Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Juni 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Pentz in der Strafsache gegen ***** M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 3. November 2020, GZ 37 Hv 73/20x-44, sowie über die Beschwerde des Genannten gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** M***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 (III) sowie je eines Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I) und der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in B*****
(I) am 29. Oktober 2019 ***** M***** mit Gewalt zu einer Handlung, nämlich neben ihm am Sofa sitzen zu bleiben, genötigt, indem er sie festhielt und ihr, nachdem sie nach ihrem Sohn gerufen hatte (US 4), den Mund zuhielt;
(II) am 30. Oktober 2019 mit ***** M***** gegen deren Willen den Beischlaf vorgenommen, indem er sie zum vaginalen Geschlechtsverkehr (US 4) aufforderte und trotz ihrer verbal erklärten Weigerung vaginal in sie eindrang;
(III) am 4. November 2019 ***** M***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs zu nötigen versucht, indem er sie an den Händen festhielt und danach trachtete, ihre Beine auseinander zu drücken, um vaginal in sie einzudringen, was ihm aufgrund ihrer Gegenwehr (US 5) misslang.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 5, 5a und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.
[4] Die Behauptung (nominell Z 3), die mündliche Urteilsbegründung (§ 268 StPO) weiche bezüglich der Nichtanwendung des § 43 Abs 1 StGB von den schriftlich ausgefertigten Entscheidungsgründen ab, spricht keinen Nichtigkeitsgrund an (RIS-Justiz RS0123342 [T1], vgl RS0098421 [T1]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 280; Danek/Mann, WK-StPO § 268 Rz 8; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 260 Rz 1).
[5] Mit dem weiteren – undifferenziert auf Z 5 zweiter Fall und Z 5a gestützten (vgl aber RIS-Justiz RS0115902 und RS0100183) – Vorbringen wendet sich die Beschwerde ausschließlich gegen die tatrichterliche Annahme der Glaubwürdigkeit des Tatopfers. Diese kann zwar als – in der Regel – erhebliche Tatsache unter dem Gesichtspunkt der Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen. Der Bezugspunkt besteht dabei aber nicht in der Sachverhaltsannahme der Überzeugungskraft von Aussagen, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu den entscheidenden Tatsachen (RIS-Justiz RS0119422 [T4]). Diesen verfehlt die Beschwerde, indem sie bloß das Unterbleiben einer Erörterung von Passagen aus den Angaben des Opfers und der Verantwortung des Angeklagten betreffend die zum Tatzeitpunkt bestehenden Konflikte in der (in Auflösung befindlichen) Ehe der Genannten kritisiert. Solcherart erschöpft sie sich – auch unter dem Aspekt der Z 5a – im Ergebnis in einem Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (RIS-Justiz RS0099419).
[6] Gleiches gilt für die – zudem ohne Nennung von aktenkundigen oder angeblich übergangenen Verfahrensergebnissen erhobenen – Vorwürfe, das Erstgericht habe sich weder mit dem Fehlen von – aufgrund der Tatbeschreibung aber zu erwartenden – Verletzungen des Opfers, noch mit dem „Widerspruch“ auseinandergesetzt, dass ***** M***** die Verhinderung eines (jeweils ungewollten) Vaginalverkehrs zwar am 4. November 2019 (Schuldspruch zu III), nicht aber am 30. Oktober 2019 (Schuldspruch zu II) gelang (vgl im Übrigen US 6 ff), und zudem nicht berücksichtigt, dass das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten hinsichtlich eines weiteren von der Genannten gegen ihn erhobenen Vorwurfs nach § 190 Z 2 StPO eingestellt wurde (RIS-Justiz RS0117499, RS0118316, RS0128874).
[7] Entgegen dem Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11 dritter Fall) haben die Tatrichter die Nichtanwendung bedingter Strafnachsicht nach § 43 Abs 1 StGB einzelfallbezogen mit spezialpräventiven und generalpräventiven Erwägungen begründet (US 15 ff; vgl RIS-Justiz RS0100032). Die auf die mündliche Urteilsbegründung gestützte Beschwerdeargumentation übersieht, dass Bezugspunkt des Nichtigkeitsverfahrens die schriftliche Urteilsausfertigung ist (vgl RIS-Justiz RS0123342, RS0125533).
[8] Der Einwand der Nichtberücksichtigung des Milderungsgrundes des § 34 Abs 1 Z 11 StGB stellt ein Berufungsvorbringen dar (RIS-Justiz RS0099920, RS0099869 [T12, T13, T14]).
[9] Die gegen die Anordnung von Bewährungshilfe (ON 45) gerichtete Kritik ist Gegenstand der (implizierten) Beschwerde.
[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[11] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die (implizierte) Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).
[12] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E131940European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00012.21B.0601.000Im RIS seit
22.06.2021Zuletzt aktualisiert am
02.07.2021