TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/19 96/01/0023

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Veröffentlicht am 19.03.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des B in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. November 1995, Zl. 4.337.946/7-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. November 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der "Jugosl. Föderation", der am 20. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 21. Mai 1992 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. Juni 1992, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 23. Mai 1992 angegeben:

Er sei Angehöriger der albanischen Volksgruppe und Mitglied der albanisch-demokratischen Partei im Kosovo. Im Jänner 1992 sei die Militärpolizei zweimal zu ihm nach Hause gekommen. Er habe in die Kaserne einrücken sollen, den Einberufungsbefehl jedoch nicht angenommen. Er sei in seinem Dorf politisch sehr aktiv und nicht willens gewesen, in den Krieg zu ziehen, zu kämpfen, auf seine Landsleute zu schießen, sie zu verletzen, zu töten oder vielleicht sogar selbst getötet zu werden. In seinem Heimatland sei die Lage sehr schlecht, ALS ALBANER HÄTTE ER SOFORT IN DEN KRIEG ZIEHEN SOLLEN und sich daher nicht mehr getraut, auf die Straße zu gehen. Im Frühjahr 1991 sei die Universität für Albaner geschlossen worden. Es hätte keinen Unterricht und keine Arbeit gegeben und die Polizei sei sehr oft wegen der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles bei ihm gewesen. Er wolle in Österreich weiter studieren. Sollte dies nicht möglich sein, sei er bereit, bei Beruhigung der Lage in seinem Heimatland, wieder dorthin zurückzukehren.

Die Behörde erster Instanz gelangte zur Auffassung, daß der Beschwerdeführer keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen habe, weshalb sie feststellte, daß er nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. Jänner 1994 abgewiesen. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. September 1994, Zl. 94/01/0512-6, den Bescheid des Bundesministers für Inneres auf, weil die belangte Behörde zu Unrecht von der Anwendbarkeit des Asylgesetzes 1991 ausgegangen ist und in Verkennung dieses Umstandes (lediglich) vom Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 Gebrauch gemacht hatte.

Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid, in welchem sie in Befolgung der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes das Asylgesetz (1968) anwendete. Die belangte Behörde begründete ihren Schluß, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention sei, damit, daß weder die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, die Mitgliedschaft zur albanisch-demokratischen Partei im Kosovo und die Beschränkung der Ausbildung noch die schlechte Situation hinsichtlich seines Arbeitsbereiches eine begründete Furcht vor Verfolgung bildeten. Die belangte Behörde ging auf die vom Beschwerdeführer relevierte Einberufung zur Militärdienstleistung dahingehend ein, daß diese generell keine Verfolgung darstelle, da die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben sei. Seinem Vorbringen seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß mit seiner Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre. Seine Beweggründe, der von ihm geforderten Militärdienstpflicht nicht nachzukommen, könnten die Flüchtlingseigenschaft nicht indizieren. Die belangte Behörde wies auf die grundsätzlich in der ehemaligen SFRJ geltende allgemeine Wehrpflicht hin, wobei nach den gesetzlichen Bestimmungen keine ethnischen Unterschiede vorgesehen seien bzw. gewesen seien, also serbische und kosovo-albanische Volksgruppenangehörige gleichermaßen einberufen würden. Auch bei der Verwendung der einrückenden Wehrpflichtigen würden grundsätzlich keine Unterschiede gemacht. Desgleichen gäbe es in der Strafverfolgung und -bemessung vom Gesetz her keinen Unterschied hinsichtlich ethnischer Kriterien. Auch die Tatsache, daß der Beschwerdeführer allenfalls - im Falle der Befolgung des Einberufungsbefehles - gezwungen gewesen wäre, im Rahmen des Bürgerkrieges gegen seine Landsleute vorzugehen, könne die Anerkennung als Flüchtling nicht nach sich ziehen, da es sich auch hiebei nicht um eine gegen ihn persönlich gerichtete Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention handle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt weder die Flucht eines Asylwerbers vor einem drohenden Militärdienst noch die Furcht vor einer wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion drohenden, unter Umständen auch strengen Bestrafung einen Grund für die Anerkennung als Flüchtling dar, soferne nicht Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, die Einberufung, die Behandlung während des Militärdienstes oder die Bestrafung wegen Verweigerung des Wehrdienstes oder Desertion sei infolge eines der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe für den Beschwerdeführer ungünstiger als für Angehörige anderer Gruppierungen erfolgt bzw. zu befürchten (vgl. insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377 = Slg. Nr. 14.089/A). Einen derartigen Umstand hat der Beschwerdeführer aber bereits im Verwaltungsverfahren behauptet, denn er hat dargelegt, daß er als Albaner sofort in den Krieg sollte. Er behauptete sohin eine aufgrund der Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe ungünstigere Behandlung nach der erfolgten Einberufung, als sie Angehörige anderer Volksgruppen ausgesetzt gewesen wären. Träfen die Behauptungen des Beschwerdeführers zu, so könnte ihnen nicht ohne Durchführung von Ermittlungen (darüber, welche Praxis seitens der jugoslawischen Behörden betreffend Verwendung von Wehrpflichtigen albanischer Herkunft im Vergleich zur Verwendung von Angehörigen anderer Volksgruppen in der "Jugoslawischen Föderation" gepflogen wird) die asylrechtliche Relevanz abgesprochen werden.

Die belangte Behörde hat zwar in der Begründung des angefochtenen Bescheides diesbezüglich Feststellungen getroffen, ohne diese jedoch auf das Ergebnis eines unter Einräumung von Parteiengehör durchgeführten Ermittlungsverfahrens zu stützen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Daran ändert der Umstand nichts, daß die belangte Behörde in die Begründung des angefochtenen Bescheides einen Zusatz aufnahm, daß sich die Truppen der ehemaligen SFRJ, als deren Nachfolgestaat sich die "Jugoslawische Föderation", bestehend aus Montenegro und Serbien (inklusive der ehemals autonomen Regionen Wojwodina und Kosovo) sehe, beginnend mit Ende April 1992 aus dem Gebiet des durch Sezession neuentstandenen Staates Bosnien-Herzegowina zurückgezogen habe, sodaß die Befürchtungen eines Fronteinsatzes im Falle des Aufgreifens nun nicht mehr mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmten. Denn die belangte Behörde hat diesem Zusatz ausdrücklich angefügt "was jedoch nicht entscheidungsrelevante Grundlage gebildet hat". Durch diesen Zusatz zeigte die belangte Behörde, daß sie die wiedergegebenen Gedanken nicht zu ihrer Willensbildung verwertet, sondern lediglich als

- unverbindliche - Belehrung hinzugefügt hat.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996010023.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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