TE Vwgh Beschluss 2021/5/20 Ra 2021/22/0036

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Veröffentlicht am 20.05.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §47 Abs2
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des I R, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 8. November 2019, VGW-151/079/2059/2018-51, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien wurde die Beschwerde des Revisionswerbers, eines bosnischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. Jänner 2018, mit dem der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ abgewiesen worden war, abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass sich die Entscheidung auf § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 und Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) stützt. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

2        Das Verwaltungsgericht begründete die Abweisung - auf das Wesentliche zusammengefasst - damit, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht vorliege, weil das Einkommen der zusammenführenden Ehefrau des Revisionswerbers von € 613,75 weit unter dem Richtsatz des § 293 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) liege und der Revisionswerber über keine eigenen Einkünfte verfüge. Weiters falle eine Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG zu Ungunsten des Revisionswerbers aus.

3        Der Revisionswerber erhob zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 24. November 2020, E 4621/2019, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

4        Gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes wendet sich die daraufhin erhobene außerordentliche Revision.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit die Annahme des Verwaltungsgerichtes betreffend die Feststellung einer Aufenthaltsehe bestritten.

9        Dazu ist auszuführen, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf die fehlende Leistungsfähigkeit nach § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG stützte, sodass das Vorbringen, das Verwaltungsgericht sei in unvertretbarer Weise von einer Aufenthaltsehe ausgegangen, obwohl der Ehe ein gemeinsames Kind entstamme, ins Leere geht.

10       Gemäß § 47 Abs. 2 NAG ist Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinn des ersten Absatzes der genannten Bestimmung sind, ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.

11       Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Dies ist nach § 11 Abs. 5 NAG dann der Fall, wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und die der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen.

12       Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichtes, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht vorliege, weil das Einkommen der Ehefrau des Revisionswerbers weit unter dem Richtsatz des § 293 ASVG liege und der Revisionswerber über keine eigenen Einkünfte verfüge, wendet sich die Revision nicht.

13       Gemäß § 11 Abs. 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel trotz Ermangelung einer Voraussetzung (fallbezogen) gemäß Abs. 2 Z 4 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist.

14       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung nach § 11 Abs. 3 NAG unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung eines Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen unter Berücksichtigung der im § 11 Abs. 3 NAG genannten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 17.9.2019, Ra 2019/22/0063, Rn. 13, mwN).

15       Weiters brachte der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt zum Ausdruck, dass die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 18.3.2019, Ra 2019/22/0041, Rn. 16).

16       Der Revisionswerber bestreitet nicht die Feststellungen des Verwaltungsgerichtes, wonach kein „dem Allgemeinverständnis entsprechendes Ehe- und Familienleben“ geführt und die Betreuung des gemeinsamen Kindes faktisch zur Gänze alleine von seiner Ehefrau wahrgenommen wird, sich seine Berufserfahrung im Inland „höchstens (wenn überhaupt) auf vereinzelte Aushilfstätigkeiten“ beschränkt, er keine nennenswerte Integration im Inland aufweisen kann und im Herkunftsland seine Eltern und seine vier Geschwister leben, die ihn finanziell unterstützen. Inwiefern die erfolgte Interessenabwägung des Verwaltungsgerichtes im vorliegenden Einzelfall - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - nicht im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, zeigt die Revision nicht auf.

17       In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 20. Mai 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220036.L00

Im RIS seit

21.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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