TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/19 94/11/0341

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Veröffentlicht am 19.03.1997
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
43/01 Wehrrecht allgemein;

Norm

AVG §67a Abs1 Z2;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
WehrG 1990 §20 Abs1 Z3;
WehrG 1990 §24 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des Mag. M in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. Februar 1994, Zl. UVS-02/19/00013/94, betreffend Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 11. November 1993 erhob der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde Beschwerde gegen seine Vorführung zur Stellungskommission beim Militärkommando Wien am 18. Oktober 1993 durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien. Darin führt er aus, aufgrund eines Ladungsbescheides des Militärkommandos Wien (Stellungkommission), den er nicht befolgt habe, weil ihm dieser infolge Ortsabwesenheit nicht rechtswirksam zugestellt worden sei, sei ein Vorführungsbefehl zur zwangsweisen Vorführung vor der genannten Behörde ergangen. Dabei habe es sich um eine "Dauervorführung bis zum Erfolg, beginnend mit 11.10.1993 und endend mit 30.11.1993" gehandelt. Der Beschwerdeführer habe vergeblich versucht, die Aufhebung des Vorführungsbefehls und seine neuerliche Ladung zur Behörde zu erwirken. Nach mehreren infolge seiner Abwesenheit von der Wohnung erfolglos gebliebenen Versuchen, ihn zwangsweise vorzuführen, habe er beim zuständigen Polizeiwachzimmer vorgesprochen und sich unter Hinweis auf die fehlende Bereitschaft des Militärkommandos, den Vorführbefehl aufzuheben, bereit erklärt, sich von der Polizei zwangsvorführen zu lassen. Er habe nämlich nicht vorgehabt, für zumindest mehrere Wochen "in den Untergrund zu gehen". Er habe weiters erklärt, er werde zum Zweck der Vorführung am kommenden Montag Morgen zu Hause anzutreffen sein. Am Montag, dem 18. Oktober 1993, seien um 4.15 Uhr zwei Polizeibeamte vor seiner Wohnungstür erschienen und hätten sich sofort gewaltsam Zutritt in die Wohnung verschafft. Trotz seiner ausdrücklich erklärten Bereitschaft, sich, nachdem er sich angezogen hätte, festnehmen zu lassen, und seiner Bitte, vor der Wohnungstür zu warten, seien sie nicht bereit gewesen, die Wohnung zu verlassen. Einer der beiden Beamten habe ihn bis in die Toilette verfolgt. In der Folge sei er in das Polizeikommissariat L. verbracht und dort am Gang hinter einem Gitter arretiert worden. Für eine Stunde seien ihm sämtliche Sachen inklusive Schuhbänder abgenommen worden. Nach "Schichtwechsel" seien ihm diese von einem anderen Beamten retourniert worden. Um 7.25 Uhr sei er dann zur Stellungskommission geführt worden.

Der Beschwerdeführer stellte abschließend den Antrag, die polizeiliche Zwangsvorführung sowie deren Ablauf für rechtswidrig zu erklären. Die Beschwerde wurde ohne mündliche Verhandlung mit dem angefochtenen Bescheid zurückgewiesen.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 27. September 1994, B 707/94, die Behandlung der dagegen an ihn gerichteten Beschwerde abgelehnt und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Becheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und den Ersatz des Vorlageaufwandes begehrt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde begründete die Zurückweisung der an sie gerichteten Beschwerde damit, daß es sich bei der bekämpften Maßnahme nicht um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gehandelt habe, weil der Beschwerdeführer seiner Vorführung ausdrücklich zugestimmt habe. Die Androhung oder Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sei daher begrifflich nicht denkbar, weil jede Zwangsausübung einen vorausgegangenen Widerstand voraussetze. Ein selbständiger Ausspruch betreffend die Rechtswidrigkeit des Ablaufs der Vorführung komme mangels gesetzlicher Grundlage nicht in Betracht.

Der Beschwerdeführer hält diese Auffassung für verfehlt. Bei richtiger rechtlicher Betrachtung sei seinem Beschwerdevorbringen an die belangte Behörde keineswegs zu entnehmen, daß die Maßnahme vom 18. Oktober 1993 mit seinem Einverständnis erfolgt sei.

Nach Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG (§ 67a Abs. 1 Z. 2 AVG) erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes. Nach § 67c Abs. 3 AVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle 1995 ist der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären, wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen ist. Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt vor, wenn die gesetzte Maßnahme Befehls- und Zwangscharakter trägt. Dieser fehlt nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Begriff "Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt", der sich der Verwaltungsgerichtshof anschließt, bei Akten, die mit Zustimmung des Betreffenden gesetzt werden und bei denen Zwang weder ausgeübt noch angedroht wird (vgl. VfSlg. 4696/1964, 7509/1975, 8045/1977, 12621/1991, 12791/1991). Hiebei kommt es darauf an, daß der Betreffende die Aufforderung des Organes zu einem bestimmten Verhalten nach eigenem Gutdünken unerfüllt lassen kann, ohne Gefahr zu laufen, daß er unverzüglich ("unmittelbar") physischem (Polizei-)Zwang unterworfen werde, um den gewünschten Zustand herzustellen. Entscheidend ist somit, ob diese Voraussetzung im Beschwerdefall gegeben war.

Dies ist nach der oben wiedergegebenen Schilderung der bekämpften Maßnahme durch den Beschwerdeführer zu verneinen. Anders als in den in den vorhin genannten Entscheidungen behandelten Fällen lag hier bereits ein behördlicher Vorführungsbefehl vor, in dessen Durchsetzung die Vorführung des Beschwerdeführers zur Stellungskommission erfolgte und dessen Aufhebung der Beschwerdeführer zuvor erfolglos zu erreichen versucht hatte. Damit hatte der Beschwerdeführer von vornherein zu gewärtigen, daß er im Falle seiner Weigerung mitzukommen, unmittelbarem (Polizei-)Zwang unterworfen sein werde. Dazu kommt, daß nach dem vom Beschwerdeführer geschilderten Ablauf seiner Vorführung unmittelbarer Zwang nicht nur angedroht, sondern auch tatsächlich ausgeübt wurde. Der der Vorführung vorangegangenen, von der belangten Behörde als Zustimmung zu seiner Vorführung gewerteten Erklärung des Beschwerdeführers, er sei bereit, sich "von der Polizei zur SteKo zwangsvorführen zu lassen", und er werde zu diesem Zweck zur angegebenen Zeit zu Hause anzutreffen sein, kann unter den gegebenen Umständen lediglich die Bedeutung beigemessen werden, er werde sich einer zwangsweisen Vorführung weder widersetzen noch durch "Untertauchen" entziehen. Von einer freiwilligen, mit seinem Einverständnis vorgenommenen "Vorführung" des Beschwerdeführers zur Stellungskommission kann keine Rede sein. Diese Maßnahme ist vielmehr als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren.

Die belangte Behörde hat durch die auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhende Zurückweisung der an sie gerichteten Beschwerde den Beschwerdeführer im Recht auf Sachentscheidung über seine Beschwerde gemäß § 67c AVG verletzt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl 1994/416.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1994110341.X00

Im RIS seit

07.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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