Entscheidungsdatum
31.05.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G303 2236235-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Bevollmächtigte des Kriegsopfer- und Behindertenverbandes Steiermark, Wielandgasse 14-16/III, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, vom 27.08.2020, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß §§ 1 Abs. 2, 42 Abs. 1 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) idgF sowie § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) brachte durch ihre bevollmächtigte Vertretung am 13.03.2020 über die Zentrale Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) ein. Dem Antrag war ein Konvolut an medizinischen Beweismitteln angeschlossen.
Dieser Antrag gilt entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau das Pflegegeldgutachten vom 16.06.2010 eingeholt, welches mit Schreiben vom 15.05.2020 übermittelt wurde. Des Weiteren wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.
2.1. Im eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 25.06.2020 wird von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der BF am 22.06.2020, zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgehalten, dass die BF in der Lage sei, eine kurze Wegstrecke aus eigener Kraft zurückzulegen sowie wenige Stufen zum Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel zu bewältigen und transportiert zu werden. Leistungen von Psyche, Kognition und Bewegungsapparat seien dafür ausreichend. Die stattgehabte LWK 3 Deckplattenimpressionsfraktur 2018 führe zu keiner höhergradigen Mobilitätseinschränkung im Sinne von diesbezüglich maßgeblich neurologischen Ausfällen.
3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 02.07.2020 wurde der BF zum oben angeführten Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme ein schriftliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG gewährt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.
3.1. Mit Schreiben vom 23.07.2020 teilte die BF im Rahmen ihres Parteiengehörs mit, dass bei ihr ein Zustand nach 4-maliger Knieoperation nach Schienbeinkopfbruch, Prothese, Infekt und Revision 2003/2004 sowie ein chronifiziertes posttraumatisches thoracolumbales Vertebralsyndrom bestehen würde, somit Beschwerden und Schmerzen im Knie und der Wirbelsäule. Die BF sei auf eine analgetische Dauertherapie angewiesen, die Einnahme der Schmerzmittel sei jedoch dahingehend nicht in der benötigten Intensität möglich, da aufgrund der erfolgten Magenoperation die Gefahr von Nebenwirkungen erhöht sei. Durch diese Umstände leide die BF ständig an Schmerzen im gesamten Bewegungsapparat, wodurch ihre Bewegungsfähigkeit stark vermindert sei und sie nicht in der Lage sei kurze Wegstrecken zurückzulegen. Neben den erheblichen Einschränkungen der unteren Extremitäten und der damit verbundenen Einschränkungen beim Aufstehen sowie beim Überwinden von Niveauunterschieden, leide die BF an Schwindel und Gleichgewichtsstörungen, was auf das bestehende Keilbeinflügelmeningeom zurückzuführen sei. Ein sicherer Transport im öffentlichen Verkehrsmittel sei dadurch nicht gewährleistet.
Es wurde ein Befundbericht von Dr. XXXX , Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom 08.07.2020 vorgelegt.
4. Die belangte Behörde ersuchte aufgrund der im Rahmen des Parteiengehörs erstatteten Einwendungen der BF die ärztliche Sachverständige Dr. XXXX um eine ergänzende medizinische Stellungnahme. Die Sachverständige führte in der medizinischen Stellungnahme vom 25.08.2020 aus, dass der eingereichte Befund keine Abänderung des Gutachtens hinsichtlich Diagnosen und der verfahrensgegenständlichen Zusatzeintragung bewirke.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 27.08.2020 wurde der Antrag vom 13.03.2020 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf das oben angeführte ärztliche Sachverständigengutachten von Dr. XXXX und deren ergänzende Stellungnahme. Dieses sei als schlüssig erkannt und der Entscheidung in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt worden. Danach würden die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen.
In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen. Des Weiteren wurden die maßgeblichen Kriterien, welche entsprechend der VwGH-Judikatur für die gegenständliche Zusatzeintragung relevant sind, angeführt.
6. Gegen den oben genannten Bescheid brachte die BF durch ihre bevollmächtigte Vertretung mit Schreiben vom 13.10.2020 Beschwerde ein. Es wurde beantragt, den Bescheid aufzuheben und die Zusatzeintragung der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass vorzunehmen.
Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass aufgrund des Gesundheitszustandes der BF, insbesondere durch das Zusammenwirken der starken Schmerzen aufgrund erosiver Osteochondrose L4/5, alter Deckenplattenimpression L3, Protrusion L4/5 u L5/S1 mit Kontakt zur Nervenwurzel, ISG Blockade rechts sowie der anhaltenden Knieschmerzen nach bereits 4-maliger Knieoperation nach Schienbeinkopfbruch, erhebliche Funktionseinschränkungen des gesamten Bewegungsapparates sowie der unteren Extremitäten bestehen würden. Aufgrund der vielen Voroperationen sei auch eine erneute Revision am rechten Knie nicht indiziert, da die Gefahr der Infektion zu hoch sei. Darüber hinaus komme es zur Einleitung einer intensiveren Schmerztherapie der Stufe 2-3 und erfolge die paravertebrale Infiltration L5 rechts am Hauptschmerzpunkt. Überdies würden aufgrund des Keilbeinflügelmeningeoms Schwindel und Gleichgewichtsstörungen bestehen, wodurch eine deutlich erhöhte Sturzgefahr herrsche, und ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht gewährleistet sei. Als Beweis wurde der Befund von Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie vom 06.10.2020 angeführt und die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Orthopädie beantragt.
7. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 21.10.2020 vorgelegt.
8. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichts ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt.
8.1. Im medizinischen Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 01.12.2020 werden, basierend auf der persönlichen Untersuchung der BF am selben Tag, folgende Gesundheitsschädigungen angeführt:
- Kniegelenksfunktionsstörung beidseits, rechts führend nach mehrmaliger Operation und Endoprothesenimplantation
- Degenerative und posttraumatische Wirbelsäulenveränderung (Deckplattenimpressionsfraktur LWK 3 konservativ 2018)
- Zustand nach Keilbeinmeningeom mit wiederkehrenden Kopfschmerzen und Gangunsicherheit
- Depression mit Angststörung unter Therapie
- Übergewicht trotz stattgehabter Magenbypassoperation
Zur beantragten Zusatzeintragung wurde im Sachverständigengutachten folgendes festgehalten:
Im Zusammenschau sämtlicher orthopädischer Leiden und unter Berücksichtigung der deutlichen psychosomatischen Zusatzkomponente erscheine auf Grund der Schmerzreaktionen das zügige Einsteigen sowie der sichere Transport im Öffentlichen Verkehrsmittel nicht gegeben, obwohl eine relevante Wegstrecke zwar langsam und mit Hilfsmitteln bewältigbar erscheine. Dies werde auch durch die gewährte Pflegestufe 2 untermauert, bei welcher eine Mobilitätshilfe außer Haus gewährt worden sei.
9. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 15.12.2020 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.
9.1. Mit Schreiben vom 15.01.2021 teilte die BF durch ihre bevollmächtigte Vertretung mit, dass zum ärztlichen Beweisverfahren kein Einwand erhoben und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF ist am XXXX geboren und im Besitz eines Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 60 von Hundert.
Die BF leidet an folgenden behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen:
- Kniegelenksfunktionsstörung beidseits, rechts führend nach mehrmaligen Operationen und Endoprothesenimplantation
- Degenerative und posttraumatische Wirbelsäulenveränderung (Deckplattenimpressionsfraktur LWK 3 konservativ 2018)
- Zustand nach Keilbeinmeningeom mit wiederkehrenden Kopfschmerzen und Gangunsicherheit
- Depression mit Angststörung unter Therapie
- Übergewicht trotz stattgehabter Magenbypassoperation
Das Ein- und Aussteigen in beziehungsweise aus einem öffentlichen Verkehrsmittel ist für die BF aufgrund der bestehenden orthopädischen Leiden und der dadurch bedingten Schmerzreaktionen nicht zügig möglich. Zudem besteht eine Gangunsicherheit. Insgesamt ist daher der sichere Transport der BF in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen nicht gewährleistet.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang, die Feststellungen zum Geburtsdatum und zum Besitz des Behindertenpasses ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.
Im seitens des erkennenden Gerichts eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 01.12.2020, welches auf einer persönlichen Untersuchung der BF basiert, wurde auf die Art der Leiden der BF und deren Auswirkungen auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ausführlich, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Die getroffenen Feststellungen diesbezüglich gründen sich darauf.
Aus dem Gutachten lässt sich insbesondere entnehmen, dass sich die orthopädischen Leiden zusammen mit der Schmerzreaktion auf die Mobilität der BF auswirken und dadurch das zügige Einsteigen sowie der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht gegeben sind. Dies wird auch durch die gewährte Pflegestufe 2 untermauert, bei welcher der BF eine Mobilitätshilfe außer Haus gewährt wurde.
Aus Sicht des erkennenden Senates ist aufgrund der vorliegenden Gesamtfunktionseinschränkung der sichere Transport der BF in einem öffentlichen Verkehrsmittel insgesamt nicht gewährleistet, da der übliche öffentliche Verkehrsbetrieb auch ein zügiges Ein- und Aussteigen erfordert und zudem eine Gangunsicherheit bei der BF besteht.
Der Inhalt dieses ärztlichen Sachverständigengutachtens von XXXX Dr. XXXX wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichts im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. Die belangte Behörde erstattete keine Stellungnahme dazu und wurde seitens der BF auf die Erhebung von Einwendungen ausdrücklich verzichtet. Das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten blieb somit im gegenständlichen Verfahren unbestritten und wird der Entscheidung des erkennenden Gerichtes in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung [idgF]) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990 idgF) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen.
Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die ärztliche Begutachtung von XXXX Dr. XXXX basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung der BF. Der Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens wurde zudem von den Verfahrensparteien im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren der BF geklärt erscheint und auch unstrittig ist, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen, da auch von den Verfahrensparteien keine mündliche Verhandlung beantragt und seitens der beschwerdeführenden Partei ausdrücklich auf eine mündliche Verhandlung verzichtet wurde.
Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.
3.2. Zu Spruchteil A):
Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
§ 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).
Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche sowie bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).
Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:
Wie oben unter Punkt II.2 ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte, als nachvollziehbar und widerspruchsfrei gewertete Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX vom 01.12.2020 zugrunde gelegt.
Auch wenn bei der BF keine direkten erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten im Sinne der oben angeführten Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen vorliegen, so ist doch entscheidungsmaßgeblich festzuhalten, dass durch die vorliegenden orthopädischen Gesundheitsschädigungen, die dadurch bedingten Schmerzen und die bestehende Gangunsicherheit die Mobilität der BF eingeschränkt ist.
Die BF verfügt nicht über die Fähigkeit ein öffentliches Verkehrsmittel insgesamt sicher zu benützen, insbesondere ist ihr ein zügiges Ein- und Aussteigen in beziehungsweise aus einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zumutbar.
Da die BF Inhaberin eines Behindertenpasses ist, liegen die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass jedenfalls vor.
Dem steht die demonstrative ("insbesondere") Aufzählung der Fälle in § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, in denen die Feststellung der genannten Unzumutbarkeit gerechtfertigt erscheint, nicht entgegen (vgl. VwGH 09.11.2016, Ra 2016/11/0137; 21.04.2016, Ra 2016/11/0018 zur demonstrativen Aufzählung).
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Vollständigkeitshalber wird angemerkt, dass nunmehr die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) mit der gegenständlichen Entscheidung vorliegen. Die belangte Behörde wird daher in weiterer Folge auch über den noch offenen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO zu entscheiden haben.
3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.
Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G303.2236235.1.00Im RIS seit
23.06.2021Zuletzt aktualisiert am
23.06.2021