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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
ASVG §293Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Schwarz und Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revisionen 1. der A S, 2. der O S, und 3. der M S, alle vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien vom 1. Juli 2019, Zlen. 1. VGW-151/094/6840/2019-7, 2. VGW-151/094/7632/2019 und 3. VGW-151/094/7633/2019, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Revisionswerberinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit den angefochtenen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtes Wien wurden die Beschwerden der Revisionswerberinnen, alle nigerianische Staatsangehörige, gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Wien, mit denen ihre Anträge auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot -Karte plus“ nach § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) jeweils (ua.) gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 iVm § 11 Abs. 2 Z 2 (NAG) abgewiesen worden waren, abgewiesen. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
2 Begründend stellte das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung fest, der zusammenführende Ehegatte der Erstrevisionswerberin und Vater der Zweit- und Drittrevisionswerberinnen, verfüge über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“. Der Zusammenführende bringe monatlich insgesamt € 1.977,40 ins Verdienen. Dieser Betrag setze sich zusammen aus einer Beschäftigung im Ausmaß von 40 Wochenstunden bei der S GmbH für € 1.487,40 (inklusive Urlaubs- und Weihnachtsgeld) netto monatlich zusätzlich einer Beschäftigung im Ausmaß von fünfzehn Wochenstunden bei A für € 490,- netto monatlich. Der zusammenführende Ehemann und Vater habe bis zum 20. April 2020 eine monatliche Kreditrate von € 121,19 zu bezahlen. Unter Einberechnung von angeführten monatlichen Fixkosten würden sich die monatlichen Gesamtausgaben daher auf € 647,50 belaufen.
3 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, die Revisionswerberinnen hätten mit dem Einkommen des Ehemannes bzw. Vaters keine ausreichenden finanziellen Mittel nachweisen können, sodass das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG vorliege. Gemäß § 11 Abs. 5 NAG iVm § 293 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) betrage der zu erreichende Richtsatz für ein Ehepaar mit zwei Kindern € 1.398,97 plus € 287,94 (für ein Kind je € 143,98), somit insgesamt € 1.686,91. Zu diesem Betrag seien regelmäßige Aufwendungen in der Höhe von € 647,50 hinzuzurechnen und der Wert der freien Station in der Höhe von € 294,65 abzuziehen. Das ergebe einen erforderlichen Betrag von € 2.039,76. Das festgestellte monatliche Einkommen des Ehemannes bzw. Vaters der Revisionswerberinnen in der Höhe von € 1.977,40 unterschreite den notwendigen Betrag demnach um € 62,36.
4 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
5 Die Revisionswerberinnen führen in der Zulässigkeitsbegründung ua. aus, das Verwaltungsgericht habe zwar festgestellt, dass der zusammenführende Ehemann und Vater der Revisionswerberinnen € 490,- monatlich netto bei A verdiene, dabei allerdings das zustehende Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht aliquot berücksichtigt. Unter Einberechnung des 13. und 14. Monatsgehaltes verdiene der Zusammenführende € 574,-, sodass keine Unterschreitung des notwendigen Betrages von € 2.039,75 vorliege.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen zulässig und begründet.
8 Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn sein Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Dies ist nach § 11 Abs. 5 NAG dann der Fall, wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen, wobei allerdings einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt bleibt.
9 Gemäß § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG beträgt der Richtsatz im Jahr 2019 für im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegatten € 1.398,97 und gemäß § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG für jedes weitere Kind € 143,97. Bei einem geplanten gemeinsamen Haushalt ist unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen zu prüfen, ob das Haushaltsnettoeinkommen diesen Haushaltsrichtsatz erreicht (vgl. VwGH 17.6.2019, Ra 2019/22/0055, mwN).
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Errechnung des monatlichen Nettoeinkommens auch das 13. und 14. Gehalt zu berücksichtigen (vgl. schon VwGH 27.9.2010, 2009/22/0041). Dies hat das Verwaltungsgericht bei der Berechnung des Nettoeinkommens des Zusammenführenden aus seiner Tätigkeit bei A nicht beachtet. Wie die Revisionswerberinnen zutreffend ausführen, ergäbe die aliquote Einrechnung des 13. und 14. Monatsgehaltes keine Unterschreitung des erforderlichen Haushaltsrichtsatzes.
11 Weiters wird darauf hingewiesen, dass selbst die Unterschreitung des erforderlichen Richtsatzes nicht in jedem Fall zur Folge hat, dass der Aufenthalt der Revisionswerberinnen zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG führen könnte (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2018/22/0260, mwN). Die Unterschreitung des vorgegebenen Mindesteinkommens darf nicht ohne konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Antragstellers die Ablehnung der Familienzusammenführung zur Folge haben (vgl. EuGH 4.3.2010, Chakroun, C-578/08, Rn. 48). Bei der so gebotenen individuellen Prüfung, ob der Lebensunterhalt trotz Unterschreitens der gesetzlich normierten Richtsätze gesichert ist, ist der Umstand, dass der Richtsatz nur geringfügig unterschritten wird, ebenso beachtlich wie niedrige Mietkosten. Kann der Antragsteller nachweisen, dass er trotz einer (geringfügigen) Unterschreitung dieses Referenzbetrages ohne Inanspruchnahme des Sozialhilfesystems über die nötigen Mittel zur Deckung der Kosten für seinen Unterhalt verfügt, ist das Erfordernis des Nachweises der „nötigen Mittel“ als erfüllt anzusehen (vgl. VwGH 10.12.2019, Ra 2018/22/0288, und 25.5.2020, Ra 2019/22/0151, jeweils mwN).
12 Angemerkt wird weiters, dass der Landeshauptmann die Anträge der Revisionswerberinnen auch wegen Fehlen einer ortsüblichen Unterkunft abgewiesen hatte. Das Verwaltungsgericht hat keine Feststellungen zur Orts(un)üblichkeit der Unterkunft getroffen und die Abweisung der Anträge lediglich auf den Versagungsgrund der fehlenden Unterhaltsmittel nach § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG gestützt. Das angefochtene Erkenntnis beruht somit auch nicht auf einer tragfähigen Alternativbegründung (vgl. dazu VwGH 30.3.2020, Ra 2019/22/0210).
13 Es war daher bereits aus den angeführten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
14 Der Ausspruch über den Kostenersatz - im begehrten Umfang - gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 25. Mai 2021
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019220157.L00Im RIS seit
21.06.2021Zuletzt aktualisiert am
21.07.2021