Entscheidungsdatum
16.04.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
L510 2241122-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Türkei, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.03.2021, Zl: XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrenshergang
1. Die beschwerdeführende Partei (bP) reiste am 18.03.2021 über Flug XXXX aus XXXX kommend am Flughafen Wien-Schwechat ein. Sie ist im Besitz eines gültigen türkischen Reisepasses und zeigte gleichzeitig einen deutschen Aufenthaltstitel vor, welcher seitens der kontrollierenden Beamten als Totalfälschung festgestellt werden konnte.
Am selben Tag stellte sie beim SPK XXXX im Zuge der Amtshandlung einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie legte folgend dar:
„Ich bin türkischer Kurde. Mein Haus in der Türkei wurde zerbombt. Aus diesem Grund möchte ich hier um Asyl ansuchen.“
Bei der Erstbefragung am 19.03.2021 führte sie folgend aus:
„Im Jahr 2015 haben türkische Soldaten mein Haus zerstört. Ich musste daher mit meiner Familie nach Istanbul gehen. In Istanbul habe ich über Medien verbreitet, dass Soldaten unser Haus in XXXX zerstört haben. Daraufhin habe ich Probleme mit den Behörden bekommen. Diese wollten mich verhaften lassen. Aus Angst, dass sie mich festnehmen bin ich geflüchtet. Ich habe hiermit alle meine Gründe und die dazugehörigen Ereignisse angegeben, warum ich nach Österreich gereist bin! Ich habe keine weiteren Gründe für eine Asylantragstellung.“
Am 24.03.2021 wurde eine Rechtsberatung durchgeführt.
Ihre niederschriftliche Einvernahme am 24.03.2021 durch den erkennenden Organwalter des BFA, in Anwesenheit des Rechtsberaters und im Beisein eines Dolmetschers der Sprache Kurdisch Kurmanci, gestaltete sich in den wesentlichen Auszügen wie folgt:
„…
LA: Sind Sie geistig und körperlich gesund?
VP: Ja, ich bin gesund.
LA: Stehen Sie in ärztlicher Behandlung? Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?
VP: Nein.
LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die an Sie gestellten Fragen wahrheitsgemäß und umfassend zu beantworten?
VP: Ja.
….
LA: Haben Sie im bisherigen Verfahren, insbesondere bei der polizeilichen Erstbefragung am 19.03.2021 wahrheitsgemäße Angaben gemacht und wurde Ihnen diese rückübersetzt und korrekt protokolliert? Wollen Sie etwas ergänzen?
VP: Ja, zu allem.
LA: Wie heißen Sie und wann und wo wurden Sie geboren?
VP: Vorname XXXX , Familienname XXXX , geb. XXXX . Geburtsort ist XXXX , gehört zu XXXX . Auf Nachfrage, es liegt XXXX .
LA: Sind Sie verheiratet? Wenn ja, wie lauten die Daten (Name, Geburtsdatum) Ihrer Gattin?
VP: Nein. Auf Nachfrage, ich bin ledig.
LA: Haben Sie Kinder? Wenn ja, wie viele? Nennen Sie den Namen und Geburtsdaten der Kinder.
VP: Nein.
LA: Haben Sie noch Angehörige in Ihrer Heimat Türkei?
VP: Ja. Mutter und Vater und 4 Brüder. Schwestern habe ich nicht.
LA: Nennen Sie mir bitte die Namen und Geburtsdaten Ihrer Angehörigen.
VP: Mutter heißt XXXX , ich glaube sie ist XXXX geboren. Vater heißt XXXX , er ist XXXX geboren.
Brüder: XXXX , XXXX geboren; XXXX , XXXX geboren; XXXX , XXXX geboren und XXXX , XXXX geboren. Auf Nachfrage, der Familienname ist XXXX .
LA: Wo genau halten sich Ihre Angehörigen aktuell auf?
VP: Sie leben alle in Istanbul. Auf Nachfrage, Istanbul, Bezirk XXXX , XXXX
LA: Wovon bestreiten Ihre Angehörigen in der Türkei den Lebensunterhalt?
VP: Mein Vater arbeitet in einer XXXX , meine Mutter ist Hausfrau. XXXX lebt in XXXX , er ist verheiratet, XXXX ist krank, XXXX ist arbeitslos, XXXX arbeitete vorher als Kellner, aber aufgrund der Corona ist er arbeitslos. Es arbeitet momentan nur mein Vater.
LA: Wie ist die wirtschaftliche Situation Ihrer Familie derzeit?
VP: Schlecht.
LA: Wie war Ihre wirtschaftliche Situation vor Ihrer Ausreise?
VP: Bei mir ist es gegangen, ich habe täglich eine Arbeit gefunden, wenn man einen Job hat, findet man immer eine Arbeit.
LA: Bitte geben Sie so genau wie möglich die Adresse im Heimatland an, an der Sie zuletzt gelebt haben?
VP: Istanbul, Bezirk XXXX , XXXX
LA: Wie lange haben Sie an dieser Adresse gelebt?
VP: 4 Jahre. Auf Nachfrage, von 2015 bis zur jetzigen Ausreise.
LA: Wo lebten Sie vorher – vor 2015?
VP: In XXXX , XXXX , XXXX . Auf Nachfrage, von Geburt bis 2015 lebte ich in XXXX , nur in einer anderen Gasse.
LA: Unter welchen Umständen und mit wem lebten Sie in der Türkei? (Haus, Wohnung, Miete, Eigentum …?)
VP: In XXXX und in Istanbul mit meiner Familie. Auf Nachfrage, mit meinen Eltern und mit meinen Brüdern. In XXXX lebten wir in einer Wohnung – Eigentumswohnung. In Istanbul lebten wir in einer Mietwohnung.
LA: Was ist mit der Eigentumswohnung in XXXX – ist diese noch im Besitz der Familie?
VP: Diese wurde zerstört. Unsere Möbel auch – wurden zerstört.
LA: Wann, wie und mit wem hatten Sie zuletzt Kontakt in Ihrem Heimatland?
VP: Ich habe mit meiner Mutter gesprochen, gestern Abend und auch mit meinem Bruder XXXX gestern. Auf Nachfrage, über Whats App Telefonie.
LA: Haben Sie in Österreich irgendwelche verwandtschaftlichen oder privaten Bezugspunkte?
VP: Nein.
LA: Welche Schul- und Ausbildung haben Sie?
VP: Ich habe 8 Grundschule, diese habe ich in XXXX besucht. Ich habe den Beruf Koch erlernt. Auf Nachfrage, ich habe die Kochlehre in Istanbul absolviert.
LA: Wovon haben Sie gelebt? Wo waren Sie beschäftigt? Waren Sie bis zu Ihrer Ausreise beruflich tätig?
VP: Ich habe als Koch gearbeitet, zuerst in Istanbul in einem Krankenhaus. Seit 1 ½ Jahren finde ich keine Arbeit wegen der Pandemie.
LA: Haben Sie während Ihrer Arbeitslosigkeit, finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten?
VP: Ich habe nichts bekommen, weil ich nicht versichert war. Die letzten 4 Monate hatte ich keine Versicherung gehabt und deswegen habe ich keine Arbeitslosenunterstützung erhalten.
LA: Wovon haben Sie die letzten 1 ½ Jahre gelebt?
VP Ich habe täglich als Koch bei verschiedenen Restaurants kurzfristig, ohne Anmeldung gearbeitet. In der Türkei gibt es viele die ohne Versicherung arbeiten. Auf Nachfrage, im Krankenhaus habe ich 3 000 türkische Lira bekommen, wo ich täglich an verschiedenen Arbeitsstellen gearbeitet habe, habe ich am Tag 100 türkische Lira bekommen.
LA: Möchten Sie irgendwelche Beweismittel/Dokumente/ärztliche Befunde etc. vorlegen? Haben Sie Dokumente bei sich?
VP: Anm. Reisepass im Original wurde durch die Polizei sichergestellt – Passnummer XXXX XXXX , XXXX
ID Karte im Original – sichergestellt durch die Polizei, XXXX
Gefälschter Aufenthaltstitel für die BRD – XXXX XXXX XXXX
VP: Ich habe alles abgegeben.
LA: Wann haben Sie den Passantrag gestellt? Gab es Probleme bei der Ausstellung?
VP: Kurz vor der Ausreise, vor ca. 1 Monat. Als ich erfahren habe, dass ich festgenommen werde, habe ich den Pass ausstellen lassen. Es gab keine Probleme bei der Passausstellung.
LA: Waren Sie persönlich vor Ort bei der Antragstellung für den Pass?
VP: Den Antrag habe ich persönlich abgegeben und per Post kam der Pass.
LA: Wo liegt der Ort KÜCÜKCEMECE, wo Sie den Reisepass ausstellen haben lassen?
VP: Ist ein Bezirk in Istanbul.
LA: Weshalb haben Sie einen gefälschten Aufenthaltstitel für die Bundesrepublik Deutschland vorgelegt? Woher haben Sie diesen? Warum haben Sie diesen?
VP: Damit ich die Türkei verlassen kann. Mein Bruder hat diesen organisiert, ich weiß nicht von wem er diesen bekommen hat. Auf Nachfrage, dieser hat € 1 500,-- gekostet. Auf Nachfrage, ich habe mir das Geld von Freunden ausgeborgt.
LA: Was haben Sie noch für Dokumente oder Beweismittel im Heimatland?
VP: Ich habe einen Führerschein gehabt, den habe ich in der Türkei verloren. Auf Nachfrage, ich habe auch keine Beweismittel.
LA: Wann haben Sie Ihren Entschluss zur Ausreise gefasst?
VP: Vor ca. 1 Monat.
LA: Nennen Sie mir den Weg Ihrer Ausreise? Wer hat das Ticket besorgt und wie?
War die Flucht schlepperunterstützt?
VP: Ich habe selbst die Tickets gekauft, bin nach Serbien geflogen und dann habe ich in Serbien ein Ticket gekauft, was Wien als Transit war und nach Belarus/Weißrussland zu fliegen. Mein Ziel war Österreich. Auf Nachfrage, ich und mein Bruder haben die Tickets von der Türkei nach Serbien über das Internet gekauft. Auch in Serbien hat mein Bruder die Tickets über Internet gekauft.
LA: Wie erfolgte Ihre Ausreise aus der Türkei legal oder illegal?
VP: Legal.
LA: Wie verlief die Ausreisekontrolle in der Türkei am Flughafen?
VP: Normal. Ich habe den Pass gezeigt und gestempelt. Es gab damals keinen Haftbefehl. Ich habe auch das Ticket gezeigt. Auf Nachfrage, den gefälschten Aufenthaltstitel habe ich nicht hergezeigt. Ich wusste nicht, dass der Aufenthaltstitel gefälscht war.
LA: Sie sagten zuvor, dass Sie den gefälschten Aufenthaltstitel für die Ausreise aus der Türkei benötigt hätten! Jetzt erklärten Sie, dass Sie diesen nicht in Vorlage gebracht haben, bei der Ausreise.
VP: Wenn ich zum Konsulat gegangen wäre, hätte ich sonst kein Visum erhalten.
Anm. im Pass ist kein Visum.
LA: Waren Sie sonst jemals im Ausland?
VP: Nein.
LA: Haben Sie bereits woanders um Asyl angesucht? (wenn ja, wann? – wo? Ausgang d. Verfahrens?)
VP: Nein.
LA: Warum haben Sie in Serbien nicht um Asyl bereits angesucht?
VP: Ich wollte nach Europa.
LA: War Österreich jetzt Ihr Zielland?
VP: Ja.
LA: Warum?
VP: Hier gibt es Menschenrechte, es ist nicht so wie in der Türkei.
LA: Ihr Zielland war immer Österreich?
VP: Ja.
LA: Weshalb führten Sie in der Erstbefragung vor der Polizei am 19.03.2021 als Zielland Deutschland an?
VP: Weil ich für dort den gefälschten Aufenthaltstitel hatte.
LA: Haben Sie Verwandte in Deutschland oder in der EU?
VP: Ja, in Deutschland. Auf Nachfrage, ich habe Cousins dort. Leute von meinem Dorf sind dort.
Auf Nachfrage, den Aufenthaltsstatus meiner Cousins, weiß ich nicht.
LA: Bitte nennen Sie Ihre Staatsangehörigkeit, Volksgruppe und Religionszugehörigkeit?
VP: Türkische Staatsbürgerschaft, XXXX und Kurde.
LA: Hatten Sie wegen Ihrer Volksgruppe oder Religionszugehörigkeit Probleme im Heimatland?
VP: Als Volksgruppe ja. Religion nicht.
LA: Welche Probleme hatten Sie aufgrund der Volksgruppe?
VP: Weil ich Kurde bin. Ich durfte nicht kurdisch sprechen.
Als Kurde wird man als Mensch 2. Klasse behandelt. Man hat keine Freiheit dort. Normalerweise als Koch kann man einfach einen Job in einem 5 Sterne Hotel finden, aber aufgrund meiner Volksgruppe habe ich keinen Job gefunden. Auch mein Bruder hat das Problem, dass er keine Arbeit findet.
LA: Ihr Vater ist auch Kurde und geht einer Beschäftigung nach. Sie selber waren beruflich tätig. Es lässt nicht den Anschein, dass Ihnen die Arbeit/Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit verwehrt wurde!
VP. Ja, mein Vater ist auch Kurde. Er arbeitet als Reiniger. Ich könnte auch normalerweise in einem 5 Sterne Hotel arbeiten. Es war mir aber nicht möglich, da ich Kurde war.
LA: Sie gingen einer Beschäftigung nach und Sie wurden nicht diskriminiert und haben keine Arbeit gefunden.
VP: Ja, aber ich habe nicht den Job bekommen, den ich wollte.
LA: Es ist auch in Österreich so, dass wir hier auch nicht die Arbeit bekommen, die wir wollen.
VP: Ja, stimmt.
LA: Sie wären aufgrund Ihrer Volksgruppe diskriminiert worden in Bezug auf die Arbeit, die Sprachausübung, Sie wären als Person 2. Klasse behandelt worden. Ist dies korrekt? Möchten Sie noch etwas hinzufügen?
VP: Ja. Unser Haus wurde zerstört.
LA: Gab es persönliche Übergriffe gegen Ihre Person?
VP: Ja.
LA: Wann, wo, wie und wer hätte Sie persönlich angegriffen?
VP: Weil unser Haus zerstört wurde, sind wir nach Istanbul. Ich und meine Mutter haben mit Journalisten über unsere Probleme gesprochen, deshalb habe ich Probleme bekommen.
LA: Frage wird wiederholt!
VP: Als ich in XXXX war, wurde ich oft von der Polizei geschlagen, das ist aber Vergangenheit. Als Kind hatten wir schon Probleme.
LA: Gibt es AKTUELL persönliche Übergriffe gegen Sie?
VP: In Istanbul wurde ich schlecht behandelt. Auf Nachfrage, wenn man sagt man kommt aus XXXX , will niemand etwas mit einem zu tun haben.
LA: Aktuell gab es keine körperlichen Übergriffe gegen Sie!
VP: Ich habe Angst gehabt, dass ich festgenommen werde.
Anm. VP gibt immer ausschweifende Antworten.
LA: Sie wurden in der Zeit in Istanbul nicht geschlagen?
VP: Nein.
LA: Werden Sie gesucht im Heimatland oder gibt es einen Haftbefehl?
VP: Ja. Auf Nachfrage, weil ich mit Journalisten über meine Probleme gesprochen habe. Es waren Journalisten aus Deutschland und auf der Internetseite in Deutschland ist etwas zu sehen. Sie haben gesagt, sie kommen aus Deutschland und gehören zu den Menschenrechten. Sie haben gefragt, warum wir nach Istanbul geflohen sind und ich habe ihnen erzählt, dass türkische Soldaten unser Haus zerstört haben. Unser Haus wurde bombardiert.
LA: Wo ist der Haftbefehl?
VP: Es gab noch keinen bevor ich die Türkei verlassen habe. Jetzt gibt es einen.
LA: Woher wussten Sie, dass es einen Haftbefehl geben würde?
VP: Meine Mutter und mein Vater haben es gesagt. Die Polizei war bei uns zu Hause.
LA: Wann war die Polizei bei Ihnen zu Hause?
VP: Gestern haben sie es gesagt. Ich habe aber nicht nach dem Datum gefragt. Sie haben mich in XXXX aufgesucht, hat mein Bruder gesagt, sie haben geglaubt ich sei bei ihm in XXXX .
LA: Haben Ihre Eltern oder Ihr Bruder einen schriftlichen Haftbefehl?
VP: Nein. Es kommt wer und holt einen ab. Wenn es um politische Sachen geht, gibt es keinen Haftbefehl.
LA: Mit den Journalisten haben Sie und Ihre Mutter gesprochen. Ist dies korrekt?
VP: Ja.
LA: Warum wurde Ihre Mutter nicht festgenommen?
VP: Normalerweise nehmen die junge, Männer, meine Mutter ist ein bisschen alt.
LA: Haben Sie im Heimatland strafbare Handlungen begangen, sind Sie vorbestraft / verurteilt oder waren Sie schon einmal in Haft oder Gefangenschaft?
VP: Nein.
LA: Kommen wir bitte jetzt nochmals zu allen Ihren Fluchtgründen. Sie haben schon etwas dazu angegeben. Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen? Nennen Sie nun bitte detailliert und in Ihren eigenen Worten alle Ihre Fluchtgründe, sodass ich mir ein Bild davonmachen kann? Sie haben hierzu ausreichend Zeit.
VP: Unser Haus wurde 2015 zerstört. Wir mussten nach Istanbul übersiedeln. In Istanbul habe ich später mit den Deutschen Journalisten über meine Probleme erzählt. Nach meiner Aussage habe ich erfahren, dass ich festgenommen werde. Aus Angst, dass sie mich verhaften bin ich geflüchtet. Nur für kleine Interviews über Politik bekommt man 10 Jahre Gefängnis.
LA: Wann hätten Sie mit den Journalisten gesprochen? Welche Journalisten waren dies – Name, Namen der Zeitung, Internetseite etc.!
VP: Vor 2 Jahren. Es war eine deutsche Zeitschrift, ich weiß den Namen der Zeitung nicht. Es war eine Frau. Sie hat ein Band vorgelegt und ich habe gesprochen. Sie hat gesagt, sie wird darüber berichten.
LA: Welche Internetseite, Sie führten zuvor eine ins Treffen?
VP: Ich weiß es nicht mehr. Mein Bericht war im Internet drinnen, was ich gesagt habe.
LA: Sie erklärten zuvor, dass kritische Aussagen in der Türkei streng geahndet werden. Wenn Sie dies wissen, weshalb würden Sie kritische Aussagen tätigen, im Bewusstsein, dass dies strafbar ist?
VP: Ich wollte das alles sagen.
LA: Wann hätten Sie erfahren, dass Sie festgenommen werden würden?
VP: Vor einem Monat sicher. Danach habe ich gleich den Reisepass beantragt.
LA: Wann war nochmal das Interview und wann wäre der Artikel veröffentlicht worden?
VP: Vor 2 Jahren.
LA: Vor 2 Jahren hätten Sie das Interview gegeben, danach wäre der Artikel veröffentlicht worden. Der türkische Geheimdienst arbeitet sicher schnell, weshalb würden Sie jetzt 2 Jahre danach festgenommen werden und wären nicht schon viel früher festgenommen worden. Sie gingen einer Arbeit nach, hatten einen Wohnsitz und ließen sich den Pass ausstellen?
VP: Ich habe gedacht, dass ich sowieso nicht festgenommen werde. Ich habe ein normales Interview gemacht. Ich weiß es nicht, warum so spät. Vielleicht wegen der Pandemie.
LA: Normalerweise werden in Artikeln keine Namen genannt oder Aliasnamen!
VP: Sie haben XXXX geschrieben und XXXX ……
LA: Sonst auch noch etwas zu Ihren persönlichen Daten außer XXXX ….?
VP: Vielleicht auch meine Stimme.
LA: Ich vermute in der Türkei gibt es viele XXXX …..!
VP: XXXX ist klein.
LA: Es wurde Ihr Ort auch angeführt?
VP: Ja.
LA: Was hätten Sie in diesem Interview angegeben?
VP: Ich habe auch erzählt, dass Kinder getötet wurden und nicht beerdigt werden. Ich habe gesehen, dass ein Kind gelaufen ist und die Mutter und der Vater von diesem erschossen wurde.
LA: Weshalb sei Ihr Haus zerstört worden?
VP: Wir wollten eine eigene Stadt haben. Es war damals der Hendek Savaji Krieg. Es war damals ein Krieg zwischen PKK. Die Armee hat die Stadt umkreist und unsere Stadt beschossen.
LA: Es war kein gezielter Anschlag auf das Haus Ihrer Familie, sondern damals im Zuge der Kampfhandlungen um die Stadt.
VP: Ja.
LA: In welchen Medien wurde der Artikel verbreitet und was?
VP: Ich habe erzählt, was ich gesehen habe. Es gab nichts zu essen, kein Wasser und keinen Strom damals. Ich habe es vergessen, auswendig weiß ich es nicht, wo der Artikel war.
LA: Gibt es ein Foto von Ihnen in diesem Artikel?
VP: Nein. Es gab nur Fotos von XXXX .
LA: Sie haben keine Visitenkarte von den Journalisten bekommen?
VP: Ich habe gesagt, die ganze Welt soll es erfahren.
Anm. VP schweift wieder aus und geht auf die Frage nicht ein.
LA: Frage wiederholt!
VP: Nein. Aber sie hat Deutsch gesprochen. Auf Nachfrage, sie hat Deutsch gesprochen und mit mir hat sie türkisch gesprochen, sie hat gesagt, dass sie aus Deutschland kommt. Sie sprach schlecht türkisch.
LA: Wie viele Journalisten waren dies, denen Sie das Interview gaben.
VP: Eine Frau.
LA: Wo wäre der Artikel gewesen auf einer Internetseite oder mehr?
VP: Auf einer Seite habe ich ihn gefunden.
LA: Wie haben Sie ihn gefunden?
VP: Mein Bruder in XXXX hat es mir gesagt.
LA: Unter welchem Suchbegriff hätten Sie den Artikel gefunden?
VP: Mein Bruder hat den Link geschickt.
LA: Den Namen der Internetseite wissen Sie nicht, auch kein Schlagwort?
VP: Ich weiß es nicht mehr.
LA: Haben Sie Beweismittel – Ausdruck von dem Artikel?
VP: Ich kann es nicht versprechen. Ich werde es versuchen.
FRIST 25.03.2021 – 12:00 Uhr – Übermittlung per Email – Emailadresse übergeben
Übermittlung des Artikels
LA: Nachdem Sie das Interview gegeben hätten, bis zu Ihrer jetzigen Ausreise hat es keine Vorfälle gegen Ihre Person in der Türkei gegeben. Ist dies korrekt?
VP: Ja, das stimmt. Auf Nachfrage, es gab nichts gegen meine Person.
LA: Laut den aktuellen Länderfeststellungen zur Türkei unter dem Kapitel Ethnische Minderheiten, Kurden ist angeführt, dass in den letzten Jahrzehnten etwa die Hälfte der kurdischen Bevölkerung in die West Türkei ausgewandert ist, sowohl um den bewaffneten Konflikt zu entkommen, als auch auf der Suche nach wirtschaftlichen Möglichkeiten. Während viele arm sind, in ländlichen Gebieten und im Südosten, wächst in den städtischen Zentren eine kurdische Mittelschicht, vor allem im Westen der Türkei. Ein hoher Anteil an kurdischer Bevölkerung findet sich in Istanbul und in anderen Großstädten.
Sie waren über einige Jahre in der Stadt Istanbul wohnhaft – bis zu Ihrer jetzigen Ausreise.
Möchten Sie dazu Stellung nehmen?
VP: Ich habe die Türkei verlassen, da die Gefahr bestand, dass ich verhaftet werden würde. Ich würde nicht meine Familie verlassen.
LA: Einer Person, welche so ein Interview gibt, würde man sich erinnern.
VP: Wenn es ein türkischer Name gewesen wäre, hätte ich mich erinnern können.
LA: War der Artikel dann auf Deutsch – wie konnten Sie diesen lesen?
VP: Naja, den gibt es schon in allen Sprachen.
LA: War das eine deutsche oder türkische Homepage?
VP: Eine deutsche Homepage.
LA: Sie haben sich einen Reisepass ausstellen lassen, hatten Zeit sich einen gefälschten Aufenthaltstitel zu besorgen, aber Zeit, um sich einen Ausdruck von dieser Seite zu machen hatten Sie nicht.
VP: Ich kann ja das HDP Büro, Bezirk XXXX , Istanbul anrufen, wo ich das Interview gemacht hätte.
LA: Sie und Ihre Mutter haben das Interview in Istanbul vor 2 Jahren getätigt?
VP: Ja. Auf Nachfrage, ein Nachbar hat mir erzählt, dass die Journalisten da sind und ich habe meiner Mutter gesagt, wir sollen es sagen. Es war in einem Büro drinnen. Auf Nachfrage, ich bin KEIN Parteimitglied.
LA: Das sind Ihre Fluchtgründe, weshalb Sie nun einen Asylantrag gestellt haben?
VP: Ja.
LA: Gibt es sonst noch ein Vorbringen oder Vorfälle zu Ihrem Fluchtgrund?
VP: Nein.
LA: Es lässt sehr den Anschein, dass Sie aufgrund der wirtschaftlichen Situation Ihr Heimatland verlassen haben. Sie waren nicht in der Lage glaubhaft darzulegen, dass Sie aufgrund eines kritischen Interviews vor 2 Jahren nun –JETZT- in der Türkei verfolgt werden würden. Sie konnten keine Angaben zu den von Ihnen ins Treffen geführten „Medien“ – Internetseite angeben. Zudem war es Ihnen möglich, einen neuen Reisepass ausstellen zu lassen, Ihre Ausreise aus der Türkei verlief ohne Probleme. Sie haben sich eines gefälschten Aufenthaltstitels für die BRD bedient, in der Erstbefragung gaben Sie als Zielland Deutschland an. Es lässt sehr den Anschein, dass Sie nach Deutschland weiterreisen wollten, um dort einer Tätigkeit nachgehen zu können. Ihre Familie lebt weiterhin in Istanbul und geht dem gewohnten Alltag nach.
Möchten Sie dazu Stellung nehmen?
VP: Was ich gesagt habe ist die Wahrheit. Ich habe nicht aus wirtschaftlichen Gründen die Heimat verlassen. Niemand verlässt Vater und Mutter.
LA: Morgen zu Mittag – 12:00 – warte ich auf den Artikel!
VP: Ich werde versuchen, versprechen kann ich es nicht.
LA: Sie befinden sich im Sondertransitbereich. Es besteht für Sie jederzeit die Möglichkeit freiwillig in die Türkei auszureisen.
VP: Ich gehe nicht in die Türkei zurück.
LA: Wann haben Sie erfahren, dass Sie in der Türkei festgenommen werden würden?
VP: Vor ca. 1 Monat.
LA: Wer hätte Sie verhaften wollen?
VP: Polizei. Auf Nachfrage, wegen dem Interview.
LA: Sonst haben Sie sich niemals kritisch in der Öffentlichkeit oder sonst wo geäußert?
VP: In Istanbul habe ich das Newruzfest gefeiert. Ich habe die HDP unterstützt.
LA: Wie haben Sie diese unterstützt?
VP: Wenn ein Festival war bin ich dorthin hingegangen und habe Tee getrunken.
LA an Rechtsberatung: Gibt es von Ihrer Seite noch offene Fragen oder Anträge?
RB: KEINE Fragen.
LA: Die Entscheidung wird Ihnen bezüglich der Einreise oder nicht Einreise wird bis Ender dieser Woche fallen….“
Der Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge wurde am 26.03.2021 von der beabsichtigten Entscheidung des Bundesamtes verständigt und erteilte am 30.03.2021 die Zustimmung, den Antrag auf internationalen Schutz gem. § 33 Abs 1 Z 2 AsylG abzuweisen.
Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid des BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 18.03.2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 33 Absatz 1 Ziffer 2 iVm § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der bP gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.).
2. Gegen diesen Bescheid wurde durch die Vertretung fristgerecht Beschwerde eingebracht. Im Wesentlichen wurde dargelegt, dass die bP ihre Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft, die rechtliche Beurteilung sei unrichtig.
3. Das vollständige Einlagen des gegenständlichen Verfahrensaktes wurde dem BFA mit 09.04.2021 seitens des BVwG bestätigt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:
Die Identität der bP steht fest. Sie führt den im Spruch genannten Namen und das dort angeführte Geburtsdatum.
Die bP ist Staatsangehöriger der Türkei, gehört der Volksgruppe der Kurden an und ist muslimischen Glaubens. Die bP ist gesund.
Sie besuchte 8 Jahre lang die Grundschule in XXXX . Sie absolvierte eine Berufsausbildung als Koch in Istanbul und war dort als Koch in einem Krankenhaus bis vor ca. 1 ½ Jahren tätig. Aufgrund der Pandemie finanzierte sie die letzten 1 ½ Jahre ihren Lebensunterhalt durch „Schwarzarbeit“ als Koch in verschiedenen Restaurants. Sie ist ledig und hat keine Kinder. Sie verfügt in der Türkei über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte, ihre Eltern und drei Brüder leben in Istanbul, Bezirk XXXX , XXXX . Ein weiterer Bruder lebt in XXXX . Sie verfügt in der Bundesrepublik Deutschland über familiäre Anknüpfungspunkte, ihre Cousins leben in der BRD. Zu ihrer Mutter sowie zu ihrem Bruder hat die bP regelmäßigen Kontakt über „Whats App“.
In Österreich hat die bP keine Familienangehörigen oder Verwandten. Sie war bisher noch nie in Österreich aufhältig und hat hier keine Anknüpfungspunkte. Sie spricht nicht Deutsch.
1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:
Die von der bP vorgebrachten Fluchtgründe sind nicht glaubhaft und werden den Feststellungen nicht zugrunde gelegt.
Die bP verfügt in der Türkei über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte. Sie ist gesund, arbeitsfähig, verfügt über Berufserfahrung und die elementare Grundversorgung im Herkunftsland ist gewährleistet.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer glaubhaften, asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre.
1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:
COVID-19
Letzte Änderung: 26.01.2021
Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Am 11.3.2020 verkündete der türkische Gesundheitsminister, Fahrettin Koca, die Nachricht vom tags zuvor ersten bestätigten Corona-Fall (FNS 16.3.2020; vgl. DS 11.3.2020). Mit Jahresende 2020 wurden 2,18 Mio. Corona-Fälle und rund 21.000 Tote in der Türkei verzeichnet (JHU 30.12.2020).
Am 25.11.2020 erklärte Gesundheitsminister Fahrettin Koca, dass nunmehr alle positiv auf COVID-19 getesteten Personen in die Statistik aufgenommen werden. Ende Juli 2020 hatte das Gesundheitsministerium nämlich damit begonnen, die Corona-Infektionszahlen anzupassen, indem nur noch diejenigen, die tatsächlich Symptome entwickelten und einer Behandlung bedurften, statistisch gemeldet wurden. Dadurch blieben die offiziellen Zahlen in der Türkei im internationalen Vergleich niedrig. Auf diese Weise seien nach Medienberichten bis Ende Oktober 2020 bis zu 350.000 Corona-Infektionen verschwiegen worden (BAMF 30.11.2020). Das kam für den türkischen Ärzteverband nicht überraschend, der seit Monaten davor warnt, dass die bisherigen Zahlen der Regierung das Ausmaß der Ausbreitung verschleiern und dass der Mangel an Transparenz zu dem Anstieg beiträgt. Der Ärzteverband behauptet, dass die Zahlen des Ministeriums immer noch zu niedrig seien, verglichen mit ihrer eigenen Schätzung von mindestens 50.000 neuen Infektionen pro Tag. Die Krankenhäuser des Landes sind laut der Vorsitzenden des Ärzteverbandes, Sebnem Korur Fincanci, überlastet, das medizinische Personal ist ausgebrannt und die Contract-Tracer, die einst dafür bekannt waren, den Ausbruch unter Kontrolle zu halten, haben Schwierigkeiten, die Übertragungen zu verfolgen (AP 29.11.2020).
Beginnend mit 1.12.2020 ist ein Lockdown in Kraft getreten, welcher Ausgangssperren unter der Woche von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr umfasst. An den Wochenenden herrschte eine totale Ausgangssperre von Freitag 21.00 Uhr bis Montag 5.00 Uhr. An allen Orten, wo sich mehrere Menschen befinden, insbesondere auf Märkten und in Geschäften, gilt Maskenpflicht. Auf öffentlichen Plätzen wurde ein Rauchverbot auch im Freien eingeführt. Das Verbot zur Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen durch staatliche und staatsnahe Organisationen sowie von Verbänden bleibt aufrecht. Sportveranstaltungen werden ohne Zuschauer durchgeführt. An Beerdigungen und Hochzeiten dürfen maximal 30 Personen teilnehmen. Feiern und Zusammenkünfte in häuslicher Umgebung sind untersagt. Gastronomische Einrichtungen bleiben tagsüber nur für Lieferservice geöffnet. Einkaufszentren und Lebensmittelgeschäfte dürfen nur zwischen 10.00 Uhr und 20.00 Uhr geöffnet haben. Beim Betreten von Einkaufszentren wird der sogenannten HES (Hayat Eve Sigar) - Code verlangt, ein behördlich verliehener elektronischer Schlüssel, mittels welchem der momentane Status der jeweiligen Person in Hinblick auf Corona verfolgt und überprüft werden kann. Er dient z.B. als Zutrittsvoraussetzung zu Ämtern oder eben Einkaufszentren. Beginnend mit 5.11.2020 müssen kulturelle Einrichtungen, wie Theater, ab 22.00 Uhr geschlossen sein. Kinos bleiben bis auf weiteres geschlossen. Alle Schulen inklusive Vorschulen sind geschlossen und werden bis auf weiteres nur mehr im Fernunterricht fortgeführt. Jugendliche unter 20 Jahren dürfen nur zwischen 13.00 Uhr und 16.00 Uhr die Wohnung verlassen. Die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln ist Ihnen untersagt. Ältere Menschen über 65 Jahre dürfen tagsüber nur während bestimmter Uhrzeiten (10.00 Uhr – 13.00 Uhr) die Wohnungen verlassen. Auch für diese Personengruppe ist die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln verboten (WKO 21.1.2021).
Ab 28.12.2020 müssen alle Personen, die mit dem Flugzeug in die Türkei reisen, einen Nachweis erbringen, dass sie innerhalb von 72 Stunden vor der Einreise mit einem PCR-Test negativ auf COVID-19 getestet wurden. Einreisende ohne einen negativen Test müssen entweder an ihrer gemeldeten Adresse in der Türkei oder in einer von der Regierung bezeichneten Einrichtung in Quarantäne gehen. Alle Personen, die über die Land- oder Seegrenzen in die Türkei einreisen, unterliegen ab dem 30.12.2020 den gleichen Anforderungen. Die Richtlinie wird mindestens bis zum 1.3.2021 in Kraft bleiben (Garda World 25.12.2020).
Am 30.12.2020 wurde das bis 17.1.2021 gültige Entlassungsverbot per Präsidialdekret um weitere zwei Monate verlängert (Hürriyet 30.12.2020).
In der zweiten Jänner-Woche 2021 ist mit den Impfungen begonnen worden. Zum Einsatz kommt das chinesische Vakzin der Firma Sinovac, dem am 13.1.2021 nach einem Eilverfahren eine Notzulassung erteilt wurde. Die Prüfung sei noch nicht abgeschlossen, sie werde parallel zur Impfkampagne fortgesetzt, teilten die Behörden mit. Prioritär werden die 1,1 Mio. Mitarbeiter des Gesundheitswesens sowie Menschen über 65 Jahren geimpft. Laut dem Generalsekretär der Ärztevereinigung werde die landesweite Impfkampagne voraussichtlich im Juli 2021 angeschlossen werden. Bei Lieferverzögerungen könne sie auch bis Dezember dauern. Türkische Mediziner haben infolge der Ergebnisse in Brasilien und Indonesien ihre Zweifel an der Wirksamkeit des Impfstoffs geäußert. Die türkische Rechtsmedizinerin und Vorsitzende der Ärztevereinigung Sebnem Korur Fincanci sagte, die Sicherheit des Impfstoffs stehe jedoch außer Frage und appellierte, sich impfen zu lassen. Als Folge der intransparenten Politik will sich allerdings nur jeder zweite impfen lassen (FAZ 14.1.2021).
Quellen:
? AP - Associated Press (29.11.2020): Turkey’s new virus figures confirm experts' worst fears, https://apnews.com/article/turkey-europe-coronavirus-pandemic-recep-tayyip-erdogan-07b8e18fa2268b847e84cd9702e9a895, Zugriff 11.1.2021
? BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (30.11.2020): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041720/briefingnotes-kw49-2020.pdf, Zugriff 11.1.2021
? DS - Daily Sabah (11.3.2020): Turkey remains firm, calm as first coronavirus case confirmed, https://www.dailysabah.com/turkey/turkey-remains-firm-calm-as-first-coronavirus-case-confirmed/news, Zugriff 30.12.2020
? Hürriyet (30.12.2020): Entlassungsverbot der Türkei erneut verlängert, https://www.hurriyet.de/news_entlassungsverbot-der-tuerkei-erneut-verlaengert_143543902.html, Zugriff 30.12.2020
? FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (14.1.2021): Türkei beginnt mit Impfkampagne, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tuerkei-impfung-gegen-corona-beginnt-mit-china-impfstoff-sinovac-17146041.html, Zugriff 15.1.2021
? FNS - Friedrich-Naumann-Stiftung (16.3.2020): Türkei Bulletin 5-2020, http://shop.freiheit.org/download/P2@876/248113/05-2020-T%C3%Bcrkei-Bulletin.pdf, Zugriff 30.12.2020
? Garda World (25.12.2020): Turkey: Government to tighten COVID-related international entry restrictions effective Dec. 28; flights with Netherlands resume /update 30, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/421926/turkey-government-to-tighten-covid-related-international-entry-restrictions-effective-dec-28-flights-with-netherlands-resume-update-30, Zugriff 11.1.2020
? Hürriyet (30.12.2020): Entlassungsverbot der Türkei erneut verlängert, https://www.hurriyet.de/news_entlassungsverbot-der-tuerkei-erneut-verlaengert_143543902.html, Zugriff 30.12.2020
? JHU - Johns Hopkins University & Medicine (30.12.2020): COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), https://coronavirus.jhu.edu/map.html, Zugriff 30.12.2020
? WKO - Wirtschaftskammer Österreich (21.1.2020): Coronavirus: Situation in der Türkei, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-tuerkei.html#heading_Schutzmassnahmen_und_Geschaeftsleben, Zugriff 25.1.2021
Politische Lage
Letzte Änderung: 26.01.2021
Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und zugleich Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 24.8.2020; vgl. DFAT 10.9.2020), wobei das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft wurde (DFAT 10.9.2020; vgl. bpb 9.7.2018).
Die Verfassungsarchitektur ist weiterhin von einer fortschreitenden Zentralisierung der Befugnisse im Bereich des Präsidentenamtes geprägt, ohne eine solide und wirksame Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative zu gewährleisten. Da es keinen wirksamen Kontroll- und Ausgleichsmechanismus gibt, bleibt die demokratische Rechenschaftspflicht der Exekutive auf Wahlen beschränkt. Unter diesen Bedingungen setzten sich die gravierenden Rückschritte bei der Achtung demokratischer Normen, der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten fort. Die politische Polarisierung verhindert einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die parlamentarische Kontrolle über die Exekutive bleibt schwach. Unter dem Präsidialsystem sind viele Regulierungsbehörden und die Zentralbank direkt mit dem Präsidentenamt verbunden, wodurch deren Unabhängigkeit untergraben wird. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019). Der öffentliche Dienst wurde politisiert, insbesondere durch weitere Ernennungen von politischen Beauftragten auf der Ebene hoher Beamter und die Senkung der beruflichen Anforderungen an die Amtsinhaber (EC 6.10.2020).
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die Zehn-Prozent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nicht gesenkt. Die unter der Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terror-Sympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).
Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdo?an mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekulare Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative ?yi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 27.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem (damals noch) geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31.3.2019 hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem ?mamo?lu, mit einem Vorsprung von nur 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6.5.2019 schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019; vgl. Standard 23.6.2019). ?mamo?lu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Y?ld?r?m, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert als regierende Partei in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdo?an bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirta?, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für ?mamo?lu betonte (NZZ 23.6.2019).
Die Gesetzgebungsverfahren sind nicht effektiv. Präsidialdekrete bleiben der parlamentarischen Beratung und Kontrolle entzogen (EC 6.10.2020; vgl. ÖB 10.2020). Präsidialdekrete können nur noch vom Verfassungsgericht aufgehoben werden (ÖB 10.2020). Parlamentarier haben kein Recht, mündliche Anfragen zu stellen. Schriftliche Anfragen können nur an den Vizepräsident und Minister gerichtet werden. Der Rechtsrahmen verankert zwar den Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialdekreten und bewahrt somit das Vorrecht des Parlaments, nichtsdestotrotz hat der Präsident bis Dezember 2019 53 Dekrete erlassen, die ein breites Spektrum sozioökonomischer Politikbereiche abdecken und eben nicht in den Geltungsbereich von Präsidialdekreten fallen (EC 6.10.2020). Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialdekrete zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen und 4 von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie 12 von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialdekreten beantragen kann (EC 29.5.2019).
Zunehmende politische Polarisierung verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der HDP, hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft (Stand Ende Dezember 2020), im Falle von Selahattin Demirta? trotz eines neuerlichen Urteils des EGMR, diesen sofort frei zu lassen (ZO 22.12.2020). Die Unzulänglichkeiten des Systems der parlamentarischen Immunität, das die Meinungsfreiheit von gewählten Amtsträgern außerhalb des Parlaments einschränkt, bleiben ungelöst (EC 6.10.2020).
Trotz der Aufhebung des zweijährigen Ausnahmezustands im Juli 2018 wirkt sich dieser negativ auf Demokratie und Grundrechte aus. Einige gesetzliche Bestimmungen, die den Regierungsbehörden außerordentliche Befugnisse einräumen und mehrere restriktive Elemente des Notstandsrechtes wurden beibehalten und ins Gesetz integriert (EC 6.10.2020). Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt auch im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018). Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands verhaftet und mehr als 78.000 aufgrund Vorwürfen mit Terrorismusbezug festgenommen (EC 29.5.2019).
Im September 2016 verabschiedete die Regierung ein Dekret, das die Ernennung von "Treuhändern" anstelle von gewählten Bürgermeistern, stellvertretenden Bürgermeistern oder Mitgliedern von Gemeinderäten, die wegen Terrorismusvorwürfen suspendiert wurden, erlaubt. Dieses Dekret wurde im Südosten der Türkei vor und nach den Kommunalwahlen 2019 großzügig angewandt (DFAT 10.9.2020). Mit Stand Oktober 2020 war die Zahl der Gemeinden, denen aufgrund der Lokalwahlen vom März 2019 ursprünglich ein Bürgermeister aus den Reihen der HDP vorstand (insgesamt 65) um 48 reduziert. Die Zentralregierung entfernte die gewählten Bürgermeister, hauptsächlich mit der Begründung, dass diese angeblich Verbindungen zu terroristischen Organisationen hatten, und ersetzte sie durch Treuhänder (EC 6.10.2020; vgl. bianet 2.10.2020). Die Kandidaten waren jedoch vor den Wahlen überprüft worden, sodass ihre Absetzung noch weniger gerechtfertigt war. Hunderte von HDP-Kommunalpolitikern und gewählten Amtsinhabern sowie Tausende von Parteimitgliedern wurden wegen terroristischer Anschuldigungen inhaftiert. Da keine Anklage erhoben wurde, verstießen laut Europäischer Kommission diese Maßnahmen gegen die Grundprinzipien einer demokratischen Ordnung, entzogen den Wählern ihre politische Vertretung auf lokaler Ebene und schadeten der lokalen Demokratie (EC 6.10.2020).
[siehe auch die Kapitel: Rechtsschutz/Justizwesen, Sicherheitsbehörden, Opposition und Gülen- oder Hizmet-Bewegung]
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%BCrkei_%28Stand_Juni_2020%29%2C_24.08.2020.pdf, Zugriff 1.10.2020
? Anadolu – Anadolu Agency (23.6.2019): CHP's Imamoglu wins Istanbul’s mayoral poll, https://www.aa.com.tr/en/politics/chps-imamoglu-wins-istanbul-s-mayoral-poll/1513613, Zugriff 20.10.2020
? bianet (2.10.2020): Co-Mayor Ayhan Bilgen arrested, trustee appointed to Kars Municipality, http://bianet.org/english/politics/231997-co-mayor-ayhan-bilgen-arrested-trustee-appointed-to-kars-municipality, Zugriff 5.10.2020
? bpb – Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (9.7.2018): Das "neue" politische System der Türkei, https://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/255789/das-neue-politische-system-der-tuerkei, Zugriff 20.10.2020
? DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 20.10.2020
? EC – European Commission (6.10.2020): Turkey 2020 Report [SWD (2020) 355 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/turkey_report_2020.pdf, Zugriff 9.10.2020
? EC – European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 9.10.2020
? FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.6.2019): Erdogan gratuliert Imamoglu zum Wahlsieg in Istanbul, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wieder-niederlage-fuer-erdogans-akp-in-istanbul-16250529.html, Zugriff 20.10.2020
? HDN – Hürriyet Daily News (27.6.2018): 24. Juni 2018, Ergebnisse Präsidentschaftswahlen, Ergebnisse Parlamentswahlen, https://web.archive.org/web/20180730173700/http://www.hurriyetdailynews.com:80/wahlen-turkei-2018, Zugriff 20.10.2020
? HDN – Hürriyet Daily News (16.4.2017): Turkey approves presidential system in tight referendum, http://www.hurriyetdailynews.com/live-turkey-votes-on-presidential-system-in-key-referendum.aspx?pageID=238&nID=112061&NewsCatID=338, Zugriff 20.10.2020
? NZZ – Neue Zürcher Zeitung (23.6.2019): Niederlage für Erdogans AKP: CHP-Kandidat Imamoglu gewinnt erneut die Bürgermeisterwahl in Istanbul, https://www.nzz.ch/international/niederlage-fuer-erdogans-akp-chp-kandidat-imamoglu-gewinnt-erneut-die-buergermeisterwahl-in-istanbul-ld.1490981, Zugriff 20.10.2020
? NZZ – Neue Zürcher Zeitung (18.7.2018): Wie es in der Türkei nach dem Ende des Ausnahmezustands weiter geht, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-wie-es-nach-dem-ende-des-ausnahmezustands-weitergeht-ld.1404273, Zugriff 25.1.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft – Ankara [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2044096/TUER_%C3%96B+Asyll%C3%A4nderbericht_10_2020.pdf, Zugriff 20.10.2020
?