TE Vwgh Beschluss 2021/5/21 Ro 2020/19/0001

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Veröffentlicht am 21.05.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FlKonv Art1 AbschnA Z2
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des M A, vertreten durch Dr. Matthias Brand, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 4/22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2020, W199 2151994-1/19E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 23. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, in seiner Heimat gebe es keine Sicherheit mehr bzw. er sei dreimal inhaftiert worden.

2        Mit Bescheid vom 9. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3        Gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhob der Revisionswerber eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Darin (und in einer Stellungnahme im Beschwerdeverfahren) brachte er als weiteren Fluchtgrund vor, es bestehe die Gefahr, dass er vom syrischen Regime neuerlich zum Militärdienst einberufen werde.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

5        Das BVwG stellte - soweit hier maßgeblich - zur Lage im Herkunftsstaat fest, nach einem Gesetz von 2008 bleibe ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes Reservist und könne bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Es lägen Berichte vor, wonach die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht werde, wenn der Betreffende besondere Qualifikationen habe. Manche Personen würden zum Reservedienst einberufen, andere nicht. Bei der Einberufung von Reservisten sei das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient worden sei. Reservisten könnten je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Es sei sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen werde.

6        Zur Person des (im Jahr 1968 geborenen) Revisionswerbers stellte das BVwG fest, dieser habe drei Jahre Militärdienst geleistet und diesen im Jahr 1990 abgeschlossen. In Syrien drohe ihm keine Einberufung zum Militär- bzw. Reservedienst. Beweiswürdigend führte das BVwG dazu aus, der Revisionswerber sei zum Entscheidungszeitpunkt 52 Jahre alt und überschreite somit das Alter, bis zu dem Männer zum Reservedienst einberufen werden dürften, um mehrere Jahre. Zwar würden nach den Länderfeststellungen auch Männer im Alter bis zu 50 oder 60 Jahren eingezogen, doch bestünde dafür beim Revisionswerber keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, da im Verfahren nicht hervorgekommen sei, dass dieser über besondere Qualifikationen verfüge, die ihn auch in diesem Alter für die syrische Armee interessant machen würden. Der Revisionswerber habe in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG angegeben, er sei während seines Wehrdienstes „einfacher Soldat“ gewesen.

7        Die Zulässigkeit der Revision begründete das BVwG damit, die Entscheidung über die Revision hänge von der in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantworteten Rechtsfrage ab, ob einem männlichen Drittstaatsangehörigen, der im Herkunftsstaat bereits den Wehrdienst abgeleistet habe und älter als 42 Jahre, aber jünger als 60 Jahre sei, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Einziehung zum Reservedienst drohe (Verweis auf VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0203, einerseits und VwGH 6.9.2018, Ra 2017/18/0055, andererseits). Dabei handle es sich um eine Rechtsfrage, die sich unabhängig vom konkreten Herkunftsstaat stelle.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die zur Zulässigkeit - nach Wiedergabe der Zulassungsbegründung des angefochtenen Erkenntnisses - vorbringt, der Verwaltungsgerichtshof habe „die Rechtsfrage“ bislang nicht einheitlich beantwortet. Im Erkenntnis vom 21. Februar 2017, Ra 2016/18/0203, habe der Verwaltungsgerichtshof „abstrakt“ bejaht, dass Männer im Alter von mehr als 42 Jahren in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zum Reservedienst einberufen werden könnten, im Beschluss vom 6. September 2018, Ra 2017/18/0055, die maßgebliche Wahrscheinlichkeit der Einberufung zum Wehrdienst bezogen auf das individuelle Gefährdungsprofil des damaligen Revisionswerbers hingegen verneint.

9        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

12       Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision darzulegen, wenn er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. VwGH 16.10.2020, Ro 2020/20/0002, mwN).

13       Sowohl in der Zulassungsbegründung des BVwG als auch im Zulässigkeitsvorbringen der Revision wird eine Judikaturdivergenz zwischen dem hg. Erkenntnis vom 21. Februar 2017, Ra 2016/18/0203, und dem hg. Beschluss vom 6. September 2018, Ra 2017/18/0055, behauptet. In beiden Verfahren hatte der Verwaltungsgerichtshof über Revisionen gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten zu entscheiden, welchen jeweils das Vorbringen zu Grunde lag, den bereits älteren Revisionswerbern drohe die Einberufung zum Reservedienst der syrischen Armee. Die behauptete Judikaturdivergenz besteht allerdings nicht:

14       Mit dem Erkenntnis vom 21. Februar 2017 hob der Verwaltungsgerichtshof das in Revision gezogene Erkenntnis wegen eines Begründungsmangels auf, weil sich das BVwG vor dem Hintergrund der von ihm festgestellten Länderinformationen mit der Einberufungssituation in Syrien ausführlicher auseinandersetzen und darlegen hätte müssen, warum es im konkrete Fall davon ausgehe, dass dem damaligen Revisionswerber eine Einberufung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe.

15       Mit dem Beschluss vom 6. September 2018 wies der Verwaltungsgerichtshof die Revision mangels Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG schon deswegen zurück, weil sich die Herkunftsregion des Revisionswerbers nach den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses nicht in den Händen der syrischen Armee befinde. Selbst wenn aber, so der Verwaltungsgerichtshof, die syrische Armee Zugang zu diesen Gebieten hätte, ergäben sich auf dem Boden des Revisionsvorbringens keine Anhaltspunkte dafür, dass das BVwG bei der Beurteilung der für die Einziehung zur syrischen Armee maßgeblichen Wahrscheinlichkeit bezogen auf das individuelle „Gefährdungsprofil“ des Revisionswerbers wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen oder unvertretbar gewichtet hätte.

16       Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung droht (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/01/0442, mwN).

17       Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2018/19/0576, mwN).

18       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472, mwN).

19       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0330; 20.4.2018, Ra 2018/18/0154). Wie der Verwaltungsgerichtshof zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung näher ausgeführt hat, kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 27.11.2018, Ra 2018/14/0050, mwN, sowie neuerlich VwGH Ra 2016/18/0203).

20       Die Prüfung, ob ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht, hat je nach individuellen Umständen des Einzelfalls zu erfolgen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 2.9.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).

21       Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten - auf den jeweiligen Einzelfall bezogen - im genannten Erkenntnis vom 21. Februar 2017 infolge eines Begründungsmangels als rechtswidrig aufgehoben, mit dem genannten Beschluss vom 6. September 2018 die dagegen gerichtete Revision hingegen zurückgewiesen. Dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis bzw. in diesem Beschluss eine (dieselbe) Rechtsfrage, von deren Lösung der Revisionsfall abhängen würde, nicht einheitlich beantwortet hätte, zeigt weder die Zulassungsbegründung des angefochtenen Erkenntnisses noch das (im Wesentlichen gleichlautende) Zulässigkeitsvorbringen der Revision auf.

22       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 21. Mai 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2020190001.J00

Im RIS seit

17.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.07.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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