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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz betreffend einen türkischen Staatsangehörigen auf Grund mangelhafter Auseinandersetzung mit Länderberichten insbesondere im Hinblick auf die politische Gesinnung bzw. Volksgruppenzugehörigkeit sowie die Erkrankung des Antragstellers; Abweisung des nach Beschwerdeerhebung und Entrichtung der Eingabengebühr gestellten Verfahrenshilfeantrags mangels RückwirkungSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
III. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Kurden, stellte am 8. Februar 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend gab er an, er sei Anhänger der pro-kurdischen politischen Partei HDP und ab 2013 für die Partei bei verschiedenen Veranstaltungen tätig gewesen. Anfang des Jahres 2016 sei er im Zuge von Ermittlungen der türkischen Behörden zu Unrecht mit der PKK in Verbindung gebracht worden. Auf Grund des Verdachtes der Mitgliedschaft des Beschwerdeführers in der PKK sei er festgenommen, in eine Haftanstalt überstellt und erst nach drei erfolglosen Anträgen auf Entlassung im Dezember 2016 unter Auferlegung eines Ausreiseverbotes und einer Meldepflicht vorläufig aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Auf Anraten seines Anwaltes habe er am 2. Februar 2017 nicht am Verhandlungstermin teilgenommen und am 4. oder 5. Februar 2017 den Herkunftsstaat verlassen.
Nach weiteren Ermittlungen türkischer Behörden sei im Oktober 2017 die Oberstaatsanwaltschaft Idil informiert worden, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der bewaffneten Terrororganisation PKK/KCK Bild- und Videoaufnahmen über soziale Medien geteilt habe und er 2016 innerhalb der Struktur der bewaffneten Apparate der Terrororganisation YPS (Zivilverteidigungseinheiten) im Landkreis Idil aktiv gewesen sei.
Am 9. April 2018 habe das Friedens-Strafgericht Idil gegen den Beschwerdeführer einen Haftbefehl wegen des Verdachtes der Gründung und Leitung einer bewaffneten Terrororganisation am 8. September 2017 gemäß Art314 Abs2 des türkischen Strafgerichtsgesetzes erlassen.
2. Mit Bescheid vom 9. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig ist. Ferner setzte es eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise.
3. Mit Erkenntnis vom 9. März 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Wesentlichen aus folgenden Überlegungen als unbegründet ab:
Der Beschwerdeführer, ein Angehöriger der Volksgruppe der Kurden, sei "Anhänger bzw Sympathisant" der pro-kurdischen politischen Partei HDP, demgegenüber sei er aber weder Mitglied noch Sympathisant oder Anhänger der PKK. Dennoch sei er im Rahmen von Ermittlungen türkischer Behörden mit der PKK in Verbindung gebracht und in der Folge mehr als acht Monate in Untersuchungshaft genommen worden. Ferner sei im April 2018 ein Haftbefehl wegen des Verdachtes der Gründung und Leitung einer bewaffneten Terrororganisation erlassen worden. Die Strafverfahren seien noch nicht abgeschlossen, der Ausgang sei ungewiss. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt bzw in der Haft gefoltert werde. Der Beschwerdeführer sei weder auf Grund seiner Zugehörigkeit zur politischen Partei HDP noch auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass ihm im Falle der Rückkehr unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe drohe.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
A. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Selbst angesichts der ausführlichen Begründung der Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht ist für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, wie das erkennende Gericht auf Basis der von ihm der Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationen zu dem Ergebnis kommt, dass dem Beschwerdeführer, einem Kurden mit Naheverhältnis zur politischen Partei HDP, der seitens der türkischen Behörden unter Terrorismusverdacht steht, im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Gefahr einer Verfolgung bzw keine Gefahr von Folter, Misshandlung und menschenunwürdiger Behandlung auf Grund seiner politischen Gesinnung bzw seiner Volksgruppenzugehörigkeit drohe.
2.2. Für den Verfassungsgerichtshof ist weiters nicht nachvollziehbar, wieso das Bundesverwaltungsgericht – mit Blick auf die schwere psychische Erkrankung des Beschwerdeführers und die drohende Inhaftierung im Herkunftsstaat – davon ausgeht, eine Behandlungsmöglichkeit sei im Falle einer Rückkehr gewährleistet.
2.3. Da das Bundesverwaltungsgericht sich mit den getroffenen Länderfeststellungen sohin nicht nachvollziehbar auseinandergesetzt hat, hat es sein Erkenntnis mit Willkür belastet (vgl VfGH 18.6.2020, E1045/2020).
B. Zum Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe:
1. Mit Schreiben vom 20. Mai 2021 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Befreiung der Gebühren sowie der Kosten für die Vertretung für einen Rechtsanwalt ein.
2. Zufolge §64 Abs3 ZPO treten, soweit die Verfahrenshilfe bewilligt wird, die Befreiungen nach §64 Abs1 ZPO mit jenem Tag ein, an dem sie beantragt worden sind; ein weiteres Zurückwirken der Befreiungswirkung ist hingegen nicht vorgesehen.
3. Der Antrag wurde zu einer Zeit eingebracht, in der sämtliche für die Einleitung des vorliegenden Verfahrens notwendigen Verfahrensschritte, die von einem Rechtsanwalt vorgenommen werden müssen (vgl §17 Abs2 VfGG), bereits gesetzt waren und auch die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG entrichtet war. Eine Befreiung von der Entrichtung dieser Gebühr (respektive eine Erstattung derselben) kann nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht mehr nachträglich, also nach Entstehen der Gebührenschuld, beantragt werden (vgl §17a Z3 VfGG sowie zB VfGH 17.4.2002, B1147/01; 28.2.2012, B825/11; 25.2.2020, E3414/2019). Gleiches gilt für die mit der Einbringung verbundenen Kosten für die (frei gewählte) anwaltliche Vertretung, die ebenfalls (deutlich) vor dem Tag der Beantragung der Bewilligung der Verfahrenshilfe entstanden sind (vgl VfGH 25.2.2020, E3414/2019).
4. Für die Vertretung im weiteren Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof – insbesondere für eine allfällige mündliche Verhandlung – besteht kein absoluter, sondern lediglich relativer Anwaltszwang (vgl §17 Abs2 VfGG).
5. Für das weitere Verfahren hat sich die Gewährung von Verfahrenshilfe und insbesondere die Beigebung eines Rechtsanwaltes weder als erforderlich noch als zweckmäßig erwiesen.
6. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist daher abzuweisen (vgl VfSlg 18.749/2009, 19.521/2011, 20.082/2016; VfGH 25.2.2020, E3414/2019).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist keine Folge zu geben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG sowie §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung, VfGH / Verfahrenshilfe, VfGH / AnwaltszwangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E1559.2021Zuletzt aktualisiert am
23.06.2021