TE Lvwg Erkenntnis 2017/4/18 LVwG-2016/17/0933-5

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Veröffentlicht am 18.04.2017
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Entscheidungsdatum

18.04.2017

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §293
NAG 2005 §14b Abs3 Z2
NAG 2005 §45 Abs12

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seine Richterin Dr. Felizitas Luchner über die Beschwerde der AA, geb am xx.xx.xxxx, wohnhaft in Z, vertreten durch RA Dr. BB, Z, gegen den Bescheid der Bürgermeisterin der Stadt Z vom 24.03.2016 zu ****,

zu Recht erkannt:

1.   Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG wird der angefochtene Bescheid behoben und ist der Beschwerdeführerin gemäß ihrem Antrag vom 06.11.2015 der Aufenthaltstitel „Dauerenthalt-EU“ mit einer Gültigkeit vom 30.03.2017 bis zum 30.03.2022 zu erteilen.

2.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Sie haben die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden kann.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.   Sachverhalt und rechtliche Erwägungen:

Die Beschwerdeführerin hat am 19.11.2015 persönlich einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Dauerenthalt-EU“ im Rahmen eines Erstantrags eingebracht. Nach Prüfung des Antrags, der Antragsunterlagen und der rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels wurde der Antrag von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.03.2016 zu Zl **** abgewiesen. Die Abweisung wurde damit begründet, dass die monatlich zur Verfügung stehenden Mittel in der Höhe von Euro 1.860,08 liegen würden und somit um 314,11 Euro unter dem für zwei Erwachsene mit drei Kindern erforderlichen Betrag von Euro 2.174,19.

Gegen den abweisenden Bescheid wurde rechtzeitig Beschwerde erhoben und in dieser ausgeführt wie folgt:

„In umseitiger Rechtssache gibt die Beschwerdeführerin bekannt, dass sie Rechtsanwälte Dr. CC, Dr. BB, Adresse 1, Z, mit ihrer rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt hat. Diese berufen sich gemäß § 10 AVG auf die erteilte Bevollmächtigung.

Die Beschwerdeführerin erhebt innerhalb offener Frist

BESCHWERDE

an das Landesverwaltungsgericht Tirol gegen den Bescheid der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Z vom 24.3.2016, ****, zugestellt am 25.3.2016.

Die Beschwerdeführerin fechtet den angefochtenen Bescheid in seinem gesamten Umfang an.

Die Beschwerdeführerin wird durch diesen angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Daueraufenthalt EU gemäß § 45 NAG verletzt.

Die Beschwerdeführerin macht als Beschwerdegründe Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend.

1.)Die Erstbehörde stellte aufgrund des amtsärztlichen Gutachtens fest, dass die Bf an einer Augenerkrankung leidet, die sie an der Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung (§ 14b NAG) hindert.

Gleichzeitig hat sie den Antrag abgewiesen, da der Aufenthalt der Bf zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen würde, da ihre festen und regelmäßigen eigenen Einkünfte um Eur. 314,11 zu gering seien, um eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften zu ermöglichen.

In antizipierender Beweiswürdigung hat die Erstbehörde jedoch die weitere Feststellung unterlassen, dass die Bf wegen ihrer Augenerkrankung nur einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt hat und dass sie als Mutter dreier Kinder im Alter von 8, 6 und 1 Jahren im Hinblick auf die Kinderbetreuung derzeit nicht zur Arbeitsaufnahme verhalten werden darf.

Diese Feststellungen wären wesentlich gewesen, da gemäß § 11 (3) NAG ein Aufenthaltstitel trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs.2 Z 1 bis 6 erteilt werden kann, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der EMRK geboten ist, wobei insbesondere zu berücksichtigen sind:

1.   die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.   das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.   die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.   der Grad der Integration;

5.   die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.   die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.   Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in

8.   einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.   die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Da

?    sich die Bf seit 2002 zunächst als Asylwerberin und seit dem 1.9.2010 als subsidiär Schutzberechtigte in Österreich aufhält,

?    sie hier in Österreich mit ihrem Lebensgefährten und den drei gemeinsamen Kindern im gemeinsamen Haushalt lebt,

?    sie an einer schweren Augenerkrankung leidet und auf die Unterstützung der Familie angewiesen ist,

?    sie in Österreich seit 14 Jahren sehr gut integriert ist,

?    sie zum Heimatstaat Y keinerlei Bindung mehr hat,

?    sie strafrechtlich unbescholten ist und

?    sie keine Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften begangen hat,

hätte unter Anwendung des § 11 Abs 3 NAG dem Antrag trotz Unterschreitung der erforderlichen Mittel der beantragte Aufenthaltstitel erteilt werden müssen.

2.) Die Erstbehörde errechnet den erforderlichen Betrag mit Eur. 2.174,19, wobei sie von zwei Erwachsenen a Eur. 882,78 und drei Kindern ausgeht, und stellte einen Fehlbetrag von Eur. 314,11 fest. Hätte sie die Bf und ihren langjährigen Lebensgefährten und Vater von drei Kindern einem Ehemann gleichgestellt, würde sich der erforderliche Betrag um Eur. 441,98 auf Eur. 1.732,21 verringern, womit der erforderliche Betrag erreicht worden wäre.

Diese Ungleichbehandlung ist willkürlich, belastet den angefochtenen Bescheid jedenfalls mit einem schwerwiegenden Begründungsmangel und ist rechtswidrig.

Gestützt auf obiges Vorbringen werden gestellt nachfolgende

Beschwerdeanträge:

Das Landesverwaltungsgericht Tirol wolle eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen und den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Antrag des Bf auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte-EU gemäß § 45 NAG Folge gegeben wird;

in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an die Erstbehörde zurückverweisen.“

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurde in den vorgelegten erstinstanzlichen Verwaltungsakt der belangten Behörde Einsicht genommen. Außerdem wurde am 16.02.2017 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt. In dieser konnte die Beschwerdeführerin einvernommen werden. Sie wurde aufgefordert bekannt zu geben wie hoch die Familienbeihilfe und das Kinderbetreuungsgeld sei, dass sie monatlich beziehe. Sie teilte mit, dass die Miete für ihre Wohnung nach wie vor Euro 880,00 inklusive Betriebskosten betragen würde.

Die belangte Behörde hat im Behördenverfahren bereits geprüft und im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass die Beschwerdeführerin vom Nachweis der Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung ausgenommen ist, da sie aufgrund ihrer Augenkrankheit und auch aus amtsärztlicher Sicht nicht in der Lage sei, dass erforderliche Zertifikat B1 zum Nachweis ihrer Deutschsprachkenntnisse zu erbringen (hier darf jedoch aufgrund der durchgeführten mündlichen Verhandlung mitgeteilt werden, dass die Beschwerdeführerin ein relativ gutes Deutsch spricht und der Verhandlung auch ohne Dolmetsch folgen und die an sie gestellten Fragen beantworten konnte). Die Beschwerdeführerin ist somit gemäß § 14b Abs 3 Z 2 NAG von der Erfüllung des Moduls 2 der Integrationsvereinbarung ausgenommen.

Außerdem hat die erstinstanzliche Behörde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin seit 2002 in Österreich lebt und ihr subsidiär Schutz mit 01.09.2010 gewährt wurde.

Somit erfüllt sie auch die Voraussetzung, die gemäß § 45 Abs 12 NAG vorliegt, wonach einer Asylberechtigten, die innerhalb der letzten 5 Jahre ununterbrochen über den Status der Asylberechtigten verfügt und einer subsidiär Schutzberechtigten, die in den letzten 5 Jahren ununterbrochen aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte (§ 8 Abs 4 Asylgesetz 2005) rechtmäßig aufhältig war, ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ erteilt werden kann, wenn sie

1.   die Voraussetzung des ersten Teils erfüllen und

2.   das Modul der Integrationsvereinbarung (§ 14b)

erfüllt haben.

Was nun die entsprechenden finanziellen Mittel betrifft so ist unter Heranziehung der Ausgleichszulagenrichtsätze gemäß § 293 ASVG des BGBl I Nr 189/1955 idF des BGBl Nr 29/2017 von der Antragstellerinn folgende Höhe an Barmitteln nachzuweisen:

Ehepaare:      Euro 1.334,17

drei Kinder: Euro 137,30 x 3    Euro 411,90

Miete inklusive BK:     Euro 880,00

Summe:            Euro 2.626,07

abzüglich Wert der freien Station:                   Euro 284,32

Summe:                                               Euro 2.341,75

Dem gegenüber steht das Familieneinkommen wie folgt:

1.    Einkommen des Lebensgefährten berechnet aus dem Jahreseinkommen

in der Höhe von Euro 22.098, 23 : 12

     ergibt           Euro 1.841,51

2.       Kinderbetreuungsgeld in der nachgewiesenen Höhe

von 14,53 Euro täglich

ergibt aus einer Berechnung von 2 Monaten ein Monatsgeld von   Euro 443,16

3.   die Familienbeihilfe für drei Kinder                              Euro 516,00

Gesamtsumme:                                                                  Euro 2.800,67

Zieht man nun das vom Gesetz vorgeschriebene, aufzubringende, monatliche Einkommen

in der Höhe von, wie errechnet, Euro 2.331,75 von Euro 2.800,67 ab

Euro 2.800,67

- Euro 2.341,75

so bleibt ein Überling von                                                                 Euro 458,92

Der Unterhalb kann somit aus eigenen Mitteln bestritten werden und sind damit die Voraussetzungen für den Teil 1 erfüllt.

Es war daher aufgrund der eingangs erwähnten gesetzlichen Bestimmungen spruchgemäß zu entscheiden.

Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes und der aufgezeigten rechtlichen Erwägungen war der Beschwerde stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und der begehrte Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ zu erteilen.

II.  Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Felizitas Luchner

(Richterin)

Schlagworte

Ausgleichszulagenrichtsätze

Anmerkung

Mit Beschluss vom 06.09.2017, Z Ra 2017/22/0083-7, gab der Verwaltungsgerichtshof dem Antrag, der außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 18.04.2017, Z LVwG-2016/17/0933-5, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, statt.
Aufgrund der außerordentlichen Revision hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 20.05.2021, Z Ra 2017/22/0083-14, das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 18.04.2017, Z LVwG-2016/17/0933-5 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2017:LVwG.2016.17.0933.5

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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