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41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des M H A, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Pfarrplatz 17, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 2020, W215 2168869-1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias aus der Region Hiiraan im Bundesstaat Hirshabelle, stellte am 7. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, die al-Shabaab habe ihn zwangsrekrutieren wollen. Nachdem er sich ihnen entzogen habe, hätten sie ihn eingesperrt und gefoltert.
2 Mit Bescheid vom 5. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, das Fluchtvorbringen sei nicht glaubwürdig. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das BVwG aus, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung iSd. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgesetzt wäre. Der Revisionswerber könne nach Mogadischu zurückkehren. Die Situation sei dort nicht so, dass jeder Mensch in der Stadt automatisch einem Risiko iSd. Art. 3 EMRK ausgesetzt sei. Die Versorgungslage sei in Mogadischu nicht so schlecht, dass der Revisionswerber, welcher dem dort dominanten Clan angehöre, „automatisch von Unterernährung“ betroffen wäre. Als junger, gesunder Mann gehöre der Revisionswerber keiner vulnerablen Personengruppe an, weswegen er auf Grund der angespannten Versorgungslage nicht einer als unmenschlich oder erniedrigend zu bezeichnenden Lebenssituation ausgesetzt wäre. Es bestehe kein „real risk“ einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Zu Spruchpunkt I.:
7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, die Beweiswürdigung in Bezug auf das Fluchtvorbringen sei unvertretbar.
8 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0712, mwN).
9 Das BVwG ist nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft hat, zu dem Ergebnis gekommen, das Fluchtvorbringen sei unglaubwürdig und begründete dies im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen nicht plausibel und gesteigert worden sei sowie Widersprüche zwischen den Angaben des Revisionswerbers im verwaltungsbehördlichen Verfahren und dem Verfahren vor dem BVwG bestünden.
10 Die Revision legt nicht dar, dass diese Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.
11 Die Revision war daher, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, mangels Darlegung einer Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Zu Spruchpunkt II.:
12 Zulässig und begründet ist die Revision jedoch, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wendet.
13 Das BVwG legte seiner Entscheidung in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erkennbar die Annahme zu Grunde, der Revisionswerber könne zwar nicht in seine Heimatregion, aber in die Hauptstadt Mogadischu zurückkehren, ging also davon aus, dass dem Revisionswerber dort eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe.
14 Dem Konzept der innerstaatlichen Fluchtalternative liegt der subsidiäre Charakter des internationalen Schutzes zugrunde, wonach ein Asylwerber dann nicht als schutzbedürftig anzusehen ist, wenn für ihn die Möglichkeit besteht, in einem Teil seines Herkunftsstaates Schutz zu finden. Es beruht auf einer Unterscheidung zwischen der Heimatregion eines Asylwerbers und einem anderen Teil des Herkunftslandes und spiegelt den Umstand wieder, dass ein Asylwerber, der nicht in seine Heimatregion zurückkehren kann, in der Regel in einem Gebiet einer vorgeschlagenen innerstaatlichen Fluchtalternative nicht über dieselben finanziellen und infrastrukturellen Ressourcen sowie lokale Kenntnisse und soziale Netzwerke verfügen wird, wie an seinem Heimatort und somit eine zusätzliche Prüfung stattzufinden hat, ob die Ansiedelung in dem vorgeschlagenen Gebiet auch zumutbar ist (vgl. näher VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192, mwN).
15 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterscheidet § 11 AsylG 2005 nach seinem klaren Wortlaut zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Zum anderen setzt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraus, dass dem Betroffenen der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001; ausführlich nochmals VwGH Ra 2019/19/0192).
16 Im Revisionsfall beurteilte das BVwG die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mogadischu ausschließlich danach, ob für den Revisionswerber eine Rückkehr dorthin eine reale Gefahr iSd. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bedeuten würde, legte seiner rechtlichen Beurteilung aber nicht das Kriterium der Zumutbarkeit im Sinne der zuvor dargestellten Rechtsprechung zu Grunde und traf auf Grundlage dieser verfehlten Rechtsansicht keine ausreichenden Feststellungen über die zu erwartende Lage des Revisionswerbers (vgl. zu einem ähnlichen Fall VwGH 21.4.2020, Ra 2019/19/0466).
17 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten sowie die rechtlich darauf aufbauenden Aussprüche, die ihre Grundlage verlieren, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
19 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 4 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 27. Mai 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190115.L00Im RIS seit
21.06.2021Zuletzt aktualisiert am
06.07.2021