mehrheitswahlrecht. 60 Sitze sind für Frauen, 10 weitere für Vertreter religiöser Minderheiten reserviert (AA 1.2.2019a). Die reservierten Sitze werden von den Parteien gemäß ihrem Stimmenanteil nach Provinzen besetzt, wobei die Parteien eigene Kandidatenlisten für diese Sitze erstellen. (Dawn 2.7.2018).

Bei der Wahl zur Nationalversammlung (Unterhaus) am 25. Juli 2018 gewann erstmals die Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI: Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) unter Führung Imran Khans die Mehrheit (AA 1.2.2019a). Es war dies der zweite verfassungsmäßig erfolgte Machtwechsel des Landes in Folge (HRW 17.1.2019). Die PTI konnte durch eine Koalition mit fünf kleineren Parteien sowie der Unterstützung von neun unabhängigen Abgeordneten eine Mehrheit in der Nationalversammlung herstellen (ET 3.8.2018). Imran Khan ist seit Mitte August 2018 Premierminister Pakistans (AA 1.2.2019).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von Parlament und Provinzversammlungen gewählt. Am 9. September 2018 löste Arif Alvi von der Regierungspartei PTI den seit 2013 amtierenden Präsidenten Mamnoon Hussain (PML-N) Staatspräsident regulär ab (AA 1.2.2019a).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Sicherheitslage allgemein

Die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus bleibt zentrales Problem für die innere Sicherheit des Landes (AA 1.2.2019a; vgl. USDOS 19.9.2018). Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2009, zurückgegangen (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018, USDOS 19.9.2018). Konflikte mit dem Nachbarland Indien werden gelegentlich gewaltsam ausgetragen (EASO 10.2018 S 16).

Die Taliban und andere militante Gruppen verüben Anschläge insbesondere in Belutschistan und in Khyber-Pakhtunkhwa (AA 21.8.2018), aber auch in Großstädten wie Karatschi (AA 1.2.2019a). Über 90 % der terroristischen Anschläge sowie Todesopfer entfielen 2018 auf die zwei Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (PIPS 7.1.2019). Die Anschläge zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten, sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie die Sufis (AA 1.2.2019a).

Die Operationen der Rangers [siehe dazu Abschnitt 5] in Karatschi (ab 2013), Militäroperationen in Nord-Wasiristan und der Khyber Agency [Stammesbezirke der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Anm.], sowie landesweite Anti-Terror-Operationen als Teil des National Action Plan (NAP) trugen dazu bei, den rückläufigen Trend bei der Zahl der Vorfälle und der Opfer auch 2018 aufrecht zu halten (PIPS 7.1.2019 S 20; vgl. EASO 10.2018 S 18). In den ehemaligen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas – FATA) konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden (AA 21.8.2018), die Militäraktionen gelten als abgeschlossen (Dawn 29.5.2018). Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat (AA 21.8.2018).

Die verschiedenen militanten, nationalistisch-aufständischen und gewalttätigen religiöskonfessionellen Gruppierungen führten 2018 landesweit 262 terroristische Angriffe durch. Dabei kamen 595 Menschen ums Leben und weitere 1.030 wurden verletzt. Unter den Todesopfern waren 371 Zivilisten, 173 Angehörige der Sicherheitskräfte und 51 Aufständische. 136 (52 %) Angriffe zielten auf staatliche Sicherheitskräfte, jedoch die höchste Zahl an Opfern (218 Tote und 394 Verletzte) gab es bei insgesamt 24 Terrorangriffen auf politische Persönlichkeiten. Zivilisten waren das Ziel von 47 (18 %) Angriffen, acht waren Angriffe auf regierungsfreundliche Stammesälteste bzw. Mitglieder der Friedenskommittees und sieben hatten Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft zum Ziel (PIPS 7.1.2019 S 17f). Im Vergleich zu 2017 gab es im Jahr 2018 29 Prozent weniger terroristische Angriffe, bei denen um 27 Prozent weniger Todesopfer und um 40 Prozent weniger Verletzte zu beklagen waren (PIPS 7.1.2019).

Insgesamt gab es im Jahr 2018 in Pakistan, inklusive der oben genannten terroristischen Anschläge, 497 Vorfälle von für die Sicherheitslage relevanter Gewalt (2017: 713; -30 %), darunter 31 operative Schläge der Sicherheitskräfte (2017: 75), 22 Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen (2017: 68), 131 Auseinandersetzungen an den Grenzen mit Indien, Afghanistan und Iran (2017: 171) und 22 Vorfälle von ethnischer oder politischer Gewalt (2017: vier) (PIPS 7.1.2019 S 19f; Zahlen für 2017: PIPS 7.1.2018 S 20). Die Zahl der bei diesen Vorfällen getöteten Personen sank um 46 % auf 869 von 1.611 im Jahr 2017, die Zahl der verletzten Personen sank im selben Zeitraum um 31 % von 2.212 auf 1.516 (PIPS 7.1.2019 S 20).

Nach dem Angriff auf die Militärschule in Peschawar im Dezember 2014 wurde der National Action Plan (NAP) gegen Terrorismus in Kraft gesetzt. Die 20 Punkte des Plans umfassen Maßnahmen sowohl gegen Terrorismus als auch gegen Extremismus. Gemäß Einschätzung von PIPS wurden in den vier Jahren, die der Plan nun in Kraft ist, zufriedenstellende Fortschritte im Bereich der Terrorismusbekämpfung erzielt. Die Fortschritte im Bereich der Extremismusbekämpfung werden als nicht zufriedenstellend angesehen (PIPS 7.1.2019 S 89ff).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Sicherheitslage Punjab und Islamabad

Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, ist verwaltungstechnisch nicht Teil der Provinz Punjab, sondern ein Territorium unter Bundesverwaltung (ICTA o.D.). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).

Die Sicherheitslage in Islamabad ist besser als in anderen Regionen (EASO 10.2018 S 93). Die Sicherheitslage im Punjab gilt als gut (SAV 29.6.2018). Mehrere militante Gruppierungen, die in der Lage sind, Anschläge auszuüben, sind im Punjab aktiv (EASO 10.2018 S 63-64; vgl. SAV 29.6.2018). In großen Städten wie Lahore und Islamabad-Rawalpindi gibt es gelegentlich Anschläge mit einer hohen Zahl von Opfern, durchgeführt von Gruppen wie den Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP), Al Qaeda oder deren Verbündeten (ACLED 7.2.2017); beispielsweise wurden bei einem Bombenanschlag durch die TTP-Splittergruppe Hizbul-Ahrar auf Polizeieinheiten vor einem Sufi-Schrein in Lahore am 8.5.2019 zehn Personen getötet. (Guardian 8.5.2019; vgl. Reuters 8.5.2019). Der Südpunjab gilt als die Region, in der die militanten Netzwerke und Extremisten am stärksten präsent sind (EASO 10.2018 S 63-64).

Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen und für den Punjab zwei terroristische Angriffe mit zwei Toten (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019). Im Jahr 2018 wurde von PIPS im Hauptstadtterritorium kein terroristischer Angriff gemeldet. Im Punjab gab es vier terroristische Anschläge mit 20 Todesopfern. Zwei davon waren Selbstmordsprengangriffe durch die pakistanischen Taliban (PIPS 7.1.2019 S 49). Im Jahr 2017 kamen im Punjab bei 14 Anschlägen 61 Personen ums Leben, davon fanden sechs Vorfälle mit 54 Toten in Lahore statt. Das Hauptstadtterritorium verzeichnete drei Anschläge mit zwei Todesopfern (PIPS 7.1.2018).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Sicherheitslage Khyber-Pakhtunkhwa

Die Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) ist in 25 Distrikte (PBS 2017d) und sieben Tribal Districts unterteilt (Dawn 31.5.2018). Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) wurden Ende Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert (AA 1.2.2019a). Die sieben Tribal Districts Bajaur, Khyber, Kurram, Mohmand, Orakzai, Nord- und Süd-Wasiristan waren bis 31. Mai 2018 Agencies der FATA (FRC 15.1.2019; vgl. PBS 2017d, Dawn 31.5.2018). Die bis 31.5.2018 bestehenden Frontier Regions der FATA wurden als Subdivisions in die bestehenden Distrikte Bannu, Dera Ismail Khan, Kohat, Lakki Marwat, Peschawar und Tank eingegliedert (Dawn 31.5.2018; vgl. PBS 2017d).

Laut Zensus 2017 hat die Provinz [im Gebietsstand ab 1.6.2018] ca. 35,5 Millionen Einwohner, wovon ca. fünf Millionen auf dem Gebiet der ehemaligen FATA leben. Die Hauptstadt Peschawar hat 4,3 Millionen Einwohner (PBS 2017d).

2009 begann die pakistanische Armee mit einer Reihe militärischer Einsätze gegen Tehreek-eTaliban Pakistan (TTP) in Khyber Pakhtunkhwa. Diese Offensive war gekennzeichnet durch Menschenrechtsverletzungen und willkürliche Verhaftungen. Die militärischen Einsätze gegen Aufständische trugen auf lange Sicht zu mehr Sicherheit in der Provinz bei (EASO 10.2018 S 67); auch auf dem Gebiet der ehem. FATA hat sich die Lage verbessert und viele Gebiete sind von Aufständischen geräumt worden (EASO 10.2018 S 82; vgl. FRC 15.1.2019). In den ehemaligen FATA konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden (AA 21.8.2018; vgl. FRC 15.1.2019), die Militäraktionen gelten als abgeschlossen (Dawn 29.5.2018).

Dennoch bleibt die Bedrohung durch Gewalttaten der TTP weiter aufrecht. Zahlreiche TalibanFraktionen konnten ihre Netzwerke auf afghanischer Seite der Grenze wieder herstellen und sind in der Lage, terroristische Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten in den Tribal Districts Nord- und Süd-Wasiristan durchzuführen (FRC 15.1.2019; vgl. AA 21.8.2018). Andere Gruppen, die zur Instabilität in den Stammesdistrikten beitragen und ebenfalls grenzüberschreitend von Afghanistan aus operieren, sind der Islamische Staat, die Wazir- und Mahsud-Taliban, Lashkar-e-Islam und Tauheed-ul-Islam (FRC 15.1.2019). In Süd-Wasiristan wurde eine bewaffnete Gruppe, die als „gute Taliban“ bezeichnet wird, zu einer staatlich gestützten Miliz (EASO 10.2018 S 82). Eine lokale Talibangruppe um Mullah Nazir aus Nord-Wasiristan, die ebenfalls als „gute Taliban“ bezeichnet wurde, ist jetzt unter dem Deckmantel eines Friedenskommittees tätig und bedroht Mitglieder des Pakhtun Tahaffuz Movement (PTM, siehe auch Abschnitt 17.3) (PIPS 7.1.2019 S 75).

Als Folge der Mitte 2014 begonnenen Militäroperation Zarb-e-Azb, die sich im Wesentlichen auf das Gebiet der ehem. FATA konzentrierte, mussten rund 1,4-1,8 Mio. Menschen ihre Wohngebiete verlassen und galten seither als IDPs (ÖB 10.2018; vgl. AA 21.8.2018). Die geordnete Rückführung der Binnenvertriebenen in die betroffenen Regionen der Stammesgebiete, die Beseitigung der Schäden an Infrastruktur und privatem Eigentum, ebenso wie der Wiederaufbau in den Bereichen zivile Sicherheitsorgane, Wirtschaft, Verwaltung und Justiz stellen Regierung, Behörden und Militär vor große Herausforderungen (AA 21.8.2018; vgl. Abschnitt 20.1).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Paschtunen

Die von Großbritannien definierte Durand-Linie, heute Staatsgrenze zwischen Pakistan und Afghanistan, trennt das Siedlungsgebiet der Paschtunen (Monde 8.1.2015). Gemäß Volkszählung 2017 stellen paschtunische Muttersprachler mit 15,4 % der Bevölkerung Pakistans (ca. 32 Millionen Menschen) die zweitgrößte Sprachgruppe des Landes. Von ihnen leben ca. 22,6 Millionen in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa [inkl. ehem. FATA], wo sie ca. 77,7 % der Bevölkerung ausmachen; sowie ca. 3,7 Millionen in der Provinz Belutschistan, wo sie ca. 29,6 % der Bevölkerung ausmachen. Etwa zwei Millionen Paschtunen leben im Sindh, 1,3 Millionen im Punjab und 0,2 Millionen im Hauptstadtterritorium Islamabad (aggregiert aus PBS 2017a und PBS 2017c). Hinzu kommen noch 1,4 Millionen registrierte und ca. eine Million nicht registrierte afghanische Flüchtlinge in Pakistan (EASO 10.2018; vgl. Abschnitt 20.2), von denen ca. 80-85 % ethnische Paschtunen sind (ICMC 7.2013; vgl. UNHCR 24.8.2005).

Viele Pakistanis assoziieren die Aufständischenaktivitäten im Land mit Paschtunen, die auf beiden Seiten der pakistanisch-afghanischen Grenze leben (DW 20.3.2017). Weil die pakistanische Taliban-Bewegung vornehmlich eine paschtunische Bewegung ist, sind viele Paschtunen durch eine Art Sippenhaft als „Islamisten oder militante Kämpfer“ gebrandmarkt worden (EASO 10.2018). Weiters gibt es Ressentiments der pakistanischen Elite gegen Paschtunen aufgrund separatistischer Bestrebungen in der Anfangszeit des Staates Pakistan. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage in Afghanistan hat die Idee der Vereinigung der paschtunisch besiedelten Gebiete zu einem „Groß-Paschtunistan“ unter den pakistanischen Paschtunen kaum noch Anhänger (DW 20.3.2017).

Im Zuge des Kampfes gegen islamistische Aufständische kam es seitens der Sicherheitskräfte zu einem ethnischen Profiling von Paschtunen, insbesondere Angehörigen einkommensschwacher Gruppen (DW 20.3.2017). Menschenrechtsgruppen wiesen darauf hin, dass Paschtunen im Rahmen des „Kriegs gegen den Terrorismus“ zum Ziel für Übergriffe, Verschleppungen und außergerichtliche Tötungen wurden (EASO 10.2018).

Im Jahr 2018 erlebte Pakistan den Aufstieg des Pashtun Tahafuz Movement, (Pashtun Protection Movement / paschtunische Schutzbewegung; PTM), einer Bürgerrechtsbewegung, die Schutz und Rechte für die paschtunische Minderheit im Land fordert (EASO 10.2018), beispielsweise Aufklärung der aussergerichtlichen Tötungen, ein Ende der willkürlichen Angriffe und Misshandlungen, die Rückkehr verschwundener Personen und das Räumen der Landminen in den ehem. Stammesgebieten (SAV 9.3.2018; vgl. HRCP 3.2019). Die PTM führt einen „offenen verbalen Krieg mit der Armee“ (EASO 10.2018). Ihre Anführer und Anhänger werden als Verräter, unloyal und staatsfeindlich bezeichnet (Diplomat 5.2.2019).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Geschätzt 15,4 % der Bevölkerung Pakistans sind Paschtunen, womit sie nach den Punjabis die zweitgrößte ethnische Gruppe des Landes bilden. Paschtunen leben traditionell unter sich in ihren eigenen Stämmen und Unterstämmen in Khyber Pakhtunkhwa und der ehemaligen FATA, auch wenn viele Paschtunen in städtische Gebiete migriert sind. Die größten Paschtunen-Gemeinschaften leben in Karatschi, wo sich die größte Paschtunenpopulation in der Welt befindet, gefolgt von Peschawar. Paschtunen leben auch in Belutschistan, Islamabad, Lahore und anderen städtischen Gebieten.

Paschtunen sind in allen Gesellschaftsschichten in Pakistan vertreten. Historisch gesehen haben Paschtunen die Beschäftigung im Verkehrssektor in Pakistan und Afghanistan bestimmt. Paschtunen sind gut in den pakistanischen Sicherheitskräften vertreten. Die PTI hat eine starke Unterstützungsbasis in der von den Paschtunen bestimmten Provinz Khyber Pakhtunkhwa.

Die Sicherheitslage hat sich in ganz Pakistan, für alle Pakistani, die Pashtunen eingeschlossen, verbessert. Paschtunen, die innerhalb Pakistans umziehen, vor allem nach Karachi und Lahore, berichten über „ethnic profiling“ und Belästigungen durch Sicherheitsbeamte, auch Bestechung sei ein Thema. Paschtunen wird auch oft ihre National Identity Card (CNIC) gesperrt, wenn sie umziehen, was den Zugriff auf Vermögenswerte und Eigentum behindert. Als Ergebnis der Schwierigkeiten bevorzugen es Paschtunen sich dort wiederanzusiedeln, wo sie familiäre Verbindungen habe, also in Khyber Pakhtunkhwa oder im Sindh (ausgenommen Karachi), und vermeiden, sich im Punjab niederzulassen.

Nach der Bewertung von DFAT sind Paschtunen einem mittleren Risiko ausgesetzt, Diskriminierungen durch offizielle Stellen in Form von terror-bezogenem und „racial profiling“ durch Sicherheitskräfte in Gebieten, in denen sie die Minderheit darstellen, insbesondere im Punjab, zu erleiden. Paschtunen in Gebieten, in denen die Paschtunen die Mehrheit bilden oder wo familiäre oder andere soziale Verbindungen bestehen, sind einem niedrigen Risiko ausgesetzt, durch offizielle Stellen diskriminiert zu werden.

[Beweisquelle: Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT), Country Information Report Pakistan 20.02.2019].

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Justiz steht weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 21.8.2018). Gerichte sind überlastet, die Judikative ist nicht in der Lage, Menschenrechte besser zu schützen (AA 1.2.2019). Laut NGOs und Rechtsexperten ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen, wie der Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen beeinträchtigt (USDOS 13.3.2019). Die im Rahmen des nationalen Anti-Terror-Aktionsplans vom 24.12.2014 vorgesehene grundlegende Reform des Systems der Strafjustiz kommt bislang nicht voran (AA 21.8.2018).

Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben korrupt, ineffizient und anfällig für den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings von den Medien und der Öffentlichkeit als glaubwürdig eingestuft (USDOS 13.3.2019). Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt, zusammen mit anderen Problemen, den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 13.3.2019).

Gerichte versagen oft dabei, die Rechte religiöser Minderheiten zu schützen. Gesetze gegen Blasphemie werden diskriminierend gegen Schiiten, Christen, Ahmadis und andere religiöse Minderheiten eingesetzt. Untere Gerichte verlangen oft keine ausreichenden Beweise in Blasphemie-Fällen und einige Angeklagte oder Verurteilte verbringen Jahre im Gefängnis, bevor ein höheres Gericht ihre Freilassung anordnet oder ihren Schuldspruch aufhebt (USDOS 13.3.2019). Für mehr Informationen zu Blasphemiegesetzen siehe Abschnitt 16.5

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte ist in der Verfassung verankert: Grundrechte, Schutz der körperlichen Unversehrtheit und Selbstbestimmung, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, des persönlichen Ansehens sowie das Recht auf Freiheit und Eigentum, Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz; Verbot willkürlicher Verhaftungen und Tötungen ohne gesetzliche Grundlage (die Todesstrafe ist in Pakistan nach wie vor nicht abgeschafft) (AA 21.8.2018).

Allerdings weichen der Anspruch der Verfassung und die gesellschaftliche Realität voneinander ab.

Die nachhaltige Entwicklung einer liberalen Demokratie mit effektivem Rechtsstaat und Schutz der Menschenrechte wird weiterhin behindert durch Extremismus/Islamismus, Korruption, die starke Stellung des Militärs, den Einfluss von Feudal/Stammes-Strukturen in Politik und Gesellschaft, sowie ein in Pakistan oft geleugnetes, aber weiterhin wirksames, durch religiöse Intoleranz angereichertes Kastenwesen. Korruption ist weit verbreitet. Die pakistanischen Gerichte sind überlastet. Die Judikative ist nicht in der Lage, Menschenrechte besser zu schützen (AA 5.3.2019). Die Menschenrechtslage in Pakistan bleibt kritisch. Grundsätzlich bekennt sich die pakistanische Regierung zu den Menschenrechten. In vielen Fällen fehlt ihr jedoch der politische Wille, Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen, sie aufzuklären und Rechtsbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Die Schwäche der staatlichen Institutionen, nicht zuletzt im Bereich der Justiz, führt in vielen Fällen dazu, dass dem Recht keine Geltung verschafft wird. Bei der Bekämpfung von Terrorismus und Militanz werden Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen. Führenden Politikern fehlt vielfach das Grundverständnis für die Relevanz menschenrechtlicher und anderer völkerrechtlicher Normen, zu deren Einhaltung sich Pakistan verpflichtet hat (AA 21.8.2018).

Religionsfreiheit

Laut Volkszählung 2017 sind 96,28 % der ca. 207 Millionen Einwohner Pakistans muslimisch, 1,59 % Christen, 1,6 % Hindus, 0,22 % Ahmadi, 0,25 % gelistete Kasten („scheduled castes“) und 0,07 % gehören einer anderen Religion an (PBS 2017b). CIA World Factbook gibt an, dass von den Muslimen ca. 85-90 % Sunniten und 10-15 % Schiiten sind (CIA 5.2.2019); USDOS geht anhand der Volkszählung 1998 davon aus, dass 75 % der muslimischen Bevölkerung offiziell als Sunniten und 25 % als Schiiten geführt werden. Weitere Religionsgemeinschaften sind Zoroastrier, Bahai, Sikh, Buddhisten, und kleinere Gruppen wie Kalasha, Kihal und Jainisten. Minderheitenvertreter schätzen die Anhängerzahl der religiösen Minderheiten auf 6-10 Millionen Menschen (USDOS 29.5.2018).

Artikel 227 der Verfassung besagt, dass alle Gesetze mit den Regeln des Islam konform sein müssen, wobei der Artikel auch Schutz der Rechte von Nicht-Muslimen vorsieht (Pakistan Constitution 1973/2016; vgl. USDOS 29.5.2018). Die Verfassung verbietet Diskriminierung in religiösen Bereichen (USDOS 29.5.2018). Am 28.11.2018 wurde Pakistan vom USAmerikanischen Außenministerium in Bezug auf Religionsfreiheit als besonders besorgniserregendes Land („Country of Particular Concern under the International Religious Freedom Act of 1998“) eingestuft, da systematische, ständige und schwerwiegende Verletzungen der Religionsfreiheit von staatlicher Seite durchgeführt oder toleriert werden (USDOS 11.12.2018).

Die Lage der religiösen Minderheiten - vor allem Christen und Hindus sowie der Ahmadis, die vom pakistanischen Staat nicht als Muslime anerkannt werden -, ist weiterhin schwierig. Viele sind Zwangsarbeit ausgesetzt und leben in Schuldknechtschaft. Eine Bedrohung geht von militanten Organisationen vor allem gegen Schiiten, Ahmadis und Christen, aber auch gegen gemäßigte Sunniten und Muslime, die nicht einer konservativen Islam-Auslegung folgen, wie die Sufis, aus (AA 1.2.2019). Das Antreten von extremistischen religiösen Parteien im Wahlkampf 2018 führte zu vermehrten Bedrohungen und verhetzender Sprache gegenüber religiösen Minderheiten (USCIRF 4.2019). [Anmerkung: Für eine detaillierte Lagebeschreibung der unterschiedlichen religiösen Gruppen siehe die Abschnitte 16.1, 16.2, 16.3, 16.4]

Laut PIPS wurden im Jahr 2018 bei insgesamt 16 religiös oder konfessionell motivierten Terroranschlägen 59 Menschen getötet (PIPS 1.2019 S 53, 59); im Jahr 2017 gab es 26 religiös oder konfessionell motivierte Terroranschläge mit insgesamt 87 Toten (PIPS 7.1.2018 S 60, 68).

Die umstrittene Blasphemie-Gesetzgebung sieht für Gotteslästerung die Todesstrafe vor, die allerdings im Zusammenhang mit diesem Delikt noch nie vollstreckt wurde (AA 21.8.2018). Die Blasphemiegesetze werden diskriminierend gegen Christen, Ahmadis, Schiiten und andere Mitglieder religiöser Minderheiten angewendet (USDOS 13.3.2019) und gemäß Interessenvertretungen sind Mitglieder religiöser Minderheiten überproportional von der Anwendung der Blasphemiegesetze betroffen (USDOS 29.5.2018).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet die Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung (USDOS 13.3.2019). Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 1.2019, HRCP 3.2019). Es gibt einzelne rechtliche Einschränkungen, Wohnort, Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu wechseln (FH 1.2019)

Reisebewegungen von bestimmten religiösen und Gender-Minderheiten bleiben gefährlich (HRCP 3.2019). Seit 2009 haben pakistanische Bürger das Recht, sich in Gilgit Baltistan anzusiedeln, jedoch gibt es weiterhin Einschränkungen für eine Ansiedlung in Azad-Jammu und Kaschmir (FH 1.2018). Einschränkungen der Bewegungsfreiheit gibt es für Bewohner der ehemaligen FATA durch Ausgangssperren, Umzäunungen und eine starke Zunahme an Kontrollpunkten (ICG 20.8.2018).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Grundversorgung und Wirtschaft

Pakistans Wirtschaft hat wegen einer günstigen geographischen Lage, Ressourcenreichtum, niedrigen Lohnkosten, einer jungen Bevölkerung und einer wachsenden Mittelschicht Wachstumspotenzial. Dieses Potenzial ist jedoch aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, periodisch wiederkehrender makroökonomischer sowie politischer Instabilität und schwacher institutioneller Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Als größte Wachstumshemmnisse gelten Korruption, ineffiziente Bürokratie, ein unsicheres regulatorisches Umfeld, eine trotz Verbesserungen in den letzten Jahren relativ teure bzw. unzureichende Energieversorgung und eine – trotz erheblicher Verbesserung seit 2014 – teils fragile Sicherheitslage (AA 5.3.2019).

Die pakistanische Wirtschaft wächst bereits seit Jahren mit mehr als vier Prozent. Für 2018 gibt der Internationale Währungsfonds (IWF) sogar ein Plus von 5,6 Prozent an. Das Staatsbudget hat sich stabilisiert und die Börse in Karatschi hat in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebt. Erreicht wurde dies durch einschneidende Reformen, teilweise unterstützt durch den IWF. In der Vergangenheit konnte Pakistan über die Jahrzehnte hinweg jedoch weder ein solides Wachstum halten noch die Wirtschaft entsprechend diversifizieren. Dies kombiniert mit anderen sozioökonomischen und politischen Faktoren führte dazu, dass immer noch etwa ein Drittel der pakistanischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt (GIZ 2.2019a). Die Arbeitslosigkeit in Pakistan liegt Stand 2017 offiziell etwa bei 6 % (CIA 5.2.2019). CIA hält fest, dass die offiziellen Arbeitslosenzahlen die Situation nicht vollständig beschreiben können, da ein großer Teil der Wirtschaft informell und die Unterbeschäftigung hoch ist (CIA 5.2.2019a; vgl. GIZ 2.2019). Kritisch ist vor allem die Situation von jungen erwerbslosen/arbeitslosen Männern zwischen 15 und 30 Jahren. Als Folge dieser hohen Arbeitslosigkeit gepaart mit einer Verknappung natürlicher Ressourcen, vor allem auf dem Land, kommt es zu einer verstärkten Arbeitsmigration nicht nur in die großen Städte, sondern traditionell auch in die Golfstaaten.

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Sozialbeihilfen

Die Edhi Foundation ist die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edih o.D.). Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Distrikten der vier Provinzen – inklusive Azad Jammu und Kaschmir – aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung ist in weiten Landesteilen unzureichend und entspricht medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch meist nicht europäischem Standard. Die Versorgung mit zuverlässigen Medikamenten und eine ununterbrochene Kühlkette sind nicht überall gesichert (AA 13.3.2019).

In modernen Krankenhäusern in den Großstädten konnte – unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit – eine Behandlungsmöglichkeit für die am weitesten verbreiteten Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z. B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden und sind für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich (AA 21.8.2018). In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen (AA 21.8.2018).

Trotz Verbesserungen in den letzten Jahren (HRCP 3.2019) führt der Großteil der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen keine zufriedenstellende Behandlung durch. Die Menschen tendieren dazu, private Einrichtungen aufzusuchen (Kurji et al 2016; vgl. HRCP 3.2019). Diese sind jedoch für die ärmere Bevölkerung unleistbar (Kurji et al 2016). Das staatliche Wohlfahrts-Programm Bait-ul-Mal vergibt Unterstützungsleistungen und fördert die Beschaffung von Heilbehelfen (PBM o.D.).

[Beweisquelle: LIB Mai 2019 mwN]

Zur aktuell vorherrschenden Pandemie aufgrund des Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

(Beweisquelle: www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; www.oesterreich.gv.at/)

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen in Pakistan (1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, waren auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Mangels Vorlage von unbedenklichen Identitätsdokumenten konnte seine Identität nicht abschließend festgestellt werden.

Seine Ausführungen zu seiner Schulbildung, zu seiner beruflichen Tätigkeit, zu seinen Familienangehörigen in Pakistan sowie zu seinem Aufenthalt in seinem Heimatort waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte.

Die Feststellungen zu seiner Ausreise aus Pakistan, seiner Reiseroute und seiner Einreise nach Österreich beruhen auf seinen Angaben im Verfahren, welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätte.

2.2 Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (1.2)

Seine Angaben zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich, zu seiner aktuellen Lebenssituation, seinem schulischen und beruflichen Engagement, seiner Erwerbstätigkeit, dem Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung und zu seinen sozialen Kontakten erwiesen sich als widerspruchsfrei, sie wurden durch die von ihm vorgelegten Bescheinigungen zum Nachweis seiner bereits gesetzten Integrationsschritte (Deutschkursbesuchsbestätigungen und Deutschprüfungszeugnisse, Schul- und Kursbesuchsbestätigungen, Empfehlungsschreiben ) belegt und stehen auch im Einklang mit den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus den behördlichen Datenregistern. Seine Deutschkenntnisse konnte der Beschwerdeführer auch in der Verhandlung selbst unter Beweis stellen. Der Beschwerdeführer konnte sich gut in deutscher Sprache verständigen. Er konnte auf Deutsch schnell, flüssig und spontan in freier Erzählung auf die auf Deutsch gestellten Fragen antworten und verstand darüber hinaus im gesamten Verlauf der mündlichen Verhandlung die deutschsprachige Konversation und hat auch immer wieder auf Deutsch geantwortet. Dass der Beschwerdeführer gesund ist, wurde aufgrund seiner diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung festgestellt. Die strafrechtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus dem unverdächtigen Strafregisterauszug.

2.3 Zur Begründung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz und zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit (oben 1.3 und 1.4)

2.3.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Einvernahme vor dem BFA am 20.01.2017 sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 20.11.2020.

2.3.2 Der Beschwerdeführer brachte zusammengefasst vor, sein Bruder sei aufgrund des Verkaufs von Pornofilmen von den Taliban im März 2015 getötet worden sei und auch das Leben des Beschwerdeführers sei in Gefahr, weil er jenem Bruder im Geschäft geholfen habe.

Das Vorbringen des Asylwerbers muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009) Diese Voraussetzung ist im vorliegend Fall aus den folgenden Gründen nicht gegeben:

Der Beschwerdeführer schilderte sein Vorbringen vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung zwar annähernd gleichbleibend, aber stets strikt chronologisch und zudem wenig detailreich (vergleich dazu die Darstellung oben unter 1.3), obwohl er zuletzt in der mündlichen Verhandlung nach seinen ersten – nur wenige Sätze umfassenden – Ausführungen dazu explizit aufgefordert wurde, alle Einzelheiten von Anfang bis zum Ende und dabei auch für ihn selbst Unwichtiges zu erzählen. (VS 20.11.2020 S 6) Auch fehlt es an vielen weiteren Glaubhaftigkeitsmerkmalen, wie eine ungeordnete Erzählweise, Zugeben von Erinnerungslücken, spontane Selbstverbesserungen; der Beschwerdeführer schilderte auch keine eigen- oder fremdpsychische Vorgänge und keine überflüssigen oder ungewöhnlichen Details oder Handlungskomplikationen (vgl dazu bspw Hermanutz/Litzcke/Kroll, Adler, Polizeiliche Vernehmung und Glaubhaftigkeit3, S 42 ff). Dies ist ein Aspekt, der gegen die Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens spricht.

Das Vorbringen weist auch mehrere Unschlüssigkeiten auf. Nach den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung hätte er seinem Bruder erst von den Taliban erzählt, nachdem diese das zweite Mal beim Beschwerdeführer gewesen wären (NS EV 20.01.2017 S 7; VS 20.11.2020 S 7). Weshalb er dies seinem Bruder nicht bereits nach dem ersten Besuch der Taliban erzählte, ist nicht nachvollziehbar. Ebenso ist es unschlüssig, dass der Bruder trotz jener Information des Beschwerdeführers dennoch am nächsten Tag ins Geschäft gegangen wäre und dort auf die Taliban gewartet hätte, wenn der Beschwerdeführer noch in der Einvernahme vor dem BFA angegeben hatte, dass alle die Taliban kennen würden, diese alles Mögliche und auch eine Bombe machen würden, wenn man Schwierigkeiten mache. (NS EV 20.01.2017 S 8) Der Beschwerdeführer gab – wie soeben ausgeführt – vor dem BFA an, dass alle die Taliban kennen würden, diese alles Mögliche und auch eine Bombe machen würden, wenn man Schwierigkeiten mache, und in der mündlichen Verhandlung gab er an, dass er beim ersten Erscheinen der Taliban sofort angenommen habe, dass es sich dabei um Taliban handle, man diese sehr leicht von anderen Leuten unterscheiden könne und die Taliban sehr gut vernetzt seien und ihre Leute auch in Großstädten hätten (VS 20.11.2020 S 8, 9). Demgegenüber gab der Beschwerdeführer in der Verhandlung an, dass er eigentlich keine Ahnung davon hat, wofür die Taliban stehen und weshalb diese gegen Pornofilme seien. (vgl VS 20.11.2020 S 8/9: „RI: Wissen Sie auch, was den Taliban wichtig ist und was das Ziel der Taliban ist? P: Nein, das weiß ich nicht. RI: Haben Sie sonst schon einmal gehört oder gelesen, was die Taliban tun? P: Es gab fast täglich zu Anschlägen, die von den Taliban verübt wurden. RI: Haben Sie auch gelesen oder gehört, weshalb diese Anschläge verübt wurden? P: Ich weiß nur, dass in den Nachrichten von den zahlreichen Anschlägen berichtet wurde. Ich weiß aber nicht, wofür die Taliban die Anschläge verübt haben. RI: Können Sie sich vorstellen, warum die Taliban gegen Pornofilme sind? P: Ich weiß es nicht.“; VS 20.11.2020 S 10: „RI: Wann haben Sie das erste Mal darüber gehört, dass es die Taliban überhaupt gibt, können Sie sich daran erinnern, wie alt Sie damals ungefähr waren? P: Ich war damals sehr jung. Ich glaube, dass ich im Jahr 2009 oder 2010 von den Taliban gehört habe. RI: Und Sie haben keine Ahnung was den Taliban wichtig ist? P: Nein, das weiß ich nicht.“) Vor diesem Hintergrund erweist es sich als unschlüssig, dass der Beschwerdeführer einerseits die Taliban sofort erkannt haben will und weiß, dass diese im ganzen Land vernetzt sein sollen, er aber demgegenüber überhaupt keine Kenntnis darüber hat, wofür die Taliban stehen, was diese erreichen wollen und weshalb die Taliban Anschläge verüben und gegen Pornofilme sind, wenn der Beschwerdeführer tatsächlich die von ihm geschilderten persönlich Probleme mit den Taliban gehabt hätte. Auch diese Unschlüssigkeiten im Vorbringen des Beschwerdeführers sprechen gegen die Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens.

Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung erstmals vor, dass das Geschäft seines Bruders damals von den Taliban niedergebrannt worden sei (VS 20.11.2020 S 7). In der Einvernahme vor dem BFA hatte er noch auf die Frage des BFA, ob es das Geschäft des Bruders noch gebe, geantwortet: „Nein, das haben wir verlassen.“ (EV 20.01.2017 S 5) Wäre das Geschäft des Bruders tatsächlich abgebrannt worden, wäre zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer spätestens bei jener Frage des BFA im Jänner 2017 das Niederbrennen des Geschäftes durch die Taliban erwähnt hätte. Da er dies nicht gemacht hat, spricht dies gegen die Glaubhaftigkeit jenes Vorbringens.

Schließlich ist auch das Vorbringen in der Verhandlung, wonach der Beschwerdeführer in Pakistan über keine Identitätsdokumente, insbesondere über keine Geburtsurkunde verfügte und auch sein älterer Bruder keinen pakistanischen Personalausweis (= Shanakhti-Card, National Identity Card (NIC), Computerised National Identity Card (CNIC)) hatte, nicht glaubhaft. Dies deshalb, da zum einen der Beschwerdeführer in Peshawar als pakistanischer Staatsangehöriger geboren wurde und dort auch eine staatliche High School besucht hat, sodass nicht schlüssig ist, dass der Beschwerdeführer nicht einmal über eine Geburtsurkunde verfügt, und zum anderen, da man in Pakistan für den Kauf von SIM-Karten und die Anmeldung von Mobil-Telefonen seine Identität nachweisen muss; so XXXX beispielsweise aus allgemein öffentlich zugänglichen Medienberichten, wie beispielsweise aus der renommierten englischsprachigen pakistanischen Tageszeitung „Dawn“, dass für die Registrierung einer SIM-Karte für ein Mobiltelefon die Identifizierung über die pakistanische National Database and Registration Authority (NADRA) bereits seit dem Jahr 2009 zwingend erforderlich ist und im Jahr 2013 zusätzlich ein biometrisches Verfahren zur Verifizierung der Mobilfunk-Kunden eingeführt wurde. (zB Dawn 01.02.2009 „SIM Verification“: „… Starting today, the government has ordered cellphone companies not to issue pre-activated SIM cards. They can only sell inactive SIM cards which are activated after Nadra confirms that the user is abona fide applicant. …“; Dawn 29.11.2013 „Biometric SIM verification system to be launched“: „… The Pakistan Telecommunication Authority has given the deadline of Dec 20 to all operators to introduce the biometric system in the country, except Karachi. … In 2008, the PTA had introduced a SIM ownership verification system 667. A customer was required to provide the original CNIC and a thumb print to get a SIM. In 2009, verification system 668 was launched. It is a process to verify how many SIMs are registered against one CNIC. The subscriber can block a SIM not in his or her use. The same year 789 system was introduced in which a customer has to make a call and answer a few questions like mother’s maiden name and the place of birth recorded by Nadra at the time of issuance of CNIC.“ (Quellen: https://www.dawn.com/news/874046/new-sim-activation-system; https://www.dawn.com/news/1059299)) Die Behauptung des Beschwerdeführers in der Verhandlung, wonach ein solcher Identitätsnachweis „damals“ nicht notwendig gewesen sei (VS 20.11.2020 S 9), erweist sich somit als falsch.

Es ist durchaus glaubhaft, dass der Bruder des Beschwerdeführers tatsächlich bereits verstorben ist und dies möglicherweise auch auf irgendeinem Gewaltakt in der Vergangenheit zurückzuführen ist. Aufgrund der soeben dargestellten unkonkreten, unschlüssigen und detailarmen Angaben des Beschwerdeführers ist es jedoch nicht glaubhaft, dass die hier vom Beschwerdeführer vorgebrachten Ausreisegründe so den Tatsachen entsprechen. Deshalb erweist sich auch das erstmals am Ende der Verhandlung ohne nähere Einzelheiten erstattete Vorbringen, wonach die Taliban oft ins Dorf der Mutter und des Onkels kommen und nach dem Beschwerdeführer fragen würden, als nicht glaubhaft.

Aus den soeben dargestellten Gründen gelangt das Bundesverwaltungsgericht in einer Gesamtbetrachtung aller Argumente daher insgesamt zu der Überzeugung, dass die vom Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrages behauptete vergangene und aktuelle Verfolgungsgefährdung in Bezug auf seine Person in Pakistan nicht glaubhaft ist.

2.4. Zur Lage in Pakistan (oben 1.5)

Die Feststellungen zur Lage in Pakistan ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Pakistan vom Mai 2019. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Auch der Beschwerdeführer ist diesen Länderinformationen nicht entgegengetreten. Die Feststellungen betreffend die Lage zur Pandemie aufgrund des Coronavirus basieren auf den Informationen der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, des Sozialministeriums und der Weltgesundheitsorganisation.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

Zum Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)

3.1 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist, dass der Asylwerber im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274).

Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 28.03.2019, Ra 2018/14/0428).

Zum gegenständlichen Verfahren

3.2 Fallbezogen gehört der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Paschtunen und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Er kommt aus der Region Peshawar in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa und er verließ Pakistan im Jahr 2015.

3.2.1 Ausgehend von der festgestellten Ländersituation in Pakistan sind geschätzt 15,4 % der Bevölkerung Pakistans Paschtunen, womit sie nach den Punjabis die zweitgrößte ethnische Gruppe des Landes bilden. Paschtunen leben traditionell unter sich in ihren eigenen Stämmen und Unterstämmen in Khyber Pakhtunkhwa und der ehemaligen FATA, auch wenn viele Paschtunen in städtische Gebiete migriert sind. Die größten Paschtunen-Gemeinschaften leben in Karatschi, wo sich die größte Paschtunenpopulation in der Welt befindet, gefolgt von Peschawar. Paschtunen leben auch in Belutschistan, Islamabad, Lahore und anderen städtischen Gebieten. Paschtunen sind in allen Gesellschaftsschichten in Pakistan vertreten. Historisch gesehen haben Paschtunen die Beschäftigung im Verkehrssektor in Pakistan und Afghanistan bestimmt. Paschtunen sind gut in den pakistanischen Sicherheitskräften v

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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