TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/19 W189 2181693-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.04.2021
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Entscheidungsdatum

19.04.2021

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W189 2181693-1/9E
W189 2236162-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Eritrea, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.01.2021, zu Recht:

A)

Das Beschwerdeverfahren wird wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Eritrea, vertreten durch XXXX , diese vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.01.2021, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1), eine Staatsangehörige Eritreas, reiste illegal nach Italien ein und stellte am 05.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Italien. Am 21.07.2017 und 24.07.2017 wurde die BF1 in Rom durch Mitarbeiter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) und EASO Experten sowie im Beisein eines Dolmetschers niederschriftlich einvernommen.

2. Am 24.08.2017 reiste die BF1 im Rahmen des Relocation-Projektes und einem italienischen Laissez-Passer von Italien legal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

3. In weiterer Folge wurde die BF1 am 27.11.2017, vor dem Bundesamt im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Tigrinya niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie im Wesentlichen an, dass sie eritreische Staatsangehörige sei, keine Kinder habe, orthodoxe Christin sei und bis auf ihre Großmutter – zu der sie keinen Kontakt habe – keine Familienangehörige in Eritrea habe. Sie habe Eritrea bereits im Jahr 2011 verlassen und sei nach Äthiopien gereist und von dort weiter in den Sudan und zwei Jahre später nach Libyen. Ihr Fluchtgrund sei zum einen die Krankheit ihrer Mutter und in Folge die gesellschaftliche Isolation gewesen und zum anderen sei sie auch dem Militärdienst entflohen.

4. Das Bundesamt wies mit Bescheid vom 13.12.2017 (zugestellt am 18.12.2017) den Antrag der BF1 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte der BF1 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

5. Die BF1 erhob mit Schriftsatz vom 21.12.2017 (eingebracht am 21.12.2017) gegen den Bescheid hinsichtlich Spruchteil I. fristgerecht Beschwerde und monierte unrichtige Feststellungen, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens und eine unrichtige rechtliche Beurteilung. Es wurde zudem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Bestellung eines landeskundigen Sachverständigen beantragt.

Spruchpunkt II. und III. des angefochtenen Bescheides erwuchsen in Rechtskraft.

6. Die Beschwerde der BF1 und der Bezug habende Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 04.01.2018 vom Bundesamt vorgelegt.

7. Am XXXX ist die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2) in Österreich geboren. Die BF1 (Mutter von BF2) hat als gesetzliche Vertreterin für die BF2 am 25.06.2020 schriftlich einen Antrag auf internationalen Schutz für die in Österreich nachgeborene BF2 gestellt. Es wurde die Geburtsurkunde der BF2 beigelegt.

8. Am 28.08.2020 wurde die BF1 als gesetzliche Vertreterin für die BF2 zum Antrag auf internationalen Schutz der BF2 vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab die BF1 zusammengefasst an, dass der Vater der BF2 in Schweden lebe und eritreischer Staatsangehöriger sei. Sie habe den Kindesvater zuletzt vor ca. 11 Monaten gesehen und telefoniere jedes Wochenende mit ihm. Der Kindesvater unterstütze sein Kind nicht finanziell. Die BF1 sei mit dem Kindesvater nicht verheiratet und habe ihn im Jahr 2013 in Libyen kennen gelernt. Die Großmutter von BF1 wisse, dass sie eine uneheliche Enkeltochter habe und freue sich mittlerweile darüber. Die BF2 habe keine eigenen Fluchtgründe.

9. Das Bundesamt wies mit Bescheid vom 03.09.2020 (zugestellt am 11.09.2020) den Antrag der BF2 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte der BF2 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das Bundesamt aus, dass die gesetzliche Vertreterin der BF2 keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen der BF2 angegeben habe und bei der Mutter sei in deren Asylverfahren ebenfalls keine begründete Furcht vor einer Verfolgung glaubhaft gemacht worden. Sohin sei eine konkrete Verfolgung bzw. Bedrohung von Seiten des eritreischen Staates oder Militärs gegen die BF2 nicht festgestellt worden, die eine asylrelevante Intensität erreichen würden. Festgestellt wurde, dass zwischen BF1 und BF2 ein Familienverfahren vorliegt.

10. Die BF2 erhob am 01.10.2020 fristgerecht Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides. Damit begründet, dass der BF2 bei einer möglichen Rückkehr nach Eritrea die Beschneidung bzw. Verstümmelung ihrer weiblichen Geschlechtsorgane und daher asylrelevante Verfolgung drohe. Die belangte Behörde habe es unterlassen, Feststellungen zur Beschneidungssituation der BF2 und zur Situation von unehelich geborenen Kindern in Eritrea zu treffen. Die BF1 und Mutter von BF2 habe im Zuge der Einvernahme aber angegeben, dass sie nicht mit dem Vater der BF2 verheiratet sei und eine uneheliche Beziehung entspreche weder den Moralvorstellungen noch den gesellschaftlichen Normen Eritreas. Es wurden zudem ergänzende Länderberichte zum Thema FGM angeführt.

11. Die Beschwerde der BF2 und der Bezug habende Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 19.10.2020 vom Bundesamt vorgelegt.

12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.01.2021 in Anwesenheit der BF1 sowie BF2 sowie ihrer Rechtsberaterin als gewillkürte Vertreterin und einer geeigneten Dolmetscherin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der die BF1 ihre Beschwerde mündlich zurückzog, aber die Beschwerde für BF2 aufrecht hilt. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm entschuldigt nicht teil (OZ 6).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen

1.1.    Zur Person der BF:

Die BF sind Staatsangehörige Eritreas. Die BF1 ist die Mutter von der in Österreich am XXXX nachgeborenen BF2. Die Identität der BF2 steht fest.

Die BF1 reiste am 24.08.2017 im Rahmen des Relocation-Projektes von Italien legal nach Österreich ein und stellte am selben Tag den Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Für die in Österreich nachgeborene BF2 stellte die BF1 als gesetzliche Vertreterin am 25.06.2020 den Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Das Bundesamt wies mit Bescheid vom 13.12.2017 (BF1) und vom 03.09.2020 (BF2) die Anträge auf internationalen Schutz der BF bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte den BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.). Gegen den Spruchpunkt I. der Bescheide erhoben die BF fristgerecht Beschwerde. Die Spruchpunkte II. und III. der Bescheide wurden rechtskräftig.

Die BF1 ist in der Nähe der Stadt XXXX in der Provinz XXXX geboren und lebte dort nach dem Tod der Eltern bei ihrer Großmutter bis zur Ausreise im Jahr 2011.

Die Eltern der BF1 und Großeltern der BF2 sind bereits verstorben. Bis auf die mittlerweile über 80-jährige (Ur)Großmutter der BF – zu der die BF1 vor mehreren Monaten Kontakt hatte – haben die BF keine weiteren Familienangehörigen in Eritrea. Eine (Tante) Schwester der BF ist in Äthiopien aufhältig und ein (Onkel) Halbbruder der BF lebt in Amerika.

Der Vater der BF2 lebt in Schweden und hat bis auf telefonischen Kontakt keine Beziehung zu seiner Tochter.

Die BF sind gesund.

Die BF1 zog in der mündlichen Verhandlung am 26.01.2021 ihre Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom 13.12.2017 explizit zurück.

1.2.    Zu den Fluchtgründen der BF2:

Die Mutter (BF1) der BF2 würde ihre Tochter nie beschneiden lassen und sich auch im Fall einer Rückkehr der Tradition nicht beugen und die BF2 vor der Beschneidung schützen.

Die ca. 9 Monate alte BF2 ist nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer weiblichen Genitalbeschneidung in Eritrea bedroht. Ebenso wenig kann in Bezug auf die BF2 eine drohende Gefahr, im Rahmen des Nationaldienstes in Eritrea Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden, festgestellt werden.

1.3.    Zur relevanten Situation in Eritrea:

Im Folgenden werden die wesentlichen Passagen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht und der BF herangezogenen Länderberichte zu Eritrea wiedergegeben:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Eritrea, Stand 26.02.2019 (LIB),

?        ACCORD-Anfragebeantwortung zum Thema FGM vom 09.03.2020 (ACCORD),

?        Länderreport 9 Eritrea, weibliche Genitalverstümmelung, des Deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom März 2019 (BAMF) und

?        Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse zu Eritrea: Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) vom 11.01.2018 (SFH).

1.3.1.  Politische Lage

Eritrea ist nach dem Südsudan das zweitjüngste und eines der ärmsten Länder Afrikas. Das Land löste sich nach einem Referendum von Äthiopien und wurde 1993 ein eigener Staat. Das Land ist ein in sechs Provinzen aufgeteilter Zentralstaat. Die Verfassung von 1997 ist nie in Kraft getreten. Alle wesentlichen Entscheidungen werden vom Präsidenten getroffen. Es gibt keine Gewaltenteilung. Das Übergangsparlament besteht aus 150 Abgeordneten, von denen 75 dem Zentralrat der Staatspartei PFDJ (People's Front for Democracy and Justice) angehören. Weitere 60 Abgeordnete sind ausgewählte Vertreter der Provinzen und 15 Sitze entfallen auf die Vertreter der Auslandseritreer. Das Parlament trat zuletzt 2001 zusammen und ist faktisch inaktiv. Seit der Unabhängigkeit des Landes gab es keine Wahlen auf nationaler Ebene. De facto handelt es sich um eine Einparteiendiktatur. Die Regierungspartei PFDJ ging 1994 aus der Eritrean People's Liberation Front (EPLF) hervor. Sie stellt den Staats- und Regierungschef Isaias Afewerki sowie die gesamte weitere politische Führung des Landes. Andere politische Parteien sind verboten (LIB, Kapitel 2).

Am Sonntag, 8.7.2018, kam es in Asmara zu einem historischen Treffen zwischen dem äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed und dem seit 25 Jahren herrschenden eritreischen Staatschef Isaias Afewerki. Am Montag, 9.7.2018, wurde ein Friedens- und Freundschaftsvertrag unterzeichnet und somit der Kriegszustand zwischen den Nachbarstaaten offiziell für beendet erklärt. Die beiden Staatschefs haben sich nicht nur auf den Frieden geeinigt, sondern auf eine umfassende Kooperation. Mit der Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung haben sie den Weg für eine dauerhafte Versöhnung geebnet (LIB, Kapitel 2).

Äthiopien und Eritrea vereinbarten, ihre diplomatischen Beziehungen wiederaufzunehmen, ihre Grenzen zu öffnen, die Wiederaufnahme des Luft- und Seeverkehrs und den Personenverkehr zwischen den beiden Ländern zu ermöglichen. Einen Tag nach der Friedenserklärung wurde die Telefonverbindung zwischen Äthiopien und Eritrea wiederhergestellt und es gibt nun wieder Flüge von Addis Abeba nach Eritrea. Auch die Landgrenze wurde wieder geöffnet. Der Handel von äthiopischer Seite reicht nun nach Asmara und in andere große eritreische Städte. In umgekehrter Richtung hält der Flüchtlingsstrom an (LIB, Kapitel 2).

Durch die Erleichterung des Personenverkehrs, des Zugangs zu den Häfen und die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Landes wird sich die Lage zwangsläufig ändern. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Regentschaft von Isaias Afeworki anpassen wird. Bisher hat die eritreische Regierung weder ein Programm für demokratische Reformen eingeführt, noch die Menschenrechtslage im Land verbessert. Die Öffnung der Grenze zu Äthiopien hat dazu geführt, dass Tausende von Eritreern aus dem Land strömen. Bis zu 500 Menschen überqueren täglich die Grenze nach Äthiopien (LIB, Kapitel 2).

Außerdem hat Eritrea inzwischen auch Frieden mit Somalia geschlossen. Die diplomatischen Beziehungen wurden wiederhergestellt, als der somalische Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed Farmajo im Juli 2018 seinen Amtskollegen in Asmara besuchte. Die beiden Länder hatten seit mehr als einem Jahrzehnt angespannte Beziehungen, was insbesondere auf Asmaras angebliche Unterstützung der al Shabaab zurückzuführen ist. Dieser Vorwurf hat außerdem dazu geführt, dass Eritrea seit 2009 Sanktionen der Vereinten Nationen unterliegt, darunter das Einfrieren von Vermögenswerten und Reiseverbote für politische und militärische Beamte im Ausland, sowie einem Waffenembargo. Die jüngsten Berichte der UN-Embargokommission führen keine Beweise mehr für eine eritreische Unterstützung der Islamisten an. Letztlich, nach fast einem Jahrzehnt, beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im November 2018 einstimmig die Aufhebung des Waffenembargos und der gezielten Sanktionen gegen Eritrea. Mit Beendigung der Sanktionen ist Eritrea aus der internationalen Isolation ausgebrochen. Gleichzeitig ist Eritrea ein wichtiger Verbündeter Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate in ihrem Krieg im Jemen. Eritrea verfügt über Stützpunkte, von denen aus beide Länder operieren (LIB, Kapitel 2).

Auch mit Dschibuti ist es nach Jahren der Konflikte zu einer Entspannung gekommen. Eritrea und Dschibuti haben am 6.9.2018 den territorialen Streit um die Region Ras Doumeira beigelegt und ein neues Friedensabkommen unterzeichnet, mit dem der jahrzehntelange Konflikt zwischen den beiden Ländern effektiv beendet wurde. Gleichzeitig kündigten Eritrea und Dschibuti an, ihre diplomatischen Beziehungen wiederherzustellen (LIB, Kapitel 2).

1.3.2.  Sicherheitslage

Die Lage bleibt angespannt. Es wird sich erst erweisen, inwieweit sich die Normalisierung des Verhältnisses zwischen Eritrea und Äthiopien und die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen im Juli 2018 auf die Sicherheitslage auswirkt (LIB, Kapitel 3).

Gemäß dem französischen und österreichischen Außenministerium gilt für ganz Eritrea ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 4). Das deutsche Auswärtige Amt rät vor Reisen ins Grenzgebiet zu Äthiopien, zum Sudan und zu Dschibuti ab (LIB, Kapitel 3).

Zudem besteht insbesondere im Grenzgebiet zu Äthiopien und Dschibuti landesweit akute Minengefahr. Daneben kann im Grenzgebiet zu Äthiopien und dem Sudan Gefahr durch dort anwesende bewaffnete Gruppen drohen. Im Grenzgebiet zum Sudan sind zusätzlich Schmuggler aktiv. Die Situation ist gespannt. Von Reisen dorthin wird abgeraten (LIB, Kapitel 3).

Demonstrationen in großen Ballungszentren sind selten, können aber von den Sicherheitskräften gewaltsam unterdrückt werden (LIB, Kapitel 3).

1.3.3.  Wehrdienst und Rekrutierungen

Der obligatorische Nationaldienst („national service“) dauert für Männer und Frauen offiziell 18 Monate, kann aber nach wie vor willkürlich und unter Zwang auf unbestimmte Zeit verlängert werden. Für Frauen dauert die Dienstpflicht aktuell bis zum 27. und für Männer bis zum 50. Lebensjahr (nach anderen Angaben für Frauen bis zum 47. und für Männer bis zum 57. Lebensjahr). Frauen werden in der Regel bei Heirat oder Schwangerschaft aus dem Nationaldienst entlassen (LIB, Kapitel 9).

In einigen Fällen dauert der Nationaldienst schon bis zu 18 Jahre - sodass dieser Dienst Sklaverei-ähnliche Zustände annehmen kann. Dieses System der unbefristeten, unfreiwilligen Einberufung kommt Zwangsarbeit gleich. Nach dem Friedensabkommen mit Äthiopien hat die Regierung bisher keine langdienenden Nationaldienstleistenden freigestellt. Nationaldienstleistende werden seit langem unmenschlich und erniedrigend bestraft, es kommt auch zu Folter. Bei geringen Verstößen werden harte Strafen verhängt. Obwohl die Löhne in den letzten Jahren erhöht wurden, bleiben sie unzureichend, um eine Familie zu ernähren (LIB, Kapitel 9).

Das Gesetz verbietet die Rekrutierung von Kindern unter 18 Jahren. Es kommt jedoch vor, dass Kinder bei Razzien festgehalten und in das Sawa National Training and Education Center gebracht werden. Jugendliche, die versuchen, dem Wehrdienst zu entgehen, werden verhaftet. Minderjährige werden bei (illegalen) Ausreiseversuchen meist aber nach Hause geschickt. Volljährige und damit Wehr- und Nationaldienstpflichtige kommen in Haft. Diese wird auf Antrag häufig in offenem Vollzug abgeleistet. Sofern die Eltern der Jugendlichen oder andere Personen bei der Entziehung vom Wehrdienst behilflich waren, droht auch ihnen Strafverfolgung (LIB, Kapitel 9).

Es gibt Berichte über sexuelle Nötigung und Gewalt bis hin zu Vergewaltigung von weiblichen Rekruten. Eine Weigerung führt in manchen Fällen zu Internierung, Misshandlung und Folter, z.B. Nahrungsentzug oder dem Aussetzen extremer Hitze. Eine Schwangerschaft während des Militärdienstes, auch wenn sie das Resultat einer Vergewaltigung oder sexueller Übergriffe durch Vorgesetzte ist, führt zum Ausschluss aus dem Militär. Es kommt zudem auch zu Zwangsdiensten, bzw. sexueller Sklaverei von Frauen und Mädchen in Trainingslagern.

Keine Schule in Eritrea, mit Ausnahme des Militärcamps „Sawa“, bietet die 12. Schulstufe an. Seit Sommer 2003 müssen alle Schüler das 12. Schuljahr in diesem zentralen Ausbildungslager in Sawa absolvieren. Nur in Sawa können sie ihr „Highschool“ - Abschlusszeugnis erhalten. Die Besten werden danach zum Studium an einem der 19 Colleges zugelassen. Die Übrigen werden für eine Berufsschulausbildung oder für den Militärdienst herangezogen. Gemäß Gesetz verpflichtet sich jeder Absolvent der High-School zu einem 18-monatigen Nationaldienst, der eine sechsmonatige Militärausbildung beinhaltet. Nach anderen Angaben erhalten die Schüler in Sawa eine dreimonatige paramilitärische Ausbildung. In Sawa ist die Versorgung schlecht und es besteht eine mangelhafte sanitäre Grundversorgung und Hygienebedingungen (LIB, Kapitel 9).

Einige verlassen die Schule, um der Wehrpflicht zu entkommen, aber ohne eine Bescheinigung des Nationaldienstes können sie weder auf Lebensmittelrationen zugreifen noch ein Unternehmen gründen, eine Mobiltelefon erwerben, einen Führerschein oder ein Bankkonto eröffnen. Darüber hinaus führt das Militär spontane Hausdurchsuchungen durch, um jeden festzunehmen, der im Verdacht steht, sich dem Nationaldienst entziehen zu wollen. Ein Recht zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen und einen Ersatzdienst gibt es nicht; Wehrdienstverweigerung wird mit Aufenthalten in Umerziehungslager oder mit Gefängnis bestraft (LIB, Kapitel 9).

1.3.4.  Ethnische Minderheiten

Eritrea ist ein multiethnischer Staat (neun Ethnien). Über ethnische oder religiöse Spannungen zwischen den einzelnen Volksgruppen ist nichts bekannt. Es entspricht der Regierungspolitik, diese auch nicht aufkommen zu lassen. Allerdings gibt es noch immer Berichte, dass staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung ethnischer Minderheiten, insbesondere der nomadischen Kunama und der Afar anhalten. Aber auch die ethnischen Minderheitengruppen wie die Saho, Nara und Hedareb sind tendenziell vulnerabel, arm und leiden häufiger an Unterernährung; unter diesen Gemeinschaften ist die Kindersterblichkeit sehr hoch, da nur wenige Eltern Familienangehörige im Ausland haben, die sie finanziell unterstützen können. Dennoch fungieren Angehörige ethnischer Minderheiten als Mitglieder beim Exekutivrat und beim Zentralrat der Staatspartei PFDJ. Auch einige hochrangige Regierungs- und Parteifunktionäre sind Angehörige von Minderheitengruppen (LIB, Kapitel 16).

1.3.5.  Frauen und Kinder

Die Position der Frauen ist in der Gesetzgebung Eritreas relativ gut geschützt. Laut Gesetz haben Frauen und Männer denselben rechtlichen Status innerhalb der Familie, der Arbeit, bei Eigentums- und Erbrecht. Das Gesetz und die nicht implementierte Verfassung verbieten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, dies wird aber von der Regierung nicht durchgesetzt (LIB, Kapitel 17.1).

Vergewaltigung ist ein Verbrechen, welches bei Verurteilung mit bis zu 10 Jahren Gefängnis bestraft wird. Das Gesetz kriminalisiert nicht ausdrücklich Vergewaltigung in der Ehe. Häusliche Gewalt wird als Tätlichkeit und Körperverletzung geahndet. Die Behörden greifen nur selten ein. Körperverletzung, häusliche Gewalt und Vergewaltigung sind strafbar, werden meist jedoch weder angezeigt noch rechtlich verfolgt. Kulturelle Normen verhindern auch das Anzeigen von sexueller Belästigung (LIB, Kapitel 17.1).

Besonders im Militär sind Frauen und Mädchen sexueller Belästigung ausgesetzt, vor allem durch Vorgesetzte. Eine Weigerung führte in manchen Fällen zu Internierung, Misshandlung Nahrungsentzug oder dem Aussetzen extremer Hitze. Im Jahr 2015 wurde berichtet, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen in militärischen Trainingslagern weit verbreitet ist, dass sexuelle Gewalt durch Militärangehörige in Lagern und der Armee der Folter gleichkam und der Zwangsdienst von Frauen und Mädchen in Trainingslagern einer sexuellen Sklaverei gleichkommt. Frauen werden in der Regel bei Heirat oder Schwangerschaft aus dem Militär bzw. dem Nationaldienst entlassen. Viele Mädchen und junge Frauen versuchen daher bewusst früh zu heiraten, um aus dem Nationaldienst entlassen zu werden (LIB, Kapitel 17.1).

In der überwiegend ländlichen Bevölkerung herrscht ein von traditionellen Wertvorstellungen geprägtes Rollenverständnis von Frauen vor (Kindererziehung, Haus- und leichtere Feldarbeit, keine sexuelle Selbstbestimmung). So sind viele unverheiratete Mütter, auch wenn die Schwangerschaft auf sexuelle Gewalt zurückzuführen ist, von gesellschaftlicher Ächtung, oft auch in der eigenen Familie, betroffen. Dies gilt sowohl für die islamischen als auch für die christlichen Teile der Bevölkerung (LIB, Kapitel 17.1).

Das Gesetz verbietet die Rekrutierung von Kindern unter 18 Jahren. Es gibt keine Hinweise, wonach Kinder unter 14 Jahren als Soldaten eingesetzt oder zum Wehrdienst eingezogen werden. Die paramilitärische Ausbildung beginnt schon ab dem 16. Lebensjahr. Jugendliche unter 18 Jahren werden bei Razzien verhaftet und in das Sawa National Training and Education Center gebracht, welches auch eine militärische Schule ist. Es wird berichtet, dass Schülerinnen dort oft sexuell belästigt werden (LIB, Kapitel 17.2).

Es gibt keine Hinweise auf Kinderhandel. Kinderprostitution, Kinderpornographie und sexuelle Ausbeutung von Kindern sind gesetzlich verboten. Auch Kinderarbeit ist gesetzlich verboten. Das gesetzliche Mindestalter für die Aufnahme einer Beschäftigung beträgt 18 Jahre; eine Lehre kann schon mit 14 Jahren begonnen werden. Es ist ebenfalls gesetzlich verboten Kinder, Jugendliche und Lehrlinge gefährliche oder gesundheitsgefährdende Arbeiten ausführen zu lassen. Die Wirklichkeit sieht häufig anders aus. Auf dem Land müssen Kinder im Haus und in der Landwirtschaft mitarbeiten. In Asmara treten Kinder als Straßenverkäufer in Erscheinung. Inspektoren des Arbeits- und Sozialministeriums führen unzureichende und unregelmäßig Kontrollen durch um das Gesetz durchzusetzen (LIB, Kapitel 17.2).

Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung für Männer und Frauen beträgt 18 Jahre, obwohl religiöse Entitäten Ehen in jüngeren Jahren dulden können. Mädchen in ländlichen Gebieten bleiben besonders gefährdet für eine frühe Heirat. Die Regierung arbeitet mit UN-Agenturen zusammen, um die Öffentlichkeit diesbezüglich aufzuklären und um das Bewusstsein zu schärfen (LIB, Kapitel 17.2).

1.3.6.  Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

1.3.6.1. Definition

Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) wird weltweit als eine Verletzung der Menschenrechte und eine Form von Kindesmissbrauch anerkannt. Terre des Femmes Schweiz bezeichnet FGM als Form geschlechtsspezifischer Gewalt und definiert diese Praxis gemäß Weltgesundheitsorganisation (WHO) als die «teilweise oder totale Entfernung oder sonstige Verletzung der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane aus nicht medizinischen Gründen». FGM kann gemäß dem Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz zahlreiche kurz- oder langfristige körperliche und psychische Komplikationen für Mädchen und Frauen zur Folge haben: Infektionen, Schmerzen während der Menstruation und beim Urinieren, Unfähigkeit Urin zurückzuhalten, Probleme mit Narben, schmerzhafte und komplizierte Geburt für Mutter und Kind, Unfruchtbarkeit, schmerzhafter Geschlechtsverkehr und geringere Lust, Angst, Stress, Schock und Trauma. Betroffene können auch an den Folgen von FGM sterben (SFH, Kapitel 1.1).

1.3.6.2. Verbreitung

Weibliche Genitalverstümmlung (FGM) ist seit 2007 verboten und mit einer Freiheitsstrafe von maximal drei Jahren und einer Geldstrafe belegt. Dennoch wird FGM in Eritrea praktiziert, in ländlichen Gebieten mehr als in städtischen. Verschiedene Informationskampagnen und Bildungsprogramme der letzten Jahre arbeiten daran die Praxis von FGM zu unterbinden. Die Zahl der Mädchen, die beschnitten werden, ist stark zurückgegangen, nur 5% der unter 5-jährigen Mädchen sind beschnitten. Nach UNICEF-Angaben (2010) sind insgesamt 33% der Frauen beschnitten. Unter den Bevölkerungsgruppen der Afar, Hedareb und Tigre, welche in abgelegenen Gebieten leben, in denen die Behörden weniger präsent sind, ist FGM häufiger präsent als bei anderen Bevölkerungsgruppen. Opfer von Genitalverstümmlung sind meist Töchter gering qualifizierter Eltern, Töchter von Familien, die sich an die kulturelle Tradition halten und Töchter aus muslimischen Familien (LIB, Kapitel 17.1).

Folgend auch die Angaben zur Verbreitung aus der Anfragebeantwortung von ACCORD:

Die Organisation 28 Too Many bezieht sich im Länderprofil zu FGM in Eritrea vom November 2017 auf Daten aus den Jahren 1995, 2002 und 2010 und sieht einen Rückgang von FGM im Land. Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen FGM mit größerer Wahrscheinlichkeit in ländlichen als in städtischen Gebieten auftrete, bestehe eine Zweiteilung in Eritrea eher zwischen der Hauptstadt Asmara und dem Rest des Landes. Zwischen 1995 und 2010 sei die Verbreitung in Asmara um 18 Prozent gesunken, in anderen Gebieten im selben Zeitraum hingegen um etwa 10 Prozent (ACCORD).

Verfügbare Daten aus Umfragen zeigen den oben erwähnten rückläufigen Trend. Laut einer Umfrage zu Bevölkerung und Gesundheit (Demographic and Health Survey, DHS) des Nationalen Statistikbüros aus dem Jahr 1995 sei die Verbreitung von FGM bei Frauen zwischen 15 und 49 Jahren in Eritrea insgesamt bei 94,5 Prozent gelegen. Bei einer folgenden DHS aus dem Jahr 2002 sei die Rate auf 88,7 Prozent gesunken. Die im Jahr 2010 durchgeführte Umfrage zu Bevölkerung und Gesundheit (Eritrea Population and Health Survey, EPHS) weist eine Verbreitung von FGM von insgesamt 83 Prozent aus (ACCORD).

33,2 Prozent der Töchter unter 15 Jahren seien laut dem DHS von 2010 Angaben ihrer Mütter zufolge einer Genitalverstümmelung unterzogen worden. 12,4 Prozent der Töchter unter 5 Jahren seien betroffen gewesen. Insgesamt hätten 44,1 Prozent der Frauen berichtet, dass mindestens eine ihrer Töchter von der Praxis betroffen sei. Die Studie erwähnt zudem, dass dies einem Rückgang von 19 Prozentpunkten seit 1995 entspreche (ACCORD).

Ein deutlicher Hinweis auf eine Veränderung der Praxis von FGM in der Bevölkerung finde sich auch mit Blick auf den Anteil der Mütter mit mindestens einer von FGM betroffenen Tochter. Dieser Anteil sei bei Müttern zwischen 15 und 19 Jahren mit 9 Prozent deutlich niedriger als bei Müttern zwischen 45 und 49 Jahren, wo er 72 Prozent betrage (ACCORD).

Neuere Daten aus einer auf 135 Ortschaften begrenzten Studie von 2014 finden sich im Staatenbericht der eritreischen Regierung an den Ausschuss der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women, CEDAW) vom April 2019. Die Studie habe einen dramatischen Rückgang bei den unter 5-Jährigen um 90 Prozent aufgezeigt. Die Verbreitungsrate von FGM sei hier bei 6,9 Prozent gelegen und bei unter 15-Jährigen bei 18,2 Prozent. Die Regierung weist aber auch darauf hin, dass die Verbreitungsrate in bestimmten Regionen höher sei und eine Herausforderung bleibe, die gemeinsame Bemühungen erfordere (ACCORD).

Folgend auch die Angaben zur Verbreitung aus dem Länderreport von BAMF:

Im Jahr 2010 waren laut EPHS 83 % der eritreischen Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Die Verbreitung unterscheidet sich allerdings in den verschiedenen Altersgruppen. Ältere Frauen sind eher beschnitten, als jüngere Frauen. Im Vergleich zum nationalen Durchschnitt betrug die Zahl der beschnittenen Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren lediglich 69 % (BAMF, Kapitel 2.2).

Um die Prävalenzrate von Mädchen unter 15 Jahren zu ermitteln, wurden Mütter gefragt, ob ihre Töchter beschnitten wurden. Die Ergebnisse zeigten, dass 33 % der Mädchen unter 15 Jahren und 12 % der Mädchen unter 5 Jahren beschnitten waren. Die Zahlen variierten nach Region. Nach einer Erhebung aus dem Jahr 2014, die von der eritreischen Regierung mit Unterstützung von UNFPA-UNICEFs Joint Programme on Female Genital Mutilation gemacht wurde, lag eine FGM-Verbreitung von 19 % bei Mädchen unter 15 Jahren und 7 % bei Mädchen unter 5 Jahren vor. Bei einer Analyse dieser Zahlen ist jedoch zu berücksichtigen, dass einige Mädchen eventuell erst in einem höheren Alter beschnitten werden. Allerdings wird die Beschneidung bei der Mehrheit der eritreischen Mädchen vor dem fünften Lebensjahr durchgeführt (BAMF, Kapitel 2.2).

Die Verbreitung von FGM ist regional unterschiedlich. Eritrea ist in sechs administrative Regionen, sogenannte „Zobas“ unterteilt: Debub, Gash Barka, Anseba, Semenawi Keih Bahri, Debubawi Keih Bahri und Maekel (in der die Hauptstadt Asmara liegt). Während die FGM-Verbreitung bei Frauen zwischen 15 und 49 Jahren in Anseba, Semenawi Keih Bahri, Debubawi Keih Bahri und Gash-Barka sehr hoch war (über 90 %), konnte ein etwas geringerer Prozentsatz für die Zobas Maekel und Debub festgestellt werden (ungefähr 70 %). Der Anteil von beschnittenen Mädchen unter 15 Jahren war am höchsten in Debubawi Keih Bahri und Semenawi Keih Bahri. Am niedrigsten waren die Werte erneut in Maekel und Debub. Der Anteil von beschnittenen Mädchen unter 5 Jahren war ebenfalls in Debubawi Keih Bahri am höchsten und in Maekel am geringsten. Laut eines Jahresberichts von UNICEF aus 2014 behauptete die Regierung, dass es einigen Dörfern gelungen sei Genitalverstümmelungen vollständig zu eliminieren. Es ist jedoch nicht bekannt, um welche Dörfer es sich dabei handeln soll. Die Verbreitung von FGM unterscheidet sich überdies in urbanen und ländlichen Gebieten. FGM ist in städtischen Gebieten weniger verbreitet und rückgängig, im Vergleich zu ländlichen Gebieten (BAMF, Kapitel 2.2).

Laut UNICEF kommt FGM bei allen ethnischen Gruppen Eritreas vor und Berichten zufolge praktizieren alle religiösen Gruppen FGM. EPHS 2010 zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit beschnitten zu sein in vermögenden Gesellschaften geringer ist. Auch nimmt die FGM-Verbreitung mit steigendem Bildungsniveau ab. Die Verbreitung von FGM lag bei Frauen ohne Ausbildung bei 91 % und bei den am besten ausgebildeten Frauen bei 73 %. Mütter mit einem höheren Bildungsgrad neigten auch dazu, ihre Töchter seltener beschneiden zu lassen. Dabei ist der FGM-Typ tendenziell weniger schwerwiegend, je gebildeter die Mutter ist (BAMF, Kapitel 2.2).

Schließlich die Ausführungen zur Verbreitung von FGM in Eritrea aus der SFH-Länderanalyse:

Die tatsächliche Verbreitung von FGM ist vermutlich höher als in den vorhandenen Statistiken angegeben. Das FXB (François-Xavier Bagnoud) Center for Health and Human Rights der Universität Harvard (Januar 2017) weist darauf hin, dass die in Umfragen erhobenen Daten über die Verbreitung von FGM mit Vorsicht zu betrachten sind. Zu berücksichtigen ist zum Beispiel der Aspekt, dass Mütter nicht immer die Wahrheit zur Genitalverstümmelung der Töchter berichten, da sie rechtliche Auswirkungen befürchten und Schuldgefühle haben (SFH, Kapitel 1.2).

FGM ist in Eritrea nach wie vor weit verbreitet, unterschiedliche Zahlen zur Prävalenzrate. Seit Jahren gehört Eritrea zu den Ländern mit den höchsten Raten von FGM weltweit (28 Too Many, November 2017). Das UK Foreign and Commonwealth Office (FCO) (2017) schätzt, dass FGM bei 35 Prozent der Frauen praktiziert wird, vor allem in abgelegenen Gebieten. UNICEF (2016) verzeichnet eine ähnliche Zahl: zwischen 2010 und 2015 waren 33 Prozent der Mädchen zwischen 0 und 14 Jahren genital verstümmelt. Das FXB Center for Health and Human Rights verweist auf eine Studie zu FGM, die 2014 von UNICEF und dem eritreischen Gesundheitsministerium in 112 Dörfern durchgeführt wurde. Den Ergebnissen zufolge waren 18 Prozent der Mädchen unter 15 Jahren und sieben Prozent der Mädchen unter fünf Jahren von FGM betroffen (SFH, Kapitel 1.2).

Die erhobenen Zahlen sind jedoch auch hier mit Vorsicht zu betrachten. Bei letzteren Daten handelt es sich um Momentaufnahmen; diese schließen auch Mädchen mit ein, die später beschnitten werden (siehe auch UNICEF, 2016). Die FGM-Prävalenzrate der 15-19 jährigen Mädchen und Frauen stellt gemäß einer Fachperson von Terre des Femmes Schweiz eine aussagekräftigere Angabe dar, weil dann Mädchen in der Regel nicht mehr genital verstümmelt werden. Die Zahl der von FGM betroffenen Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren lag 2010 bei 69 Prozent. In den letzten Jahren ist ein Rückgang der FGM-Praxis erkennbar: Während im Jahr 2010 72 Prozent der Mütter zwischen 19 und 45 Jahren eine von FGM betroffene Tochter hatten, lag diese Zahl bei Müttern im Alter zwischen 15 und 19 Jahren im gleichen Jahr bei neun Prozent. Im Verhältnis zum «progressiven Wandel» des Wissens und der Einstellungen der EritreerInnen der FGM-Praxis gegenüber, sind jedoch die Fortschritte bei der tatsächlichen Abschaffung von FGM gemäß dem FXB Center for Health and Human Rights unverhältnismäßig langsam (SFH, Kapitel 1.2).

Regionale Unterschiede bei der Verbreitung von FGM. Verschiedene Quellen berichten übereinstimmend, dass FGM vor allem in den ländlichen Regionen des Landes praktiziert werde. In Eritrea sind gemäß der britischen Organisation 28 Too Many, die sich für die Bekämpfung von FGM einsetzt, Unterschiede zwischen Asmara und den restlichen städtischen Regionen zu beobachten. So waren laut Angaben des Eritrea Population and Health Survey (EPHS) 2010 in Asmara 74 Prozent der Frauen von FGM betroffen, in anderen Städten und in ländlichen Gebieten 85 Prozent. 2010 wies die Verbreitung von FGM in den Zobas Maekel (75 Prozent) und Debub (71 Prozent) die tiefsten Raten auf, in der Zoba Anseba war FGM mit 96 Prozent am weitesten verbreitet (SFH, Kapitel 1.2).

1.3.6.3. Alter bei Durchführung des Eingriffs

Laut ACCORD sei bei rund 59 Prozent der befragten Frauen dem EPHS von 2010 zufolge der Eingriff vor Vollendung des fünften Lebensjahres erfolgt. Der Anteil der Frauen, bei denen die Genitalverstümmelung im Alter von fünf Jahren oder älter vorgenommen worden sei, sei bei rund 15 Prozent gelegen. Die restlichen 26,9 Prozent hätten das Alter nicht angeben können. Frauen in städtischen Gebieten würden wahrscheinlicher in einem jüngeren Alter einer Genitalverstümmelung unterzogen als Frauen in ländlichen Gebieten (ACCORD).

Auch gemäß BAMF wird FGM in Eritrea in der Regel vor dem fünften Geburtstag durchgeführt, weil unter anderem die Überzeugung herrscht, dass die Heilung bei jüngeren Kindern besser verläuft. Laut EPHS 2010 wurde ca. ein Drittel der befragten Frauen im ersten Monat nach der Geburt beschnitten. Insgesamt wurden fast zwei Drittel (59 %) der befragten Frauen beschnitten, bevor sie fünf Jahre alt waren. Nur 15 % gaben an, dass sie nach dem fünften Geburtstag beschnitten wurden. Dieselben Frauen wurden auch nach dem Zeitpunkt der Beschneidung ihrer Töchter befragt. Auch hier zeigt sich, dass der Eingriff in der Regel schon sehr früh stattfand. In 66 % der Fälle erfolgte dieser innerhalb der ersten zwölf Lebensmonate. Fast alle Töchter wurden vor dem Alter von fünf Jahren beschnitten. Lediglich 1 % der Töchter wurde erst mit neun Jahren oder noch später beschnitten. Das Alter, in dem Mütter ihre Töchter beschneiden lassen, variiert zwischen den Zobas. Töchter in Semenawi Keih Bahri, Anseba und Gash-Barka werden vergleichsweise häufiger in einem späteren Alter beschnitten, während die große Mehrheit der Töchter in Debubawi Keih Bahri, Maekel und Debub bereits im ersten Lebensjahr diesem Eingriff unterzogen werden. Auch andere Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit, Wohlstand, Bildung, Stadt, Land haben Einfluss auf den Zeitpunkt der Beschneidung (BAMF, Kapitel 3).

Gemäß 28 Too Many (November 2017) unter Berufung auf einen Bericht aus dem Jahr 2012 herrscht in Eritrea der Glaube vor, dass, je jünger das Mädchen beim Eingriff ist, desto besser die Heilung ist. Mütter erachten es als ihre Pflicht, FGM in einem möglichst jungen Alter durchführen zu lassen. Normalerweise wird FGM bei Mädchen unter fünf Jahren durchgeführt, je nach Quelle war dies bei 59 beziehungsweise 75 Prozent der verstümmelten Mädchen der Fall. Bei 34 Prozent der Frauen fand die Genitalverstümmelung innerhalb des ersten Lebensmonats statt (SFH, Kapitel 1.3)

1.3.6.4. Entscheidung über die Durchführung und Gesellschaftliche Einstellungen

Laut Landinfo liegt die Entscheidung über die Durchführung von FGM ausschließlich bei den Eltern. Allerdings beeinflussen in der Realität auch andere Personen die Entscheidung. Insbesondere Großmütter treten oft als starke Befürworterinnen einer Beschneidung auf. Einige Quellen berichten, dass Großmütter in manchen Fällen Beschneidungen sogar ohne Zustimmung der Eltern durchführen ließen. Männer nehmen im gesamten Prozess eine eher untergeordnete Rolle ein, obwohl eine Quelle davon berichtet, dass auch Väter, Großväter oder Dorfälteste in manchen Fällen die Entscheidung zur Beschneidung treffen können (BAMF, Kapitel 6).

Gründe, weshalb FGM in Eritrea praktiziert wird. Unter Berufung auf verschiedene Quellen nennt das norwegische Zentrum für Herkunftsländerinformationen Landinfo unterschiedliche Gründe, weshalb weibliche Genitalverstümmelung in Eritrea praktiziert wird. Ein oft erwähntes Motiv sei, dass Mütter aufgrund des zukünftigen sozialen Status der Töchter entscheiden, FGM durchzuführen. Werde FGM nicht durchgeführt, könne dies zu Stigmatisierung und eingeschränkten Möglichkeiten bei der Eheschließung der Töchter führen. Eine Mehrheit der Frauen erachte FGM als religiöse Pflicht und religiöses Reinheitsgebot. Weitere Gründe betreffen die persönliche Hygiene und sexuelle Moralvorstellungen, welche vor allem bei älteren Menschen mit tiefem Bildungsniveau und bei armen Frauen vorherrschen. Diese gehen davon aus, dass FGM zur Fruchtbarkeit beitragen würde, da der Eingriff verhindere, dass die Klitoris wächst. Dies entspreche dem Schönheitsideal (SFH, Kapitel 1.3).

Dem EPHS von 2010 zufolge hätten fast alle befragten Frauen (99 %) von FGM gehört. Die Zustimmung eritreischer Frauen zu einer Weiterführung von FGM sei sehr gering (12 %). 82 % seien gegen eine Fortführung. 10 % der Männer im Alter zwischen 15 und 49 Jahren seien für eine Fortführung von FGM, 85 % seien dagegen (ACCORD/BAMF, Kapitel 8).

Die Zahl der Frauen, die FGM ablehnen, ist im Laufe der Jahre erheblich gestiegen. Der Einstellungswandel in Teilen der Gesellschaft muss jedoch nicht zwangsläufig zu einem spürbaren Rückgang von FGM führen, weil die Praxis der Genitalverstümmelung tief in der eritreischen Tradition verwurzelt ist. Viele Frauen, die sich für ein Ende von FGM ausgesprochen haben, ließen trotzdem ihre eigene Tochter beschneiden. Ein Grund für diesen Widerspruch könnte sein, dass die Frauen lediglich die Antwort angaben, die sie für erwartet hielten, da die eritreische Regierung FGM in 2007 verboten und durch verschiedene öffentliche Aktionen verurteilt hat. Trotz dieser offenbar weitverbreiteten Ablehnung gaben 95 % der Frauen, die in 2010 mindestens eine beschnittene Tochter hatten an, dass keine Person gegen die Beschneidung Einspruch erhoben hatte. Das deutet darauf hin, dass die gesellschaftliche Akzeptanz zur Fortsetzung von FGM doch deutlich höher ist. In lediglich 3 % der Fälle sprachen sich der Vater und in 2 % der Fälle die Mutter gegen die Beschneidung aus (BAMF, Kapitel 8).

1.3.6.5. Rückgang/Tendenzen der Verbreitung und Bemühungen FGM zu stoppen

Aufgrund der zuvor dargestellten weitverbreiteten, gesellschaftlichen Ablehnung von FGM würde man einen starken Rückgang der Praxis erwarten. Studien zeigen tatsächlich, dass zwischen 1995 und 2014 eine deutlich absteigende Tendenz zu erkennen ist. Allerdings fehlt es an aktuellen Statistiken über den weiteren Verlauf dieser Entwicklung. Um den Rückgang zu verdeutlichen, wird der Anteil von beschnittenen Frauen zu verschiedenen Zeitpunkten verglichen. In 1995 lag der nationale Durchschnitt von beschnittenen Frauen bei 95 %, während dieser in 2002 auf 89 % und in 2010 auf 83 % zurückgegangen ist. In allen Regionen außer Debuawi Keih Bahri, wo der Anteil an beschnittenen Frauen in 2010 um 2 % höher lag als in 2002, konnte ein Rückgang beobachtet werden. Der deutlichste Rückgang ist bei jüngeren Frauen und bei Frauen in Debub zu verzeichnen (BAMF, Kapitel 9).

Da die jüngsten Teilnehmer der Studien 15 Jahre alt waren, die meisten Mädchen aber bereits vor dem fünften Geburtstag beschnitten wurden, lag also ein Zeitraum von mindestens zehn Jahren zwischen der Befragung und der Beschneidung. Um die neuesten Entwicklungen festzustellen, war es daher notwendig, Mütter über den Beschneidungsstatus ihrer Töchter zu befragen. Während der EHS 2010 zeigte, dass 33 % der Mädchen unter 15 Jahren und 12 % der Mädchen unter fünf Jahren beschnitten waren, zeigte die Studie, die vom eritreischen Staat in 2014 durchgeführt wurde, und die gleichen Altersgruppen betrachtete, dass sogar nur 19 % bzw. 7 % der Mädchen einer Beschneidung unterzogen wurden. Bei Betrachtung dieser Zahlen sollte man sich aber darüber bewusst sein, dass Mädchen auch im höheren Alter noch beschnitten werden können und dass Mütter aus verschiedenen Gründen eventuell unwahre Antworten abgegeben haben. Die Daten zeigen auch einen Rückgang bei den Frauen, die angaben, dass mindestens eine ihrer Töchter beschnitten war und dass jüngere Mütter seltener eine beschnittene Tochter haben, als ältere Frauen. (BAMF, Kapitel 9).

Gesetze und Strafverfolgung

Die eritreische Verfassung von 1997 nehme laut 28 Too Many nicht explizit auf schädliche Praktiken oder FGM Bezug (28 Too Many, Juli 2018, S. 2). Artikel 7 verbietet Handlungen, die die Menschenrechte von Frauen verletzen (Constitution of Eritrea, 23. Mai 1997, Artikel 7). Artikel 14 sieht Gleichheit vor dem Gesetz vor (Constitution of Eritrea, 23. Mai 1997, Artikel 14). Artikel 16 enthält die Unantastbarkeit der Würde aller Personen und ein Verbot von Folter oder grausamer unmenschlicher oder herabwürdigender Behandlung oder Bestrafung (Constitution of Eritrea, 23. Mai 1997, Artikel 16) (ACCORD)

Eritrea hat mehrere internationale Menschenrechtsabkommen unterzeichnet, die Frauen und Mädchen vor FGM schützen sollen. Dazu zählt beispielsweise the Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women (CEDAW) und the Convention on the Rights oft he Child (CRC). Das zentrale Gesetz zur Unterbildung von FGM auf nationaler Ebene ist die sogenannte Proklamation No.158/2007, The Female Circumcision Abolition Proclamation. Das Gesetz wurde am 20. März 2007 verabschiedet und als gedruckte Version im ganzen Land verteilt. In 2010 war fast jede Person in Eritrea über das Verbot von FGM informiert (BAMF, Kapitel 10.1).

Das Gesetz verbietet ausdrücklich alle Arten der Beschneidung. Die Durchführung von FGM wird mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis drei Jahren und einer Geldstrafe von 5.000-10.000 Nakfa (circa 300-600 Euro, Wechselkurs Feb 2019) geahndet. Sollte die Genitalverstümmelung zum Tod führen, ist eine Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren vorgesehen. Das Gesetz bestraft auch alle, die die Praxis einfordern, anregen oder fördern mit Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr und einer Geldstrafe von 3.000 Nakfa. Menschen, die von einer Beschneidung wissen, diese aber nicht anzeigen, werden mit einer Geldstrafe bis zu 1.000 Nakfa belegt (BAMF, Kapitel 10.1).

Aufgrund des restriktiven Umfelds in Eritrea gebe es nur eingeschränkt öffentliche Informationen zu Beobachtungen von Personen aus der Ziviligesellschaft oder NGOs hinsichtlich der Auswirkungen der nationalen Gesetzgebung gegen FGM. Die Beobachtungen würden fast exklusiv aus Regierungsabteilungen stammen sowie aus der Nationalen Union eritreischer Frauen (National Union of Eritrean Women, NUEW) und der Nationalen Union der eritreischen Jugendlichen und StudentInnen (National Union of Eritrean Youth and Students, NUEYS). Im eritreischen Staatenbericht an den Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes (UN Committee on the Rights of the Child, CRC) vom Jänner 2014 wird erwähnt, dass im Berichtszeitraum 2008 bis 2010 etwa 54 BeschneiderInnen und Eltern betroffener Kinder verurteilt und auf Basis der Proklamation No.158 von 2007 bestraft worden seien (ACCORD).

In ihrem Bericht an den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vom November 2018 erwähnt die Regierung Eritreas, dass im Jahr 2016 in der Region Anseba 39 Frauen, in der Region Gash Bark zwei Frauen und in der Südlichen Region vier Frauen wegen der Ausübung von FGM verurteilt worden seien (ACCORD).

In seinem Staatenbericht an den Ausschuss der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women, CEDAW) vom April 2019 erwähnt die eritreische Regierung, dass zwischen 2013 und 2017 insgesamt 250 Fälle in Zusammenhang mit der Ausübung von FGM vor Gericht gebracht worden seien. 163 Fälle seien entschieden worden und 67 Fälle seien weiterhin anhängig. (ACCORD).

Laut dem gemeinsamen Programm zu weiblicher Genitalverstümmelung des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (United Nations Population Fund, UNFPA) und des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund, UNICEF) wurden im Jahr 2016 89 FGM-Fälle vor Gericht gebracht. Die Anzahl der verhängten Urteile und Sanktionen ist mit Null angeführt. (ACCORD).

Sonstige staatliche und zivilgesellschaftliche Bemühungen

Neben dem oben erwähnten Gesetz wurden auch andere Initiativen ergriffen, um FGM zu bekämpfen. Die Organisation 28 Too Many schreibt, dass Eritrea seit der Unabhängigkeit in 1993 ein ganzheitliches Konzept entwickelt hat, das al Habarawi bezeichnet wird. Dieses Konzept umfasst Strategien und Programme, die alle Ebenen der Gesellschaft, wie Ministerien, religiöse Führer, Dorfälteste, Gesundheits- und Bildungsarbeiter sowie Familien einbinden sollen. Als eine Konsequenz haben religiöse Führer aller Religionen beispielsweise öffentlich verkündet, dass es sich bei FGM um keine religiöse Pflicht handelt. Des Weiteren gab es Bemühungen, um gezielt auf traditionelle Beschneiderinnen zuzugehen und diesen alternative Einkommensquellen anzubieten (BAMF, Kapitel 10.3).

Die eritreische Regierung erwähnt in ihrem Bericht vom April 2019, dass im Jahr 2017 ein nationaler Lenkungsausschuss (National Steering Committee, NSC) eingerichtet worden sei, mit dem Ziel, Aktivitäten zu schädlichen Praktiken wie FGM zu koordinieren. Der Bericht erwähnt in diesem Zusammenhang zudem Anti-FGM-Komitees auf regionaler, subregionaler und Gemeindeebene, die nun unter dem NSC koordiniert würden (ACCORD).

UNICEF erwähnt im Juni 2015 auf seiner Website drei Frauen in der Gemeinde Ghindae, in der Region Semienawi Kayih Bahridie, die sich für ein Ende von FGM einsetzen würden. Eine der Frauen sei ein Mitglied des Anti-FGM-Komitees von Ghindae. Das Komitee habe 11 Mitglieder, die für ein Gebiet mit etwa 52.000 BewohnerInnen zuständig seien. Es setze sich aus Mitgliedern des Ministeriums für Gesundheit, Bildung, Arbeit und menschliche Wohlfahrt, der NUEYS, der NUEW, der örtlichen Regierung und VertreterInnen der christlichen und muslimischen Glaubensrichtungen zusammen (ACCORD).

Gemäß Angaben des Eritreischen Ministeriums für Information (März 2016) hat die National Union of Eritrean Women (NUEW) eine Kampagne zur Beseitigung weiblicher Genitalverstümmelung lanciert. Die NUEW habe öffentliche Diskussionen organisiert, Anti-FGM-Komitees in jeder Zoba gebildet und öffentliche Erklärungen im Fernsehen, in Theatern und im Radio ausgestrahlt. Auch wurden Schulungen mit Polizeiangestellten, JuristInnen und Dorfältesten durchgeführt. In Dörfern und Städten seien Sensibilisierungsseminare organisiert worden. FGM sei von der Regierung und der NUEW in das nationale Schulprogramm aufgenommen worden. Die Medien würden Informationen zu Kinderrechten, Frühehen und schädlichen traditionellen Praktiken verbreiten. Zudem hat die eritreische Regierung laut eigenen Angaben Programme lanciert um ehemalige Beschneiderinnen in alternative Formen der Erwerbstätigkeit zu integrieren (SFH, Kapitel 3).

1.3.7.  Rückkehr

Die bloße Stellung eines Asylantrags im Ausland zieht keine Bestrafung nach sich, und es gibt Berichte von Staatsbürgern, die das Land verlassen haben, ohne dass ihnen die Wiedereinreise verweigert wurde. Die eritreischen Behörden haben erklärt, dass sie tolerant gegenüber der Rückkehr von Landsleuten sind. Ausländische Beobachter behaupten, dass zurückkehrende Migranten - unabhängig davon, ob ihnen in der Vergangenheit in Europa der Asylstatus zuerkannt wurde oder nicht - bei der Rückkehr gut behandelt werden. Beobachtern in Eritrea zufolge würden Eritreer nicht in großer Zahl zurückkehren, wenn sie wüssten, dass sie bestraft werden. Es kommt aber regelmäßig vor, dass Eritreer freiwillig und ohne weitere Folgen nach Unterzeichnung des „Bedauerungsformulars“ und Zahlung der Diasporasteuer nach Eritrea zurückkehren (LIB, Kapitel 22).

Soweit einem Rückkehrer dagegen illegale Ausreise, das Umgehen des Nationaldienstes oder sogar Fahnenflucht vorgeworfen wird, muss davon ausgegangen werden, dass der Betroffene sich bei seiner Rückkehr nach Eritrea wegen dieser Delikte zu verantworten hat. Die Bestrafung kann von einer bloßen Belehrung bis zu einer Haftstrafe reichen. Im Regelfall kann man sich nach dreijährigem Auslandsaufenthalt als Mitglied der Diaspora registrieren lassen und frühere Verfehlungen werden nicht verfolgt. Festzustehen scheint, dass die Verhängung der Haft nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren erfolgt und die Betroffenen keinen Rechtsbeistand erhalten. Es liegen insbesondere keine Informationen darüber vor, wer welches Strafmaß anhand welcher Rechtsnormen oder anderer Kriterien verhängt. Sicher scheint nur zu sein, dass die Zahlung von Geld das Strafmaß und die Umstände der Strafvollstreckung für den Verurteilten günstig beeinflussen können (LIB, Kapitel 22).

Es wird berichtet, dass es für zurückkehrende Staatsbürger, die ihren Wohnsitz oder ihre Staatsangehörigkeit in anderen Ländern haben, keine Folgen gibt. Im Allgemeinen hat ein Staatsbürger das Recht auf Rückkehr; Staatsbürger mit Wohnsitz im Ausland müssen nachweisen, dass sie die 2%ige Steuer „Aufbausteuer“ (auf ausländisches Arbeitseinkommen) gezahlt haben, um einige staatliche Leistungen und Dokumente zu erhalten (z.B. Ausreiseerlaubnis, Geburts- oder Heiratsurkunden, Passverlängerungen und Immobilientransaktionen). Die Regierung setzt diese Anforderung uneinheitlich durch (LIB, Kapitel 22).

Nach Ansicht des UNHCR gelten wiederum folgende Gruppen bei ihrer Einreise als gefährdet: Personen, die den Militär-/Nationaldienst umgangen haben, Mitglieder der politischen Opposition und Regierungskritiker, Journalisten und andere Medienschaffende, Mitglieder von Gewerkschaften und Aktivisten des Arbeitsrechts, Mitglieder religiöser Minderheiten, Frauen und Kinder mit besonderen Profilen, Angehörige sexueller Minderheiten, Mitglieder bestimmter ethnischer Minderheiten und Opfer von Menschenhandel. Aufgrund der Allgegenwart der Streitkräfte, eines gut organisierten Netzwerks von Regierungsinformanten sowie der nationalen Kontrolle, die der Staat über die Bevölkerung ausübt, hält der UNHCR die Niederlassung in einem anderen Teil Eritreas für keine angemessene Alternative (LIB, Kapitel 22).

2. Beweiswürdigung

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, den Gerichtsakt und durch Einvernahme der BF1 in der mündlichen Verhandlung.

2.1.    Zu den Feststellungen zur Person der BF

Die Feststellungen zur Identität der BF2 ergibt sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde. Aus dieser geht hervor, dass die BF1 die Mutter von der am XXXX geborenen BF2 ist.

Die Feststellungen zur Einreise, zur Antragstellung und zu dem weiteren Verfahrensgang gründen am unstrittigen Verwaltungsakt.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der BF sowie zum Lebenslauf der BF1 (Geburtsort, Aufwachsen, sowie ihre familiäre Situation) gründen sich auf den diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben der BF1 im behördlichen und gerichtlichen Verfahren (AS 31, 101, 105, 109; OZ 8, S. 6). Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen der BF1 zu zweifeln.

Die Feststellung zum nunmehrigen Aufenthalt zu den weiteren Familienangehörigen der BF und einzig bestehender Kontakt zur (Ur)Großmutter resultieren aus den diesbezüglich Angaben der BF1 in der mündlichen Verhandlung und im behördlichen Verfahren (AS 35, 105; OZ 8, S. 7-9).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen sich ebenfalls auf den Aussagen der BF1 in der mündlichen Verhandlung, wonach sie angab, dass es ihr und ihrer Tochter gut gehe (OZ 8, S 4-5).

Die Feststellung zur Zurückziehung der Beschwerde der BF1 resultiert auf einer diesbezüglich expliziten Angabe der gewillkürten Vertreterin der BF1, die angab, dass die BF1 nach eingehender Beratung ihre Beschwerde in Bezug auf § 3 AsylG 2005 zurückziehe, aber die Beschwerde für die BF2 aufrechterhalten möchte. Auch wurden mit der BF1 die Konsequenzen ihrer Zurückziehung besprochen (OZ 8, S. 10).

2.2.    Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen der BF2:

In der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung wurde die Gefahr einer Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) für die BF2 vorgebracht. Vor dem Hintergrund der Länderberichte zu Eritrea und der persönlichen Situation der BF kann eine maßgebliche Gefährdung von einer weiblichen Genitalverstümmelung in Eritrea bedroht zu werden aus folgenden Erwägungen nicht angenommen werden.

Zwar ist FGM als Form geschlechtsspezifischer Gewalt, die zahlreiche kurz- oder langfristige körperliche und psychische Komplikationen für Mädchen und Frauen zur Folge hat, in Eritrea leider noch nach wie vor weit verbreitet, aber in den letzten Jahren ist ein Rückgang der FGM-Praxis erkennbar. Die Länderfeststellungen geben dazu Auskunft, dass die Prävalenz von FGM in Eritrea nicht mehr so hoch ist, und daher davon ausgegangen werden kann, dass sich die BF1 auch gegen gesellschaftlichen Druck erfolgreich zur Wehr setzen kann und die Beschneidung ihrer Tochter verhindern kann.

Die im Jahr 2010 durchgeführte Umfrage zu Bevölkerung und Gesundheit (Eritrea Population and Health Survey, EPHS) weist eine Verbreitung von FGM von 83 % der eritreischen Frauen zwischen 15 und 49 Jahren aus. Die Verbreitung unterscheidet sich allerdings in den verschiedenen Altersgruppen. Ältere Frauen sind eher beschnitten, als jüngere Frauen. Im Vergleich zum nationalen Durchschnitt betrug die Zahl der beschnittenen Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren lediglich 69 %. Die Prävalenzrate von Mädchen unter 15 Jahren, die durch Befragung der Mütter ermittelt wurde zeigte, dass nur mehr 33 % der Mädchen unter 15 Jahren und 12 % der Mädchen unter 5 Jahren beschnitten waren.

Nach einer Erhebung aus dem Jahr 2014, die von der eritreischen Regierung mit Unterstützung von UNFPA-UNICEFs Joint Programme on Female Genital Mutilation gemacht wurde, lag eine FGM-Verbreitung von 19 % bei Mädchen unter 15 Jahren und 7 % bei Mädchen unter 5 Jahren vor. Bei einer Analyse dieser Zahlen ist jedoch zu berücksichtigen, dass einige Mädchen eventuell erst in einem höheren Alter beschnitten werden. Allerdings wird die Beschneidung bei der Mehrheit der eritreischen Mädchen vor dem fünften Lebensjahr durchgeführt. Ein weiterer Hinweis auf eine Veränderung der Praxis von FGM in der Bevölkerung findet sich auch mit Blick auf den Anteil der Mütter mit mindestens einer von FGM betroffenen Tochter. Dieser Anteil ist bei Müttern zwischen 15 und 19 Jahren mit 9 % deutlich niedriger als bei Müttern zwischen 45 und 49 Jahren, wo er 72 % beträgt.

Gleichzeitig ist den Länderberichten zu Folge die tatsächliche Verbreitung von FGM vermutlich höher als in den vorhandenen Statistiken und die Daten über die Verbreitung von FGM sind mit Vorsicht zu betrachten. Zum Beispiel ist zu berücksichtigen, dass Mütter nicht immer die Wahrheit zur Genitalverstümmelung der Töchter berichten, weil sie rechtliche Auswirkungen befürchten und Schuldgefühle haben. Trotzdem kann über die doch sehr niedrige Prävalenzrate (auch von UNICEF) insbesondere von Mädchen unter 15 Jahren und unter 5 Jahre nicht hinweggesehen werden, weil die Statistiken auch zeigen, dass bei rund 2/3 der Frauen zufolge der Eingriff bereits vor Vollendung des fünften Lebensjahres erfolgt. Der Anteil der Frauen, bei denen die Genitalverstümmelung im Alter von fünf Jahren oder älter vorgenommen worden sei, sei bei rund 15 % gelegen.

Des Weiteren sprach sich die Mutter der BF2 in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich gegen eine Beschneidung aus und würde eine Genitalverstümmelung der Tochter entgegen der Tradition nicht zulassen. Auch zum Vater der BF2 besteht keine Beziehung und keine Hinweise darauf, dass er eine Beschneidung befürworten würde. Bis auf die (Ur)Großmutter kennt die BF1 keine weiteren Verwandten in Eritrea, die einen allfälligen sozialen Druck zur Vornahme einer Genitalverstümmelung bei der BF2 aufbauen würden (OZ 8, S. 10 ff: „R: D.h. also Sie würden Ihre Tochter nie beschneiden lassen? BF1: Nein. Nie im Leben. Ich wollte, dass ihr das nicht passiert. […] RV: Wären Sie imstande, im Fall einer Rückkehr nach Eritrea Ihre Tochter vor der Beschneidung zu schützen? BF1; Nein. Ich werde es nicht zulassen.“). Diese Einschätzung deckt sich auch mit den Länderberichten, die ausführen, dass die Entscheidung über die Durchführung von FGM ausschließlich bei den Eltern liegt. In der Realität beeinflussen auch andere Personen die Entscheidung, insbesondere Großmütter, jedoch machte hierzu die BF1 kein Vorbringen, sondern berichtete vielmehr keine Verwandten in Eri

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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