TE OGH 2021/5/19 17Ob7/21k

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Veröffentlicht am 19.05.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätinnen Mag. Malesich und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. G*****, Rechtsanwalt in Wien, als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der T***** GmbH, gegen die beklagte Partei Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse, Wien 5, Kliebergasse 1a, vertreten durch Barnert Egermann Illigasch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 91.441,97 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 10. März 2021, GZ 3 R 71/20p-19, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 20. November 2020, GZ 33 Cg 25/20f-14, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.346,66 EUR (hierin enthalten 391,11 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 29. April 2019 wurde über das Vermögen der T***** GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die spätere Schuldnerin als beauftragtes Unternehmen iSd § 67a ASVG stellte am 2. Oktober 2018 und am 9. Jänner 2019 jeweils bei dem bei der (jetzt:) Österreichischen Gesundheitskasse eingerichteten Dienstleistungszentrum (§ 67c ASVG) einen Antrag auf Auszahlung von Guthaben iSd § 67a ASVG. Beide Anträge wurden mangels der Voraussetzungen des § 67a Abs 6 und Abs 6a ASVG abgelehnt; in der Folge überwies die Wiener Gebietskrankenkasse am 21. Dezember 2018 und am 28. Jänner 2019 die zugunsten der Schuldnerin erliegenden Guthaben von 72.575,07 EUR bzw 18.866,90 EUR von Amts wegen an die Beklagte zur Abdeckung der dieser gegenüber bestehenden Verbindlichkeiten der Schuldnerin.

[2]            Mit seiner am 5. Juni 2020 eingebrachten, auf § 31 Abs 1 Z 2 IO gestützten Anfechtungsklage begehrt der Kläger die Unwirksamerklärung der beiden an die Beklagte geleisteten Zahlungen, hilfsweise der geschaffenen Aufrechnungslagen und der Aufrechnungen der Beklagten mit Beitragsforderungen gegen die Forderung der Schuldnerin auf Auszahlung der Guthaben sowie der dadurch erlangten Befriedigung; weiters begehrt er Zahlung von 91.441,97 EUR sA. Die Schuldnerin sei spätestens Ende 2017 zahlungsunfähig und insolvenzrechtlich überschuldet gewesen, was der Beklagten im Zeitpunkt des Eingangs der Zahlungen bzw der Aufrechnung bekannt gewesen sei oder zumindest bekannt sein habe müssen.

[3]            Die Beklagte wendete insbesondere ein, § 67a ASVG normiere eine automatische Verrechnung (ua) mit fälligen Zuschlägen nach dem BUAG sowie deren Anfechtungsfestigkeit. Außerdem sei die Klage in Hinblick auf § 352 ASVG wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen.

[4]            Das Erstgericht wies die Klage zurück. Nach der Judikatur seien für Streitigkeiten darüber, ob ein Guthaben nach § 67a Abs 6 ASVG an das beauftragte Unternehmen auszuzahlen sei, nicht die Gerichte, sondern jene Krankenversicherungsträger zuständig, denen das Dienstleistungszentrum die Beträge zugewiesen habe. Der Kläger habe sich zwar – anders als die Klägerin zu 3 Ob 101/16y – nicht explizit auf § 20 IO gestützt; allerdings werde auch hier die Verrechnung eines Guthabens iSd § 67a ASVG mit Verbindlichkeiten der Schuldnerin bei der Beklagten und die Entgegennahme dieses Guthabens durch die Beklagte angefochten. Außerdem unterliege die konkrete Anfechtung dem Anfechtungsausschluss nach § 67a Abs 4 ASVG. Es sei daher eine Anfechtung aus formalen Gründen nicht möglich bzw der Rechtsweg unzulässig.

[5]            Das Rekursgericht verwarf infolge Rekurses des Klägers die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs und trug dem Erstgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Nach dem – für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs allein maßgeblichen – Klagevorbringen stütze sich der Kläger nicht auf § 20 IO, sondern mache vielmehr einen insolvenzrechtlichen Anfechtungsanspruch geltend. Zur Verhandlung und Entscheidung über solche Ansprüche sei gemäß § 43 Abs 5 IO das Insolvenzgericht ausschließlich zuständig. Die vom Erstgericht zitierten Entscheidungen, insbesondere 3 Ob 101/16y, hätten keinen Anfechtungsanspruch zum Inhalt gehabt und seien daher nicht einschlägig. Auch die vom Erstgericht bejahte Anfechtungsfestigkeit von Drittleistungen gemäß § 67 Abs 4 ASVG greife hier nicht, weil sich diese Bestimmung lediglich auf die Leistung des Haftungsbetrags des Auftraggebers an das Dienstleistungszentrum beziehe.

[6]       Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zur Frage zu, ob der Rechtsweg für eine insolvenzrechtliche Anfechtungsklage, die sich gegen die Überweisung eines Guthabens gemäß § 67a Abs 6 ASVG an den Sozialversicherungsträger und die durch diesen vorgenommene Verrechnung mit Beitragsrückständen des Schuldners richte, vor dem Hintergrund der Entscheidung 3 Ob 101/16y zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[7]            Der Revisionsrekurs der Beklagten ist zur Klarstellung zulässig, aber nicht berechtigt.

[8]            1. Die Auslegung des Rekursgerichts, dass sich aus dem Rekursvorbringen des Klägers zweifelsfrei ergebe, dass er nicht bloß, wie beantragt, die „Aufhebung“, sondern vielmehr die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung anstrebe, ist nicht zu beanstanden.

[9]            2. Im gegebenen Zusammenhang betrifft die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs die Frage, ob die Rechtssache in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte iSd Art 82 ff B-VG (Justizweg, Rechtsweg iwS) oder der Verwaltungsbehörden (Verwaltungsweg) fällt (vgl Ballon; Fucik; Lovrek in Fasching/Konecny3 § 1 JN Rz 69).

[10]           3. Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist von den Klagebehauptungen auszugehen. Maßgebend ist die Natur des erhobenen Anspruchs. Es kommt auf den Inhalt und nicht auf den bloßen Wortlaut des Begehrens, aber auch nicht darauf an, ob es berechtigt ist; darüber, ob der behauptete Anspruch auch begründet ist, ist erst in der Sachentscheidung abzusprechen. Relevant ist also nur, ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wird, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (RIS-Justiz RS0045718).

[11]           4. Ausgehend von den somit allein maßgeblichen Klagebehauptungen macht der Kläger einen Anfechtungsanspruch nach § 31 Abs 1 Z 2 IO geltend. Gemäß § 43 Abs 1 IO kann die Anfechtung durch Klage oder Einrede geltend gemacht werden. Soweit das Anfechtungsrecht (ua) vom Insolvenzverwalter ausgeübt wird, ist das Insolvenzgericht gemäß § 43 Abs 4 IO (von einem hier nicht vorliegenden Ausnahmefall abgesehen) zur Verhandlung und Entscheidung über Anfechtungsklagen ausschließlich zuständig. Anders als etwa im Fall von Einwendungen gegen den Anspruch gemäß § 35 Abs 2 EO differenziert das Gesetz in § 43 Abs 1 IO nicht danach, ob die Anfechtung einen zivilrechtlichen oder aber einen verwaltungsrechtlichen Anspruch betrifft. Aus diesem Grund sind Anfechtungsansprüche nach den §§ 27 ff IO stets vor den ordentlichen Gerichten auszutragen; das gilt auch, wenn für die Rückforderung außerhalb des Konkurses der streitige Rechtsweg unzulässig wäre (Rebernig in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 43 KO Rz 42 mwN; vgl auch RS0115085).

[12]           5. Wie das Rekursgericht richtig erkannt hat, ist die Entscheidung 3 Ob 101/16y hier nicht einschlägig: Dieser lag nämlich keine Anfechtungsklage, sondern vielmehr eine gegen eine Gebietskrankenkasse gerichtete Klage eines Insolvenzverwalters auf Auszahlung des ursprünglich beim Dienstleistungszentrum erliegenden, mittlerweile an die Gebietskrankenkasse weitergeleiteten Guthabens und auf Feststellung der Unwirksamkeit der erfolgten Aufrechnung gemäß § 20 IO zugrunde; die Zulässigkeit des Rechtswegs (Justizwegs) für einen solchen Anspruch wurde in Hinblick auf § 352 ASVG verneint.

[13]           6. Die im Verfahren weiters strittige Frage, ob die angefochtenen Rechtsgeschäfte iSd § 67a Abs 4 ASVG anfechtungsfest sind, betrifft nicht die Zulässigkeit des Rechtswegs, sondern die materielle Berechtigung der Klage; ihre Bejahung könnte daher nicht zur Zurück-, sondern nur zur Abweisung der Klage führen. Daran kann auch der von der Beklagten hervorgehobene Umstand nichts ändern, dass § 67a Abs 4 ASVG die Anwendbarkeit des Zweiten Abschnitts des Ersten Hauptstücks des Ersten Teils der IO und damit auch des § 43 IO ausschließt, weil es keine Norm gibt, die in dieser Konstellation die Zulässigkeit des Verwaltungswegs anordnet. Im derzeitigen Verfahrensstadium ist der Oberste Gerichtshof daher nicht berufen, zu dieser Frage Stellung zu nehmen.

[14]           Ob die obiter geäußerte und das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren nicht bindende (RS0110248) Rechtsauffassung des Rekursgerichts über die Anfechtbarkeit richtig ist (vgl dazu Rebernig, Auftraggeberhaftung: Aktuelle Rechtsfragen und anfechtungsrechtliche Gesichtspunkte, ZIK 2016/112, 97 [98 f]; Rebhahn/Meißnitzer in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67a ASVG Rz 88), ist daher in diesem Verfahrensstadium nicht zu prüfen.

[15]     7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte ist im Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtswegs unterlegen (RS0035955).

Textnummer

E131919

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0170OB00007.21K.0519.000

Im RIS seit

18.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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