TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/19 95/01/0513

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Veröffentlicht am 19.03.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des N in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. August 1995, Zl. 4.343.654/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Zaires, reiste am 5. November 1993 in das Bundesgebiet ein und stellte am 8. November 1993 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner am 9., 11. und 15. November 1993 erfolgten niederschriftlichen Befragung durch das Bundesasylamt gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, er sei seit Dezember 1990 als Journalist bei der Zeitung "XY" tätig gewesen. Er habe auch der PDSC seit dem 26. April 1990 (der Tag der Gründung dieser Partei) angehört. Diese Partei unterstütze die Rückkehr zu moralischen und ethischen Werten, die auf der christlichen Moral basieren. Am 23. und 24. September 1991 sowie im Jänner 1993 hätten Angehörige der Armee in Kinshasa geplündert. Dort hätten sie begonnen, das habe sich jedoch auch in anderen Regionen des Landes fortgesetzt. Seit diesen Vorfällen sei es ersichtlich gewesen, daß Mobutu keine Kontrolle mehr über die Armee habe. Die Armee mache, was sie wolle. Er habe nun mit seinen Artikeln, die am 15. Juni 1993 und am 14. September 1993 veröffentlicht worden seien, versucht das auszudrücken, was das Volk dächte. In diesen Artikeln habe er die Situation in Zaire geschildert und u.a. darin erwähnt, daß es "keine schlechten Truppen gäbe, sondern nur schlechte Chefs". Bei der Veröffentlichung des Berichtes im Juni 1993 habe er lediglich den Namen der Zeitung zum Unterzeichnen benützt, sonst verwende er immer ein Kürzel, das sich aus seinem Namen zusammensetze (Z). Dies habe er auch bei der Veröffentlichung des Berichtes im September 1993 verwendet. Hauptsächlich wegen der Veröffentlichung des Artikels vom 14. September 1993 sei er nunmehr vom Geheimdienst Mobutus gesucht worden. Ein weiterer Grund sei, daß er im Zuge der Parteitätigkeit auch Personen "evangelisiert" habe. Am 16. Februar 1992 habe in Kinshasa der Marsch der Christen stattgefunden, an dem auch er teilgenommen habe. Dabei sei er von Militärs mit einem Gewehrkolben am Hinterkopf verletzt worden. Er habe eine Wunde davongetragen. Zunächst sei er von den Militärs in das Gefängnis Kokolo gebracht, 5 Tage festgehalten und überhaupt nicht versorgt worden. Dann habe seine Familie die Entlassung erreicht, und er sei in der Folge in einer Privatklinik, die einem führenden Parteimitglied gehört habe, behandelt worden. Dort habe man seine Wunde mit neun Stichen genäht. Er habe zwei Wochen in der Klinik bleiben müssen. In dieser Zeit seien die Spitäler vom Geheimdienst durchsucht worden, um die Spuren der Übergriffe "beim Christenmarsch" zu beseitigen. Daher habe man ihn bereits nach 2 Wochen nach Hause geschickt, um ihn dort weiter zu pflegen. Nach etwa fünf bis sechs Monaten habe er dann wieder seine Parteitätigkeit ausüben können. Er sei Parteisekretär mit Zuständigkeit für die Jugend in Kinshasa gewesen. Er selbst habe Evangelisierungskampagnen nicht organisiert, er habe lediglich die von der Partei organisierten Kampagnen auszuführen gehabt. Diese Tätigkeit habe bereits unmittelbar nach der Gründung der Partei begonnen. Im Anfang habe die Regierung nicht richtig wahrgenommen, daß diese Partei eine Gefahr für sie darstelle. Erst in den letzten sechs Monaten sei sie "drauf gekommen" und habe die Organisatoren und die Ausführenden der Kampagnen gesucht. In der Zeit vom 15. bis 20. September 1993 habe er an einem Parteikongreß in Kikwit teilgenommen. Nachdem er bereits am 14. September 1993 den Bericht in der Zeitung veröffentlich gehabt und dann am Kongreß teilgenommen habe, sei er nicht mehr nach Kinshasa zurückgekehrt. Auf dem Weg nach Hause am 21. September 1993 habe ihn sein Bruder in M, einem Vorort von Kinshasa, angehalten und ihm mitgeteilt, daß seine Rückkehr sehr gefährlich sei, da inzwischen in seiner Abwesenheit die Miliz des Geheimdienstes im Hause der Eltern nach ihm gesucht habe. Dies deshalb, weil man einen Satz in seinem Artikel als Kritik an Mobutu gedeutet habe. Da er nicht zu Hause gewesen sei, hätten sie seinen Vater mitgenommen. Er wisse nicht, was mit seinem Vater inzwischen passiert sei. Daraufhin habe er sich bis zum 14. Oktober 1993 in M versteckt gehalten, wobei er von einem Dorfbewohner unterstützt und versorgt worden sei. Am 14. Oktober 1993 sei dann von seinem Bruder die Überfahrt über den Fluß Zaire nach Brazzaville organisiert worden. Auf die Frage, was ihn im Falle der Rückkehr nach Kinshasa erwarte, gab der Beschwerdeführer an, im Moment habe er nicht nur mit Mobutu Schwierigkeiten; er habe auch Probleme mit der ganzen militärischen Hierarchie und den zivilen Behörden aufgrund seiner Artikel. Es sei auf Grund der allgemeinen Lage schon nicht möglich, nach Kinshasa zurückzukehren. Da er nun spezielle Probleme gehabt habe, habe er sein Heimatland verlassen. Derzeit beseitige die Armee einfach Leute, die ihr nicht paßten. Das wäre auch ihm passiert. Würde er zurückkehren, würde man ihn bereits am Flughafen fassen und sofort umbringen, da er mit Sicherheit soweit bekannt sei, daß auch die Grenzbehörden von seiner Identität informiert worden seien. Der Umstand, daß er seinen Bericht im Juni 1993 mit "XY", den im September 1993 jedoch mit seinem Kürzel unterzeichnet habe, sei lediglich eine zeitungsinterne Regelung gewesen und keine Schutzmaßnahme. Auf Frage durch den Vernehmungsbeamten gab der Beschwerdeführer weiters an, als die Miliz des Geheimdienstes in der Nacht vom 17. auf den 18. September 1993 in seinem Elternhaus nach ihn gesucht hätte, hätte diese als Begründung dafür angegeben, daß dies auf Grund seines am 14. September erschienenen Artikels und wegen der Evangelisierungskampagne geschehe.

Mit Bescheid vom 19. November 1993 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers, ihm Asyl zu gewähren, ab.

In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung wendete sich der Beschwerdeführer im wesentlichen gegen die von der Behörde erster Instanz vorgenommene Beweiswürdigung und bestritt im übrigen die von der Behörde erster Instanz zur weiteren Bescheidbegründung herangezogene Annahme der Verfolgungssicherheit in Belgien.

Mit Bescheid vom 1. August 1995 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Sie übernahm dabei das im Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. November 1993 "richtig und vollständig" wiedergegebene Vorbringen des Beschwerdeführers, erhob dieses auch "zum Inhalt" ihres Bescheides und traf folgende Feststellungen:

"Festgestellt wird, daß Sie seit September 1990 als Journalist bei der Zeitung "XY" arbeiteten, wobei Sie im Zuge dieser Tätigkeit zwei kritische Artikel verfaßten, in welchen Sie auch erwähnten, daß es keine schlechten Truppen gäbe, sondern nur schlechte Chefs. Weiters gehörten Sie der Partei "PBSC" seit dem 26.04.1990 an und arbeiteten auch seit damals für diese Partei, indem Sie Evangelisierungskampagnen ausführten. Am 16.02.1992 nahmen Sie an einem Marsch der Christen in Kinshasa teil, wobei Sie von Militärs verletzt und in der Folge 5 Tage lang festgehalten wurden. Schließlich verließen Sie ihre Heimat in der Nacht vom 14. auf

15. Oktober 1993 und begaben sich nach Kongo, wo Sie bis zum 04.11.1993 in Brazzaville aufhältig waren. Von Brazzaville reisten Sie letztlich mit dem Flugzeug über Brüssel nach Wien."

Die Behörde traf im weiteren die negative Feststellung, die "übrigen" vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände könnten nicht festgestellt werden, da seinen diesbezüglichen Ausführungen "die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden" müsse. Bereits die Behörde erster Instanz habe berechtigterweise Zweifel an der Richtigkeit seiner Ausführungen gehegt und die Gründe, weshalb das Vorbringen des Beschwerdeführers teilweise als unglaubwürdig erscheine, ausführlich und objektiv nachvollziehbar dargelegt. Damit schloß sich die belangte Behörde der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes an und kam darauf aufbauend zur Schlußfolgerung, dem Beschwerdeführer sei es "somit" nicht gelungen, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 glaubhaft zu machen, der festgestellte Sachverhalt sei nicht geeignet, seine Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Die Vorfälle anläßlich des Marsches im Februar 1992 seien offensichtlich für seine Ausreise im Oktober 1993 nicht ausschlaggebend gewesen. Auch stellten solche behördliche Übergriffe anläßlich von Veranstaltungen regelmäßig keine gegen konkrete Einzelpersonen gerichtete Maßnahmen dar. Soweit der Beschwerdeführer behördlicher Verfolgung (lediglich) auf Grund seiner journalistischen und politischen Tätigkeit, die er bereits seit dem Jahre 1990 ausgeübt habe, befürchte, sei seine subjektive Furcht nicht wohlbegründet im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991, da eine Verfolgung seiner Person auf Grund des festgestellten Sachverhaltes objektiv nicht nachvollziehbar sei, sodaß er mangels wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht Flüchtling sei. Die belangte Behörde begegnete der Bekämpfung der Beweiswürdigung durch das Bundesasylamt in den Berufungsausführungen des Beschwerdeführers im übrigen damit, die bereits vom Bundesasylamt gehegten Zweifel an der Richtigkeit seiner Darstellung resultierten nicht allein aus dem Umstand, daß er angeblich bereits 6 Monate vor seiner Ausreise von den Behörden gesucht und dennoch als Journalist tätig gewesen sei, vielmehr stünden seine gesamten Schilderungen bezüglich seiner angeblichen Verfolgung "mit der allgemeinen Lebenserfahrung" in Widerspruch. Insbesondere erscheine unglaubwürdig, daß er weder vor noch nach seiner Ausreise aus seiner Heimat Interesse daran gezeigt habe, was seinen Redaktionskollegen widerfahren sei. Auch seine Erklärung, er habe keinen Kontakt zu ihnen aufgenommen, um zu verhindern, daß man seinen Aufenthaltsort erfahre, vermöge nicht zu überzeugen, da eine solche Kontaktaufnahme nicht notwendigerweise mit einer Bekanntgabe des Aufenthaltsortes einhergehe. Die Qualifizierung des vom Beschwerdeführer verfaßten Satzes "Es gibt keine schlechten Truppen, sondern nur schlechte Chefs" als harmlos sei deshalb erfolgt, weil es sich dabei um eine völlig allgemein gehaltene Aussage handle, ohne daß konkrete Personen persönlich angegriffen würden. Daraus sei nicht ableitbar, daß alle diese "Chefs" schlecht wären, zumal er ja auch keine Truppen bzw. Truppenteile konkret bezeichet habe, auf welche dies zuträfe. Die belangte Behörde könne darin jedenfalls keine solche Kritik erkennen, die ein behördliches Vorgehen gegen den Beschwerdeführer wahrscheinlich mache.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat - wie bereits das Bundesasylamt - den Darstellungen des Beschwerdeführers anläßlich der Erstvernehmung teilweise, d.h. hinsichtlich der von ihm versuchten Herstellung der relevanten Zusammenhänge zwischen seiner Tätigkeit als politisch engagierter Journalist und der von ihm behaupteten Verfolgung, keinen Glauben geschenkt, und zwar im wesentlichen mit dem Argument, die von ihm verfaßten Artikel seien entgegen seiner eigenen Einschätzung "harmlos" und kein Grund für die behauptete Verfolgung durch staatliche Behörden, sowie der zeitlichen Diskrepanz zwischen dem Beginn seiner politischen Tätigkeit im Jahre 1990, seiner Verhaftung samt Mißhandlung im Februar 1992 und seiner Ausreise aus seinem Heimatland im Oktober/November 1993.

Zutreffend wehrt sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde gegen die von den Behörden des Verwaltungsverfahrens vorgenommene Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung an sich ist ein Denkprozeß und aus diesem Grunde nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit des Denkvorganges als solchen handelt bzw. darum, ob der Sachverhalt, der in diesem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist. Zutreffend rügt der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang, daß keine der Verwaltungsbehörden sich mit den bereits im Verfahren erster Instanz vorgelegten Artikeln des Beschwerdeführers, auf die sich seine Angaben bezogen haben und die im einzelnen auch Gegenstand der Einvernahme am 15. November 1993 durch das Bundesasylamt gewesen waren, genauer auseinandergesetzt hat. Erst unter Berücksichtigung des Kontextes wird deutlich, daß die vom Beschwerdeführer verfaßten Artikel keineswegs so "harmlos" waren, daß eine mögliche Verfolgungsmotivation der darin kritisierten staatlichen Behörden undenkbar schiene. Insbesondere hätten die Behörden des Verwaltungsverfahrens die im Heimatland des Beschwerdeführers herrschenden derzeitigen politischen Verhältnisse, die mit europäischen Maßstäben im allgemeinen nicht gemessen werden können und deren gesellschaftliche und politische Systeme solchen Maßstäben nicht vergleichbar sind, im Sinne der gebotenen Gesamtschau mitzuberücksichtigen gehabt. Insbesondere bleibt auch die belangte Behörde jegliche Begründung dafür schuldig, warum sie der in den Angaben des Beschwerdeführers deutlich werdenden Eskalation der Verhältnisse in seinem Heimatland nicht Rechnung trägt. Insbesondere hat sie ohne jegliche Begründung auch jenem Teil der Aussage des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit versagt, in der er Plünderungen durch Angehörige der Armee und deren allmählichen Machtgewinn, der ja insgesamt Anlaß für die kritischen Artikel des Beschwerdeführers gewesen war, darzustellen versuchte. Durch stetiges Zunehmen der Gewaltbereitschaft erweist es sich aber auch als keineswegs denkunmöglich, daß die vom Beschwerdeführer seit dem Jahr 1990 ausgeübte Tätigkeit als kritischer Journalist zu einer für ihn erst im September 1993 bedrohlich gewordenen Situation eskaliert war. Insgesamt erweisen sich daher die von den Verwaltungsbehörden zur Beweiswürdigung herangezogenen Argumente als unschlüssig. Dadurch ist die belangte Behörde ihrer Begründungspflicht im Sinne des § 60 AVG nicht in ausreichendem Maße nachgekommen, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 43 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995010513.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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