Entscheidungsdatum
16.04.2021Norm
ASVG §58Spruch
W198 2239774-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Karl SATTLER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , 1100 Wien, XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Johann Gelbmann, 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 1/II/21, gegen den Bescheid (Beschwerdevorentscheidung) der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle Wien, vom 28.01.2021, GZ: XXXX , wegen Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG iVm § 83 ASVG iVm § 58 Abs. 5 ASVG, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Schreiben vom 06.05.2020 teilte die Österreichische Gesundheitskasse (im Folgenden: ÖGK) XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX (im Folgenden: Beitragsschuldnerin) ein Rückstand an offenen Beiträgen samt Nebengebühren in der Höhe von € 36. 155,33 zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen bestehen würde. Sie sei als Geschäftsführerin Vertreterin der Beitragsschuldnerin und hafte die Beschwerdeführerin infolge schuldhafter Verletzung der ihr als Vertreterin auferlegten Pflichten für diesen Rückstand. Da die Beiträge trotz Fälligkeit bisher nicht bezahlt worden seien, werde sie ersucht, den erwähnten Rückstand bis spätestens 10.06.2020 zu begleichen bzw. innerhalb dieser Frist alle Tatsachen vorzubringen, die ihrer Ansicht nach gegen ihre Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sprechen würden.
Auf dieses Schreiben erfolgte seitens der Beschwerdeführerin keine Reaktion.
2. Die ÖGK hat in der Folge mit Bescheid vom 10.08.2020, GZ: XXXX , festgestellt, dass die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin Beitragsschuldnerin verpflichtet sei, der ÖGK gemäß § 67 Abs. 10 ASVG iVm § 83 ASVG die zu entrichten gewesenen Beiträge s.Nbg. aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Juni 2019 bis Dezember 2019 in der Höhe von € 36.467,16 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach
§ 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das sind ab 10.08.2020 3,38% p.a. aus € 35.332,73 binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.
Begründend führte die ÖGK aus, dass die Beitragsschuldnerin aus den Beiträgen Juni 2019 bis Dezember 2019 Beiträge samt Nebengebühren von € 36.467,16 und weitere Verzugszinsen schulden würde. Sämtliche Einbringungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen haften die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen für die von diesen zu entrichtenden Beiträgen insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht hereingebracht werden können. Gemäß § 67 Abs. 10 und § 58 Abs. 5 ASVG haben die Vertreter/innen juristischer Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter des Dienstgebers darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen ist, widrigenfalls die Behörde eine schuldhafte Verletzung anzunehmen hat (VwGH Erkenntnis vom 29.4.2010, 2008/15/0085, 26.1.2011,2007/13/0063).
3. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin, nunmehr rechtsfreundlich vertreten, mit Schriftsatz vom 09.09.2020, bei der ÖGK einlangend, fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründet wurde dies - soweit beschwerderelevant - damit, dass eine schuldhafte Verletzung der Verpflichtungen der Beschwerdeführerin nicht vorläge, sie sei ihren Meldeverpflichtungen nachgekommen und sie sei nicht in der Lage gewesen, die Rückstände laut Rückstandsausweis vom 10.08.2020 zu entrichten. Aufgrund der Abarbeitung der laufenden Aufträge sei die Beschwerdeführerin überzeugt gewesen, dass sie von den Auftraggebern die vereinbarten Werklöhne erhalten werde. Dies hätte ausgereicht, um die Beiträge zu bezahlen. Wider Erwarten und unberechtigterweise sei ein erheblicher Teil der Werklöhne nicht bezahlt worden, sodass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sei, die Beiträge abzuführen. Mangels Verschulden hafte die Beschwerdeführerin nicht.
4. Die ÖGK hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 08.09.2020 zur Vorlage eines Nachweises der Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit sämtlichen anderen Verbindlichkeiten der Beitragsschuldnerin binnen drei Wochen aufgefordert. Es sollte eine Aufstellung sämtlicher anderen Verbindlichkeiten der Primärschuldnerin vorgelegt werden, aus der sowohl sämtliche Verbindlichkeiten als auch sämtliche Zahlungen für die Fälligkeit der Beitragszeiträume hervorgehen.
5. Mit Schriftsatz vom 25.09.2020 wurden Saldenlisten der Beitragsschuldnerin vom August bis Dezember 2019, sowie Juni 2019 vorgelegt.
6. Unter Hinweis, dass die vorgelegten Saldenlisten kein geeigneter Nachweis für die Gleichbehandlung der Beiträge der Sozialversicherung mit anderen Gläubigern seien, wurde die Beschwerdeführerin am 30.09.2020 neuerlich zur Stellungnahme binnen 14 Tagen aufgefordert. Vorgehalten wurde dabei auch, dass aus den Masseverwalterberichten hervorginge, dass die Gehälter der Dienstnehmer bis einschließlich Oktober 2019 bezahlt worden seien. Es lege daher zumindest für die Beitragszeiträume bis inklusive Oktober 2019 eine Ungleichbehandlung vor, da die Sozialversicherungsbeiträge nicht zur Gänze bezahlt worden seien. Seien der Beitragsschuldnerin im Beobachtungszeitraum zumindest anteilige Mittel zur Beitragsentrichtung zur Verfügung gestanden, hätte sie aber zunächst die nach Meinung ihrer rechtsfreundlichen Vertretung für die Aufrechterhaltung des Betriebes notwendigen (anderen) Zahlungen geleistet, so hätte der Vertreter damit bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel andere Gläubiger bevorzugt und gegen das Gleichbehandlungsverbot (Anmerkung: Gemeint wohl Gleichbehandlungsgebot) verstoßen. Der Umstand, dass die Löhne der von der Beitragsschuldnerin beschäftigten Dienstnehmer oder der Mietzins für die Geschäftsräumlichkeiten im Beobachtungszeitraum zur Gänze beglichen worden seien, während die Sozialversicherungsbeiträge unberichtigt blieben, rechtfertige die Annahme eines haftungsbegründenden Verschuldens bzw. die Annahme einer Pflichtverletzung des Vertreters.
7. Seitens der Beschwerdeführerin, bzw. ihrer rechtsfreundlichen Vertretung, erfolgte auf dieses Schreiben vom 30.09.2020 keine Republik bzw. Stellungnahme.
8. Im Verfahren über die Beschwerde erließ die ÖGK als belangte Behörde gemäß § 14 VwGVG eine mit 28.01.2021 datierte Beschwerdevorentscheidung, mit welcher die Beschwerde abgewiesen wurde. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin zweimal zur Vorlage von Gleichbehandlungsnachweisen aufgefordert worden sei, ihr eine Ungleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit anderen Gläubigern der Beitragsschuldnerin vorgehalten worden sei, insbesondere, weil die Gehälter der Dienstnehmer der Beitragsschuldnerin gezahlt worden seien, jedoch die Sozialversicherungsbeiträge zur Gänze unberichtigt geblieben seien.
9. Mit Schreiben vom 09.02.2021 stellte die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre rechtsfreundliche Vertretung, fristgerecht einen Antrag auf Vorlage, in welchem ausgeführt ist, dass die Beschwerdeführerin mit der Entscheidung der ÖGK nicht zufrieden sei.
10. Am 09.03.2021 erteilte das Bundesverwaltungsgericht zu W198 2239774-1/4Z unter dem Hinweis, dass bereits im Verwaltungsverfahren eine zweimalige Aufforderung zur Vorlage eines geeigneten Gläubigernachweises erfolgte, dieser jedoch bislang – auch nach vorläufiger Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach die Vorlage einer Saldenliste kein geeigneter Nachweis für die Gleichbehandlung der Beiträge der Sozialversicherung mit anderen Gläubigern darstellt, nicht entsprochen wurde, letztmalig den Auftrag zur Vorlage eines Gleichbehandlungsnachweises im Sinne der im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts zitierten Judikatur des VwGH. Es wurde dafür eine Frist bis spätestens 07.04.2021, beim Bundesverwaltungsgericht einlangend, gesetzt.
11. Hinsichtlich dieses Auftrages des Gerichtes erfolgte keine Reaktion der Beschwerdeführerin bzw. ihrer rechtsfreundlichen Vertretung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin war seit 20.02.2019 bis zur Konkurseröffnung am 01.02.2020 selbstständig vertretungsbefugte handelsrechtliche Geschäftsführerin der Beitragsschuldnerin.
Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 31. Jänner 2020 (Bekanntmachung), Aktenzeichen XXXX wurde über das Vermögen der Beitragsschuldnerin der Konkurs eröffnet. Die Gesellschaft wurde infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst. Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 28. Juli 2020 wurde die Schließung des Unternehmens angeordnet, weil der Masseverwalter angezeigt hat, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Masseforderungen zu erfüllen (Masseunzulänglichkeit). Das am 01.02.2020 eröffnete Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 07.10.2020 nach Schlussverteilung mangels Kostendeckung aufgehoben und die Firma gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit am 13.02.2021 amtswegig gelöscht.
Die rückständigen Beiträge sind bei der Beitragsschuldnerin uneinbringlich.
Sämtliche Beitragsrückstände sind in dem Zeitraum entstanden, in dem die Beschwerdeführerin Geschäftsführerin der Beitragsschuldnerin war. Im Zeitpunkt des Entstehens der Rückstände war sohin die Beschwerdeführerin für die rechtzeitige und ordnungsgemäße Entrichtung der Beiträge verantwortlich.
Liquide Mittel waren während des haftungsgegenständlichen Zeitraumes bei der Beitragsschuldnerin vorhanden.
Im verfahrensrelevanten Zeitraum sind Zahlungen der Beitragsschuldnerin an andere Gläubiger als die ÖGK erfolgt; an die ÖGK jedoch nicht.
Es wird festgestellt, dass keine Gläubigergleichbehandlung erfolgte.
2. Beweiswürdigung:
Der Beginn der Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der Beitragsschuldnerin ergibt sich aus dem Firmenbuch.
Die Höhe der aushaftenden Beiträge und Verzugszinsen ergibt sich aus dem dem Bescheid vom 10.08.2020 angefügten Rückstandsausweis vom 10.08.2020 und blieben diese Haftungsbeträge der Höhe nach unbestritten. Ebenso ergibt sich der Zeitpunkt der Entstehung der aushaftenden Beiträge aus dem Rückstandsausweis.
Dass die Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden bei der Beitragsschuldnerin gegeben ist, ergibt sich daraus, dass über das Vermögen der Beitragsschuldnerin am 01.02.2020 der Konkurs eröffnet wurde und das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 07.10.2020 nach Schlussverteilung mangels Kostendeckung aufgehoben und die Firma gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit am 13.02.2021 amtswegig gelöscht wurde.
Der Umstand, dass liquide Mittel während des haftungsgegenständlichen Zeitraumes bei der Beitragsschuldnerin vorhanden waren, ergibt sich aus der vorgelegten Saldenliste der Beschwerdeführerin, den vorliegenden Masseverwalterberichten (OZ 3), die belegen, dass die Gehälter der Dienstnehmer der Beitragsschuldnerin bis einschließlich Oktober 2019, dass die Mieten für die angemieteten Büroräumlichkeiten, Leasingrate für ein von der Beitragsschuldnerin geleastes Fahrzeug, die Kraftfahrzeugversicherung für das geleaste Fahrzeug, die Betriebshaftpflichtversicherung sowie Entgelt für einen Mobilfunkvertrag in beschwerdegegenständlichen Zeitraum bezahlt worden sind. Auch die Ausführungen in der Beschwerde, wonach die Beschwerdeführerin aufgrund der Abarbeitung laufender Aufträge durch Dienstnehmer der Beitragsschuldnerin überzeugt gewesen ist und auch überzeugt davon sein konnte, dass sie von der Auftraggebern/Werkbestellern die dafür vereinbarten Werklöhne erhalten wird, belegen, dass die Beschwerdeführerin den Betrieb der Beitragsschuldnerin weitergeführt hat, wofür nach allgemeiner Lebenserfahrung auch Ausgaben, beispielsweise für Treibstoffe für Firmenautos, Materialeinkauf bei Lieferanten, etc. zu tätigen waren. Die vorgelegte Saldenliste belegt dies auch, indem dort entsprechende Monatsumsätze ausgewiesen sind.
Die Feststellung, wonach Zahlungen der Beitragsschuldnerin an andere Gläubiger als die ÖGK erfolgt sind, ergibt sich ebenfalls aus der vorgelegten Saldenliste und den vorliegenden Masseverwalterberichten.
Dass die aushaftenden Sozialversicherungsbeiträge im beschwerdegegenständlichen Zeitraum zur Gänze nicht bezahlt wurden, ist unbestritten, da in der Beschwerde ausgeführt wird, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen ist, die Beiträge gemäß Rückstandsausweis vom 10.08.2020 zu entrichten, die in Rede stehenden Beiträge abzuführen.
Zu der Feststellung, wonach keine Gläubigergleichbehandlung erfolgte, ist beweiswürdigend festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin - trotz mehrmaliger Aufforderung sowohl der ÖGK als auch des Bundesverwaltungsgerichts - keine Nachweise zur Gläubigergleichbehandlung erbracht hat. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Saldenliste kann nicht als Nachweis für eine Gläubigergleichbehandlung herangezogen werden. Diese weist einerseits nicht nach, welche Verbindlichkeiten am 30.06.2019 (älteste Verbindlichkeit gegenüber der ÖGK) bestanden haben und andererseits zeigt es nicht die Gläubiger, welche bereits vor der Insolvenzeröffnung befriedigt wurden. Gläubiger, die vor der Insolvenzeröffnung befriedigt wurden, können bzw. werden ihre Forderungen nämlich nicht zum Insolvenzverfahren anmelden. Der vorgelegten Saldenliste sind insbesondere auch keine Zahlungsnachweise an die (anderen) Gläubiger der Beitragsschuldnerin im beschwerdegegenständlichen Zeitraum angeschlossen. Wie bereits ausgeführt ist allerdings durch die vorliegenden Masseverwalterberichte belegt, dass andere Gläubiger der Beitragsschuldnerin Zahlungen im beschwerdegegenständlichen Zeitraum erhalten haben, während die Sozialversicherungsbeiträge unstrittig zur Gänze nicht bezahlt wurden, was – wie bereits ausgeführt – in der Beschwerde explizit außer Streit gestellt wird.
3. Rechtliche Beurteilung:
§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG ist die Entscheidung über Beitragshaftungen gemäß § 67 ASVG nicht von einer Senatsentscheidung umfasst. Somit obliegt die Entscheidung der vorliegenden Beschwerdesache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu A) Abweisung der Beschwerde
Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnerin für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Voraussetzung für die Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist neben der Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden bei der Beitragsschuldnerin auch deren ziffernmäßige Bestimmtheit der Höhe nach, schuldhafte und rechtswidrige Verletzungen der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch den Vertreter und die Kausalität der schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters für die Uneinbringlichkeit.
Für den Eintritt der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist also Voraussetzung, dass die rückständigen Beiträge beim Dienstgeber uneinbringlich und der Höhe nach bestimmt sind.
Verfahrensgegenständlich kann die Beitragseinbringung als uneinbringlich qualifiziert werden, weil über das Vermögen der Beitragsschuldnerin am 31. Jänner 2020 (Bekanntmachung) der Konkurs eröffnet wurde und das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 07.10.2020 nach Schlussverteilung mangels Kostendeckung aufgehoben und die Firma gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit am 13.02.2021 amtswegig gelöscht wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Erkenntnis vom 12.01.2016, Zl. Ra 2014/08/0028, zur ziffernmäßigen Bestimmtheit der Höhe des Haftungsbetrags wie folgt aus: "... so legte die Revisionswerberin ihrem Bescheid einen Rückstandsausweis vom 2. Oktober 2012 zugrunde; in ihrer Stellungnahme zur Beschwerde schränkte sie nach teilweiser Zahlung durch den Insolvenz-Entgelt-Fonds den Haftungsbetrag ein und legte einen modifizierten Rückstandsausweis vom 6. Juni 2013 vor. Der Haftungsbetrag wurde im Rückstandsausweis näher aufgegliedert; die Aufschlüsselung entsprach den Vorgaben des
§ 64 Abs. 2 ASVG, wonach der rückständige Betrag, die Art des Rückstands samt Nebengebühren, der Zeitraum, auf den die rückständigen Beiträge entfallen, allenfalls vorgeschriebene Verzugszinsen, Beitragszuschläge und sonstige Nebengebühren anzuführen sind. Der Rückstandsausweis ist eine öffentliche Urkunde und begründet nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld (vgl. OGH RIS-Justiz RS0040429 mwN). Indem die Revisionswerberin ihrem Bescheid den Rückstandsausweis zugrunde legte, brachte sie damit zum Ausdruck, auf welchen Sachverhalt sich die Vorschreibung gründet, welche ziffernmäßige Höhe der Haftungsbetrag aufweist und wie sich die Forderung konkret zusammensetzt. Auf Grund der Heranziehung des Rückstandsausweises, einer öffentlichen Urkunde mit erhöhtem Beweiswert, sind freilich keine (krassen bzw. besonders gravierenden) Ermittlungslücken im Sinn der oben aufgezeigten Rechtsprechung (Punkt 5.) zu erkennen. ..." Und weiters: "... Was die Frage nach dem Vorliegen einer kausalen schuldhaften Pflichtverletzung betrifft, so ist eine solche schon dann anzunehmen, wenn der Vertreter keine Gründe anzugeben vermag, dass ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung, für die Beitragsentrichtung zu sorgen, unmöglich war. Es ist also seine Sache, die Gründe darzulegen und entsprechende Beweisanbote zu erstatten, dass er ohne sein Verschulden gehindert war, die ihm obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen, widrigenfalls seine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf (ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs: vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. Juni 1999, 99/08/0075). Allerdings darf diese besondere Behauptungs- und Beweislast auch nicht überspannt oder so aufgefasst werden, dass die Behörde - bzw. hier das Verwaltungsgericht - von jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre (vgl. das VwGH, Erkenntnis vom 12. April 1994, 93/08/0232; uva.). ..."
Was die ziffernmäßige Bestimmtheit der Höhe des Haftungsbetrages anbelangt, so legte die ÖGK ihrem Bescheid einen Rückstandsausweis vom 10.08.2020 zugrunde. Der Haftungsbetrag wurde im Rückstandsausweis näher aufgegliedert. Die Aufschlüsselung entsprach den Vorgaben des § 64 Abs. 2 ASVG, wonach der rückständige Betrag, die Art des Rückstandes samt Nebengebühren, der Zeitraum, auf den die rückständigen Beiträge entfallen, allenfalls vorgeschriebene Verzugszinsen, Beitragszuschläge und sonstige Nebengebühren anzuführen sind. Der Rückstandsausweis ist eine öffentliche Urkunde und begründet nach § 292 ZPO vollen Beweis über seinen Inhalt, also die Abgabenschuld. Aufgrund des Vorliegens des Rückstandsausweises ist sohin hinreichend bestimmt, welche ziffernmäßige Höhe der Haftungsbetrag aufweist und wie sich die Forderung konkret zusammensetzt.
Die Beschwerdeführerin war des Weiteren unstrittig ab 20.02.2019 Geschäftsführerin der Beitragsschuldnerin und kann somit grundsätzlich zu einer Haftung wegen Ungleichbehandlung für die gesamte Beitragsschuld herangezogen werden. Sämtliche Beitragsrückstände sind in dem Zeitraum entstanden, in dem die Beschwerdeführerin Geschäftsführerin der Beitragsschuldnerin war. Somit ist zu untersuchen, ob die Beschwerdeführerin infolge schuldhafter Pflichtverletzung für die nicht einbringlichen Beitragsforderungen der ÖGK haftet.
Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG in der hier maßgebenden Fassung des 2. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2010 - 2. SVÄG 2010, BGBl. I Nr. 102/2010, besteht neben den im § 67 Abs. 10 ASVG auferlegten Pflichten aber auch eine allgemeine, die Vertreter der Beitragsschuldner gegenüber den Beitragsgläubigern treffende Pflicht, aus den von ihnen verwalteten Mitteln für die Abfuhr der Beiträge zu sorgen. Damit ist zur bisherigen Haftung für nicht abgeführte Dienstnehmerbeiträge und Meldeverstöße (gleichrangig) eine neue Haftung wegen Ungleichbehandlung (von Gläubigern) hinzugetreten (Derntl in Sonntag (Hrsg), ASVG6 (2015) § 67 Rz 77a).
Gemäß der auf die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG übertragbaren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Parallelbestimmung des § 25a Abs. 7 BUAG liegt Gläubigergleichbehandlung dann vor, wenn das Verhältnis aller im Beurteilungszeitraum erfolgten Zahlungen zu allen Verbindlichkeiten, die zu Beginn des Beurteilungszeitraumes bereits fällig waren oder bis zum Ende des Beurteilungszeitraumes fällig wurden, dem Verhältnis der in diesem Zeitraum erfolgten Beitragszahlungen zu den insgesamt fälligen Beitragsverbindlichkeiten entspricht. Unterschreitet die Beitragszahlungsquote die allgemeine Zahlungsquote, so liegt eine Ungleichbehandlung des Sozialversicherungsträgers vor (vgl. VwGH 29.01.2014, 2012/08/0227).
Unter Bedachtnahme auf die Grundsätze der Rechtsprechung zur abgabenrechtlichen Haftung (vgl. u.a. VwGH 19.06.1985, Slg. Nr. 6012/F, 17.09.1986, 84/13/0198, 16.12.1986, 86/14/0077, und 06.03.1989, 88/15/0063) ist es auch im sozialversicherungsrechtlichen Haftungsverfahren Sache des haftungspflichtigen Geschäftsführers dazulegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Beitragsschulden rechtzeitig (zur Gänze) entrichtet wurden, und dafür entsprechende Beweisanbote zu erstatten. Denn ungeachtet der grundsätzlich amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde trifft denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt - über die ihn stets allgemein treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus - die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls angenommen werden darf, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist (VwGH 13.03.1990, 89/08/0217).
Gegen die Verpflichtung zur Gleichbehandlung der Beitragsverbindlichkeiten mit anderen Schulden verstößt ein Geschäftsführer auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten zur Verfügung standen, hiezu nicht ausreichten, er aber (zumindest fahrlässig) diese Mittel auch nicht anteilig für die Behandlung aller Verbindlichkeiten verwendet und dadurch die Beitragsschulden im Verhältnis zu anderen Verbindlichkeiten schlechter behandelt hat (VwGH 22.12.1998, 97/08/0117).
Für die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG genügt bereits leichte Fahrlässigkeit in Bezug auf das Verschulden für die Nichtleistung von Sozialversicherungsbeiträgen. Eine solche Pflichtverletzung kann darin liegen, dass der Geschäftsführer die fälligen Beiträge (ohne rechtliche Grundlage) insoweit schlechter behandelt als sonstige Gesellschaftsschulden, als er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt, bzw. - im Falle des Fehlens ausreichender Mittel - nicht für eine zumindest anteilige Befriedigung auch der Forderungen der Gebietskrankenkasse Sorge trägt. Der Geschäftsführer wäre nur dann exkulpiert, wenn er entweder nachweist, im fraglichen Zeitraum, in dem die Beiträge fällig geworden sind, insgesamt über keine Mittel verfügt und daher keine Zahlungen geleistet zu haben, oder zwar über Mittel verfügt zu haben, aber wegen der gebotenen Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern die Beitragsschuldigkeiten - ebenso wie die Forderungen aller anderen Gläubiger - nicht oder nur zum Teil beglichen zu haben, die Beitragsschuldigkeiten also nicht in Benachteiligung der belangen Behörde in einem geringeren Ausmaß beglichen zu haben als die Forderungen anderer Gläubiger (VwGH 20.06.2018, Ra 2018/08/0039).
Hiervon kann im gegenständlichen Fall aber – wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt - keine Rede sein, weshalb das Verschulden der Beschwerdeführerin gegeben ist.
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren die Gläubigergleichbehandlung nicht nachgewiesen. Im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.10.2001, Zl. 98/08/0368 ist daher davon auszugehen, dass sie ihrer Verpflichtung zur Gleichbehandlung der Gläubiger schuldhaft nicht nachgekommen ist. Da im Falle der Nichterbringung eines Nachweises der Gläubigergleichbehandlung der Vertreter der Beitragsschuldnerin konsequenterweise auch für die von der Haftung betroffenen Beitragsschulden zur Gänze haftet (vgl. nochmals VwGH, 04.10.2001, Zl. 98/08/0368), besteht die Haftung der Beschwerdeführerin für die zur Nachverrechnung gelangten Beiträge im vorliegenden Fall sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht.
Gemäß § 83 ASVG gelten die Bestimmungen über die Haftung auch für Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze. Weil die Pflichtverletzung des Vertreters dafür ursächlich ist, dass der Sozialversicherungsträger die Beitragszahlungen nicht ordnungsgemäß erhalten hat, hat dieser Vertreter auch die (anteiligen) Verzugszinsen als wirtschaftliches Äquivalent für die verspätete Zahlung - wie im vorliegenden Fall - zu tragen (vgl. Derntl a.a.O., § 67 Rz 104a).
Die Beschwerde ist daher als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Abweisung der Beschwerde ergeht in Anlehnung an die oben unter A) zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Beitragsrückstand Geschäftsführer Gläubiger Gleichbehandlung Haftung Nachweismangel Pflichtverletzung UneinbringlichkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W198.2239774.1.00Im RIS seit
21.06.2021Zuletzt aktualisiert am
21.06.2021