Entscheidungsdatum
26.04.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W207 2220685-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 30.04.2019, OB: XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 17.06.2019, betreffend Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.04.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 42 Abs. 1 und § 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) und § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen idgF abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin stellte am 07.02.2019 beim Sozialministeriumsservice (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) unter Vorlage von medizinischen Befunden den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis für Menschen mit Behinderungen), der entsprechend dem von der Beschwerdeführerin unterfertigten Antragsformular für den - auf die Beschwerdeführerin zutreffenden - Fall, dass sie nicht über einen Behindertenpass mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in diesem Behindertenpass verfügt, auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der genannten Zusatzeintragung in den Behindertenpass gilt.
Seitens der belangten Behörde wurde in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin eingeholt. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 27.03.2019 erstatteten Sachverständigengutachten vom 28.03.2019 wurden auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage zur Einschätzungsverordnung die Funktionseinschränkungen 1. „Plattenepithelkarzinom des Analkanal; unterer Rahmensatz, da nach abgeschlossener Therapie kein Fortschreiten der Grunderkrankung“, bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 50 v.H. nach der Positionsnummer 13.01.04 der Anlage zu Einschätzungsverordnung, sowie 2. „Schilddrüsenfunktionsstörung; unterer Rahmensatz, da mittels Hormonmedikation eine euthyreote Stoffwechsellage erzielt werden kann ", bewertet mit einem (Einzel)Grad der Behinderung von 10 v.H. nach der Positionsnummer 09.01.01 der Anlage zu Einschätzungsverordnung, festgestellt. Betreffend den festgestellten Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. wurde ausgeführt, dass der führende GdB unter der Position 1 durch Leiden 2 nicht erhöht werde, da keine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliege. Es wurde eine Nachuntersuchung im April 2021 wegen des Ablaufes der Heilungsbewährung – das Plattenepithelkarzinom des Analkanals wurde im Frühjahr 2016 festgestellt, auch die Radio- und Chemotherapie erfolgten in diesem Zeitraum - für erforderlich erachtet. Es wurde außerdem festgestellt, dass der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel trotz der bestehenden Funktionseinschränkungen zumutbar sei, diesbezüglich wurde ausgeführt, dass von Seiten der Grunderkrankung ein guter und stabiler Allgemeinzustand und Ernährungszustand bestehe. Eine höhergradige Inkontinenz, welche zu einer erheblichen Erschwernis der Verwendung öffentlichen Verkehrsmittel führen würde, sei befundmäßig nicht ausreichend belegt. Eine kurze Wegstrecke könne selbstständig zurückgelegt werden, ein Öffentliches Verkehrsmittel könne be- und entstiegen werden. Ein sicherer Transport im Öffentlichen Verkehrsmittel sei möglich. Es liege keine körperlichen Einschränkungen vor.
Gegen dieses Sachverständigengutachten, der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht mit Begleitschreiben vom 29.03.2019, gab die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 12.04.2019 eine schriftliche Stellungnahme ab, in der sie unter Hinweis auf einen Befundbericht eines näher genannten Facharztes für Chirurgie vom 20.11.2017 insbesondere auf das Vorliegen einer strahleninduzierten Dranginkontinenz hinwies; diese Dranginkontinenz werde ihr ihr ganzes Leben erhalten bleiben. Sie könne Blähungen nicht von Stuhldrang unterscheiden.
Die belangte Behörde holte daraufhin eine ergänzende Stellungnahme jener Ärztin für Allgemeinmedizin, die das medizinisches Sachverständigengutachten vom 28.03.2019 erstattet hatte, ein. In dieser ergänzenden sachverständigen Stellungnahme vom 29.04.2019 wurde im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Stuhlinkontinenz abermals ausgeführt, es lägen keine Befunde vor, die das Vorliegen einer erheblichen Inkontinenz bestätigen würden, somit erreiche die angegebene Dranginkontinenz kein Ausmaß, welches zu einer maßgeblichen Erschwernis der Verwendung öffentlichen Verkehrsmittel führen würde. Ein sicherer Transport im Öffentlichen Verkehrsmittel sei möglich. Es lägen keine körperlichen Einschränkungen vor. Somit sei die Unzumutbarkeit der öffentlichen Verkehrsmittel nicht begründbar.
Am 30.04.2019 wurde der Beschwerdeführerin ein bis 31.07.2021 befristeter Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. ausgestellt. Dieser Behindertenpass, dem Bescheidcharakter zukommt, wurde von der Beschwerdeführerin nicht angefochten.
Hingegen wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom ebenfalls vom 30.04.2019 der Antrag der Beschwerdeführerin vom 07.02.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten sowie eine Ergänzung dieses Gutachtens eingeholt worden sei. Nach diesem Gutachten würden die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Die ergänzende sachverständige Stellungnahme vom 29.04.2019 wurden der Beschwerdeführerin als Beilage mit dem Bescheid übermittelt.
Ein bescheidmäßiger Abspruch über den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis) erfolgte durch das Sozialministeriumservice nicht.
Mit Schreiben vom 06.06.2019 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 30.04.2019, mit dem der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen worden war. In dieser Beschwerde wird in inhaltlicher Hinsicht – hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben - Folgendes ausgeführt:
„…
Hiermit lege ich fristgerecht Beschwerde gegen oben genannten Bescheid ein.
Ich halte an meiner Stellungnahme (A.; datiert 12.04.2019) fest und bringe wie in der E-Mail erwähnt den aktuellen Befund meines behandelnden Arztes Dr. S. ein.
Der Befund wurde mir zum Zeitpunkt der Abfassung meiner Stellungnahme durch meinen behandelnden Arzt noch nicht zugesendet.
Im aktuellen Befund (Dr. S.; datiert 20.04.2019) wird mein Gesundheitszustand, im Zusammenhang meiner Krebserkrankung, belegt. Da zum Zeitpunkt der Stellungnahme von Dr.m F. (Dr.'n F.; datiert 29.04.2019) kein aktueller Befund vorlag, wurde mein Antrag per Bescheid abgewiesen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass ungeachtet des fehlenden, aktuellen Befundes in meiner schriftlichen Stellungnahme vom 12.04.2019 darauf hingewiesen wurde, dass ich erhebliche Schwierigkeiten mit der Dranginkontinenz habe.
Anhänge:
• Befundbericht Dr. S. vom 20.04.2019“
Der Beschwerde wurde der erwähnte Befundbericht des näher genannten Arztes für Chirurgie vom 20.04.2019 beigelegt. In diesem Befund wird u.a. Folgendes ausgeführt:
„Bei der letzten Kontrolle wurde von der Pat. unverändert auf die strahleninduzierte Dranginkontinenz bzw. die immer noch persistierenden Schmerzen lokal hingewiesen. Dies ist durchaus nachvollziehbar. Vor allem längeres Sitzen bereiten Beschwerden und auch die durch einen extremen Stuhldrang reduzierte Lebensqualität. Dies äußert sich durch zeitlich nicht vorhersagbare Attacken einer Inkontinenz durch die Unmöglichkeit den Stuhl zurückzuhalten, weshalb die Pat. umgehend eine Toilette aufsuchen muss. Eine Verbesserung ist nach der längeren Zeit eigentlich nicht mehr zu erwarten. Daher ist für mich unverändert eine gewisse körperliche und auch soziale Behinderung im Alltag durchaus attestierbar.“
In der Folge holte die belangte Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung iSd § 14 VwGVG ein (weiteres) Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage jener Ärztin für Allgemeinmedizin, welche bereits das Gutachten vom 28.03.2019 und die Stellungnahme vom 12.04.2019 erstellt hatte, vom 14.06.2019 ein. Darin wurde u.a. unter Berücksichtigung des von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befundberichtes vom 20.04.2019 zusammengefasst Folgendes - hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben - ausgeführt:
„…
Von Seiten der Grunderkrankung besteht ein guter und stabiler Allgemeinzustand und Ernährungszustand. Eine höhergradige Inkontinenz, welche zu einer erheblichen Erschwernis der Verwendung öffentlichen Verkehrsmittel führen würde, ist weiterhin befundmäßig nicht ausreichend belegt. In dem nachgereichten Befund, wird die subjektive nachvollziehbare Beschwerdesymptomatik der Beschwerdeführeren übernommen. Eine Spinktermanometrie, welche eine Stuhlinkontinenzsymptomatik untermauern würde, ist jedoch nicht vorliegend. Eine kurze Wegstrecke kann selbstständig zurückgelegt werden, ein Öffentliches Verkehrsmittel kann be- und entstiegen. Ein sicher Transport im Öffentlichen Verkehrsmittel ist möglich. Es liegen keine körperlichen Einschränkungen vor.“
Mit fristgerechter Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 17.06.2019 wurde die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid vom 30.04.2019 gemäß §§ 41, 42 und 46 BBG iVm § 14 VwGVG abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen würden. Begründend wurde auf das nach Einbringung der Beschwerde eingeholte Aktengutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin vom 14.06.2019 verwiesen, welches der Beschwerdeführerin zusammen mit der Beschwerdevorentscheidung übermittelt wurde.
Mit Schreiben vom 29.06.2019 brachte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde fristgerecht einen Vorlageantrag gegen die Beschwerdevorentscheidung vom 17.06.2019 ein. Darin wird in inhaltlicher Hinsicht ausgeführt, es sei nicht zutreffend, dass es, wie in der Beschwerdevorentscheidung ausgeführt werde, eine neuerliche Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst gegeben habe. Zudem brachte die Beschwerdeführerin zum Ausdruck, dass – nicht näher konkretisierte – „ExpertInnen aus anderen Fachbereichen“ beigezogen werden mögen. Darüber hinaus verwies die Beschwerdeführerin neuerlich auf den der Beschwerde beigelegten Befundbericht vom 20.04.2010, dem keine Beachtung geschenkt worden sei.
Dem Vorlageantrag wurden keine weiteren medizinischen Unterlagen beigelegt.
Die belangte Behörde legte am 01.07.2019 dem Bundesverwaltungsgericht den Vorlageantrag, die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.
Das Bundesverwaltungsgericht holte auf Grund des Beschwerdevorbringens sowie des Vorbringens im Vorlageantrag ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin vom 28.07.2020 auf Grundlage der Bestimmungen der Anlage der Einschätzungsverordnung, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 29.05.2020 – nachdem bereits ein Untersuchungstermin wegen der COCID-19-Pandemie gescheitert war-, ein. Diese Sachverständigengutachten sei hier in verkürzter und anonymisierter Form in den wesentlichen Teilen wiedergegeben:
„…..
Derzeitige Beschwerden:
„Der Enddarm ist entzündet, immer wieder Stuhlverlust, Dranginkontinenz, Nerven wurden durch die Bestrahlung geschädigt. Ich kann den Stuhl nicht zurückhalten, muss sofort auf eine Toilette, Stuhl und Schleim gehen immer ab. Habe 3 bis 4x täglich Stuhl, kann es nicht kontrollieren und habe schon ein paarmal Stuhl verloren, vor allem bei Blähungen. Habe immer wieder viel Luft im Bauch, viel Schleim, breiigen Stuhl und teilweise Blutauflagerungen. Besitze einen Eurokey und kenne die Toiletten in der Umgebung. Vorlagen verwende ich nicht, habe Wechselwäsche im Auto, teilweise verwende ich Slipeinlagen, teilweise „Tena“, die Größe weiß ich nicht, in der Nacht verwende ich keine Vorlagen.
Habe zunehmend Probleme mit der Blase, Brennen, eine Blasenentzündung habe ich nicht. Das Sitzen ist wieder normal möglich, Problem hatte ich nach der Chemotherapie.
Derzeit ist eine halbjährliche Kontrolle vorgesehen, letztes CT war 12/2019.“
STATUS:
Allgemeinzustand gut, Ernährungszustand gut. Größe 179 cm, Gewicht 67 kg, Alter:38a Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen Thorax: symmetrisch, elastisch
Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch.
Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.
Anus: äußerlich unauffällig, unauffällige Sphinkterkontraktion, digitale Untersuchung wird abgelehnt, keine Verunreinigung. Vorlagen werden nicht getragen.
Integument: unauffällig
Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:
Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse.
Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird als ungestört angegeben.
Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden.
Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig.
Nacken- und Schürzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.
Becken und beide unteren Extremitäten:
Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits ohne Anhalten und ohne Einsinken durchführbar.
Der Einbeinstand ist ohne Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist möglich.
Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse.
Beinlänge nicht ident, rechts -1 cm.
Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.
Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Hüften, Knie, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.
Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.
Wirbelsäule:
Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, kein Hartspann, kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule.
Aktive Beweglichkeit:
HWS: in allen Ebenen frei beweglich
BWS/LWS: FBA: 10 cm, in allen Ebenen frei beweglich
Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen, das Gangbild hinkfrei und unauffällig.
Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.
Status psychicus: Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.
STELLUNGNAHME:
ad a) Leidet die BF an einer schweren Erkrankung des Verdauungstraktes?
Ja. Dokumentiert ist ein Analkanalkarzinom 01/2016 im Stadium T3, N2.G1, MO, Strahlentherapie, kein Hinweis für Rezidiv, strahleninduzierte Dranginkontinenz.
ad b) Leidet die BF an Stuhlinkontinenz bzw. ist eine Stuhlinkontinenz aufgrund der festgestellten Gesundheitsschädigung „Plattenepithekarzinom des Analkanals“ nachvollziehbar?
Eine Stuhlinkontinenz nach Strahlentherapie bei Plattenepithekarzinom des Analkanals ist möglich. Angegeben werden Beschwerden im Sinne einer Stuhlinkontinenz. Bestätigt wird die Inkontinenz durch die Angaben des behandelnden Arztes. Der Nachweis entsprechend den geforderten Kriterien der EVO konnte jedoch nicht erbracht werden. Objektive Befunde über eine Schließmuskelschwäche bzw. das Ausmaß einer Schließmuskelschwäche, zum Beispiel mittels Sphinctermanometrie bzw. Defäkographie, liegen nicht vor. Auch konnte bei der aktuellen Begutachtung äußerlich kein Hinweis auf eine Schließmuskelschwäche oder Verunreinigung festgestellt werden, wobei zu erwähnen ist, dass eine digitale Sphinkterprüfung abgelehnt wurde. Vorlagen wurden im Rahmen der Begutachtung jedenfalls nicht getragen.
ad c) Wie häufig ist der Stuhlgang der BF und ist sehr unvorhersehbar und unabwendbar?
Die angegebene Häufigkeit liegt bei einer Frequenz von 3 bis 4x täglich.
Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit wird insofern angegeben, als sie bei Drang sofort ein WC aufsuchen müsse und schon ein paarmal Stuhl verloren habe.
Festzustellen ist jedenfalls, dass keine Vorlagen verwendet werden, wobei angegeben wird, dass immer Wechselwäsche im Auto sei.
Die Frage nach der Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit muss somit mit Nein beantwortet werden.
ad d) Wie viele imperative Stuhlabgänge gibt die BF am Tag der Untersuchung tagsüber und nachts über an?
Am Tag 3-4, in der Nacht keine.
ad e) Wie beschreibt die BEF am Tag der Untersuchung die Beschaffenheit dieser:
Luft: viel Schleim: viel
flüssiger Stuhl: Nein, breiig geformter Stuhl: Nein, breiig
ad f) Lässt sich der Schweregrad ihrer Stuhlinkontinenz nach dem SCORE- System bewerten?
Bejahendenfalls - welche Zahl dem Zahlensystem nach SCORE ist dafür vorgesehen?
Es gibt mehrere Scores, die in der klinischen Diagnostik und Behandlung der Stuhlinkontinenz zur Anwendung kommen. Sämtliche Scores beinhalten ausschließlich anamnestische Angaben. Anhand dieser wird ein Zahlenwert ermittelt.
Anamnestische Angabe fließen in das Gutachten ein, für die gutachterliche Beurteilung sind jedoch objektive Befunde maßgeblich.
Würde man zum Beispiel den Wexner-Score (0-20 Pkte) anwenden, käme man auf 6 Punkte, wobei eine Unschärfe zu berücksichtigen ist. (0= kontinent, 20 = inkontinent).
ad g) Sind für die Art der bei der BF bestehenden Stuhlinkontinenz am Markt übliche Inkontinenzprodukte erhältlich?
Ja, grundsätzlich sind Inkontinenzprodukte für das von der BF angegebene Ausmaß der Stuhlinkontinenz erhältlich.
Bitte um Angabe des Herstellernamens, der Marke, der Spezifikation und wie viele hievon innerhalb von 24 h benötigt wurden.
Teilweise Slipeinlagen vom dm, teilweise Tena, Größe nicht bekannt, bis zu 5 am Tag.
ad h) Gibt es noch nicht ausgeschöpfte Therapieoptionen bzw. die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung? Falls ja, bitte um genauere Ausführung.
Die Therapieoptionen sind nicht ausgeschöpft, insbesondere gibt es Medikamente zur Stuhlkonsistenzregulierung, zum Beispiel Imodium.
Dass eine Schließmuskelschwäche vorliegt, ist bis dato nicht bewiesen.
ad i) Es wird ersucht auszuführen in welchem Ausmaß die Funktionseinschränkungen sich diese auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken.
Es liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule vor, welche die Mobilität erheblich und dauerhaft einschränkten.
Kraft und Beweglichkeit der unteren Extremitäten und die Gesamtmobilität sind ausreichend, um kurze Wegstrecken von etwa 300-400 m ohne fremde Hilfe und ohne Pause, zurücklegen zu können und um Niveauunterschiede zu überwinden, aas sichere Aus- und Einsteigen ist möglich. Eine Gehhilfe wird nicht verwendet.
An den oberen Extremitäten sind keine Funktionsbehinderungen fassbar, die Kraft seitengleich und gut, sodass die Benützung von Haltegriffen zumutbar und möglich ist.
Die Koordination ist ausreichend, kein Hinweis für Gangunsicherheit.
Es liegt kein Hinweis für eine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vor, eine kardiopulmonale Funktionseinschränkungen ist nicht dokumentiert, es liegt ein guter Allgemeinzustand und Ernährungszustand vor. Darüber hinaus ist eine höhergradige Stuhlfrequenz oder eine Stuhlinkontinenz, welche die Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel maßgeblich erschweren könnte, durch diesbezügliche Untersuchungsbefunde nicht belegt.
ad j) Die BF beschreibt in ihrer Stellungnahme vom 12. 4. 2019 , Abl. 35, dass die lokalen Schmerzen beim Sitzen weitestgehend verschwunden seien. Trifft dies aktuell noch zu?
Ja.“
Dieses Sachverständigengutachten wurde der Beschwerdeführerin vom Bundesverwaltungsgericht mit Begleitschreiben vom 31.08.2020 in Wahrung des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und ihr Gelegenheit eingeräumt, diesbezüglich Stellung zu nehmen, dies unter Hinweis darauf, dass, sollte die Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragen (Anmerkung: in der Beschwerde wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt), das Bundesverwaltungsgericht derzeit in Aussicht nehme, über die Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der Aktenlage zu entscheiden.
Die Beschwerdeführerin gab mit Schreiben vom 12.09.2020 eine Stellungnahme ab, in der sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte. In inhaltlicher Hinsicht brachte sie vor, dass sie gerne von Fachpersonal untersucht werden würde. Zu keinem Zeitpunkt sei ihr gesagt worden, dass sie eine Sphinctermanometrie (Anmerkung: Messung der Druckwerte im Analkanal mit einer Sonde) bzw. eine Defäkographie (Anmerkung: die radiologische Untersuchung der Stuhlentleerung mit einem Kontrastmittel, die eine Beurteilung der Motorik der Beckenbodenmuskulatur erlaubt) machen könnte bzw. dass es ihrem Verfahren dienlich wäre. Weiters wolle sie eindringlich darauf hinweisen, dass eine digitale Sphinkterprüfung von ihr nicht abgelehnt worden sei, wie von der medizinischen Sachverständigen angegeben. Sie habe alle Untersuchungen zugelassen. So habe die medizinische Sachverständige sie nach der mündlichen Befragung manuell untersucht, dabei ihren Schließmuskel abgetastet und dann mit einem Finger innen abgetastet.
Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Ladung vom 12.03.2021 eine mündliche Verhandlung für den 23.04.2021 an. In dieser Ladung wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass, wenn die Beschwerdeführerin aus wichtigen Gründen (z.B. Krankheit) nicht zur Verhandlung kommen könne, sie dies bitte sofort mitteilen solle. Weiters wurde die Beschwerdeführerin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verhandlung in Abwesenheit der Beschwerdeführerin durchgeführt oder auf ihre Kosten auf einen anderen Termin verlegt werden könne, wenn sie die Verhandlung unentschuldigt versäumen oder ihre Vertreterin bzw. ihr Vertreter sie versäumt sollte.
Diese Ladung wurde von der Beschwerdeführerin entsprechend dem im Akt aufliegenden Rückschein am 17.03.2021 persönlich übernommen und somit rechtswirksam zugestellt.
Das Bundesverwaltungsgericht führte – weil die Beschwerdeführerin dies in ihrer Stellungnahme vom 12.09.2020 beantragt hatte - am 23.04.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu der die Beschwerdeführerin – ebenso wie die belangten Behörde – unentschuldigt nicht erschien.
Nachdem mit dem Beginn der Verhandlung 25 Minuten zugewartet worden und auch keine telefonische oder im Wege eines E-Mails oder in sonstiger Form eingebrachte Entschuldigung der Beschwerdeführerin erfolgt war, wurde die Verhandlung, die von der Beschwerdeführerin beantragt worden war und wegen dieser Antragstellung durchgeführt wurde, aufgrund der rechtswirksam zugestellten Ladung gemäß § 42 Abs. 4 AVG in Abwesenheit der Beschwerdeführerin durchgeführt. Im Rahmen der Verhandlung wurde das medizinische Sachverständigengutachten vom 28.07.2020 von der geladenen und anwesenden medizinischen Sachverständigen erläutert und dieses erörtert.
Nach Schluss des Ermittlungsverfahrens gemäß § 39 Abs. 3 AVG und Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis vom erkennenden Senat des Bundesverwaltungsgerichtes in nichtöffentlicher Sitzung am 23.04.2021 beschlossen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Beschlussfassung am 23.04.2021 erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist aktuell Inhaberin eines bis 31.07.2021 befristet ausgestellten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H.
Die Beschwerdeführerin stellte am 07.02.2019 beim Sozialministeriumservice den gegenständlichen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass.
Die Beschwerdeführerin leidet unter folgenden im Zusammenhang mit der Frage der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu berücksichtigenden Funktionseinschränkung:
? Plattenepithelkarzinom des Analkanal; unterer Rahmensatz, da nach abgeschlossener Therapie kein Fortschreiten der Grunderkrankung;
Der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Schilddrüsenfunktionsstörung, bei der mittels Hormonmedikation eine euthyreote Stoffwechsellage erzielt werden kann, kommt im Zusammenhang mit der Beurteilung der Frage der (Un)Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel keine Entscheidungsrelevanz zu.
Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist der Beschwerdeführerin zumutbar.
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen im vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten und in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2021 erörterten medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin vom 28.07.2020, das die bereits von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 28.03.2019, ergänzt durch die Stellungnahme vom 29.04.2019, und vom 13.06.2019 im Ergebnis bestätigt, der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Im Speziellen wird hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Dranginkontinenz festgestellt, dass es sich in Bezug auf die Häufigkeit und Konsistenz des Stuhlganges ausgehend von den Angaben der Beschwerdeführerin um 3 bis 4 Stuhlgänge täglich in breiiger Konsistenz handelt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Vorliegen eines bis 31.07.2021 befristet ausgestellten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H. sowie zur gegenständlichen Antragstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zu den vorliegenden Funktionseinschränkungen und die Feststellung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, die zur Abweisung der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ führt, gründen sich auf das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte und in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2021 erörterten medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin vom 28.07.2020, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 29.05.2020, das die bereits von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 28.03.2019, ergänzt durch die Stellungnahme vom 29.04.2019, und vom 13.06.2019 bestätigt. Unter Berücksichtigung sämtlicher von der Beschwerdeführerin ins Verfahren eingebrachter medizinischer Unterlagen und nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin wurde von der beigezogenen medizinischen Sachverständigen auf Grundlage der zu berücksichtigenden und unbestritten vorliegenden Funktionseinschränkungen festgestellt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für die Beschwerdeführerin zumutbar ist.
Die im gegenständlichen Verfahren beigezogene Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin gelangte unter den von ihr geprüften Gesichtspunkten – übereinstimmend mit den von der belangten Behörde eingeholten Vorgutachten - zu dem Schluss, dass bei der Beschwerdeführerin ein Zustand nach Analkanalkarzinom 01/2016 im Stadium T3, N2.G1, MO, nach Strahlentherapie vorliegt, jedoch kein Hinweis für Rezidiv.
Was nun die in diesem Zusammenhang von der Beschwerdeführerin vorgebrachte strahleninduzierte Dranginkontinenz betrifft, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in sämtlichen eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten ausdrücklich ausgeführt wurde, dass das Vorliegen einer Stuhl- bzw. Dranginkontinenz in entscheidungserheblicher Intensität, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar machen würde, bisher von der Beschwerdeführerin nicht durch ausreichend aussagekräftige Befunde belegt wurde.
Konkret wurde im (aktenmäßigen) medizinischen Sachverständigengutachten vom 14.06.2019 (das der Beschwerdeführerin gemeinsam mit der Beschwerdevorentscheidung vom 17.06.2019 übermittelt wurde) – in Bezug auf den von der Beschwerdeführerin (erst) im Rahmen der Beschwerde vorgelegten Befundbericht eines Facharztes für Chirurgie vom 20.04.2019 - angemerkt, dass in diesem nachgereichten Befund lediglich eine subjektiv von der Beschwerdeführerin geschilderte Beschwerdesymptomatik (sohin anamnestisch) übernommen worden sei, dass aber eine Sphinktermanometrie (also eine Messung der Druckwerte im Analkanal mit einer Sonde), die eine Stuhlinkontinenz in objektiver Form untermauern könnte, nicht vorliegt.
Auch im medizinischen Sachverständigengutachten der Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin vom 28.07.2020 wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass objektive Befunde über eine Schließmuskelschwäche bzw. das Ausmaß einer Schließmuskelschwäche, zum Beispiel mittels Sphinctermanometrie bzw. Defäkographie (die radiologische Untersuchung der Stuhlentleerung mit einem Kontrastmittel, die eine Beurteilung der Motorik der Beckenbodenmuskulatur erlaubt), nicht vorliegen.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 12.09.2020, zu keinem Zeitpunkt sei ihr gesagt worden, dass sie eine Sphinctermanometrie bzw. eine Defäkographie machen könnte bzw. dass das ihrem Verfahren dienlich wäre, entspricht daher nachweislich nicht den Tatsachen. Dass die Beschwerdeführerin aber zwischenzeitlich in den darauffolgenden Monaten eine Sphinctermanometrie bzw. eine Defäkographie gemacht hätte - spätestens seit dem Sachverständigengutachten vom 28.07.2020 (und tatsächlich bereits seit dem Sachverständigengutachten vom 14.06.2019) war sie in Kenntnis dieser Möglichkeiten zum Zwecke der Objektivierung ihres Vorbringens einer Dranginkontinenz -, hat sie weder im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 12.09.2020 noch in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung noch in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2021 selbst, an der sie unentschuldigt nicht teilnahm, vorgebracht, noch brachte sie einen entsprechenden Befund, der geeignet gewesen wäre, das Vorliegen einer Dranginkontinenz von erheblichem Ausmaß – dies unabhängig von ihren anamnestischen Angaben, die sich aus den Ausführungen in dem von ihr vorgelegten Befundbericht vom 20.04.2019 ergeben - zu objektivieren, in das Verfahren ein.
Auch konnte bei der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 29.05.2020 äußerlich kein Hinweis auf eine Schließmuskelschwäche oder Verunreinigung festgestellt werden, auch Vorlagen wurden im Rahmen der Begutachtung nicht getragen. Diese im Rahmen der Statuserhebung festgestellten Tatsachen, die nicht für das Vorliegen einer ständigen und dauerhaften Stuhlinkontinenz von erheblicher Intensität sprechen, wurden von der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 12.09.2020 nicht bestritten, auch die Möglichkeit der mündlichen Verhandlung nutzte sie nicht, um den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen entgegenzutreten.
Zudem gab die Beschwerdeführerin in Bezug auf Häufigkeit und Konsistenz des Stuhlganges selbst an, dass sie 3 bis 4 Stuhlgänge täglich habe, dies in breiiger Konsistenz. Diese von ihr selbst getätigten Angaben wurden von ihr ebenfalls in der Stellungnahme vom 12.09.2020 und auch im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht bestritten. Häufige regelmäßige Durchfälle im Sinne eines verflüssigten Stuhles, die auch im Fall eines uneingeschränkt funktionsfähigen Schließmuskels dazu führen könnten, den Stuhl in unkontrollierbarer Weise nicht halten zu können, liegen entsprechend den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin hingegen nicht vor. Eine derartige von der Beschwerdeführerin angegebene Frequenz und Konsistenz bezogen auf einen ganzen Tag, die eine Häufung von - unkontrollierten - Stuhlabgängen während des Zeitraumes einer Benützung öffentlicher Verkehrsmittel (die nicht ganztätig ununterbrochen erfolgt; zumindest wurde solches von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht) als nicht wahrscheinlich erscheinen lässt, sondern vielmehr den Ausnahmefall darstellen wird, vermag im gegenständlichen Fall – zumal die Beschwerdeführerin angab, keine Vorlagen zu tragen, was ebenfalls nicht für das Vorliegen einer unkontrollierbaren, unvorhersehbaren und unabwendbaren Dranginkontinenz erheblicher Intensität glaubhaft ins Treffen geführt werden kann - nicht dazu zu führen, von den in den eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten getroffenen Beurteilungen abzugehen.
Zudem wurde von der medizinischen Sachverständigen im Rahmen ihrer Gutachtenserörterung in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2021 nachvollziehbar und schlüssig ausgeführt, dass keine objektiven Befunde für eine maßgebliche Schließmuskelschwäche vorlägen und dass die Tatsache, dass keine Vorlagen verwendet würden, keine Verunreinigungen festzustellen waren und auch keine Spuren einer ständigen Schleimhautreizung festzustellen waren, folgern lasse, dass keine maßgebliche Schließmuskelschwäche vorliege. Zudem sei der Beschwerdeführerin vorgebracht worden, dass der Stuhl breiig sei. Befunde über eine Schleimhautveränderung, die zu häufigen dünnflüssigen Durchfällen führe und daraus abgeleitet eine Stuhlinkontinenz möglich wäre, lägen nicht vor. Hinsichtlich der Stuhlkonsistenz seien überdies Therapieoptionen zur Regulierung möglich, nämlich medikamentöse Behandlungen oder diätische Beeinflussungen. All dem trat die Beschwerdeführerin nicht und insbesondere nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen.
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen kommt es letztlich nicht mehr darauf an, dass die Beschwerdeführerin laut dem Sachverständigengutachten vom 28.07.2020 eine digitale Sphinkterprüfung abgelehnt habe, was von ihr in ihrer Stellungnahme vom 12.09.2020 bestritten wurde. Dennoch sei der Vollständigkeit halber auf diese Frage eingegangen: die Beschwerdeführerin gab in ihrer Stellungnahme vom 12.09.2021 an, sie habe alle Untersuchungen zugelassen; so habe die medizinische Sachverständige sie nach der mündlichen Befragung manuell untersucht, dabei ihren Schließmuskel abgetastet und dann mit einem Finger innen abgetastet. Die medizinische Sachverständige gab in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2021, zu der die Beschwerdeführerin unentschuldigt nicht erschien, diesbezüglich befragt hingegen an, sie habe am 29.05.2020 eine Untersuchung der Analregion durchgeführt. Diese Untersuchung sei in rechtsseitiger Lage bei angewinkelten Beinen vorgenommen worden, so wie es eine standardisierte Untersuchung erfordere. Sie habe die Unterwäsche nach unten gezogen und feststellen können, dass keine Vorlagen gentragen wurden und keine Spuren an der Unterwäsche zu sehen waren. Dann habe sie die Inspektion der Analregion vorgenommen. Es habe auch hier keine Verunreinigung z.B. durch Stuhl festgestellt werden können. Äußerlich sei die Schleimhautregion auch unauffällig hinsichtlich Irritationen, wie sie nach Durchfall oder ständiger Reizung wie z.B bei Inkontinenz vorliegen können, gewesen. Die äußerlich zu beobachtende Kontraktion des Schließmuskels sei unauffällig gewesen. Es hätte dann eine digitale Untersuchung folgen sollen, aber bevor sie noch ihr Ansinnen äußern habe können, eine digitale Untersuchung durchzuführen, habe die Beschwerdeführerin gesagt: „Aber Sie fahren mir da jetzt nicht mit dem Finger hinein“. Daraufhin habe die medizinische Sachverständige von einer digitalen Untersuchung abgesehen.
Dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 28.07.2021 und dessen Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23.04.2021 lassen sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen, dass bei der Beschwerdeführerin keine fachgerechte bzw. eine zu nicht zutreffenden Untersuchungsergebnissen führende Untersuchung durchgeführt worden wäre bzw. dass im Rahmen der persönlichen Untersuchung am 29.05.2021 von der medizinischen Sachverständigen pflichtwidrig unzutreffende Untersuchungsgeschehnisse protokolliert worden wären und ergibt sich eine solche Annahme auch nicht aus dem nicht ausreichend substantiierten Vorbringen der Beschwerdeführerin.
Aus obigen Ausführungen ergibt sich im Ergebnis, dass bei der Beschwerdeführerin zwar unbestritten eine nicht unbeträchtliche Funktionseinschränkung vorliegt, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren mag, dass aber die von der Beschwerdeführerin in der Stellungnahme zum Parteiengehör, in der Beschwerde und im Vorlageantrag vorgebrachten, subjektiv empfundenen Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht in entsprechendem Ausmaß - im Sinne des Vorliegens erheblicher Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder der körperlichen Belastbarkeit oder einer schweren anhaltenden Erkrankung des Immunsystems nach dem Maßstab des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen - objektiviert werden konnten.
Hinsichtlich der bestehenden Funktionseinschränkung und ihrer Auswirkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel tätigte die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren somit kein Vorbringen, das die Beurteilungen der medizinischen Sachverständigen entkräften hätte können; es wurden keine Befunde vorgelegt, die geeignet wären, die durch die medizinische Sachverständige getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden im Sinne nachhaltiger, zumindest sechs Monate dauernder Funktionseinschränkungen zu belegen bzw. eine wesentliche Verschlimmerung bestehender Leiden zu dokumentieren und damit das Vorliegen erheblicher körperlicher Einschränkungen oder einer schweren anhaltenden Erkrankung des Immunsystems im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.
Die Beschwerdeführerin ist den im gegenständlichen Verfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten in der Beschwerde bzw. im Rahmen des Vorlageantrages und in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2021 daher im Ergebnis nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen daher keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruhenden medizinischen Sachverständigengutachtens einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin vom 28.07.2020, das die von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten bestätigt.
Zur Frage der Ausschöpfung von Therapieoptionen und somit zur Frage des Vorliegens zumutbarer Kompensationsmöglichkeiten im Sinne des § 1 Abs. 5 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen wird auf die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen verwiesen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
„§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
…
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:
„§ 1 …
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes
a)…
b)…
…
2. …
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)..."
In den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, StF: BGBl. II Nr. 495/2013, wird betreffend § 1 Abs. 2 Z 3 (in der Stammfassung) unter anderem – soweit im gegenständlichen Fall in Betracht kommend – Folgendes ausgeführt:
„§ 1 Abs. 2 Z 3:
…
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
…
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.
Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:
- anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),
- schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B.: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
- fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
- selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.
Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen, kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.
Anzumerken ist noch, dass in dieser kurzen Phase die Patienten in einem stark reduzierten Allgemeinzustand sind und im Bedarfsfall ein Krankentransport indiziert ist.
Bei allen frisch transplantierten Patienten kommt es nach einer anfänglichen Akutphase mit hochdosierter Immunsuppression, nach etwa 3 Monaten zu einer Reduktion auf eine Dauermedikation, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlichen Raum hat.
Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:
- vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,
- laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,
- Kleinwuchs,
- gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,
- bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.“
Der Vollständigkeit halber ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im gegenständlichen Verfahren der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand im gegenständlichen Beschwerdeverfahren ist somit auch nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigten.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt – auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde sowohl in den im gegenständlichen Verfahren von der belangten Behörde eingeholten als auch in dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten, auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin beruhenden medizinischen Sachverständigengutachten vom 28.07.2020, das in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23.04.2021 erörtert wurde, nachvollziehbar verneint, dass im Fall der Beschwerdeführerin – trotz der bei ihr unzweifelhaft vorliegenden Funktionsbeeinträchtigung und unter Berücksichtigung dieser – die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass aktuell vorliegen. Bei der Beschwerdeführerin sind ausgehend davon aktuell keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit – diese betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen –, aber auch keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen, keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der oberen und unteren Extremitäten und auch nicht das Vorliegen einer schweren anhaltenden Erkrankung des Immunsystems im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen objektiviert, was insbesondere für die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Dranginkontinenz, insbesondere deren Ausmaß bzw. Intensität, gilt.