TE Bvwg Beschluss 2021/4/26 G315 2239956-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.04.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

26.04.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs3

Spruch


G315 2239956-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Rumänien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.01.2021, Zl. XXXX :

A)       In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch kurz „BF“ genannt) ist rumänischer Staatsangehöriger.

2. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 02.03.2020, Zahl XXXX , rechtskräftig am 06.03.2020, wurde der BF wegen des Vergehens des Betruges gemäß § 146 StGB zu einer bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF durch den Vorsatz, sich oder einen Dritten unrechtmäßig durch das Verhalten der Getäuschten zu bereichern, zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt im April 2019 insgesamt drei Personen durch Täuschung über Tatsachen, nämlich ein verlässlicher und zahlungskräftiger Arbeitgeber zu sein, welcher die Anmeldungen bei der Versicherung ordnungsgemäß durchführt und die Löhne zeitgerecht und vollständig bezahlt, zu Handlungen verleitete, durch welche sie in einem EUR 5.000,00 nicht übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt wurden, und zwar zur Erbringung von bislang unbezahlten Arbeitsleistungen auf einer Baustelle im Gesamtbetrag von EUR 4.400,00.

3. Mit Schreiben der Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde vom 29.05.2020 setzte diese das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde oder kurz „bB“) über die strafgerichtliche Verurteilung des BF in Kenntnis und ersuchte die bB im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemäß § 55 Abs. 3 NAG um Prüfung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung.

4. Mit Schreiben der bB vom 29.09.2020 gewährte diese dem BF Parteiengehör zum bisher erhobenen Sachverhalt. Weiters wurde mitgeteilt, dass die Erlassung einer Ausweisung bzw. eines Aufenthaltsverbotes beabsichtigt sei und dem BF ein Fragenkatalog mit 14 Fragen, insbesondere zum Privat- und Familienleben, aber auch zum Berufsleben des BF in Österreich und auch in Rumänien, zur Beantwortung übermittelt.

Die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme wurde am 05.10.2020 an eine/n Angestellte/n eines berufsmäßigen Parteienvertreters (laut aktenkundigem Rückschein), zugestellt.

Eine weitere Zustellung der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 29.09.2020 an den BF persönlich ist aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich.

5. Eine Stellungnahme des BF zur Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme langte beim Bundesamt nicht ein.

6. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der bB vom 21.01.2021 wurde der BF gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.)

Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass per E-Mail vom 09.10.2020 des Insolvenzverwalters des Unternehmens des BF mitgeteilt worden sei, dass über das Unternehmen, „ XXXX e.U.“ (im Folgenden weiter: Unternehmen) mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 27.02.2020 ein Insolvenzverfahren eröffnet und wegen der damit verbundenen Postsperre an den Insolvenzverwalter zugestellt worden sei. Da das Schreiben jedoch nicht die Insolvenzmasse betreffe, werde die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme an das Bundesamt retourniert. Per E-Mail der bB an den Insolvenzverwalter vom 13.10.2020 sei dieser von der bB ersucht worden, die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme an den BF auszufolgen. Es sei weiters ein Zustellversuch durch die Post an den BF vorgenommen worden. Am 05.10.2020 hätte der BF persönlich die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme übernommen. Dennoch habe er keine Stellungnahme abgegeben und keine Beweismittel vorgelegt. Er habe weiters keinen Nachweis über seine Selbstständigkeit, ein aufrechtes Dienstverhältnis und einen umfassenden Versicherungsschutz vorgelegt. Es fehle auch an einem Nachweis für eine „arbeitsmarktrechtliche Bewilligung“. Aus der Mitteilung des Insolvenzverwalters ergebe sich eine Masseunzulänglichkeit, sodass der BF auch aus der Insolvenzmasse keine finanziellen Mittel zur bescheidenen Lebensführung erhalte. Er sei damit als mittellos anzusehen und erfülle die Voraussetzungen nicht, um gemäß §§ 51 ff NAG sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch nehmen zu können. Er habe bislang auch nicht am Verfahren mitgewirkt. Als Unionsbürger könne er sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, wenn er über ein aufrechtes Dienstverhältnis, ausreichende Existenzmittel, einen umfassenden Versicherungsschutz und eine „arbeitsmarktrechtliche Bewilligung“ verfüge. Entsprechende Nachweise habe er nicht vorgelegt. Weiters sei er zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Wochen wegen „gewerbsmäßigen Betruges“ gemäß § 148 StGB (sic!) verurteilt worden. Familiäre Bindungen oder ein schützenswertes Privatleben zu Österreich hätten nicht festgestellt werden können. Gemäß §§ 51 ff NAG iVm § 293 ASVG führe der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, wenn dieser feste und regelmäßige Einkünfte habe, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaft ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen. So müssten derzeit einem erwachsenen zuziehenden Fremden mindestens EUR 1.000,48 an Unterhaltsmitteln zur Verfügung stehen, die der BF nicht habe nachweisen können. Eine Rückkehr nach Rumänien sei zumutbar, da der BF Gegenteiliges nicht angegeben habe.

6. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz der bevollmächtigten Rechtsvertretung des BF vom 19.02.2021, am selben Tag beim Bundesamt einlangend, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge allenfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben; in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und das Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.

Begründende wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, der BF sei seit 29 Jahren verheiratet und lebe seine Ehefrau mit ihm seit 2013 gemeinsam in Österreich. Sie sei auch erwerbstätig. Weiters würden die gemeinsame Tochter und Enkeltochter ebenfalls in Österreich leben. Der BF sei seit seiner Niederlassung in Österreich behördlich gemeldet. Am 27.02.2020 sei über das Vermögen seines Unternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet worden, der BF sei nunmehr aber als Projektmanager unselbstständig vollzeitbeschäftigt und somit auch krankenversichert. Er habe während seines gesamten bisherigen Aufenthalts über ausreichende Existenzmittel verfügt und keine Sozialhilfeleistungen bezogen. Er sei bestens in Österreich integriert. Die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme sei von der bB an den Insolvenzverwalter gesendet worden, der ihm dieses Schreiben per E-Mail weitergeleitet habe. Der BF habe das Logo der bB mit dem Finanzamt verwechselt und daher zu spät bemerkt, dass es sich dabei um ein Schreiben der bB handle, sodass der die ihm eingeräumte Stellungnahmefrist versäumt habe. Hingegen könne sich der BF nicht erinnern, das Schreiben persönlich erhalten zu haben. Er sei durch die bB jedenfalls in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Durch die Nichtdurchführung einer persönlichen Einvernahme des BF habe die bB keine Feststellungen zum Privat- und Familienleben des BF getroffen. Es sei weiters unrichtig, dass der BF zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung keiner sozialversicherten Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, wie aus dem Sozialversicherungsdatenauszug ersichtlich sei. Der BF sei seit 2013 in Österreich mit Wohnsitzen gemeldet, nicht erst seit 06.02.2020. Die Feststellungen und die Beweiswürdigung seien grob mangelhaft und basiere darauf auch eine unzutreffende rechtliche Beurteilung. Eine Ausweisung gegen den BF sei schon wegen des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK aber auch wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 NAG unzulässig.

Der Beschwerde waren unter anderem Kopien der Anmeldebescheinigung, der Meldebestätigungen des BF und seiner Ehefrau, seines aktuellen Dienstvertrages samt Gehaltsabrechnungen, seiner rumänischen Heiratsurkunde samt Übersetzung ins Deutsche und eine Kopie des rumänischen Reisepasses seiner Ehefrau sowie der Anmeldebescheinigung seiner Ehefrau (ebenfalls vom 19.12.2013) beigefügt.

7. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der bB vorgelegt und sind am 26.02.2021 eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen (Sachverhalt):

Der BF ist im Bundesgebiet seit XXXX bis zum Entscheidungszeitpunkt des erkennenden Gerichtes mit Hauptwohnsitzen gemeldet. In den Zeiträumen von 08.03.2016 bis 30.10.2017 sowie von 24.07.2018 bis 01.11.2018 weist er keine Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf (vgl. Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 01.03.2021).

Seit XXXX verfügt er in Österreich über eine Anmeldebescheinigung als selbstständig Erwerbstätiger. Seit XXXX war der BF durchgehend in Österreich sowohl als gewerblich selbstständig Erwerbstätiger, sowie als geringfügig beschäftigter Angestellter und als Angestellter nach dem ASVG durchgehend sozialversichert. Seit XXXX ist der BF als Angestellter nach dem ASVG laufend unselbstständig erwerbstätig (vgl. Sozialversicherungsdatenauszug vom 08.03.2021; Fremdenregisterauszug vom 01.03.2021; mit Beschwerde vorgelegte Kopie der Anmeldebescheinigung vom 19.12.2013, AS 79).

Der BF ist zudem mit XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Rumänien, seit XXXX verheiratet. Auch die Ehefrau verfügt seit XXXX über eine Anmeldebescheinigung als Ehegattin gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 NAG (vgl. mit der Beschwerde vorgelegte Heiratsurkunde samt deutscher Übersetzung, AS 94 f; Kopie der Anmeldebescheinigung der Ehefrau, AS 100; Kopien der Meldebestätigungen der Ehefrau vom 24.11.2020, AS 80, und vom 23.08.2019, AS 101).

Das Bundesamt hat weder Feststellungen zum Privat- und Familienleben des BF getroffen noch entsprechende Feststellungen zur Beurteilung, ob dem BF allenfalls in Österreich bereits ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht zukäme. Das Bundesamt hat sich weiters nicht mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF und dem zugrundeliegenden Verhalten des BF auseinandergesetzt und schlussendlich auch aktenwidrige Feststellungen getroffen.

Der weiter entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter I. getroffenen Ausführungen.

2. Beweiswürdigung:

Der für die Zurückverweisung relevante Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien grundsätzlich nicht beanstandeten Aktenlage fest.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2018/57, geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

3.2. Zurückverweisung

3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit. nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters mit Erkenntnis vom 10.09.2014, Ra 2014/08/0005 die im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, angeführten Grundsätze im Hinblick auf Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschlüsse des Verwaltungsgerichtes gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nochmals bekräftigt und führte ergänzend aus, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinn des § 24 VwGVG zu vervollständigen sind.

Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.02.2017, Ra 2015/11/0089 betonte dieser weiters das Interesse der Rechtsunterworfenen an einer raschen Entscheidung und führte dazu aus, dass es nicht zu erkennen sei, weshalb es nicht im Interesse der Raschheit gelegen sein sollte, wenn das Verwaltungsgericht – ausgehend freilich von einer zutreffenden Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage – selbst die notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens veranlasst und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt feststellt.

3.2.2. Einzelfallbezogen ergibt sich hieraus Folgendes:

Rechtliche Grundlagen:

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1.         in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2.         für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3.         als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1.         wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2.         sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3.         sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4.         eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Der mit „Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:

„§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1.         Ehegatte oder eingetragener Partner sind;
2.         Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
3.         Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
4.         Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder
5.         sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,
a)         die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,
b)         die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder
c)         bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“

Der mit „Anmeldebescheinigung“ betitelte § 53 NAG lautet:

„§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:
1.         nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;
2.         nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;
3.         nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;
4.         nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;
5.         nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;
6.         nach § 52 Abs. 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;
7.         nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1.         Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2.         Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3.         durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie
1.         zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;
2.         sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder
3.         drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn
1.         sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;
2.         der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder
3.         der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ betitelte § 55 NAG lautet:

„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:

„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Fallbezogen ergibt sich daraus:

Vorweg ist festzuhalten, dass die bB im gegenständlichen Fall schon von unzutreffenden Prämissen bezogen auf die grundsätzlichen rechtlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes von über drei Monaten bei einem Unionsbürger ausgegangen ist:

Die bB erachtete die Ausweisung des BF im Wesentlichen deshalb für gerechtfertigt, weil er weder Arbeitnehmer sei, noch einen Nachweis über seine selbstständige Tätigkeit erbracht habe und auch nicht über ausreichende Existenzmittel oder eine umfassende Krankenversicherung verfüge, daher im Wesentlichen, weil im Sinne des § 55 Abs. 3 NAG die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern gemäß § 51 NAG – konkret nach dessen Abs. 1 Z 1. erster und zweiter Fall und nach dessen Abs. 1 Z 2 NAG – nicht (mehr) vorlägen.

Die bB hat dabei – offenbar unter Heranziehung eines zum Zeitpunkt der Erstellung des gegenständlich angefochtenen Bescheides vom 21.01.2021 nicht mehr aktuellen Sozialversicherungsdatenauszuges des BF vom 06.11.2020 (vgl. AS 39 ff) – dem BF die Arbeitnehmereigenschaft gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 erster Fall NAG abgesprochen, obwohl eine solche tatsächlich jedenfalls seit XXXX bis zum Entscheidungszeitpunkt des erkennenden Gerichtes vorlag bzw. vorliegt (vgl. Sozialversicherungsdatenauszug vom 08.03.2021). Dem BF wäre daher schon zum Zeitpunkt der Erstellung des angefochtenen Bescheides am 21.01.2021 bzw. zum Zeitpunkt der Erlassung (Zustellung am 01.02.2021) die Arbeitnehmereigenschaft gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 erster Fall NAG zugekommen, unabhängig davon, ob er einen Nachweis seiner aus dem Sozialversicherungsdatenauszug in diesem Zeitraum ebenfalls ersichtlichen selbstständigen Tätigkeit iSd § 51 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall NAG iVm § 53 Abs. 2 Z 1 NAG erbracht hat oder nicht.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat in seiner Entscheidung vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049, zudem festgehalten, dass schon das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln kann (vgl. dazu VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 12 mwN). In Bezug auf die Ausübung geringfügiger Beschäftigungen (welche im Fall des gegenständlichen BF ebenfalls über mehrere Jahre aus dem Sozialversicherungsdatenauszug hervorgehen) hielt der VwGH zudem fest, dass – um als "Arbeitnehmer" im Sinn des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zu gelten - lediglich eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" ausgeübt werden muss, die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine "völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit" handelt. Die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer erhält, ist ebenso wenig von alleiniger Bedeutung wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Arbeitsverhältnisses (siehe auch dazu im Einzelnen VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 13, mwN).

Die bB geht, ihren Ausführungen im angefochtenen Bescheid nach, zudem offenbar davon aus, dass der BF neben der Erfüllung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG (daher die Arbeitnehmerschaft oder die selbstständige Tätigkeit) kumulativ auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG (daher der Nachweis ausreichender Existenzmittel sowie eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes) nachzuweisen hat, um über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu verfügen. Dies ist nicht der Fall. Erfüllt der BF die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 Z 1 NAG, so kommt ihm grundsätzlich ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu, ohne dass es der zusätzlichen Erfüllung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG bedarf (vgl. dazu ebenfalls VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049, Rn. 13, mit Verweis auf VwGH vom 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 12 mwN). Dies ergibt sich auch bereits aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 51 Abs. 1 NAG.

Darüber hinaus ist auch festzuhalten, dass die bB in unzulässiger Weise bei der – im gegenständlichen Fall im Ergebnis gar nicht erforderlichen Prüfung des Vorliegens ausreichender Existenzmittel iSd § 51 Abs. 1 Z 2 NAG wegen der tatsächlich bestehenden Arbeitnehmereigenschaft des BF gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 NAG – „Prüfung“ des Vorliegens ausreichender Existenzmittel einerseits keine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation des BF vorgenommen hat (vgl. dazu VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049, Rn. 13, mit Verweis auf VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0047, 0048, Rn. 15, mwN), welche in Anbetracht der vorhandenen Information über das Insolvenzverfahren des Einzelunternehmens des BF jedenfalls weitere Ermittlungen, insbesondere eine Einvernahme des BF erforderlich gemacht hätte, und andererseits das Vorliegen eines „Mindesteinkommens“ iSd § 293 ASVG (Ausgleichszulagenrichtsatz) als Voraussetzung für das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel iSd § 51 Abs. 1 Z 2 NAG ansah und ohne stichhaltige Begründung davon ausging, dass der BF dieses nicht erreiche.

Diesbezüglich hat der VwGH festgehalten, dass entsprechende Überlegungen, die Beurteilung des Vorliegens ausreichender Existenzmittel nach § 51 Abs. 1 Z 2 NAG an den in § 293 ASVG normierten Ausgleichszulagenrichtsätzen zu messen, die maßgeblichen unionsrechtlichen Grundlagen außer Betracht lässt. Nach Art. 8 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten (nämlich) keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern müssen die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen. Demgemäß wurde in der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union betont, dass bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie in Anspruch nehmen zu können, eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen ist (EuGH (Große Kammer) 11.11.2014, Dano, C- 333/13, Rn. 80). Der Gerichtshof hat weiter festgehalten, dass die Mitgliedstaaten zwar einen bestimmten Betrag als Richtbetrag angeben können, dass sie aber nicht ein Mindesteinkommen vorgeben können, unterhalb dessen ohne eine konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Betroffenen angenommen würde, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (EuGH 19.9.2013, Brey, C-140/12, Rn. 68). Es bedarf also bei der Frage, ob ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stehen, einer konkreten Einzelfallbeurteilung, was auch bereits in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausdruck gebracht wurde (vgl. VwGH vom 15.03.2018, Ra 2017/21/0222, mit Verweis auf etwa VwGH vom 10.4.2014, 2013/22/0034).

Schlussendlich erachtete die bB weiters die Vorlage einer „arbeitsmarktrechtlichen“ bzw. „arbeitsmarktbehördlichen“ Bewilligung als Voraussetzung für das Vorliegen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.

Die nach Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union ehemals bestehenden Übergangsregelungen für den Zugang rumänischer Staatsangehöriger zum Arbeitsmarkt in Österreich im Ausländerbeschäftigungsgesetz gelten gemäß § 32a Abs. 12 AuslBG idF BGBl. I Nr. 72/2013 bereits seit 01.01.2014 nicht mehr.

Welche Art „arbeitsmarktrechtliche Bewilligung“ nach Ansicht der bB gegenständlich vorliegen müsste, wird im angefochtenen Bescheid auch nicht thematisiert.

Auch hält die bB, wenn auch disloziert in ihrer Beweiswürdigung (vgl. AS 53), in einem Satz fest, dass der BF laut Zentralem Melderegister verheiratet ist. Daraus könnte sich ein von der Ehefrau des BF abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht des BF ergeben haben, was von der bB aber überhaupt nicht geprüft wurde.

In Anbetracht der sich aus dem Zentralen Melderegister und dem Sozialversicherungsdatenauszug beim BF ergebenden Melde- und Sozialversicherungsdaten wäre von der bB jedenfalls auch das allfällige Vorliegen eines unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes gemäß § 53a NAG zu prüfen gewesen.

Aufgrund der Annahme der bB, dem BF komme schon kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich zu, hat sie sich schließlich nicht mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF auseinandergesetzt und keinerlei Beurteilung dahingehend durchgeführt, ob durch diese ein allfälliges unionsrechtliches Aufenthaltsrecht des BF wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit iSd § 55 Abs. 3 NAG weggefallen wäre, oder – für den Fall, dass der BF ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht erworben hätte – er damit auch den erhöhten Gefährdungsmaßstab iSd § 66 Abs. 1 vorletzter und letzter Satz FPG (dh, dass der Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt) verwirklicht hätte; andernfalls wäre eine Ausweisung nämlich unzulässig. Außerdem hält die bB im angefochtenen Bescheid entgegen dem aktenkundigen strafgerichtlichen Urteil – somit in aktenwidriger Weise – fest, dass der BF wegen gewerbsmäßigem Betrug gemäß § 148 StGB verurteilt worden wäre. Tatsächlich umfasst die gegenständliche Verurteilung jedoch das Vergehen des Betruges gemäß § 146 StGB.

Ausgehend von der soeben dargelegten – insgesamt völlig unzutreffenden – Rechtsansicht der bB, hat diese im gegenständlichen Fall auch den zugrundeliegenden, maßgeblichen Sachverhalt mangelhaft ermittelt, indem die belangte Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterließ. Die Feststellungen bzw. die beweiswürdigenden Ausführungen der Behörde sind in wesentlichen Punkten auch nicht nachvollziehbar; im Einzelnen:

Aus dem Verfahrensgang im angefochtenen Bescheid ergibt sich, dass die bB dem BF die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 29.09.2020 per RSb-Schreiben übermittelt hat, diese aufgrund einer Postsperre infolge des Insolvenzverfahrens des Einzelunternehmens des BF jedoch nicht dem BF, sondern dem Insolvenzverwalter (vgl. dazu aktenkundiger Rückschein: Zustellung am 05.10.2020 an eine/n Angestellte/n eines berufsmäßigen Parteienvertreters) zugestellt wurde. Der Insolvenzverwalter habe der bB per E-Mail vom 09.10.2020 mitgeteilt, das über das Vermögen des namentlich genannten Unternehmens des BF am 27.02.2020 mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei und das Schreiben nicht die Insolvenzmasse beträfe. Per E-Mail vom 13.10.2020 habe die bB dann den Insolvenzverwalter ersucht, dem BF die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme auszufolgen. Entgegen der aktenwidrigen Feststellung der belangten Behörde wurde dem BF am 05.10.2020 eben nicht persönlich die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zugestellt bzw. wurde auch kein neuerlicher Zustellversuch unternommen und wäre dies in Anbetracht des zeitlichen Zusammenhanges der von der bB selbst geschilderten E-Mail-Korrespondenz mit dem Insolvenzverwalter auch gar nicht möglich gewesen. Die entsprechende Korrespondenz findet sich auch nicht im Verwaltungsakt und ist damit für das erkennende Gericht nicht nachprüfbar bzw. nachvollziehbar.

Die bB verfügt somit über keinerlei Nachweis einer Zustellung der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme an den BF und hat sich vielmehr darauf verlassen, dass der Insolvenzverwalter diese dem BF weiterleitet, ohne aber über eine diesbezügliche Bestätigung zu verfügen. Der Umstand, dass der BF im Zuge der Beschwerde einräumte, die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme gemeinsam mit vielen weiteren E-Mails des Insolvenzverwalters zwar erhalten, diese jedoch übersehen zu haben, kann die bB prima facie nicht unter dem Verweis auf eine mangelnde Mitwirkung des BF von der Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens befreien, zumal die bB gemäß § 78 Abs. 2 IO in diesem Fall noch einmal an den BF mit dem amtlichen Vermerk „Zustellung trotz Postsperre“ ordnungsgemäß einen Zustellversuch hätte unternehmen müssen.

Jedenfalls kann sich die bB im gegenständlichen Fall nicht ausschließlich darauf zurückziehen, der BF hätte am Verfahren nicht mitgewirkt.

Somit hat sich die bB im gegenständlichen Fall trotz der Information, dass der BF über ein vom Insolvenzverwalter namentlich genanntes Unternehmen verfügt, über das ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, diesbezüglich eine Postsperre besteht und den sich aus dem Zentralen Melderegister sowie den Sozialversicherungsdaten ergebenden Melde- bzw. Versicherungszeiten nicht veranlasst gesehen, weitere Ermittlungen durchzuführen oder den BF zumindest persönlich zu einer Einvernahme zu laden.

Im gegenständlichen Fall wird die Behörde zur Beurteilung des Vorliegens eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes sowie allenfalls eines unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes somit konkret zu erheben haben, wie lange sich der BF nunmehr tatsächlich im Bundesgebiet aufhält und insbesondere hinsichtlich der längeren Lücke in seinen Wohnsitzmeldungen zwischen 07.03.2016 und 31.10.2017 (somit von über sechs Monaten und daher allenfalls relevant bei der Beurteilung, ob der BF ein Daueraufenthaltsrecht erworben hat), wo sich der BF in diesem Zeitraum konkret aufgehalten hat, zumal für diesen Zeitraum sehr wohl Sozialversicherungszeiten auch als geringfügig erwerbstätiger Angestellter in Österreich vorliegen und Meldedaten nach der ständigen Rechtsprechung nur ein Indiz darstellen (vgl. dazu etwa VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049, Rz 12).

Die belangte Behörde wird weiters hinsichtlich der aus dem Sozialversicherungsdatenauszug ersichtlichen selbstständigen Erwerbstätigkeit des BF zu ermitteln haben, um konkret welche Tätigkeit es sich dabei handelt (gehandelt hat), wann der BF das vom Insolvenzverwalter genannten Unternehmen gegründet hat, ob er über – sofern nötig – eine entsprechende Gewerbeberechtigung dafür verfügt/verfügte, ob das Unternehmen allenfalls im Firmenbuch eingetragen ist und in welchem Verfahrensstadium sich das Insolvenzverfahren befindet. Wesentlich ist auch, ob der BF Einkünfte aus dieser Tätigkeit erwirtschaftet hat.

Weiters wird die bB konkrete Ermittlungen zum vom BF nunmehr geltend gemachten Privat- und Familienleben durchzuführen haben. Konkret wird zu ermitteln sein, seit wann sich seine Ehefrau in Österreich aufhält, ob und in welchen Zeiträumen auch sie erwerbstätig gewesen ist (und der BF damit allenfalls in Zeiten fehlender Erwerbstätigkeit seinerseits allenfalls gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 NAG von seiner Ehefrau ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht abgeleitet hat).

Es ist somit zu ermitteln, ob der BF über einen fünfjährigen, grundsätzlich ununterbrochen Zeitraum über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügte und somit zum Zeitpunkt seiner konkreten Straftat im April 2019 allenfalls bereits ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht erworben hatte.

Auch wird die bB zur Ermöglichung einer Beurteilung, ob die Ausweisung des BF womöglich gegen seine Rechte nach Art. 8 EMRK verstoßen könnte, weitere Ermittlungen hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des BF nicht nur in Österreich, sondern auch in Rumänien anzustellen haben, zumal der BF vorbringt, auch seine Tochter und sein Enkelkind würden in Österreich leben.

Schlussendlich wird sich die belangte Behörde auch konkret mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF und dem zugrundliegenden Verhalten im Sinne der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gemäß § 55 Abs. 3 NAG auseinanderzusetzen und eine, den Maßstäben des § 67 Abs. 1 FPG entsprechende Gefährdungsprognose, nämlich, ob das persönliche Verhalten eines Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, durchzuführen haben (vgl. dazu etwa VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049, Rz 17). Dazu wird die bB insbesondere auch die Begleitumstände zu den Taten ermitteln und schlussendlich zu beurteilen haben, ob ein allenfalls vorliegendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd §§ 51 und 52 NAG wegen des Vorliegens einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gemäß § 55 Abs. 3 NAG nicht (mehr) vorliegt.

Ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren der bB im Ergebnis aber, dass der BF in Österreich bereits vor dem Zeitpunkt seiner konkreten Straftat (somit vor 01.04.2019) ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG erworben hat, so hat die bB dann den hier anzuwendenden erhöhten Gefährdungsmaßstab gemäß § 66 Abs. 1 vorletzter und letzter Satz FPG zu beachten, sodass sich in Anbetracht der konkreten Verurteilung im gegenständlichen Fall schon deswegen die Unzulässigkeit der Ausweisung ergeben könnte (vgl. dazu etwa VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/21/0024, Punkt 4.1. ff der

Text


Entscheidungsgründe; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049, Rz 14 ff).

Insgesamt wird sich zumindest eine Einvernahme des BF und auch seiner Ehefrau, allenfalls auch der Tochter, als nötig erweisen, ebenso wie Ermittlungen beim Insolvenzverwalter bzw. dem Insolvenzgericht, der Abfrage des Firmenbuches und des Gewerbeinformationssystems.

Die belangte Behörde wird zu allen relevanten Themenbereichen Feststellungen zu treffen und diese auch nachvollziehbar zu begründen haben.

Die bB wird bei Abspruch über eine allfällige Ausweisung und damit in Zusammenhang stehenden nachfolgende Spruchpunkte auch darauf zu achten haben, dass die diesbezüglichen Aussagen in einer ordnungsgemäßen Einvernahme erfolgen und vom Gericht auch verwertet werden können. Sie wird ihre Entscheidung auch nachvollziehbar zu begründen haben.

Zusammengefasst und in einer Gesamtschau vermochte es die belangte Behörde nicht, ihre Entscheidung tragfähig zu begründen und geht aus der Aktenlage vielmehr hervor, dass die Behörde kein (ordnungsgemäßes) Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.

Im vorliegenden Fall ist schon aufgrund des organisatorischen Aufbaues des Gerichtes und der belangten Behörde und der gesetzlichen Anordnung des § 28 Abs. 2 u 3 VwGVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten oder mit einer wesentlichen Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens im Falle einer Weiterführung des Verfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht zu rechnen.

Im vorliegenden Fall ist vor allem zu beachten, dass die belangte Behörde als „Spezialbehörde“ eingerichtet wurde und es grundsätzlich zu ihren Aufgaben gehört, die für die Beurteilung von Rechtssachen erforderlichen Sachverhalt festzustellen, um überhaupt eine rechtliche Beurteilung zu ermöglichen. Es kann von der bB erwartet werden, dass sie alle notwendigen Ermittlungen durchführt, bevor sie ihren Bescheid erlässt.

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Im weiteren Verfahren wird die belangte Behörde auch die zwischenzeitlich vorgelegten Dokumente (wie etwa die Beilagen zur Beschwerde) sowie die aktuelle Erwerbstätigkeit des BF zu berücksichtigen haben.

Der Vollständigkeit halber sei auch noch auf die Wahrung der Grundsätze des Parteiengehörs hingewiesen.

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der angefochtene Bescheid zu beheben war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. beispielhaft VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/21/0024; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049; VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G315.2239956.1.00

Im RIS seit

18.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten