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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AlVG 1977 §25 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des P F in W, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das am 13. November 2020 mündlich verkündete und am 30. November 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. W238 2220000-1/15E, betreffend Widerruf der Zuerkennung und Rückforderung von unberechtigt empfangener Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Wagramer Straße), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Beschwerdeweg nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Widerruf der Zuerkennung der Notstandshilfe an den Revisionswerber für im Einzelnen genannte Zeiträume im Jahr 2016 gemäß § 24 Abs. 2 iVm § 38 AlVG aus. Aufgrund eines rechtskräftigen Bescheides der Österreichischen Gesundheitskasse vom 17. Februar 2020 stehe nachträglich fest, dass der Revisionswerber von 1. März 2016 bis 30. April 2016 nicht in einem geringfügigen, sondern in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis zur S GmbH gestanden und deshalb in diesem Zeitraum gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm § 12 Abs. 3 lit. a AlVG nicht arbeitslos gewesen sei. Unmittelbar im Anschluss daran sei er geringfügig bei demselben Dienstgeber beschäftigt gewesen und gelte daher gemäß § 12 Abs. 3 lit. h AlVG auch während der übrigen Zeiträume seines Notstandshilfebezuges im Jahr 2016 nicht als arbeitslos.
5 Außerdem sprach das BVwG aus, der Revisionswerber habe gemäß § 25 Abs. 1 iVm § 38 AlVG wegen Verschweigung maßgeblicher Tatsachen den in diesen Zeiträumen angefallenen Übergenuss von Notstandshilfe in der Höhe von € 4.271,80 zu ersetzen. Der Revisionswerber habe im Zuge der Stellung des Antrags auf Notstandshilfe im Jahr 2015 angegeben, er sei mit einem Einkommen von 400 € geringfügig beschäftigt. Tatsächlich seien dem Revisionswerber von der S GmbH ab März 2016 ein Lohn von 410 € pro Monat sowie im März und April 2016 zusätzlich für einzelne Dienste als „Aufwand Hund“ bezeichnete Beträge von 36 € bzw. 24 € - insgesamt laut Abrechnungsbelegen im März 2016 742 € und im April 2016 936 € - ausbezahlt worden, wobei die monatliche Geringfügigkeitsgrenze im Jahr 2016 415,72 € betragen habe. Für den Revisionswerber wäre es nahegelegen, sich nicht auf die Auskunft des Arbeitgebers, die zusätzlichen Zahlungen seien „steuerfrei“, zu verlassen, sondern in Erfüllung der Anzeigepflicht gemäß § 50 Abs. 1 AlVG die zusätzlichen Zahlungen der Behörde, die über den (weiteren) Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu entscheiden habe, zu melden. Der Revisionswerber habe die Verletzung der Meldepflicht - die für den ungerechtfertigten Leistungsbezug auch kausal gewesen sei - zumindest billigend in Kauf genommen (Eventualvorsatz).
6 Die dagegen (der Sache nach nur gegen die Verpflichtung zur Rückzahlung des Übergenusses) gerichtete außerordentliche Revision bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der zufolge der vom BVwG herangezogene Tatbestand des § 25 Abs. 1 AlVG („Verschweigen maßgeblicher Tatsachen“) zumindest dolus eventualis erfordere. Das Vorliegen eines solchen bedingten Vorsatzes habe das BVwG zu Unrecht angenommen, zumal die Feststellung, der Revisionswerber habe eine Verletzung der Verpflichtung, der Behörde die vom Arbeitgeber zusätzlich zum Lohn bezahlten, als „Aufwand Hund“ bezeichneten Beträge zu melden, billigend in Kauf genommen, auf einer fehlerhaften Beweiswürdigung bzw. einer bloßen Scheinbegründung beruhe. Selbst wenn man einen Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verneinen würde, läge eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgrund der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Meldepflicht bei Änderung wirtschaftlicher Verhältnisse vor.
7 Der Behauptung, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, ist zu erwidern, dass sich das BVwG zunächst auf die ständige Rechtsprechung (vgl. etwa VwGH 16.2.2011, 2007/08/0150, mwN) stützte, wonach die Verletzung der Meldepflicht nach § 50 Abs. 1 AlVG die Annahme einer Verschweigung maßgebender Tatsachen im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG und somit die Rückforderung des unberechtigt Empfangenen rechtfertige, wobei dieser Tatbestand - wie aus der Gegenüberstellung der einzelnen Tatbestände des § 25 Abs. 1 AlVG folge - zumindest bedingten Vorsatz (dolus eventualis) voraussetze. Was das Vorliegen einer Verletzung der Meldepflicht nach § 50 Abs. 1 AlVG betrifft, bezog sich das BVwG etwa auf die Entscheidung VwGH 26.11.2008, 2005/08/0149, der zufolge ein Leistungsbezieher der Behörde eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse auch dann zu melden habe, wenn diese seiner Auffassung nach den Anspruch auf eine Leistung der Arbeitslosenversicherung nicht zu beeinflussen vermöge. Bei den zusätzlich zum Lohn ausbezahlten, als „Aufwand Hund“ bezeichneten Beträgen habe es sich eindeutig um eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse gehandelt; die Beurteilung, ob die Beschäftigung des Revisionswerbers vor diesem Hintergrund (noch) als geringfügig zu werten oder ob der Zustand der Arbeitslosigkeit beseitigt sei, könne nicht dem Empfänger der Leistung anheimgestellt sein, sondern unterliege ausschließlich der Behörde (Hinweis auf VwGH 20.4.2005, 2004/08/0073). Der Revisionswerber sei vor diesem Hintergrund auch nicht durch die Nachfrage bei seinem Arbeitgeber (und die erteilte Auskunft, diese Beträge seien „steuerfrei“) von der Verpflichtung entbunden gewesen, der Behörde zur Vornahme der erwähnten Prüfung sämtliche zusätzliche Zahlungen des Arbeitgebers zu melden. Die Annahme des Vorliegens von dolus eventualis (also des billigenden In-Kauf-Nehmens, das sich nur auf die Verletzung der Meldepflicht beziehen muss, vgl. VwGH 30.1.2018, Ra 2017/08/0125) stützte das BVwG auch auf die - disloziert in der rechtlichen Würdigung getroffene, von der Revision nicht bestrittene - Feststellung, der Revisionswerber sei bereits im Antragsformular darauf hingewiesen worden, als Notstandshilfebezieher jede Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse bis spätestens eine Woche nach Eintritt des Ereignisses bekannt geben zu müssen. In der - insgesamt nicht als unschlüssig zu erkennenden - Beweiswürdigung hält das BVwG außerdem fest, der Revisionswerber habe noch während der Verhandlung vor dem BVwG angegeben, er habe regelmäßig vor der belangten Behörde sein Einkommen angegeben bzw. Lohnabrechnungen vorgelegt, was sich durch den Inhalt des Behördenaktes jedoch nicht habe bestätigen lassen, aber für die Kenntnis des Revisionswerbers von seiner Verpflichtung zur Meldung der Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse spreche. Insgesamt liegt vor diesem Hintergrund die behauptete Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht vor.
8 Die Revision sieht eine Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung darin, dass nach den Entscheidungen VwGH 7.9.2020, Ra 2016/08/0062, VwGH 6.7.2011, 2008/08/0093, und VwGH 20.4.2005, 2004/08/0073 - anders als nach den vom BVwG herangezogenen Entscheidungen - die Verletzung der Meldepflicht nach § 50 Abs. 1 AlVG nur „in der Regel“ die Annahme einer Verschweigung maßgebender Tatsachen im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG rechtfertige. Aus dieser Beifügung kann aber keine Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung abgeleitet werden. Sie bringt nur zum Ausdruck, dass die Umstände der Meldepflichtverletzung und insbesondere ihre Vorsätzlichkeit jeweils im Einzelfall zu beurteilen sind, wie es auch im vorliegenden Fall in zumindest vertretbarer Weise erfolgt ist. Auf das Vorbringen, im Erkenntnis VwGH 11.7.2012, 2010/08/0088, habe der Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Meldepflicht „auf das Antragsformular und auf das, was ein durchschnittlicher Notstandshilfebezieher erkennen kann, abgestellt“, ist zu antworten, dass der damals zu beurteilende Sachverhalt mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar ist. Soweit die Revision den vom BVwG herangezogenen Entscheidungen schließlich die Entscheidung VwGH 19.9.2007, 2006/08/0315, als vermeintlich widersprüchlich gegenüberstellt, weist sie selbst darauf hin, dass es dort um einen anderen der Tatbestände des § 25 Abs. 1 AlVG (nämlich „unwahre Angaben“) ging.
9 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 28. Mai 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021080008.L00Im RIS seit
21.06.2021Zuletzt aktualisiert am
21.07.2021