TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/15 W216 2238844-1

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Veröffentlicht am 15.04.2021
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Entscheidungsdatum

15.04.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W216 2238844-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 28.09.2020, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragungen 1.) "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen", 2.) "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und 3.) "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

1.) Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragungen "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen" und "Der Inhaber/die Inhaberin des Behindertenpasses bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass richtet, gemäß § 42 Abs. 1 und 2 und § 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz sowie § 1 Abs. 2 Z 2 lit. a der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen abgewiesen.

2.) Der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber/die Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass richtet, stattgegeben und der angefochtene Bescheid in diesem Umfang wie folgt abgeändert:

I. Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber/der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass liegen vor.

II. Die Eintragung des Zusatzvermerkes ist befristet bis 31.01.2022 vorzunehmen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 13.07.2020 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (im Folgenden: belangte Behörde) die gegenständlich relevanten Anträge auf Vornahme der Zusatzeintragungen 1.) "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen", 2.) "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und 3.) "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass und legte medizinische Befunde vor.

Seitens der belangten Behörde wurde in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Unfallchirurgie sowie Arztes für Allgemeinmedizin eingeholt. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 15.09.2020 erstatteten, mit 16.09.2020 vidiertem Sachverständigengutachten kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für keine der drei beantragten Zusatzeintragungen vorlägen.

Das Gutachten wurde der Beschwerdeführerin mit Schreiben der belangten Behörde vom 16.09.2020 in Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt.

Mit Schreiben vom 23.09.2020 erstattete die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme zu dem Sachverständigengutachten vom 16.09.2020, worin sie im Wesentlichen ausführte, an degenerativen Veränderungen im Lendenwirbelsäulenbereich zu leiden, welche sich durch die operativen Eingriffe verschlechtert hätten. Vor allem leide sie unter andauernden Lähmungen im linken Bein aufgrund von Nervenschädigungen. Dadurch sei ihr linkes Bein taub und nicht belastbar. Zudem würden sie andauernd starke Schmerzen plagen, weshalb sie medikamentös sehr stark eingestellt sei. Alles zusammen bewirke eine erhebliche Einschränkung in der Mobilität. Aufgrund der körperlichen und nervlichen Schädigungen, die chronisch vorlägen, sei sie immer auf Begleitpersonen und Hilfsmitteln angewiesen. Kurze Strecken bewältige sie nur mit Begleitpersonen und Gehhilfen, wie Rollator und Gehstöcken, längere Strecken seien ihr nicht möglich. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr ebenfalls nicht möglich.

Die belangte Behörde holte in der Folge eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme ein, worin keine abweichende Beurteilung im Vergleich zum Vorgutachten getroffen wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28.09.2020 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführerin vom 13.07.2020 auf Vornahme der Zusatzeintragungen 1.) "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen", 2.) "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und 3.) "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) ab. Begründend stützte sich die belangte Behörde in diesem Bescheid auf die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens, wonach die Voraussetzungen für die beantragten Zusatzeintragungen nicht gegeben seien.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 17.10.2020 – fristgerecht und unter Vorlage eines Patientenbriefes – Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der vorgelegte Patientenbrief die Einschränkung ihres linken Beines belegen würde. Aus diesem Grund sei sie nicht in der Lage, Wegstrecken aus eigener Kraft zu bewältigen sowie in öffentliche Verkehrsmittel sicher ein- und aus ihnen auszusteigen. Da sie sich erneut einer Wirbelsäulen-Operation unterzogen habe, sei sie nunmehr auf Krücken oder Rollator und fremde Hilfe angewiesen. Daher beantrage sie die Anerkennung, dass ihr die Benutzung öffentlicher Verkehrsmitteln unzumutbar sei und bitte um diese Zusatzeintragung in ihren Behindertenpass.

Im Rahmen des Beschwerdevorprüfungsverfahrens wurde in der Folge seitens der belangte Behörde die neuerliche Begutachtung der Beschwerdeführerin durch einen Facharzt für Orthopädie veranlasst.

Im Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie vom 20.01.2021 wird nach Darstellung der Ergebnisse der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 18.12.2020 und Erhebung des klinischen Status ein mehrsegmentaler Bandscheibenschaden, Z. n. Fusion L3/4 mit neurologischer Defizitsymptomatik sowie eine Depression diagnostiziert und im Hinblick auf die beantragten Zusatzeintragungen festgehalten, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragungen "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen" und "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" nicht vorlägen. Der Beschwerdeführerin sei jedoch die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar, weshalb die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass vorlägen.

Da das Beschwerdevorentscheidungsverfahren seitens der belangten Behörde nicht innerhalb der Frist abgeschlossen werden konnte, wurden die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 21.01.2021 zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.02.2021 wurde der Beschwerdeführerin das seitens der belangte Behörde eingeholte Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie übermittelt, ihr mitgeteilt, dass nach der aktuellen gutachterlichen Einschätzung die Voraussetzungen für die beantragten Zusatzeintragungen "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen" und "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" nicht vorlägen, jedoch jene für die beantragte Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" nunmehr schon gegeben wären. Es wurde der Beschwerdeführerin weiters mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung auf der Grundlage der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens erlassen wird, soweit nicht eine eingelangte Stellungnahme anderes erfordert, und ihr in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit gegeben, binnen 14 Tagen zum Ergebnis der Beweisaufnahme eine Stellungnahme beim Bundesverwaltungsgericht abzugeben.

Die Beschwerdeführerin erstattete keine Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H.

Die Beschwerdeführerin stellte am 13.07.2020 die gegenständlich relevanten Anträge auf Vornahme der Zusatzeintragungen 1.) "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen", 2.) "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" und 3.) "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1)       Mehrsegmentaler Bandscheibenschaden, Z. n. Fusion L3/4 mit neurologischer Defizitsymptomatik,

2)       Depression.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, wechselseitiger Leidensbeeinflussung, medizinischer Einschätzung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel und des mangelnden Erfordernisses einer Begleitperson sowie eines Rollstuhles werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie vom 20.01.2021 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

Die Beschwerdeführerin verfügt aktuell über keine Eintragungen nach § 1 Abs. 4 Z.1 lit. a und § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen in ihrem Behindertenpass. Sie ist zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles und nicht ständig auf die Hilfe einer zweiten Person angewiesen.

Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt jedoch auf Grund bestehender erheblicher Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor; diesbezüglich wird auf die noch folgenden beweiswürdigenden und rechtlichen Ausführungen verwiesen.

Eine Nachuntersuchung ist für Jänner 2022 vorzusehen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Behindertenpass und der gegenständlichen Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zu den bestehenden Leidenszuständen, sowie zum Vorliegen der Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung und zu den mangelnden Erfordernissen eines Rollstuhles und einer Begleitperson gründen sich auf das, seitens der belangte Behörde eingeholte Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie vom 20.01.2021 basierend auf einer persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin. Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Das Sachverständigengutachten setzt sich auch nachvollziehbar mit den im Zuge des Verfahrens vorgelegten Befunden auseinander. Die getroffenen Beurteilungen basieren auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden und entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen. Der fachärztliche Gutachter berücksichtigte auch den von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerde vorgelegten Patientenbrief des AKH Wien.

Seitens beider Parteien wurde das Gutachten nicht bestritten. Die Beschwerdeführerin erhob im Rahmen des ihr seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeräumten Parteiengehörs keinerlei Einwendungen mehr gegen das Gutachten vom 20.01.2021 und brachte auch keinerlei weitere Beweismittel vor, die auf eine Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Gutachtens schließen lassen oder dem Gutachten widersprechen würden.

Die Beschwerdeführerin ist dem Sachverständigengutachten auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es der Antragstellerin, so sie der Auffassung ist, dass ihre Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 20.01.2021. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(...)

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen."

(…)

§ 47 BBG lautet:

"§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."

§ 1 Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:

§ 1 (...)

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: 
1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a) überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist;
diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung im Sinne des § 4a Abs. 1 bis 3 des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, vorliegen. Bei Kindern und Jugendlichen gelten jedoch dieselben Voraussetzungen ab dem vollendeten 36. Lebensmonat.
b) blind oder hochgradig sehbehindert ist;
diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung im Sinne des § 4a Abs. 4 oder 5 BPGG vorliegen.
c) …
d) taubblind ist;
diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung im Sinne des § 4a Abs. 6 BPGG vorliegen.
e) …
(…)

2. die Feststellung, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a) einer Begleitperson bedarf;
diese Eintragung ist vorzunehmen bei

 

-

Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach § 1 Abs. 2 Z.1 lit. a verfügen;

-

Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d verfügen;

-

bewegungseingeschränkten Menschen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr, die zur Fortbewegung im öffentlichen Raum ständig der Hilfe einer zweiten Person bedürfen;

-

Kindern ab dem vollendeten 6. Lebensjahr und Jugendlichen mit deutlicher Entwicklungsverzögerung und/oder ausgeprägten Verhaltensveränderungen;

-

Menschen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr mit kognitiven Einschränkungen, die im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährdung ständiger Hilfe einer zweiten Person bedürfen, und

-

schwerst behinderten Kindern ab Geburt bis zum vollendeten 6. Lebensjahr, die dauernd überwacht werden müssen (z. B. Aspirationsgefahr).

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und 
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder         
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder         
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder         
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder         
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 2 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6) (...)"

Die Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II 495/2013, ist gemäß § 5 Abs. 1 leg.cit. mit 1. Jänner 2014 in Kraft getreten. Die Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen, BGBl. Nr. 86/1991, ist mit Ablauf des 31. Dezember 2013 außer Kraft getreten.

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (des Sozialministeriumservice). Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigten.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.). Nicht entscheidend Anderes gilt nach der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Notwendigkeit eines Rollstuhls oder einer Begleitperson verfahrensgegenständlich ist (vgl. VwGH vom 01.03.2016, Ro 2014/11/0024).

Wie oben unter Punkt II.2. eingehend ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie vom 20.01.2021 zu Grunde gelegt, wonach der Beschwerdeführerin die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, die Voraussetzungen für die beantragten Zusatzeintragungen der "Begleitperson" und des "Rollstuhls" jedoch nicht vorliegen.

Nach dem Sachverständigengutachten vom 20.01.2021 ist der Beschwerdeführerin aufgrund der Beinschwäche und der eingeschränkten Rumpfkontrolle die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel derzeit unzumutbar. Da dem Gutachten zufolge nach entsprechender Rehabilitation eine maßgebliche Verbesserung der Belastbarkeit des Bewegungsapparates zu erwarten sei, ist eine Nachuntersuchung im Jänner 2022 vorzuschlagen.

Im Hinblick auf die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung der "Begleitperson" und des "Rollstuhles" besteht nach der aktuellen gutachterlichen Beurteilung aber ein Zustand, welcher die Vornahme dieser Zusatzvermerke rechtlich nicht rechtfertigt. Der Gutachter kommt zur Einschätzung, dass die Beschwerdeführerin zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht ständig auf die Hilfe einer zweiten Person und auch nicht überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist.

Wie ebenfalls bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, erhob die Beschwerdeführerin – trotz ausdrücklichem Hinweis, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung auf der Grundlage dieser Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens erlassen wird, soweit nicht eine eingelangte Stellungnahme anderes erfordert – keinerlei Einwendungen gegen diese Beurteilung und legte auch keine Befunde oder Gutachten vor, die dem Gutachten widersprechen würden.

Da festzustellen war, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen ein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber/der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" rechtfertigt, jedoch die Voraussetzungen für die Vornahme der weiters beantragten Zusatzeintragungen der "Begleitperson" und des "Rollstuhles" (derzeit) nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren (objektivierten weiteren) Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung der Zusatzeintragung der "Begleitperson" und des "Rollstuhles" nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH vom 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221, zur Anleitungspflicht VwGH vom 27.07.2001, Zl. 2001/07/0017). Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass im Falle der Unterlassung einer Stellungnahme die Entscheidung auf Grundlage des Gutachtens erfolgen werde. Dieses Gutachten wurde von beiden Parteien nicht bestritten.

Im gegenständlichen Fall wurden die Fragen der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel und des Erfordernisses einer Begleitperson und eines Rollstuhles unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen überprüft. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96).

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Befristung Begleitperson Behindertenpass Sachverständigengutachten Teilstattgebung Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W216.2238844.1.00

Im RIS seit

18.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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