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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des M in R, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. November 1994, Zl. 4.345.143/1-III/13/94, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. November 1994 wurde der am 22. August 1994 gestellte Asylantrag des Beschwerdeführers - eines mazedonischen Staatsangehörigen, der am 20. August 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist - in Erledigung seiner Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. September 1994 abgewiesen.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Bei seiner unter Beiziehung eines Dolmetschers für die serbokroatische Sprache durchgeführten Vernehmung vor dem Bundesasaylamt am 23. August 1994 hat der Beschwerdeführer - nachdem er erklärt hatte, der serbokroatischen Sprache mächtig zu sein, und er u.a. dahin belehrt wurde, daß seine Aussage die Grundlage für die Entscheidung der Asylbehörden bilde - zu seinen Fluchtgründen folgendes ausgeführt:
"Im Mai 1993 kaufte ich für mein Haus Holz für Wandverkleidungen. Ich kaufte es bei einem Privatmann. Ich wußte aber nicht, daß es gestohlen war. Der Privatmann stahl dieses Holz dem Staat. Deswegen bekam ich Schwierigkeiten in größerem Ausmaß. Ich wurde von der Polizei von zu Hause abgeholt. Ich wurde dort geschlagen und ich mußte gestehen, daß ich dieses Holz gestohlen habe, obwohl das nicht stimmte. Ich verbrachte drei Stunden auf der Polizeistation, wovon ich eineinhalb Stunden mit Gummiknüppeln geschlagen. Ich wurde auch mit Füßen getreten. Ich habe keine sichtbaren Narben. Ich mußte unter Zwang unterschreiben, daß ich das Holz gestohlen habe. Um weiteren Schwierigkeiten zu entgehen, meldete ich mich freiwillig im Oktober 1993 zum Militärdienst. Ich wollte damit eine gerichtliche Verhandlung und eine Geldstrafe verhindern.
Frage: Wieso glaubten Sie, damit eine Gerichtsverhandlung verhindern zu können?
Antwort:
Bei meinem Verhör auf der Polizeistation teilten mir die Polzisten mit, daß ich mit einer Geldstrafe zu rechnen hätte und auch eine gerichtliche Verhandlung erdulden müsse.
Die Frage wird wiederholt.
Antwort:
Ich redete mir ein, daß mir während der Zeit beim Bundesheer mich niemand zu einer gerichtlichen Verhandlung vorführen kann. Ob das wirklich so ist, wußte ich nicht.
Ich desertierte am 3.6.1994 vom Militärdienst. Begonnen hatte er am 15.10.1993.
Frage: Warum desertierten Sie?
Antwort:
Damit ich nicht ins Gefängnis und eine Geldstrafe zahlen muß.
Frage: Warum das?
Antwort:
Im Juli 1993 gab es eine gerichtliche Verhandlung. Ich wurde zu drei Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt. Am 7.10.1993 bekam ich über die Verurteilung ein Papier (AW legt Papier vor). Ich schrieb dann eine Berufung. Diese Berufung wurde mit Schreiben vom 24.3.1994 abgewiesen (AW legt Papier vor). Deswegen bin ich am 3.6.1994 desertiert.
Frage: Warum erst so spät?
Antwort:
Ich hätte meine Strafe erst nach dem Militärdienst verbüßen müssen. Der Militärdienst wäre regulär am 14.6.1994 zu Ende gewesen. Ich wollte die Strafe aber auf keinen Fall verbüßen. Ein Cousin sagte meinem Vater, daß es möglich sein könnte, daß mich die Polizei gleich am 14.6.1994 festnehmen könnte. Der Vater teilte mir telefonisch das mit und riet mir auch zur Flucht. Mein Cousin arbeitet bei der Musterungsstelle. Aus welcher Quelle der Cousin die Information her hatte, weiß ich nicht.
Am 3.6.1994 desertierte ich und flüchtete noch am selben Tag nach Bulgarien.
Frage: Warum wollten Sie die Strafe nicht verbüßen?
Antwort:
Ich wollte nicht für etwas büßen, was ich nicht getan habe.
Andere Gründe habe ich bezüglich meines Asylantrages nicht anzugeben.
Ich habe den Dolmetsch einwandfrei verstanden.
Ende der Niederschrift am 23.08.1994 um 13.55 Uhr.
Mir wurde der Inhalt der Niederschrift vom Dolmetsch zur Kenntnis gebracht und ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen."
Aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten, von der Erstbehörde übersetzten Urteilen des Bezirksgerichtes Delcevo (erste Instanz) und des Bezirksgerichtes Stip (zweite Instanz) ergibt sich, daß der Beschwerdeführer wegen "schweren Raubes" zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten und zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil er zusammen mit einem minderjährigen Mittäter das Fenster des Kinosaals in Kamenica geöffnet und aus dem Gebäude eine Leinwand mit einer Dimension von 6 x 5 m sowie sieben Stoffstreifen in der Größe von 200 cm x 77 cm gestohlen habe. Der Verantwortung des Beschwerdeführers, die Tat sei von einem "X", welcher zur Zeit im Irak oder im Libanon beschäftigt sei, begangen worden, wurde von den Gerichten kein Glaube geschenkt.
Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung nur das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde gelegt, weil sie die Ansicht vertrat, keiner der im § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 angeführten Gründe, aufgrund deren eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen gewesen sei, liege vor. Sie brachte in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiters zum Ausdruck, daß die Erstbehörde in ihrem Bescheid das Vorbringen des Beschwerdeführers richtig zusammengefaßt und entsprechend rechtlich gewürdigt habe und sie die Begründung des Bescheides der Behörde erster Instanz "vollinhaltlich" zum Bestandteil ihres Bescheides erkläre (vgl. zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise u.a. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Oktober 1995, Zl. 95/01/0045).
Der Beschwerdeführer hat bei seiner Vernehmung in erster Instanz mit keinem Wort auch nur andeutungsweise einen Zusammenhang zwischen einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe und der behaupteten Erpressung des Geständnisses sowie der nachfolgenden (angeblich ungerechtfertigten) Verurteilung hergestellt. Er hat auch nicht anklingen lassen, daß die von ihm vorgebrachten Mißhandlungen durch die Polizei einen anderen (etwa politischen) Zweck verfolgt hätten, als ein Geständnis des der Tat verdächtigten Beschwerdeführers zu erlangen.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt die Desertion - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - grundsätzlich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht. Allerdings kann eine darauf zurückzuführende Furcht vor Verfolgung dann asylrechtlich relevant sein, wenn die Einberufung bzw. unterschiedliche Behandlung während des Militärdienstes aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen schärfere Sanktionen drohen (vgl. dazu insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14089/A). Der Beschwerdeführer hat nach dem oben wiedergegebenen Inhalt seiner Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren einen Zusammenhang zwischen seiner Desertion und der deswegen von ihm befürchteten Bestrafung und derartigen Gründen nicht hergestellt.
Es kann daher der Ansicht der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, daß sich aus dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz kein Anhaltspunkt für das Bestehen der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers ergibt.
Der Beschwerdeführer, der in der Berufung eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens nicht geltend gemacht hat, führt aus, er sei der deutschen Sprache kaum mächtig und könne sich ohne geeigneten Dolmetsch nicht ausreichend verständigen. Da der Vernehmung des Beschwerdeführers in erster Instanz nach dem Inhalt der darüber angefertigten Niederschrift ein Dolmetscher für die serbokroatische Sprache beigezogen wurde, gelingt es dem Beschwerdeführer mit diesen Ausführungen nicht, eine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens erster Instanz darzutun.
Der Rüge, die Behörde sei der Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist entgegenzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerber zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 1997, Zlen. 95/01/0147, 0148). Da sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren keine Anhaltspunkte für das Vorliegen anderer als der bereits behandelten Fluchtgründe ergeben, liegt auch dieser geltend gemachte Mangel des Ermittlungsverfahrens erster Instanz nicht vor.
Soweit der Beschwerdeführer rügt, er sei nicht ausreichend "über notwendige Inhalte seines Vorbringens" informiert worden, ist ihm zu entgegnen, daß die in § 13a AVG normierte Manuduktionspflicht die Behörde nicht zur Beratung von Verfahrensparteien in materiell-rechtlicher Hinsicht verpflichtet (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, S. 180, E 1 zu § 13a AVG zitierte hg. Rechtsprechung).
Da sich auch aus der Aktenlage weder eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren noch ein anderer Grund für die Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 ergibt, hat die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 zu Recht auf das Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren nicht Bedacht genommen.
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer somit mangels dessen Flüchtlingseigenschaft zu Recht kein Asyl gewährt. Die Beschwerde erweist sich schon aus diesem Grund als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war, ohne auf die Frage einzugehen, ob (die Erstbehörde und damit auch) die belangte Behörde überdies zu Recht vom Ausschließungsgrund der Verfolgungssicherheit gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 Gebrauch gemacht hat.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995010039.X00Im RIS seit
20.11.2000