TE OGH 2021/5/3 50R18/21k

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Veröffentlicht am 03.05.2021
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Das Handelsgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Richterinnen Mag.a Michlmayr (Vorsitzende), Mag.a Schillhammer und Mag.a Tassul in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. F* G*, 2. H* G*, beide **E*, **, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei I* E*.J*., K*/J* L*, M* N*, O* B*, wegen EUR 1.557,20 sA, über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 20.1.2021, GZ 14 C 24/21p-2, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird n i c h t Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

B e g r ü n d u n g :

Mit Urteil vom Die Klägerinnen begehren von der Beklagten mit Sitz in P* Zahlung von EUR 1.557,20. Sie hätten im Februar 2020 über die L* - App Flüge von Q* über P* nach R* gebucht und machen Ansprüche (vgl FC 08 Schadenersatz/Gewährleistung) wegen Flugverspätung, Bahnkosten, beschädigte Koffer und pauschalen Unkosten geltend. Die Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichts für Handelssachen Wien gründe sich auf §§ 99 Abs 3, 87 und 88 JN. Die Beklagte habe in Österreich eine ständige Vertretung. Es handle sich dabei um das Ticketverkaufsbüro in der M* in B*, das Verkaufsbüro am S* B*-** sowie das Frachtbüro in B*-S*. Darüber hinaus seien die Ansprüche der Klägerinnen aufgrund der Flugverspätung sowie der beschädigten Koffer in Österreich zu erfüllen. Es sei eine Umleitung des Fluges zum Flughafen B* erfolgt. Von dort hätten die Klägerinnen die Bahn nach R* genommen. Schließlich befänden sich erhebliche Vermögenswerte der Beklagten in Österreich. Die Beklagte habe mehrere Zweigniederlassungen in Östereich, insbesondere das Ticketverkaufsbüro in der M* in B*.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Mahnklage der Klägerinnen wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Zuständig sei jenes Gericht, in dessen Sprengel die Beklagte ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese Voraussetzung sei den Klagsangaben nicht zu entnehmen. Der Klage lasse sich auch kein anderer Grund für eine Zuständigkeit entnehmen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerinnen aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im zuständigkeitsbegründenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 517 Abs 1 Z 1 ZPO ungeachtet des EUR 2.700,-- nicht übersteigenden Streitwertes zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Zur internationalen Zuständigkeit

1.1. Gemäß § 27a JN besteht inländische Gerichtsbarkeit bzw internationale Zuständigkeit, wenn für die bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts gegeben sind, ohne dass eine sonstige Voraussetzung erfüllt sein muss (Abs 1). Dies gilt nicht, soweit nach Völkerrecht zur Gänze oder zum Teil ausdrücklich anderes bestimmt ist (Abs 2). Die Indikationentheorie ist mittlerweile obsolet geworden. Ist iSd § 27a Abs 1 JN ein gesetzlicher Gerichtsstand im Inland gegeben, gleich ob er in der JN, in anderen Gesetzen oder in einem Übereinkommen geregelt ist, so liegt nach dem klaren Wortlaut des § 27a Abs 1 JN, ohne dass eine sonstige Voraussetzung erfüllt sein müsste - vorbehaltlich des Abs 2 - auch inländische Gerichtsbarkeit vor (Matscher in Fasching/Konecny3 § 27a JN Rz 5,6 [Stand 30.11.2013, rdb.at]).

1.2. Die amtswegige Prüfung iSv § 41 Abs 1 JN der inländischen Gerichtsbarkeit gemäß § 27a JN bezieht sich in erster Linie auf die Zuständigkeitsgrundlagen; dabei wird sich der Richter primär auf die Angaben des Klägers iSd § 41 Abs 2 JN stützen, ohne an diese gebunden zu sein. Im Zweifelsfall hat er daher eigene Ermittlungen durchzuführen. Ergibt sich aus dieser Prüfung, dass eine örtliche Zuständigkeit gegeben ist, impliziert dies - vorbehaltlich des Eingreifens eines Ausschlussgrundes nach § 27a Abs 2 JN - das gleichzeitige Vorliegen von inländischer Gerichtsbarkeit (Matscher aaO Rz 13).

2. Zum Vorliegen eines Ausschlussgrundes iSd § 27a Abs 2 JN

2.1. Auf die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 (kurz EU-FluggastVO) können die Klägerinnen ihre Ansprüche nicht stützen. Gemäß Art 3 Abs 1 EU-FluggastVO („Anwendungsbereich“) gilt die Verordnung für Fluggäste, die ihren Flug auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats antreten (lit a), weiters, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein solches der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats antreten (lit b). Weder liegt der Flughafen Q*, es handelt sich dabei um eine Stadt in der Türkei, im Gebiet eines Mitgliedstaats, noch ist die Beklagte als ausführendes Luftfahrtunternehmen ein solches der Gemeinschaft.

2.2.1. Auf den vorliegenden Fall ist vielmehr das Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.5.1999 (kurz Montreal-Übereinkommen bzw MÜ) anzuwenden, dessen Vertragspartei die Türkei mittlerweile ist (BGBl. III Nr. 208/19). Deutschland ist schon länger Vertragspartei (BGBl. III Nr. 131/2004).

2.2.2. Gemäß Art 1 MÜ gilt das Übereinkommen für jede internationale Beförderung, bei der nach den Vereinbarungen der Parteien der Abgangsort und der Bestimmungsort, gleichviel ob eine Unterbrechung der Beförderung oder ein Fahrzeugwechsel stattfindet oder nicht, in den Hoheitsgebieten von zwei Vertragsstaaten liegt (Abs 1, 2).

2.2.3. Im vorliegenden Fall liegt nach dem Klagsvorbringen sowohl der vertragliche Abgangsort (Q*-Türkei) als auch der Bestimmungsort (R*-Deutschland) im Anwendungsbereich des MÜ.

2.2.3. Nicht zuletzt fallen die von den Klägerinnen geltend gemachten Ansprüche auch unter die in den Art 17 ff MÜ geregelten (Schadenersatz-)Ansprüche wegen Beschädigung von Reisegepäck und Verspätung.

2.2.4. Gemäß Art 33 Abs 1 MÜ müssen Klagen auf Schadenersatz im Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten erhoben werden, und zwar nach Wahl des Klägers entweder beim Gericht des Ortes, an dem sich der Wohnsitz des Luftfrachtführers, seine Hauptniederlassung oder seine Geschäftsstelle befindet, durch die der Vertrag geschlossen worden ist, oder bei dem Gericht des Bestimmungsorts. Art 33 Abs 1 MÜ regelt nicht nur die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeit zwischen den Vertragsstaaten, sondern auch die Verteilung der örtlichen Zuständigkeit zwischen den jeweiligen Gerichten dieser Staaten (ecolex 2020/23 unter Verweis auf EuGH 7.11.2019, C-213/18 Guaitoli ua).

2.2.5. Der Wohnsitz bzw die Hauptniederlassung der Beklagten als Luftfrachtführerin befindet sich in P*. Die L* – App, über die die beiden Flüge gebucht wurden, verweist im Impressum auf die Beklagte und nicht eine in Österreich bzw B*, etwa in O* B*, M* N*-** befindliche Geschäftsstelle. Damit erfolgte die Vertragsabwicklung nicht über diese Geschäftsstelle. Der Bestimmungsort befindet sich in R*-Deutschland. Es gibt daher im Inland keinen inländischen bzw örtlichen Anknüpfungspunkt iSv Art 33 Abs 1 MÜ.

2.2.6. Mangels internationaler Zuständigkeit können die Klägerinnen ihre Ansprüche daher nicht vor einem österreichischen Gericht bzw dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien geltend machen.

3. Zusammenfassung, Kosten, Revisionsrekurs

3.1. Dem insgesamt unberechtigten Rekurs war im Wesentlichen aufgrund des Vorliegens eines Ausschlussgrundes iSd § 27a Abs 2 JN der angestrebte Erfolg zu Versagen.

3.2. Der die Kostentragung betreffende Ausspruch gründet sich auf §§ 50 Abs 1, 40 Abs 1 ZPO.

3.3. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf §§ 526 Abs 3, 528 Abs 2 Z 1 ZPO.

Textnummer

EWH0000069

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00007:2021:05000R00018.21K.0503.000

Im RIS seit

22.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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