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41/02 Staatsbürgerschaft;Norm
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen die Steiermärkische Landesregierung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht über den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 42 Abs. 4 erster Satz VwGG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers ist kein "besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft" gemäß § 10 Abs. 3 StbG.
Der belangten Behörde wird aufgetragen, den versäumten Bescheid unter Bindung an diese Rechtsansicht binnen acht Wochen zu erlassen.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte am 2. Jänner 1995 die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, wobei er vorbrachte, daß es sich bei seiner Staatenlosigkeit um einen "besonders berücksichtigungswürdigen Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft" gemäß § 10 Abs. 3 StbG handle. Über diesen Antrag hat die belangte Behörde bisher nicht entschieden.
Aufgrund der vorliegenden, am 21. Dezember 1995 eingelangen Säumnisbeschwerde wurde mit hg. Beschluß vom 20. Jänner 1996 das Vorverfahren eingeleitet und der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG aufgetragen, innerhalb einer Frist von drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift davon dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt, und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.
Mit dem am 5. April 1996 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Schriftsatz legte die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und äußerte sich dahin, daß eine Säumnis nicht vorliege. Für eine positive Erledigung des Antrages habe die - inzwischen (nach Einbringung der Beschwerde) erfolgte - Nostrifizierung der ausländischen Studienabschlüsse des Beschwerdeführers abgewartet werden müssen. Nunmehr sei es erforderlich, "Nacherhebungen (sicherheitspolizeilicher Art)" durchzuführen. Da dies eine gewisse Zeit dauere, könne der "gegenständliche Aktenvorgang" erst nach Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Säumnisbeschwerde abgeschlossen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 27 Abs. 1 VwGG kann eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, oder der unabhängige Verwaltungssenat, der nach Erschöpfung des Instanzenzuges, sei es durch Berufung oder im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.
Da im vorliegenden Fall die gemäß § 39 StbG zur Entscheidung in erster (und letzter) Instanz berufene Steiermärkische Landesregierung den beantragten Bescheid nicht binnen sechs Monaten nach Antragstellung erlassen hat, liegen diese Voraussetzungen vor. Die Verlegung des Wohnsitzes des Beschwerdeführers am 15. Oktober 1996 - somit nach Einbringung der gegenständlichen Säumnisbeschwerde - konnte an der Stellung der Steiermärkischen Landesregierung als belangte Behörde nichts ändern.
Im übrigen war es entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht erforderlich, vor Erlassung des Bescheides die Nostrifizierung der im Ausland erworbenen akademischen Grade abzuwarten. Die belangte Behörde wäre vielmehr verpflichtet gewesen, den Bescheid auf Grundlage der im Zeitpunkt der Erlassung ihrer Entscheidung gegebenen Sach- und Rechtslage binnen sechs Monaten zu erlassen. Dabei hätte sie - unter Außerachtlassung der erst nach Ablauf dieser Zeit erfolgten Nostrifizierung - u.a. auch zu beurteilen gehabt, ob ein "besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft" im Sinne des § 10 Abs. 3 StbG gegeben ist.
Infolge der somit gegebenen Säumnis der belangten Behörde entscheidet der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42 Abs. 4 erster Satz VwGG über die hier u.a. maßgebliche Rechtsfrage, ob es sich bei der Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers um einen "besonders berücksichtigungswürdigen Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft" im Sinne des § 10 Abs. 3 StbG handelt.
Soweit für diese Frage bedeutend, wird aufgrund des vorgelegten Lebenslaufes des Beschwerdeführers folgender Sachverhalt festgestellt:
Der am 9. Mai 1961 in Moskau geborene Beschwerdeführer lebte bis zum 27. Dezember 1990 in der Sowjetunion. An diesem Tag emigrierte er nach Österreich, wo er seitdem seinen (Haupt)Wohnsitz hat.
Über seinen Antrag vom 1. Februar 1993 ist er im November 1993 aus dem russischem (sowjetischen) Staatsverband, dem er bis dahin angehört hatte, ausgeschieden.
In rechtlicher Hinsicht ergibt sich folgendes:
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG kann die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen "Hauptwohnsitz" im Gebiet der Republik hat. Gemäß Abs. 3 dieser Bestimmung kann von dieser Voraussetzung abgesehen werden, wenn es sich um einen Minderjährigen handelt oder wenn der Fremde seit mindestens vier Jahren ununterbrochen seinen "Hauptwohnsitz" im Gebiet der Republik hat und ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt. Da der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz (vor dem 1. Jänner 1995 seinen "ordentlichen Wohnsitz"; siehe Art. VII Z. 2 iVm Art. VIII Z. 5 des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994) erst seit Dezember 1990 im Gebiet der Republik Österreich hat, erfüllt er die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG nicht. Die Verleihung der Staatsbürgerschaft an ihn käme daher nur bei Vorliegen eines "besonders berücksichtigungswürdigen Grundes" im Sinne des § 10 Abs. 3 StbG in Betracht. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. Jänner 1997, Zl. 94/01/0744, mit weiteren Judikaturhinweisen) handelt es sich hiebei um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung.
Der Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG, wonach für die Einbürgerung grundsätzlich eine Wohnsitzfrist von zehn Jahren erforderlich ist, liegt der Gedanke zugrunde, daß nur ein langjähriger inländischer Wohnsitz bzw. Hauptwohnsitz hinreichend Gewähr dafür bietet, daß sich der Fremde in Österreich assimiliert hat, und davon nur aus "besonders berücksichtigungswürdigen Gründen" abgesehen werden kann (siehe AB 875 Blg. NR 10. GP., S. 4). In diesem Sinn kommt eine Ausnahme vom Regelfall auch nicht schon dann in Betracht, wenn ein "berücksichtigungswürdiger Grund", davon abzugehen, gegeben ist, sondern muß es sich hiebei vielmehr um einen "BESONDERS berücksichtigungswürdigen Grund" handeln. Was unter einem derartigen "besonders berücksichtigungswürdigen Grund" zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt. Eine brauchbare Auslegungshilfe dafür kann - soweit nicht der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegensteht - die (aktuelle) Aufzählung in dem das Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 betreffenden Bericht des Verfassungsausschusses (875 Blg. NR 10. GP., S. 4) bieten (vgl. auch dazu das bereits erwähnte hg. Erkenntnis zur Zl. 94/01/0744). Die Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers erfüllt die in dieser Aufzählung enthaltene Voraussetzung des "sonstigen Fehlens des Schutzes des Heimatstaates". Daß der Gesetzgeber die Staatenlosigkeit als Aspekt für eine positive Erledigung eines Antrages auf Verleihung der Staatsbürgerschaft angesehen hat, ergibt sich auch daraus, daß Staatenlose unter den Voraussetzungen des § 14 StbG - der die innerstaatliche Umsetzung der UN-Konvention vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit, BGBl. Nr. 538/1974, darstellt - einen Rechtsanspruch auf Verleihung haben.
Bei einer am ganzen Gesetz in seinem Regelungszusammenhang orientierten Auslegung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffes ist ein "besonders berücksichtigungswürdiger Grund" dann gegeben, wenn ähnliche oder vergleichbare Voraussetzungen wie für das Bestehen eines Rechtsanspruches auf Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Dezember 1995, G 68/95-7, u.a. Zlen.).
Ein Staatenloser hat gemäß § 14 Abs. 1 Z. 1 StbG (u.a.) nur dann einen Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft, wenn er im Gebiet der Republik Österreich geboren und seit seiner Geburt staatenlos ist. Der Beschwerdeführer ist erst im Alter von 29 Jahren nach Österreich eingereist und hat seine bis dahin bestehende russische (sowjetische) Staatsbürgeschaft erst - über eigenen Antrag - im Alter von 32 Jahren verloren. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes liegen bei ihm schon deshalb keine ähnlichen oder vergleichbaren Voraussetzungen, wie sie im § 14 StbG umschrieben sind, vor. Die Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers - aus der sich im übrigen auch keine Rückschlüsse auf eine wesentlich über das aufgrund der bisherigen Dauer des Aufenthaltes zu erwartende Ausmaß hinausgehende Assimilierung ziehen lassen - stellt somit keinen "besonders berücksichtigungswürdigen Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft" dar, der es gerechtfertigt erscheinen ließe, vom grundsätzlichen Einbürgerungserfordernis des zehnjährigen inländischen Hauptwohnsitzes abzusehen (vgl. auch dazu das bereits mehrfach zitierte hg. Erkenntnis zur Zl. 94/01/0744).
Gemäß § 42 Abs. 4 erster Satz VwGG war dies klarzustellen und der Behörde aufzutragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung dieser hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen acht Wochen zu erlassen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995010620.X00Im RIS seit
20.11.2000