Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Karl Hepperger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung und Einwilligung in die Einverleibung über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 17. Februar 2021, GZ 53 R 216/20a-25, womit das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 15. Oktober 2020, GZ 15 C 490/19h-20, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die mit 1.413,12 EUR (darin enthalten 235,52 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.779,88 EUR (darin enthalten 141,48 EUR an Umsatzsteuer und 1.431 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin betreibt ein Hotel, das sie und ihre Rechtsvorgänger stets als „Ski-In/Ski-Out Hotel“ bewarben. Die Klägerin, ihr Rechtsvorgänger und die Gäste ihres Hotels benützen seit der Wintersaison 1982/1983 Grundstücke des Beklagten, um von der „S*****-Abfahrt“ bzw der Seilbahn „S*****“ auf Skiern und zu Fuß direkt zum Hotel der Klägerin zu gelangen.
[2] Gegenstand des Verfahrens ist die Ersitzung einer entsprechenden Dienstbarkeit betreffend zwei Wege. Begehrt wird die Feststellung der unbeschränkten Dienstbarkeit des Gehens und des Schifahrens in der Winterzeit (Zeit der Schneeauflage) und die Verpflichtung des Beklagten zur Einwilligung in die Einverleibung dieser Dienstbarkeit. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, wobei es von folgenden Feststellungen ausging:
[3] Die Nutzung der Wege erfolgt täglich in der Wintersaison. Seit die Grundstücke des Beklagten derart genutzt werden, wurde es der Klägerin, ihrem Rechtsvorgänger oder ihren Gästen nie verboten und sie wurden auch nicht daran gehindert, die Grundstücke des Beklagten zu überqueren. Es befinden sich auch keine Hinweis- oder Verbotsschilder auf den Grundstücken.
[4] Für die Klägerin wurde das Recht an den benutzten Wegen erstmals im Frühjahr 2017 zum Thema, als es Gerüchte betreffend die Umwidmung der gegenständlichen Flächen gab. Die Klägerin richtete ein Schreiben an die Gemeinde, worin sie mitteilte, dass Wegerechte zu Lasten der Beklagtengrundstücke bestehen und sie wolle Auskunft darüber erhalten, ob durch eine Umwidmung auch in ihre Interessen eingegriffen würde. Von diesem Schreiben erlangte der Rechtsvorgänger des Beklagten Kenntnis, rief die Klägerin an und sagte „Glaubst´s ihr jetzt leicht euch gehört alles“. Im darauffolgenden Gespräch meinte der Rechtsvorgänger des Beklagten, man könne sich vielleicht einigen. Er rief die Klägerin am selben Tag noch einmal an, wobei das Gespräch nicht mehr so angenehm war, wie das erste. Er sagte „wegen dem gehört dir ja gar nichts“ und dass es eine Frechheit sei, was die Klägerin gemacht habe.
[5] Der Beklagte sprach seinen Vater vor sechs oder sieben Jahren einmal darauf an, ob die Schifahrer eigentlich über den Weg fahren dürfen. Dieser sagte, dass es keine Vereinbarung mit den Inhabern des Hotels S***** gibt und die Gäste des Hotels S***** über die Servitutsflächen der Bergbahn fahren.
[6] Zu Lasten der Liegenschaft des Beklagten besteht eine Dienstbarkeit der Duldung der Skiabfahrttrasse vom S***** zur Ausübung des Wintersports durch die Öffentlichkeit auf den Grundstücken des Beklagten für die ***** Bergbahnen Ges.m.b.H. aus einem Dienstbarkeitsvertrag vom 17. 6. 2000.
[7] Der Beklagte war immer in Tirol wohnhaft, besucht aber seit seiner Kindheit regelmäßig seine nunmehrige Liegenschaft an den Wochenenden, auch in den Wintermonaten. Während seines Aufenthalts bewohnte der Beklagte das Haus auf dem Grundstück 26. Von dort aus ist es erkennbar, ob jemand die Grundstücke oberhalb (südlich) des Hauses quert. Auch der Rechtsvorgänger des Beklagten hielt sich öfters auf dem Grundstück 26 auf, auf dem ein Appartementhaus errichtet ist.
[8] Das Berufungsgericht behob das Ersturteil wegen fehlender Feststellungen und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
[9] Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, von erheblicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, inwiefern die Redlichkeit des Ersitzenden auch dann bezweifelt werden müsse, wenn ihm innerhalb der 30jährigen Ersitzungsfrist die rechtsgeschäftliche Überlassung ähnlicher Dienstbarkeiten an einen Dritten bekannt wird; darüber hinaus sei die Frage der Zurechnung einer Ersitzung im Lichte der Rechtssatzkette RS0118987 weiterzuentwickeln.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Rekurs ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.
[11] 1.1. Zum Erwerb des Besitzes eines Rechts an einer Liegenschaft (als Voraussetzung der Ersitzung) ist nicht nur der Wille des Besitzers, ein Recht auszuüben, sondern außerdem erforderlich, dass die Leistung oder Duldung durch den Grundeigentümer erkennbar wie die Erfüllung einer Schuldigkeit geschieht, als hätte derjenige, dem geleistet wird oder dessen Handlungen geduldet werden, ein Recht darauf (RS0009762). Es muss für den Eigentümer der dienstbaren Liegenschaft erkennbar sein, dass ein vom Gemeingebrauch verschiedenes Recht in Anspruch genommen wird (RS0009762 [T6]). Die Inanspruchnahme des Gemeingebrauchs oder einer jedermann unter bestimmten Voraussetzungen möglichen örtlichen Übung stellt somit keine Besitzausübung dar (RS0009762 [T17]).
[12] 1.2. In diesem Zusammenhang kommt es nur auf die objektive Erkennbarkeit der Rechtsausübung durch denjenigen, in dessen Recht eingegriffen wird, jedoch nicht auf die subjektive Kenntnis des Eigentümers der belasteten Sache an (RS0010135 [T4]). Für den Ersitzungsgegner muss aber jedenfalls erkennbar sein, welches individuelle Recht konkret in Anspruch genommen wird (RS0010135 [T8]). Dabei genügt es, wenn derjenige, in dessen Besitz eingegriffen wird, die Ausübung eines bestimmten Rechts erkennen kann, also bei einiger Aufmerksamkeit Vorgänge wahrgenommen werden können, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (vgl 6 Ob 12/15f).
[13] 1.3. Der zur Ersitzung führende Besitz kann auch durch Stellvertreter, Boten oder andere Besitzmittler ausgeübt werden, wobei hiefür insbesondere Kunden bzw Gäste in Betracht kommen, sofern diese Rechtsausübung vom Besitzwillen des Unternehmers getragen wird (RS0011655). Für den Besitzwillen ist das äußere Bild der Benützung ausschlaggebend (RS0011655 [T3]).
[14] 2. Nach § 1463 ABGB muss der Ersitzende weiters redlich (gutgläubig) sein. Guter Glaube setzt dabei positive Überzeugung von der Rechtmäßigkeit des Besitzers voraus; er wird schon durch Zweifel ausgeschlossen (RS0010197 [T1]). Ein Rechtsbesitzer ist redlich, wenn er glauben kann, dass ihm die Ausübung des Rechts zusteht (RS0010137), wobei der gute Glaube grundsätzlich vermutet wird (RS0010137 [T4]). Der für die Ersitzung erforderliche gute Glauben fällt jedoch weg, wenn der Besitzer entweder positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, oder wenn er zumindest solche Umstände erfährt, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Besitzes Anlass geben (RS0010184). Beim Besitzerwerb und der Besitzausübung durch Stellvertreter oder sonstige Mittelspersonen müssen sowohl der Erwerber als auch die Besitzmittler bzw Besitzdiener gutgläubig sein (1 Ob 41/08y). Die Ersitzung einer Dienstbarkeit wird durch das Bestehen gleichartiger, rechtsgeschäftlich begründeter Dienstbarkeiten zugunsten anderer Liegenschaftseigentümer nicht ausgeschlossen (5 Ob 10/96).
[15] 3.1. In Einklang mit der Auffassung der Vorinstanzen ist für den vorliegenden Fall entscheidend, ob die Klägerin bzw ihre Mittelspersonen für den Beklagten erkennbar über die Dauer der Ersitzungszeit von 30 Jahren redlich ein individuelles Recht ausgeübt haben.
[16] Das Berufungsgericht war der Auffassung, es fehlten Feststellungen zum Besitzwillen der Mittelspersonen der Klägerin, weiters zu den Verträgen des Beklagten mit den Bergbahnen und schließlich zum Umfang der örtlichen Übung oder des Gemeingebrauchs in Bezug auf den Zugang zu den Seilbahnen und der Rückkehr von der Abfahrt.
[17] 3.2. Wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, dann kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem grundsätzlich nicht entgegentreten (RS0042179). Zweck des Rekurses ist nur die Überprüfung der Rechtsansicht der zweiten Instanz durch den Obersten Gerichtshof; ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht richtig, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (RS0042179 [T17]). Das Berufungsgericht darf allerdings nicht eine Verfahrensergänzung auftragen, die durch das Prozessvorbringen der Parteien nicht gedeckt ist (RS0042430). Ebenso ist es unzulässig, nur zu dem Zwecke ein erstrichterliches Urteil aufzuheben, um Erörterungen über Tatsachen zu veranlassen, die im bisherigen Verfahren nicht behauptet worden sind (RS0042444).
[18] 3.3. Wurde ein bestimmter Sachverhalt nicht behauptet, bildet die Unterlassung entsprechender Feststellungen keinen Verfahrensmangel (RS0042444 [T4]). Verweist das Berufungsgericht die Sache ohne Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen dennoch an das Erstgericht zurück, so liegt darin die unrichtige Lösung einer Frage des Verfahrensrechts, die für die Rechtssicherheit von erheblicher Bedeutung ist (RS0108072).
[19] 3.3.1. Tatsächlich hat sich die Klägerin im Verfahren erster Instanz stets darauf berufen, dass sie selbst, ihre Rechtsvorgänger und ihre Gäste die gegenständlichen Grundstücke genutzt hätten. Eine Besitzausübung durch die Nachbarn war im Verfahren erster Instanz kein Thema. Ebenso wenig hat der Beklagte einen Gemeingebrauch oder eine jedermann offenstehende örtliche Übung eingewendet, sondern lediglich im Wesentlichen die Besitzausübung und die Redlichkeit der Klägerin bestritten sowie auf den Umstand verwiesen, dass mit den Bergbahnen ein Vertrag bestehe, aus dem im Umkehrschluss folge, dass zugunsten der Klägerin eine Ersitzung „nicht möglich sei“.
[20] 3.3.2. Dass die Klägerin von dem Vertrag mit den Bergbahnen gewusst hätte, hat der Beklagte nicht vorgebracht. Was den Vertrag mit den Bergbahnen selbst betrifft, so hat bereits die Entscheidung 5 Ob 10/96 im Zusammenhang mit der Ersitzung eines Wasserbezugsrechts ausgeführt, dass die Ersitzung einer Dienstbarkeit durch das Bestehen gleichartiger, rechtsgeschäftlich begründeter Dienstbarkeiten zugunsten anderer Liegenschaftseigentümer nicht ausgeschlossen wird. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Redlichkeit der Klägerin wegfalle, so ihr bekannt war oder bekannt sein musste, dass die Bergbahn mit dem Beklagten Servitutsverträge abgeschlossen hatte, steht zu dieser Entscheidung in Widerspruch. Zwar bezieht sich die Entscheidung 5 Ob 10/96 auf andere Eigentümer derselben (herrschenden) Liegenschaft. Es kann aber nichts anderes gelten, wenn es – wie im vorliegenden Fall – um die Eigentümerin einer anderen herrschenden Liegenschaft geht, besteht doch zwischen diesen beiden Situationen in Hinblick auf die Redlichkeit des servitutsausübenden Ersitzungswerbers kein Unterschied.
[21] 3.4. Damit reichen aber die Feststellungen des Erstgerichts für die Klagsstattgebung aus. Dafür, dass die Klägerin und ihre Gäste hier ein individuelles Recht ausübten, spricht auch ganz deutlich der Umstand, dass das Hotel stets ausdrücklich als „Ski-In/Ski-Out Hotel“ beworben wurde und die Gäste der Klägerin über die Grundstücke des Beklagten den direkten Weg vom Hotel zum „S*****“ nehmen sowie direkt zum Hotel zufahren, was für den Beklagten auch erkennbar war. Diese Umstände heben sich doch deutlich von einem jedermann möglichen Gemeingebrauch durch Skifahrer ab, die sich einfach eine Liftkarte kaufen und nicht zum Hotel der Klägerin gehören.
[22] 4. Damit konnte aber in Stattgebung des Rekurses vom Obersten Gerichtshof sofort mit Urteil in der Sache selbst erkannt werden (§ 519 Abs 2 Satz 3 ZPO).
[23] Aufgrund der Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts war auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens neu zu fassen. Diese sowie die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E131948European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00067.21B.0512.000Im RIS seit
22.06.2021Zuletzt aktualisiert am
22.06.2021