TE OGH 2021/3/25 8Ob2/21h

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.03.2021
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache des Schuldners P*****, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Insolvenzverwalters Mag. Horst Winkelmayr, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 25. November 2020, GZ 23 R 48/20a-132, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Korneuburg vom 9. Juli 2020, GZ 8 S 14/19x-66, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Mit Beschluss des Erstgerichts vom 15. 4. 2019 wurde über das Vermögen des Schuldners das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet, dem Schuldner die Eigenverwaltung entzogen und der Rechtsanwalt Mag. Horst Winkelmayr zum Insolvenzverwalter bestellt.

[2]            Mit Bericht vom 28. 4. 2020 beantragte der Insolvenzverwalter die insolvenzgerichtliche Genehmigung eines von ihm am 13. 3. 2020 freihändig geschlossenen Kaufvertrags über mit Wohnungseigentum an mehreren Wohnungen, darunter auch an Top 15, verbundene Liegenschaftsanteile des Schuldners.

[3]            Mit (rechtskräftigem) Beschluss vom 30. 4. 2020 genehmigte das Erstgericht die freiwillige Veräußerung und den abgeschlossenen Kaufvertrag hinsichtlich sämtlicher Wohnungen.

[4]            Mit Schriftsatz vom 7. 7. 2020 beantragte der Insolvenzverwalter, den Schuldner gemäß § 5 Abs 3 IO iVm §§ 105, 349 EO zu verpflichten, die Wohnung Top 15 geräumt an ihn zu übergeben. Der Schuldner habe mit Mail vom 31. 3. 2020 bekanntgegeben, nunmehr in dieser Wohnung zu wohnen. Die Nutzung der Wohnung durch den Schuldner erfolge titellos. Die Verwertung der Liegenschaftsanteile sei mangels Räumung und Übergabe gefährdet.

[5]            Mit Beschluss vom 9. 7. 2020 verpflichtete das Erstgericht den Schuldner antragsgemäß zur geräumten Übergabe der Wohnung Top 15 an den Insolvenzverwalter binnen 14 Tagen. Der Insolvenzverwalter habe dem Schuldner die Wohnung weder in Bestand gegeben noch sonstige Nutzungsrechte daran eingeräumt. Die Wohnung sei bis dato nicht an ihn übergeben worden. Die Verwertung der Liegenschaftsanteile sei mangels Räumung und Übergabe gefährdet. Die Liegenschaftsanteile seien daher gemäß § 5 Abs 3 IO iVm §§ 105, 349 EO dem Schuldner zu entziehen. Räumung und Übergabe seien gemäß § 349 EO durch das Vollstreckungsorgan zu vollziehen.

[6]            Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Schuldners gegen diesen Beschluss Folge und wies den Antrag des Insolvenzverwalters ab. Es bejahte die Antragslegitimation des Insolvenzverwalters trotz Veräußerung der Liegenschaft, weil die Rechtskraft des Einverleibungsbeschlusses weder behauptet noch nachgewiesen worden sei. Selbst wenn man von einer Zugehörigkeit der Wohnung zur Insolvenzmasse ausgehe und dahingestellt lasse, dass die vom Insolvenzverwalter als Begründung herangezogenen § 5 Abs 3 IO iVm §§ 105, 349 EO nach der Verwertung der Wohnung nicht (mehr) anzuwenden seien, sei der Antrag inhaltlich nicht berechtigt, weil ihm nicht zu entnehmen sei, worin der Bedarf zur Sicherung der Masse bzw die Gefährdung (der Verwertung) der Liegenschaftsanteile liegen solle. Der Kaufvertrag sei unterfertigt und der Kaufpreis erlegt worden. Es werde auch nicht behauptet, dass der Erwerber Ansprüche wider den Insolvenzverwalter geltend mache. Wenn der Antrag nicht auf § 5 Abs 3 IO iVm § 105 EO gestützt werden könne, sei der allgemeine Sicherungstatbestand nach § 78 IO zu prüfen. Allerdings sei kein Sachverhalt behauptet oder nachgewiesen worden, der den Entzug der Wohnung zwecks Sicherung der Insolvenzmasse rechtfertigen würde. Damit fehle es am Sicherungszweck der Räumungsanordnung. Auf den Rekursgrund der Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, die der Rekurswerber daraus ableite, er hätte im Falle der Einholung einer Äußerung vorgebracht, dass er die Wohnung vor Insolvenzeröffnung an einen Dritten vermietet habe (der ihm die Wohnung vorübergehend in Unterbestand gegeben habe), brauche daher mangels Relevanz nicht mehr eingegangen werden.

[7]            Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil eine Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO nicht vorliege.

[8]            Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Insolvenzverwalters, der die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung, anstrebt. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[9]            Der Revisionsrekurs ist zurückzuweisen.

[10]     1. Allgemein steht ein Rechtsmittel nur demjenigen zu, der durch die Entscheidung in seinen rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt ist (RIS-Justiz RS0006497). Das gilt auch im Insolvenzverfahren RS0006497 [T35]; RS0041770 [T79]). Die Beschwer muss bei Einlangen des Rechtsmittels und auch noch im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung bestehen (RS0006497 [T36]; RS0041770). Bei der Beschwer unterscheidet man die formelle Beschwer und die materielle Beschwer. Die formelle Beschwer reicht nicht immer aus. Widerspricht die angefochtene Entscheidung dem vom Rechtsmittelwerber in der Vorinstanz gestellten Antrag, dann ist, wenn die Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung nicht beeinträchtigt wird (er also materiell nicht beschwert ist), sein Rechtsmittel dennoch zurückzuweisen (RS0041868).

[11]           2.1.1 Wohnt der Schuldner in einem zur Insolvenzmasse gehörigen Haus oder in einer Eigentumswohnung (RS0002541), sind nach § 5 Abs 3 IO auf die Überlassung und Räumung der Wohnung des Schuldners die Vorschriften des § 105 EO sinngemäß anzuwenden.

[12]           2.1.2 § 105 Abs 1 EO sieht vor, dass das Exekutionsgericht dem Verpflichteten auf Antrag die unentbehrlichen Wohnräume entziehen kann, die ihm in dem zu verwaltenden Haus während der Dauer der Zwangsverwaltung überlassen wurden, wenn er die Verwaltung der Liegenschaft gefährdet. Der Beschluss auf Entzug der überlassenen Wohnräume stellt sowohl Titel als auch Exekutionsbewilligung dar (Frauenberger-Pfeiler/Schwab in Deixler-Hübner, EO [30. Lfg 2020] § 105 Rz 30). Der Vollzug der Räumung erfolgt nach § 349 EO (3 Ob 87/87; 8 Ob 101/01p).

[13]           Nach Ansicht von Angst (in Angst/Oberhammer, EO3 § 105 EO Rz 4) ist diese Regelung analog anzuwenden, wenn der Verpflichtete oder eine Person, deren Verhalten ihm zuzurechnen ist, Räume benützt, die ihm nicht zur Benützung überlassen wurden (ebenso Frauenberger-Pfeiler/Schwab aaO Rz 35). Deren Räumung könne der Verwalter auf die angeführte Weise erwirken.

[14]           Davon geht offenbar auch die Entscheidung 5 Ob 654/89 aus, der eine behauptete titellose Benützung einer Wohnung durch den Schuldner zugrunde lag.

[15]           2.2 Das Insolvenzgericht kann daher dem Schuldner Wohnräume entziehen und ihn zu deren Räumung verhalten, wenn er in die Insolvenzverwaltung störend eingreift, zB den Mieter der restlichen Räume in der Ausgestaltung des Gebrauchsrechts stört (Schubert in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 5 KO Rz 25), oder die Verwertung der Liegenschaft gefährdet (5 Ob 192/71).

[16]           Ob die Bestimmungen des § 5 Abs 3 IO iVm §§ 105 Abs 1, 349 EO dem Insolvenzverwalter auch dann eine Handhabe bieten, wenn der Schuldner – wie hier unstrittig – zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch gar nicht in der in die Insolvenzmasse fallenden Eigentumswohnung gewohnt hat, worauf aber die Entscheidung 5 Ob 645/89 abzustellen scheint, braucht im Anlassfall nicht abschließend geklärt zu werden.

[17]           3.1 Nach der Rechtsprechung endet die Befugnis des Insolvenzverwalters, vollstreckbare Anordnungen vom Insolvenzgericht zu erwirken, mit dem Ausscheiden der Liegenschaft aus der Insolvenzmasse (RS0063978), konkret durch Einverleibung des Eigentumsrechts des Käufers der vom Insolvenzverwalter veräußerten Liegenschaft (6 Ob 30/12y). Bei (rechtskräftiger) Bewilligung der Einverleibung wird das Eigentum des Erwerbers grundsätzlich mit dem Zeitpunkt des Einlangens des Grundbuchgesuchs begründet (5 Ob 256/66; vgl auch RS0119202). Ab diesem Zeitpunkt ist der Erwerber der Liegenschaft als Eigentümer zur Räumungsklage gegen den Schuldner legitimiert (6 Ob 30/12y).

[18]           3.2 In diesem Fall brachte die Käuferin das Einverleibungsgesuch hinsichtlich der aus der Insolvenzmasse erworbenen Liegenschaftsanteile am 10. 9. 2020 beim Grundbuchsgericht ein. Am 13. 10. 2020 wurde es vollzogen. Hiervon verständigte das Grundbuchsgericht das Insolvenzgericht mit elektronischer Eingabe vom 9. 11. 2020.

[19]           Daraus folgt, dass der Insolvenzverwalter sowohl am 7. 7. 2020 (Einbringung des Antrags) als auch am 9. 7. 2020 (Beschlussfassung durch das Erstgericht) nach § 5 Abs 3 IO iVm §§ 105, 349 EO antragslegitimiert war, weil das Gesuch auf Einverleibung der Käuferin im Grundbuch damals noch nicht einmal gestellt war. Allerdings sind die Liegenschaftsanteile, darunter die Wohnung Top 15, noch vor Beschlussfassung durch das Rekursgericht aus der Insolvenzmasse ausgeschieden.

[20]           4.1 Eine angefochtene Entscheidung ist zwar aufgrund der Sachlage und Rechtslage zur Zeit ihrer Erlassung zu überprüfen (RS0043329). Davon zu trennen ist allerdings die Frage der Beschwer, zu deren Wegfall es definitionsgemäß erst nach der Entscheidung erster Instanz (bzw im Zivilprozess nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) kommen kann (vgl 3 Ob 89/20i).

[21]           4.2 Nach der Rechtsprechung gilt § 234 ZPO, der anordnet, dass die Veräußerung einer streitverfangenen Sache (oder Forderung) auf den Prozess keinen Einfluss hat, im Insolvenzverfahren ebenso wenig wie im Exekutionsverfahren (RS0001333; Klicka in Fasching/Konecny3 III/1 § 234 ZPO Rz 6 ff), und zwar – wie der Oberste Gerichtshof zu 8 Ob 153/03p klargestellt hat – obwohl § 252 IO (vormals § 171 KO) eine generelle Verweisung auf die Regelungen der ZPO für den Fall enthält, dass die IO keine Anordnungen für den speziellen Fall trifft. Das ergebe sich einerseits aus bestimmten Sonderregeln über die Rechtsnachfolge in der IO, andererseits daraus, dass im Insolvenzverfahren – ebenso wie im Außerstreit- oder Exekutionsverfahren – nicht der formelle, sondern der materielle Parteibegriff herrscht (vgl auch 8 Ob 78/09t).

[22]           4.3 Darüber hinaus ist im Anlassfall zu beachten, dass § 234 ZPO zwar für jede Art der Einzelrechtsnachfolge kraft Vertrags oder Gesetzes gilt (RS0039231). In Lehre und Rechtsprechung wird aber vorausgesetzt, dass nach der Veräußerung für oder gegen den Rechtsnachfolger nach dem materiellen Recht ein identischer Anspruch besteht, weil nur dann von einer Rechtsnachfolge gesprochen werden kann (1 Ob 253/11d; Klicka in Fasching/Konecny3 III/1 § 234 ZPO Rz 11).

[23]           Ein identischer Anspruch des Insolvenzverwalters und der Käuferin der Liegenschaftsanteile liegt hier nicht vor. Das zeigt sich schon daran, dass die Käuferin nicht anstelle des Insolvenzverwalters in das Verfahren vor dem Insolvenzgericht (bzw in das daran anschließende Vollzugsverfahren) eintreten kann, sondern ihren Anspruch am Zivilrechtsweg mit Räumungsklage geltend machen muss. Der Anspruch des Insolvenzverwalters gegen den Schuldner leitet sich nicht – wie ein allfälliger Räumungsanspruch der Käuferin – aus dem Eigentum an den Liegenschaftsanteilen ab, sondern ergibt sich aus § 5 Abs 3 IO iVm § 105 EO, also Schutzbestimmungen sui generis (vgl RS0002528), im Zusammenhalt mit der Massezugehörigkeit der Liegenschaft. Insoweit tritt die Käuferin der vom Schuldner zu räumenden Eigentumswohnung nicht in die Position des Insolvenzverwalters ein.

[24]           4.4 Eine neuerliche stattgebende Entscheidung durch das Insolvenzgericht in dieser Sache ist nach (rechtskräftiger) Einverleibung der Käuferin der Liegenschaftsanteile im Grundbuch ausgeschlossen. Selbst die vom Insolvenzverwalter angestrebte Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses nach § 5 Abs 3 IO iVm § 105 EO könnte seine Rechtsposition nicht mehr verbessern: Ein Vollzug des Räumungsauftrags des Insolvenzgerichts nach § 349 EO zugunsten des Insolvenzverwalters hinsichtlich der aus der Insolvenzmasse ausgeschiedenen Liegenschaftsanteile kommt nicht in Betracht. Für die Käuferin aber würde der (unter einem Titel und Exekutionsbewilligung darstellende) Räumungsauftrag mangels Rechtsnachfolge keine rechtliche Wirkung entfalten.

[25]           Das führt zu einem Wegfall der materiellen Beschwer des Insolvenzverwalters und zur Zurückweisung des außerordentlichen Rechtsmittels.

Textnummer

E131793

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00002.21H.0325.000

Im RIS seit

18.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten