Index
E3L E05202020Norm
AVG §66 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des M S in S, vertreten durch die Draxler Rexeis Sozietät von Rechtsanwälten OG in 8020 Graz, Nikolaiplatz 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 8. Oktober 2019, Zl. LVwG-2019/29/1431-9, betreffend eine Übertretung nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Kufstein), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 1. Aus dem Akteninhalt ergibt sich folgender Verfahrensverlauf:
2 1.1. Am 8. Juli 2018 führte die Finanzpolizei Kufstein/Schwaz auf einem näher bestimmten Parkplatz Schwerpunktkontrollen betreffend allfällige Übertretungen des LSD-BG durch. Sie stellte am 28. August 2018 einen Strafantrag an die belangte Behörde wider den Revisionswerber als verantwortliches Organ der JK s.r.o. mit der Begründung, ein LKW-Fahrer dieses Unternehmens habe anlässlich der durchgeführten Kontrolle keinen Arbeitsvertrag vorlegen können.
3 Die belangte Behörde forderte den Revisionswerber am 12. November 2018 zur Rechtfertigung auf, wobei diesem eine Verwaltungsübertretung gemäß § 28 Z 1 iVm. § 22 Abs. 1 und 1a LSD-BG zur Last gelegt wurde, weil er es als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der JK s.r.o. zu verantworten habe, dass der Arbeitsvertrag oder Dienstzettel nicht im Fahrzeug bereitgehalten worden sei.
4 Mit schriftlicher Rechtfertigung vom 8. Februar 2019 hat der Revisionswerber die ihm mit Aufforderung der belangten Behörde vom 12. November 2018 zur Last gelegte Tathandlung bestritten, der Arbeitsvertrag bzw. Dienstzettel des Arbeitnehmers sei nicht im Fahrzeug bereitgehalten worden. Sowohl Lohnunterlagen als auch der gegenständliche Dienstvertrag seien im Fahrzeug vorhanden gewesen.
5 1.2. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 13. Mai 2019 wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe es als gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der JK s.r.o. mit Sitz in der Slowakischen Republik zu verantworten, dass bei einer durchgeführten Kontrolle der einen näher genannten Arbeitnehmer dieses Unternehmens - einen KFZ-Lenker - mit rumänischer Staatsangehörigeneigenschaft betreffende Arbeitsvertrag oder Dienstzettel nicht in dem von dem Arbeitnehmer gelenkten Kraftfahrzeug bereitgehalten oder vor Ort unmittelbar in elektronischer Form zugänglich gemacht worden sei. Wegen dieser Übertretung des LSD-BG wurde über den Revisionswerber gemäß § 28 Z 1 iVm. § 22 Abs. 1a LSD-BG eine Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. In der Begründung hielt die belangte Behörde fest, dass zum Kontrollzeitpunkt kein Arbeitsvertrag habe vorgelegt oder in elektronischer Form habe zugänglich gemacht werden können.
6 1.3. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht). Im Beschwerdeverfahren brachte er zusammengefasst vor, dass Arbeitgeberin des im Straferkenntnis genannten KFZ-Lenkers nicht die JK s.r.o., sondern vielmehr eine Personalüberlasserin, die TT Ltd. mit Sitz in der Republik Zypern, gewesen sei. Es seien sämtliche Lohnunterlagen im Kraftfahrzeug bereitgehalten worden.
7 2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Revisionswerbers - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - lediglich dahingehend Folge, dass die verhängte Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafe herabgesetzt wurde; der Schuldspruch wurde damit bestätigt. Die Erhebung einer ordentlichen Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
8 2.2. Seiner Entscheidung legte das Verwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - folgende Sachverhaltsfeststellungen zu Grunde:
9 Bei einer Kontrolle durch die Finanzpolizei Kufstein/Schwaz am 8. Juli 2018 sei auf dem Parkgelände einer näher beschriebenen Tankstelle ein auf die Firma JK s.r.o. zugelassener LKW kontrolliert worden. Der Lenker des LKW sei zu diesem Zeitpunkt Arbeitnehmer der TT Ltd. mit Sitz in der Republik Zypern gewesen, welche ihn zum Tatzeitpunkt an die JK s.r.o. überlassen habe. Die JK s.r.o. habe diesen - ihr überlassenen - Arbeitnehmer am 8. Juli 2018 nach Österreich entsandt. Anlässlich der Kontrolle habe der Lenker einen Dienstvertrag mit der TT Ltd. vorgelegt, der Angaben zu den Personalien der Arbeitgeberin und des Arbeitnehmers, zum Beginn des Arbeitsverhältnisses, zum Einsatzort, zur Art der Tätigkeit, zum Gehalt samt Zulagen, zur Arbeitszeit und zum Urlaubsanspruch enthalten habe. Der Revisionswerber sei zum Tatzeitpunkt handelsrechtlicher Geschäftsführer der JK s.r.o. gewesen.
10 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, der vom Lenker mitgeführte Dienstvertrag habe nicht den Anforderungen des § 22 Abs. 1 LSD-BG entsprochen. Diese Bestimmung normiere, dass nicht „nur irgendein“ Arbeitsvertrag, sondern ein solcher mitgeführt bzw. bereitgehalten werden müsse, welcher die wesentlichen Punkte betreffend die Informationspflicht des Arbeitnehmers iSd. Art. 2 der Richtlinie des Rates vom 14. Oktober 1991 über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen ([91/533/EWG]) enthalte. Insofern als in dem bereitgehaltenen Dienstvertrag Angaben über die Länge der Kündigungsfrist sowie die Dauer der im Ausland ausgeübten Tätigkeit gefehlt hätten, habe dieser nicht sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Ferner habe der Dienstvertrag keinen Hinweis auf die Tatsache und die Dauer der Überlassung enthalten. Die Angabe betreffend die Arbeitskräfteüberlassung sei jedoch ein wesentlicher Vertragsbestandteil, weil diese dazu diene, festzustellen, ob eine ordnungsgemäße Entlohnung erfolge.
11 Aufgrund des Umstandes, dass der vom Lenker mitgeführte und vorgelegte Arbeitsvertrag sohin nicht sämtlichen Vorgaben der Informationspflicht entsprochen habe, sei davon auszugehen, dass kein Arbeitsvertrag iSd. § 22 Abs. 1 LSD-BG bereitgehalten worden sei. Gemäß § 22 Abs. 1 letzter Satz LSD-BG gelte der Beschäftiger, der einen Arbeitnehmer zu einer Arbeitsleistung nach Österreich entsende, in Bezug auf die Verpflichtung nach dieser Bestimmung als Arbeitgeber. Fallbezogen habe daher die JK s.r.o. als Arbeitgeberin unterlassen, den Arbeitsvertrag im Sinne des § 22 Abs. 1a LSD-BG am Einsatzort bzw. ab der Einreise nach Österreich bereitzuhalten.
12 Der Revisionswerber als handelsrechtlicher Geschäftsführer der JK s.r.o. und sohin als vertretungsbefugtes Organ der Arbeitgeberin des Lenkers habe die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung somit in objektiver Hinsicht verwirklicht. Der Revisionswerber habe nicht vermocht, ein mangelhaftes Verschulden aufzuzeigen, und die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung auch in subjektiver Hinsicht zu verantworten.
13 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
14 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 4.1. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, es liege keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage vor, welchen zwingenden Inhalt Arbeitsverträge von mobilen Arbeitnehmern, die in unterschiedlichen Ländern zum Einsatz kommen, aufweisen müssten. Diese Unklarheit begründe die Unvollständigkeit des vom Verwaltungsgericht bestätigten Straferkenntnisses. Das Verwaltungsgericht habe die Mindesterfordernisse des Arbeitsvertrages unrichtig beurteilt. Zudem treffe die Verpflichtung hinsichtlich der Vollständigkeit des bereitzuhaltenden Vertrages im Falle einer - wie hier vorliegenden Arbeitskräfteüberlassung - den Arbeitgeber, nicht jedoch den Beschäftiger.
16 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
17 4.2. Die im Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes - LSD-BG idF BGBl. I Nr. 64/2017 lauten:
„Bereithaltung von Lohnunterlagen
§ 22. (1) Arbeitgeber im Sinne der §§ 3 Abs. 2, 8 Abs. 1 oder 19 Abs. 1 haben während der Dauer der Beschäftigung (im Inland) oder des Zeitraums der Entsendung insgesamt (§ 19 Abs. 3 Z 6) den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel im Sinne der Richtlinie 91/533 des Rates über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen, Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung zur Überprüfung des dem entsandten Arbeitnehmer für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts in deutscher Sprache, ausgenommen den Arbeitsvertrag, am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten oder diese den Abgabebehörden oder der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich zu machen, auch wenn die Beschäftigung des einzelnen Arbeitnehmers in Österreich früher geendet hat. Der Arbeitsvertrag ist entweder in deutscher oder in englischer Sprache bereitzuhalten. Bei innerhalb eines Arbeitstages wechselnden Arbeits(Einsatz)orten sind die Lohnunterlagen am ersten Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten oder in elektronischer Form zugänglich zu machen. Ein Beschäftiger, der einen Arbeitnehmer zu einer Arbeitsleistung nach Österreich entsendet, gilt in Bezug auf die Verpflichtung nach dieser Bestimmung als Arbeitgeber. § 21 Abs. 2 findet sinngemäß Anwendung.
(1a) Bei der Entsendung von mobilen Arbeitnehmern im Transportbereich sind abweichend von Abs. 1 der Arbeitsvertrag oder Dienstzettel und Arbeitszeitaufzeichnungen (Aufzeichnungen im Sinne von Art. 36 der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 über den Fahrtenschreiber im Straßenverkehr, ABl. Nr. L 60 vom 28.2.2014 S. 1) bereits ab der Einreise in das Bundesgebiet im Fahrzeug bereitzuhalten oder diese den Abgabenbehörden unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich zu machen. Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung sowie Arbeitszeitaufzeichnungen für den mobilen Arbeitnehmer im Transportbereich sind auf Verlangen der Abgabenbehörden für das Kalendermonat, in dem die Kontrolle stattgefunden hat, und für das diesem Kalendermonat vorangehende Kalendermonat, wenn der Arbeitnehmer im vorangehenden Kalendermonat in Österreich tätig war, innerhalb einer Frist von 14 Kalendertagen nach dem Ende des Kalendermonats, in dem die Kontrolle erfolgt ist, zu übermitteln. Langen die Lohnunterlagen nach dem zweiten Satz innerhalb dieser Frist bei der Abgabebehörde nicht oder nicht vollständig ein, gilt dies als Nichtbereithalten der Lohnunterlagen.
(2) Bei einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung trifft die Verpflichtung zur Bereithaltung der Lohnunterlagen nach Abs. 1 den inländischen Beschäftiger. Der Überlasser hat dem Beschäftiger die Lohnunterlagen nach Abs. 1 nachweislich bereitzustellen.
...
Nichtbereithalten der Lohnunterlagen
§ 28. Wer als
1. Arbeitgeber entgegen § 22 Abs. 1 oder Abs. 1a die Lohnunterlagen nicht bereithält, oder
2. Überlasser im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich entgegen § 22 Abs. 2 die Lohnunterlagen dem Beschäftiger nicht nachweislich bereitstellt, oder
3. Beschäftiger im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung entgegen § 22 Abs. 2 die Lohnunterlagen nicht bereithält
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer betroffen, für jeden Arbeitnehmer mit einer Geldstrafe von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall von 4 000 Euro bis 50 000 Euro zu bestrafen.“
18 4.3. Vorweg ist Folgendes festzuhalten:
19 Fallgegenständlich lag nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ein Arbeitsverhältnis zwischen dem bei der Kontrolle durch die Finanzpolizei angetroffenen Lenker des LKW und einer Personalüberlasserin mit Sitz in der Republik Zypern vor. Die Entsendung nach Österreich erfolgte durch ein Unternehmen mit Sitz in der Slowakei als ausländische Beschäftigerin des ihr überlassenen LKW-Lenkers.
20 Die den Arbeitgeber nach § 22 Abs. 1 LSD-BG treffende Pflicht zur Bereithaltung von Lohnunterlagen umfasst insbesondere „den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel im Sinne der Richtlinie 91/533 des Rates über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen“. Den Gesetzesmaterialien zur Einfügung des Abs. 1a nach § 22 Abs. 1 LSD-BG (vgl. ErläutRV 1589 BlgNR 25. GP 2) zufolge ist dieser als Maßgabe des Abs. 1 für den Transportbereich zu verstehen.
21 Ein Beschäftiger, der einen Arbeitnehmer zu einer Arbeitsleistung nach Österreich entsendet, gilt gemäß § 22 Abs. 1 vorletzter Satz LSD-BG in Bezug auf die Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen als Arbeitgeber. Ein Beschäftiger, der einen mobilen Arbeitnehmer im Transportbereich zu einer Arbeitsleitung nach Österreich entsendet, ist daher gemäß § 22 Abs. 1a LSD-BG verpflichtet sicherzustellen, dass der Arbeitsvertrag oder Dienstzettel im Sinne der Richtlinie 91/533/EWG bereits ab der Einreise in das Bundesgebiet im Fahrzeug bereitgehalten oder den Organen des Amtes für Betrugsbekämpfung unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich gemacht wird.
22 Soweit die Revision vorbringt, eine allfällige Unvollständigkeit bereitgehaltener Unterlagen sei - im Falle einer Arbeitskräfteüberlassung - dem Arbeitgeber nicht jedoch dem Beschäftiger anzulasten, übersieht sie, dass die JK s.r.o. auf Grundlage des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts als nicht inländische Beschäftigerin der ihr überlassenen und von ihr nach Österreich entsandten Arbeitskraft gemäß § 22 Abs. 1 vorletzter Satz als Arbeitgeberin im Sinne der verfahrensgegenständlichen Verpflichtung gilt (vgl. VwGH 10.12.2020, Ra 2020/11/0170, Rn 26).
23 4.4. Ungeachtet dessen erweist sich das angefochtene Erkenntnis bereits aus folgenden Gründen als rechtswidrig:
24 Der Revisionswerber hat ein subjektives Recht darauf, dass ihm die als erwiesen angenommene Tat und die verletzte Verwaltungsvorschrift richtig und vollständig vorgehalten werden (vgl VwGH 24.4.2015, 2013/17/0400, 0401, und VwGH 18.5.2016, Ra 2015/17/0029).
25 Besteht ein Widerspruch zwischen Spruch und Begründung, führt dies zu einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit (vgl. VwGH 27.5.2011, 2010/02/0231, sowie VwGH 6.9.2016, Ra 2016/09/0049).
26 Aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses geht hervor, dass das Verwaltungsgericht der Ansicht ist, die Bereithaltung eines nicht den inhaltlichen Vorgaben der RL 91/533 entsprechenden Vertrages sei ebenso wie die gänzliche Nichtbereithaltung unter den Straftatbestand des § 22 1a iVm. § 28 Z 1 LSD-BG zu subsumieren. Dem ist aufgrund des Wortlauts des § 22 Abs. 1 LSD-BG, wonach Arbeitgeber während der Dauer der Beschäftigung (im Inland) oder des Zeitraums der Entsendung den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel „im Sinne der Richtlinie 91/533 des Rates über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers“ bereitzuhalten bzw. zur Verfügung zu stellen haben, beizupflichten.
27 Das Verwaltungsgericht übersieht fallbezogen jedoch, dass der mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte Schuldspruch des behördlichen Strafbescheides dem Revisionswerber die gänzliche Nichtbereithaltung des Arbeitsvertrages bzw. des Dienstzettels anlastete. Dieser Vorwurf war auch Gegenstand der Aufforderung zur Rechtfertigung durch die belangte Behörde. Die Anlastung dieser Tathandlung steht aber in Widerspruch zu der ausdrücklichen Feststellung des Verwaltungsgerichts, anlässlich der Kontrolle sei sehr wohl ein Dienstvertrag vorgelegt worden.
28 Die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, die Vorlage eines nicht den Vorgaben der Richtlinie 91/533 entsprechenden Arbeitsvertrages würde einen Verstoß gegen die in § 22 Abs. 1a LSD-BG normierte Verpflichtung darstellen und damit ebenso die Annahme der Verwirklichung des Tatbestandes des § 28 Z 1 LSD-BG begründen, rechtfertigt fallbezogen nicht die Bestätigung des Schuldspruchs im bekämpften behördlichen Straferkenntnis, weil dieser eine von der Begründung des Verwaltungsgerichts abweichende Tathandlung - nämlich das Nichtbereithalten des Arbeitsvertrages/Dienstzettels schlechthin, mithin das gänzliche Fehlen eines solchen - unterstellt hat.
29 Das angefochtene Erkenntnis war schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben (vgl. zu ähnlichen Konstellationen VwGH 25.4.2019, Ra 2018/11/0217, und VwGH 7.4.2020, Ra 2018/11/0105). Vor diesem Hintergrund kommt es auf die übrigen Revisionsausführungen nicht mehr an.
30 4.5. Hinzuzufügen ist, dass das Verwaltungsgericht nicht nur berechtigt, sondern vielmehr verpflichtet ist, einen allenfalls fehlerhaften Spruch im behördlichen Straferkenntnis richtig zu stellen oder zu ergänzen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist rechtzeitig eine alle der Bestrafung zu Grunde liegenden Sachverhaltselemente enthaltende Verfolgungshandlung (wozu auch die Tathandlung gehört) durch die Behörde gesetzt wurde (vgl. VwGH 20.5.2015, Ra 2014/09/0033). Es ist jedoch nicht ersichtlich, ob - gegebenenfalls wann - dem Beschuldigten das Fehlen der vom Verwaltungsgericht in seiner Begründung als fehlend monierten Vertragsinformationen im Sinne der Vorgaben der Richtlinie 51/533 konkret vorgehalten wurde.
31 4.6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Die verzeichnete Umsatzsteuer ist nach § 47 Abs. 1 VwGG nicht gesondert zuzusprechen, weil diese bereits im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist. Das Kostenmehrbegehren war daher abzuweisen.
Wien, am 1. Juni 2021
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Berufungsverfahren Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verwaltungsstrafrecht Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatort Spruch der Berufungsbehörde Änderungen des Spruches der ersten Instanz Spruch der Berufungsbehörde Ergänzungen des Spruches der ersten InstanzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019110202.L00Im RIS seit
23.06.2021Zuletzt aktualisiert am
06.07.2021