Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des L V in W, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 13. Jänner 2021, Zl. VGW-102/076/4546/2020-39, VGW-102/076/4548/2020, betreffend Maßnahmen- und Richtlinienbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem SPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde - soweit vorliegend durch die Revision angefochten - die Beschwerde des Revisionswerbers wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt durch die Aufforderung eines Organs der Landespolizeidirektion Wien (LPD) am 7. März 2020 an einem näher bezeichneten Ort in 1010 Wien, seine Aufnahmen auf seiner Kamera zu löschen („Amtshandlung B“), zurückgewiesen (Spruchpunkt 1.).
Weiters wurde die Richtlinienbeschwerde des Revisionswerbers gemäß § 89 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) wegen Verletzung von § 5 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 der Richtlinien-Verordnung (RLV) wegen der Nichtdokumentation der Aufforderung eines Organs der LPD, seine Aufnahmen auf seiner Kamera zu löschen („Amtshandlung B“), sowie dessen Äußerung „wurscht“ bzw. „scheißegal“ im Zusammenhang mit dieser Amtshandlung abgewiesen (Spruchpunkt 3.).
Die Revision wurde für unzulässig erklärt (Spruchpunkt 5.).
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung aus, das Beweisverfahren habe ergeben, die festgestellte, in ziviler Kleidung erfolgte Aufforderung des Revierinspektors X, die Aufnahmen (seiner Person) auf der Kamera zu löschen, sei nicht in Ausübung einer Staatsfunktion, sondern als Privatperson und somit nicht in Ausübung der Vollziehung einer gesetzlichen Bestimmung als Organ der LPD geäußert worden. Mangels Ausübung von „imperium“ fehle es an einem tauglichen Gegenstand eines Maßnahmenbeschwerdeverfahrens. Daher könne auch eine Verletzung der RLV nicht festgestellt werden.
3 Gegen „Spruchpunkt 1, sowie Spruchpunkt 2.3,“ [mangels eines Spruchpunktes 2.3 im angefochtenen Erkenntnis offenbar gemeint: Spruchpunkt 3.] „soweit auf die Verletzung der Dokumentationspflicht hinsichtlich der ‚Amtshandlung B‘ bezogen“ dieses Erkenntnisses erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis sei von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Amtswegigkeit des Ermittlungsverfahrens und zum Vorliegen eines Aktes verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt abgewichen bzw. fehle Rechtsprechung, ob es bei der Frage, ob ein Verhalten eines Organs einer Verwaltungsbehörde zuzurechnen oder als private Handlung zu qualifizieren sei, auf den Anschein ankomme.
8 Die Herangehensweise des Verwaltungsgerichts eröffne „Spielraum für willkürliches Handeln durch in Zivil tätige Behörden-Organe, zumal diese ihr Handeln dem Rechtsschutzinstrument der Maßnahmen- und Richtlinienbeschwerde ohne weiteres entziehen könnten, indem sie in Abrede stellen, im Rahmen ihrer Funktion als Beamt_in tätig geworden zu sein“. Das Verwaltungsgericht hätte nach weiteren Ermittlungen feststellen müssen, dass die Handlungen des Zeugen X im Rahmen dessen polizeilicher Tätigkeit gesetzt worden seien. Bei „einer nicht gänzlich isolierten Betrachtung“ der Situation (Verweis auf VwGH 29.9.2009, „Ra 2008/18/0688“; in der Nähe des Vorfallortes habe eine Demonstration stattgefunden, bei der offensichtlich auch „Polizist_innen“ in Zivil tätig gewesen seien) hätte das Verwaltungsgericht davon ausgehen müssen, dass X in seiner Funktion als Polizist tätig geworden sei.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP, 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 12.4.2021, Ra 2020/01/0194, mwN).
10 Fallbezogen hat das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Einvernahme von Zeugen, darunter auch des X, sowie aufgrund des vom Revisionswerber beigebrachten Videos festgestellt, dass die Aufforderung des X nicht als Organ der LPD, sondern als Privatperson geäußert worden ist. Dass das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat, zeigt die Revision nicht auf.
11 Daran ändert auch der Hinweis auf VwGH 29.9.2009, 2008/18/0687-0688, nichts, weil der Verwaltungsgerichtshof dort (vor Einführung des Revisionsmodells) das Vorliegen einer Maßnahme einzelfallbezogen beurteilte.
12 Soweit die Revision Rechtsprechung zum Vorliegen eines Aktes der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vermisst, genügt es, auf die hiezu ergangene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen. Ob es sich um eine Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gehandelt hat, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes (vgl. zu allem VwGH 7.9.2020, Ro 2020/01/0010, Rn. 29 und 32, mwN, und dem Verweis auf die Rolle des Verwaltungsgerichtshofes im Revisionsmodell).
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 26. Mai 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010162.L00Im RIS seit
18.06.2021Zuletzt aktualisiert am
14.07.2021