TE Lvwg Erkenntnis 2021/4/6 LVwG-851530/7/HW

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.04.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

06.04.2021

Norm

RAO §2 Abs1
RAO §15 Abs2
RAO §15 Abs4

Text

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erkennt durch seinen Richter Dr. Wiesinger über die Beschwerde von Mag. T L, x, x, gegen den Bescheid des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 08.10.2020 betreffend die Ausstellung der großen Legitimationsurkunde nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 30.03.2021

zu Recht:

I.     Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II.    Gegen diese Entscheidung ist eine Revision zulässig.

Entscheidungsgründe

I.1.   Mit Antrag vom 03.09.2020 beantragte die Beschwerdeführerin (kurz „Bf“) die Ausstellung der großen Legitimationsurkunde für Mag. L-M K.

I.2.   Die Abteilung II des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwalts-kammer hat mit Bescheid vom 09.09.2020 diesen Antrag als unbegründet abgewiesen.

I.3.   Die dagegen erhobene Vorstellung wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen und es wurde ausgesprochen, dass der Bescheid der Abteilung II des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 09.09.2020 aufrecht bleibt.

I.4.   Dagegen richtet sich die verfahrensgegenständliche Beschwerde, in welcher unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt wurde.

II.1. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird - in Ergänzung zu Punkt I.1. bis I.4. - folgender Sachverhalt als erwiesen angenommen:

Mag. L-M K schloss ihr Diplomstudium der Rechtswissenschaften an der Universität Linz am 21.03.2017 ab, absolvierte von 01.06.2017 bis 30.11.2018 die Gerichtspraxis (im gesetzlichen Ausmaß von sieben Monaten und mit anschließender Verlängerung) und nahm an Ausbildungslehrveranstaltungen im Ausmaß von 12 Halbtagen teil (Bestätigung Gerichtspraxis, Bestätigung Seminarteilnahmen).

Seit 05.12.2018 ist Mag. L-M K als Rechtsanwaltsanwärterin bei der Bf tätig und es liegt diesem Arbeitsverhältnis grundsätzlich ein Beschäftigungsvertrag auf Vollzeitbasis zu Grunde, Mag. L-M K ist auch seit 05.12.2018 in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen. Mag. L-M K geht ansonsten keiner weiteren beruflichen Tätigkeit nach (Angaben Bf).

Seit 23.03.2020 befindet sich Mag. L-M K jedoch in COVID-19-Kurzarbeit. Im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit hat Mag. L-M K bislang folgende Arbeitsstunden erbracht (Angaben Bf; Arbeitsaufzeichnungen):

a) Im Zeitraum vom 23.03.2020 bis 31.03.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 6 Arbeitsstunden erbracht.

b) Im Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.04.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 40 Arbeitsstunden erbracht.

c) Im Zeitraum vom 01.05.2020 bis 31.05.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 79 Arbeitsstunden erbracht.

d) Im Zeitraum vom 01.06.2020 bis 22.06.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 52 Arbeitsstunden erbracht.

e) Im Zeitraum vom 23.06.2020 bis 30.06.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 24 Arbeitsstunden erbracht.

f) Im Zeitraum vom 01.07.2020 bis 31.07.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 92 Arbeitsstunden erbracht.

g) Im Zeitraum vom 01.08.2020 bis 31.08.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 121 Arbeitsstunden erbracht.

h) Im Zeitraum vom 01.09.2020 bis 30.09.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 136,5 Arbeitsstunden erbracht.

i) Im Zeitraum vom 01.10.2020 bis 31.10.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 98,5 Arbeitsstunden erbracht.

j) Im Zeitraum vom 01.11.2020 bis 30.11.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 99,5 Arbeitsstunden erbracht.

k) Im Zeitraum vom 01.12.2020 bis 31.12.2020 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 77,5 Arbeitsstunden erbracht sowie 40 Stunden Urlaub konsumiert.

l) Im Zeitraum vom 01.01.2021 bis 31.01.2021 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 72,5 Arbeitsstunden erbracht sowie 32 Stunden Urlaub konsumiert.

m) Im Zeitraum vom 01.02.2021 bis 28.02.2021 hat Mag. L-M K im Rahmen der COVID-19-Kurzarbeit insgesamt 94 Arbeitsstunden erbracht.

II.2. Der unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den im Verfahrensakt aufliegenden Unterlagen und der mündlichen Verhandlung, wobei die einzelnen Feststellungen insbesondere auf dem jeweils in Klammer Angeführten gründen.

III.   In rechtlicher Hinsicht ist Folgendes auszuführen:

III.1. Gemäß § 15 Abs. 2 RAO ist ein Rechtsanwaltsanwärter substitutionsberechtigt, der die Rechtsanwaltsprüfung mit Erfolg abgelegt hat. Das Erfordernis der Rechtsanwaltsprüfung kann auf Ansuchen eines Rechtsanwalts vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer aus rücksichtswürdigen Gründen denjenigen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärtern erlassen werden, die ein Studium des österreichischen Rechts abgeschlossen haben und mindestens eine siebenmonatige Praxis bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft sowie eine achtzehnmonatige praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt oder bei der Finanzprokuratur nachzuweisen vermögen.

Gemäß § 15 Abs. 4 RAO hat der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer den bei einem Rechtsanwalt in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärtern Legitimationsurkunden auszustellen, aus denen die Substitutionsberechtigung nach Abs. 2 (große Legitimationsurkunde) ersichtlich ist.

III.2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass Mag. L-M K ein Studium des österreichischen Rechts abgeschlossen hat und mindestens eine siebenmonatige Praxis bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft aufweist. Strittig ist im gegenständlichen Beschwerdeverfahren, ob die Voraussetzung „achtzehnmonatige praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt“ vorliegt.

III.3. Unter der achtzehnmonatigen praktischen Verwendung nach § 15 Abs. 2 RAO ist eine hauptberufliche im Sinne des § 2 RAO zu verstehen (vgl. Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 15 Rz 8).

III.4. Gemäß § 2 Abs. 1 RAO ist die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird, wobei anrechenbar insoweit auch Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz sind. In den Fällen der Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach den §§ 14a und 14b AVRAG oder nach dem Behinderteneinstellungsgesetz für begünstigte Behinderte sowie in den Fällen einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz oder dem Väter-Karenzgesetz ist nach § 2 Abs. 1 RAO die Ausbildungszeit anzurechnen, auf die die Normalarbeitszeit herabgesetzt wurde.

III.5. Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid aus, dass unter einer hauptberuflichen Tätigkeit eine „Normalarbeitszeit, also eine Vollzeitarbeit iS einer rund 40-Stunden-Woche, zu verstehen“ sei.

Der Verfassungsgerichtshof führt in seiner Entscheidung vom 13.10.2006, B293/05, aus, dass „es auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken [begegnet], wenn die belangte Behörde die beabsichtigte Betätigung des Zweitbeschwerdeführers im Ausmaß von nur 15 Wochenstunden als nicht dem Erfordernis der Hauptberuflichkeit entsprechend beurteilt hat“. Dies ergebe sich, so das Höchstgericht, „schon daraus, dass nach § 2 Abs. 1 letzter Satz RAO für die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt in Form einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz oder dem Eltern-Karenzurlaubsgesetz eine Mindestzeit im Ausmaß der Hälfte der Normalarbeitszeit (von 40 Stunden) gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben“ sei.

III.6. Die Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz sollen (wie sich auch aus den Gesetzesmaterialien ergibt) gemäß § 2 Abs. 1 RAO grundsätzlich keine Unterbrechung der „hauptberuflichen Ausübung der Tätigkeit“ bewirken (vgl. 303 der Beilagen XXIII. GP). Zudem ist nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 RAO in bestimmten Fällen der Herabsetzung der Normalarbeitszeit bzw. einer Teilzeitbeschäftigung die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt anzurechnen. Dies spricht nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich aber dafür, dass ansonsten (also abgesehen von den in § 2 Abs. 1 RAO ausdrücklich geregelten Fällen) die Verwendung bei einem Rechtsanwalt bei einer reduzierten Arbeitszeit grundsätzlich nicht als Zeit der „praktische[n] Verwendung bei einem Rechtsanwalt“ im Sinne des § 15 Abs. 2 RAO anrechenbar ist.

Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist noch darauf hinzuweisen, dass sich die in § 2 Abs. 1 RAO genannten Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz bzw. die in dieser Norm genannten Fälle der Herabsetzung der Normalarbeitszeit (nach den §§ 14a und 14b AVRAG bzw. dem Behinderteneinstellungsgesetz) und einer Teilzeitbeschäftigung (nach dem Mutterschutzgesetz oder dem Väter-Karenzgesetz) vom Fall einer Kurzarbeit unterscheiden. Während nämlich die in § 2 Abs. 1 RAO ausdrücklich genannten Fälle (Herabsetzung gemäß §§ 14a und 14b AVRAG, Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz oder dem Väter-Karenzgesetz, gesetzlicher Urlaub, Krankheit, Unfall, Beschäftigungsverbot) jeweils Umstände betreffen, die in der Person des konkreten Rechtsanwaltsanwärters liegen, stellt die COVID-19-Kurzarbeit letztlich eine aufgrund wirtschaftlicher bzw. betriebsbedingter Notwendigkeiten reduzierte Arbeitszeit dar. Das Vorliegen einer COVID-19-Kurzarbeit ist daher mit den in § 2 Abs. 1 RAO genannten, in der Person des Rechtsanwaltsanwärters gelegenen und nach Ansicht des Gesetzgebers offenbar besonders berücksichtigungswürdigen Umständen nicht vergleichbar (und eine unterschiedliche Behandlung von COVID-19-Kurzarbeit-Zeiten und der in § 2 Abs. 1 RAO genannten Fälle somit auch nicht ohne weiteres gleichheitswidrig).

III.7. Bei Kurzarbeit kommt es zu einer Reduktion der Arbeitszeit (vgl. zur arbeitsrechtlichen Einordnung Wolf;Potz;Krömer;Jöst;Stella;Hörmann;Holuschka;Scharf in Resch, Corona-HB1.04 Kap 4 Rz 15 ff). Im vorliegenden Fall befindet sich Mag. L-M K seit 23.03.2020 in COVID-19-Kurzarbeit. Da es sohin gegenständlich durch die Kurzarbeit zu einer Reduktion der Arbeitszeit bzw. der verrichteten Arbeitsstunden (die genaue Anzahl der verrichteten Arbeitsstunden ergibt sich aus den Feststellungen unter II.1.) gekommen ist (und es sich bei der COVID-19-Kurzarbeit um keinen der in § 2 Abs. 1 RAO genannten Fälle handelt), kann der belangten Behörde nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich im Ergebnis nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass eine Anrechenbarkeit der COVID-19-Kurzarbeit-Zeiten im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt. Da gegenständlich, wie sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt, ohne Anrechenbarkeit der COVID-19-Kurzarbeit-Zeiten aber die achtzehnmonatige praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt nach § 15 Abs. 2 RAO nicht vorliegt, ist die Beschwerde abzuweisen.

IV.    Die ordentliche Revision ist zulässig, da keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anrechenbarkeit von COVID-19-Kurzarbeit-Zeiten gemäß §§ 2, 15 RAO vorliegt und dieser Rechtsfrage Bedeutung über den gegenständlichen Einzelfall hinaus zukommt.

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Wiesinger

Schlagworte

Substitutionsberechtigung; praktische Erfahrung; Vollzeitbeschäftigung; Teilzeitbeschäftigung; hauptberufliche Tätigkeit; Kurzarbeit; COVID-19

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2021:LVwG.851530.7.HW

Zuletzt aktualisiert am

15.06.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten