Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. G*, vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anerkennung eines Dienstunfalls und Versehrtenrente, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits-
und Sozialrechtssachen vom 25. November 2020, GZ 12 Rs 84/20i-12, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. Juni 2020, GZ 18 Cgs 9/20m-8, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
[1] Der Kläger ist seit 2000 als Lehrer sowie seit 2013 zusätzlich in der Personalvertretung als Fachausschussvorsitzender für AHS-Lehrer tätig. In den folgenden Jahren übernahm er weitere Aufgaben im Dienst- und Besoldungsrecht in Wien. Zum Zeitpunkt des Unfalls am 27. Juni 2019 beschränkte sich seine Lehrverpflichtung auf 4 Stunden. Er unterrichtete an einem Tag pro Woche an einem Bundesoberstufenrealgymnasium (BORG). Im Übrigen ist er wegen seiner Tätigkeit als Personalvertreter dienstfrei gestellt. In diesem Personalvertretungsbereich arbeitet er eigenverantwortlich.
[2] Im Konferenzzimmer der Schule wurde dem Kläger ein Arbeitsplatz zugewiesen, den er mit einem Kollegen teilen muss. Im Büro der Personalvertretung befindet sich nur ein Schreibtisch für alle Personalvertreter. Daher arbeitet der Kläger von zu Hause aus, sofern er keinen Außentermin hat. Eine „Homeoffice-Vereinbarung“ mit dem Dienstgeber gab und gibt es nicht.
[3] Der Kläger wohnt in einem Reihenhaus, das über drei – durch eine halb gewendelte Holztreppe verbundene – Geschosse, einen Dachboden und einen Garten verfügt. Im Erdgeschoss befinden sich Küche, Wohnzimmer, Vorraum und Toilette. Im ersten Stock liegen das Schlafzimmer des Klägers, ein Bad mit Toilette sowie ein Büro, in dem zwei Schreibtische, zwei Bücherregale, ein Büroschrank und ein Wandverbau stehen. Im zweiten Obergeschoss befinden sich neben dem Badezimmer und einer Toilette zwei Kinderzimmer. Eines davon bewohnt der 17-jährige Sohn des Klägers, das andere benutzen fallweise zwei andere Kinder.
[4] An einem Bürotag geht der Kläger nach der Einnahme des Frühstücks im Erdgeschoss hinauf ins Arbeitszimmer und arbeitet dort bis Mittag. Zwischendurch geht er manchmal für eine (Kaffee-)Pause in den Garten, das Wohnzimmer oder die Küche. Wenn er nur ein Glas Wasser trinkt, holt er sich dieses immer im Bad neben seinem Arbeitszimmer. Mittags bereitet er normalerweise das Essen zu und isst dann in der Küche gemeinsam mit seinem Sohn. Gegen 16:00 Uhr macht er eine Stunde Pause, in der er spazieren oder in den Garten geht oder sich bei Schlechtwetter im Wohnzimmer aufhält. In der Regel arbeitet er im Büro im ersten Stock. Telefonate können durchaus auch im Wohnzimmer oder im Garten erfolgen.
[5] Am Donnerstag, 27. 6. 2019 hatte der Kläger einen Bürotag und arbeitete zu Hause. Für den Nachmittag war ein Beratungsgespräch mit einer Kollegin vereinbart. Überdies erwartete er einen dringenden dienstlichen Anruf eines Kollegen. Gegen 16:00 Uhr klingelte es an der Tür. Der Kläger verließ daher sein Büro, ging hinunter zur Haustür, öffnete diese und empfing seine Kollegin. Unmittelbar nach der Begrüßung klingelte das Telefon im Büro im ersten Stock. Der Kläger bat die Kollegin in die Wohnküche, um dort auf ihn zu warten, und lief die Treppe hinauf, um das Gespräch entgegenzunehmen. Auf der obersten Stufe trat er mit dem linken Fuß ins Leere und verletzte sich.
[6] Mit Bescheid vom 10. 12. 2019 lehnte die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter die Anerkennung des Vorfalls vom 27. 6. 2019 als Dienstunfall sowie die Gewährung einer Versehrtenrente nach den B-KUVG ab.
[7] Der Kläger bringt in seiner Klage vor, sich bei einer dienstlichen Tätigkeit in häuslicher Umgebung verletzt zu haben.
[8] Die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau ordnete den Unfall dem privaten Bereich zu, weil er sich im überwiegend privat genutzten Teil des Gebäudes ereignet habe.
[9] Das Erstgericht teilte die Auffassung der Beklagten und wies das auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls und die Gewährung einer Versehrtenrente gerichtete Klagebegehren ab.
[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Innerhalb einer Wohnung könne kein Arbeitsweg im Sinn des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG zurückgelegt werden. Wege innerhalb der Wohnung im Zusammenhang mit der Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse seien auch nicht nach § 175 Abs 2 Z 7 ASVG geschützt. Der Unfall habe sich auf einer nur selten zu betrieblichen Zwecken benutzten Treppe ereignet. Die Revision sei zulässig, weil a) eine Klarstellung zur Frage geboten erscheine, welche Benutzungen gemischt genutzter Räume für die Feststellung „einer Nutzung im wesentlichen Umfang auch für betriebliche Zwecke“ heranzuziehen seien, und b) überdies die höchstgerichtliche Rechtsprechung über die Voraussetzungen für den Versicherungsschutz auf Wegen im eigenen Wohnbereich in der Lehre auf Kritik gestoßen sei und das deutsche Bundessozialgericht seine Rechtsprechung mittlerweile geändert habe.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die – beantwortete – Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.
[12] 1. Dienstunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis oder mit der die Versicherung begründenden Funktion ereignen (§ 90 Abs 1 B-KUVG). § 91 Abs 1 Z 1 B-KUVG stellt Dienstunfällen die Unfälle gleich, die sich bei der Betätigung als Mitglied einer gesetzlichen Vertretung des Personals, ferner als in der selben Dienststätte Beschäftigter bei der Mitwirkung an der Besorgung von Aufgaben einer gesetzlichen Vertretung im Auftrag oder über Ersuchen eines Mitglieds dieser Vertretung oder bei Teilnahme an einer von der gesetzlichen Vertretung des Personals einberufenen Versammlung ereignen. Im ASVG finden sich in § 175 Abs 1 und § 176 Abs 1 Z 1 nahezu idente Regelungen.
[13] 2. Es ist unstrittig, dass auf den Unfall des Klägers vom 27. 6. 2019 die mit 11. 3. 2020 bzw 1. 4. 2021 in Kraft getretenen Neuregelungen über Arbeits- oder Dienstunfälle im Homeoffice in § 175 Abs 1a und 1b ASVG sowie § 90 Abs 1a und 1b B-KUVG idF des 3. COVID-19-Gesetzes, BGBl I 2020/23, und des Bundesgesetzes über die Änderung (unter anderem) des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (AVRAG) und des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl I 2021/61, nicht anzuwenden sind.
[14] 3. Bisherige Rechtsprechung zu (Arbeits- bzw Dienst-)Unfällen im Wohnhaus der versicherten Person
[15] 3.1 Ein Arbeitsweg im Sinn des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs begrifflich ausgeschlossen, wenn die Wohnung der versicherten Person und ihre Arbeitsstätte im selben Gebäude liegen (RS0084866 [T1]). Innerhalb des Wohnhauses ist die versicherte Person nicht den für einen Arbeitsweg typischen Gefahren ausgesetzt, gegen die sie in der Unfallversicherung geschützt werden soll. Die Gefahren gehen auf Umstände des Privatbereichs zurück, die dem Versicherungsschutz im Allgemeinen nicht unterliegen (10 ObS 79/07a SSV-NF 21/65; RS0084866 [T3]). Auch ein Unfallversicherungsschutz nach § 175 Abs 2 Z 7 ASVG (Weg zur Befriedigung lebenswichtiger persönlicher Bedürfnisse) wird abgelehnt, wenn sich der Unfall in der Wohnung der versicherten Person ereignet (10 ObS 275/01s SSV-NF 15/115 mwN).
[16] 3.2 Wenn sich in einem Haus neben nur dem betrieblichen Bereich und nur dem persönlichen Bereich zuzuordnenden Räumen auch „gemischt genutzte“ Räume befinden, beginnt der Unfallversicherungsschutz erst dann, wenn der rein persönliche Bereich verlassen und ein in wesentlichem Umfang betrieblichen oder beruflichen Zwecken dienender Teil des Wohngebäudes betreten wird (10 ObS 359/01v SSV-NF 15/132; 9 ObS 30/87 SSV-NF 2/2 = ZAS 1989/2, 14 [Gitter]; RS0084609). Gemischt genützte Räume im Inneren des Gebäudes (wie Treppen) zählen nur dann zu Betriebsräumlichkeiten, wenn sie im wesentlichen Umfang auch für betriebliche Zwecke genutzt werden (RS0084463).
[17] 3.3 Nach dieser Rechtsprechung ist entscheidend, ob eine im Inneren eines Gebäudes liegende Treppe, über die (auch) beruflichen Zwecken dienende Räumlichkeiten erreicht werden, überwiegend (im wesentlichen Umfang) beruflich und nicht privat genutzt werden.
[18] 3.3.1 So forderte der Oberste Gerichtshof zu 9 ObS 30/87 (Sturz eines Gastwirts auf der Treppe zwischen dem ersten Stock, in dem der Wohnbereich, aber auch Fremdenzimmer lagen, und dem Erdgeschoss, in dem die Gastwirtschaft betrieben wurde) ergänzende Feststellungen zum Umfang der Vermietung der Gästezimmer in der Nachsaison, in der sich der Unfall ereignet hatte.
[19] 3.3.2 Zu 10 ObS 359/01v (SSV-NF 15/132) bejahte der Oberste Gerichtshof den Unfallversicherungsschutz nach der Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG bei einem Sturz auf einer Innentreppe zwischen Wohnräumen im Erdgeschoss und Wohnräumen im Obergeschoss (einschließlich des Büros) Entscheidend waren nach dem Obersten Gerichtshof zwei Punkte: 1. Der Kläger hatte die Treppe regelmäßig überwiegend (nach den Feststellungen zu mehr als 50 %) für die Wege zwischen Erdgeschoss und Büro genützt und damit beim Betreten der Treppe den persönlichen Lebensbereich bereits verlassen. 2. Die Absicht des Klägers ging dahin, eine versicherte Tätigkeit auszuüben. Das Erreichen der betrieblichen Sphäre im Zusammenhang mit dieser Absicht wertete der Oberste Gerichtshof als in einem erheblichen Maß betriebsbezogen und der betrieblichen Tätigkeit zurechenbar.
[20] 3.3.3 Zu 10 ObS 275/01s (SSV-NF 15/115) verneinte der Oberste Gerichtshof den Unfallversicherungsschutz nach § 175 Abs 1 ASVG mit der Begründung, dass die Versicherte zwar zur Unfallszeit zwar eine betriebliche Tätigkeit (Abhören der Mobilbox des beruflich genutzten Mobiltelefons) ausgeübt habe, der Sturz auf hauptsächlich privaten Zwecken dienenden Stufen zwischen Büroraum und Wohnraum nicht hauptsächlich dem betrieblichen, sondern dem privaten Risikobereich zuzuordnen sei.
Die beabsichtigte oder bereits aufgenommene betriebliche oder dienstliche Tätigkeit alleine würde nach diesen Kriterien für den Unfallversicherungsschutz nicht ausreichen.
4. Die Judikatur des Obersten Gerichtshofs, die auf die überwiegende betriebliche oder berufliche Nutzung des Unfallorts innerhalb des Wohnhauses abstellt, wurde in der Lehre kritisiert.
[21] 4.1 Für R. Müller (EAnm zu 10 ObS 79/07a DRdA 2009/23, 314; Der Arbeitsunfall im Homeoffice, DRdA 2020, 311 [313 ff]; R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 175 ASVG Rz 110) ist nicht die Häufigkeit der Verwendung der Unfallsörtlichkeit, sondern entweder die Ausübung der beruflichen Tätigkeit oder die entsprechende Handlungsintention/Handlungstendenz des Dienstnehmers entscheidend. Ereigne sich der Unfall bei einer privaten Tätigkeit, sei er auch dann nicht geschützt, wenn der Unfallort überwiegend beruflich genutzt werde.
[22] Zu dem zu 10 ObS 359/01v SSV-NF 15/132 entschiedenen Fall bejaht R. Müller den Unfallversicherungsschutz mit der Begründung, dass sich der Unfall auf einem Betriebsweg ereignet habe, der im Wohnhaus begonnen und außerhalb des Wohnhauses geendet habe. Entscheidend für die Qualifikation des Weges sei die Handlungstendenz des Versicherten (DRdA 2020, 314 f; R. Müller in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 175 ASVG Rz 110 ff).
[23] 4.2 Brodil (Neue Arbeitsformen und Unfallversicherung, Versicherungsschutz bei entgrenzter Arbeit, ZAS 2019/3, 12 [13, 17]) löst das Problem der Zurechnung mittels der Theorie der wesentlichen Bedingung. Die Unfallversicherung ist leistungspflichtig, wenn die aus dem geschützten Bereich stammende und in einem inneren Sinnzusammenhang mit der geschützten Tätigkeit stehende Ursache wesentliche Bedingung für die Verletzung war. Als Beispiele nennt er Unfälle im Zusammenhang mit der beruflichen Kommunikation über Mail und WhatsApp oder mit Internetrecherchen (ZAS 2019, 17).
[24] 4.3 Gitter kritisierte in der Besprechung der Entscheidung 9 ObS 30/87, ZAS 1989/2, 14, dass das Ausmaß der betrieblichen Nutzung saisonal verschieden und damit der Unfallversicherungsschutz variabel wäre (ZAS 1989, 16).
[25] 5. In Deutschland lehnt die neuere Rechtsprechung des BSG (5. 7. 2016, B 2 U 5/15 R [Rz 24 f]; 31. 8. 2017, B 2 U 9/16 R [Rz 12, 14]; 27. 11. 2018, B 2 U 8/17 R [Rz 12 f]) die frühere Anknüpfung an die Häufigkeit der Nutzung des konkreten Unfallorts mittlerweile ab und stellt auch innerhalb der häuslichen Sphäre auf die objektivierte Handlungstendenz der versicherten Person ab, differenziert also danach, ob diese eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wurde.
[26] 6. Der österreichische Gesetzgeber hat der
– schon vor der Pandemie – zugenommenen Bedeutung von dienstlichen Tätigkeiten, die außerhalb des klassischen „fixen“ Arbeitsplatzes vorwiegend mittels (mobiler) elektronischer Kommunikation bzw „Teleworking“ erfolgen, Rechnung getragen, indem er mit dem Bundesgesetz BGBl I 2021/62 in § 175 Abs 1 Z 1a und 1b ASVG im Unfallversicherungsrecht den Aufenthaltsort der versicherten Person (Homeoffice) als Arbeitsstätte und Unfälle im zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung im Homeoffice als Arbeitsunfälle im Sinn der Generalklausel des § 175 Abs 1 ASVG qualifizierte. Nach der Legaldefinition des § 2h Abs 1 AVRAG idF BGBl I 2021/62 liegt Arbeit im Homeoffice vor, wenn der Arbeitnehmer „regelmäßig Arbeitsleistungen in der Wohnung erbringt“. Diese Regelungen zum Homeoffice sind nicht mehr als (auf die Geltungsdauer der COVID-19-Maßnahmen) zeitlich beschränkte reine Krisenmaßnahme konzipiert, sondern in das Dauerrecht übernommen worden.
[27] 7. Angesichts der kritischen Stellungnahmen in der Literatur, der neueren deutschen Rechtsprechung und der zunehmenden Bedeutung von Homeoffice ist das Abstellen auf ein Überwiegen der betrieblichen Nutzung des konkreten Unfallorts, wie sie in der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs großteils vertreten wurde, nicht aufrecht zu erhalten.
[28] 8. Im vorliegenden Fall hat der Kläger – blendet man den Unfallort innerhalb des Wohngebäudes aus – von einer nach § 91 Abs 1 Z 1 B-KUVG unfallversicherungsrechtlich geschützten Tätigkeit zu einer nach § 90 Abs 1 B-KUVG geschützten dienstlichen Tätigkeit (Entgegennahme eines dienstlichen Telefonats im Arbeitszimmer) gewechselt. Die Fortbewegung über eine nicht überwiegend zu betrieblichen Zwecken benutzte Innentreppe des Wohngebäudes diente keinem privatwirtschaftlichen Zweck wie beispielsweise eine Bewegung im Zusammenhang mit einer Mittags- oder Kaffeepause. Sie war ausschließlich von der objektivierten Handlungstendenz in Richtung einer dienstlichen Tätigkeit getragen. Der Zusammenhang mit dem die Versicherung begründenden Dienstverhältnis im Sinn des § 90 Abs 1 B-KUVG und der Unfallversicherungsschutz nach dieser Bestimmung sind zu bejahen.
[29] 9. Die Revision des Klägers ist aus diesen Erwägungen berechtigt. Der Unfall vom 27. 6. 2019 war ein Dienstunfall nach § 90 Abs 1 B-KUVG. Ein auf einen Arbeits- oder Dienstunfall gestütztes Leistungsbegehren (Versehrtenrente) erfasst nach § 82 Abs 5 ASGG ein Eventualbegehren auf Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeits- oder Dienstunfalls ist. Ein Teilurteil über die begehrte Anerkennung als Dienstunfall ist nach der Rechtsprechung ausgeschlossen, weil über das Eventualfeststellungsbegehren erst nach Entscheidung über das Leistungsbegehren abgesprochen werden kann (10 ObS 93/16y SSV-NF 30/67 mwN). Der Anspruch auf Versehrtenrente setzt nach § 101 B-KUVG voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Dienstunfalls über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus um mindestens 20 vH vermindert ist. Feststellungen dazu fehlen, weshalb die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben sind.
[30] 10. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO iVm § 2 ASGG. Die Voraussetzungen für einen Kostenzuspruch an den Kläger im Sinn des § 77 Abs 1 Z 2 ASGG können erst nach Entscheidung über die Versehrtenrente beurteilt werden.
Textnummer
E131950European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:E131950Im RIS seit
22.06.2021Zuletzt aktualisiert am
10.02.2022