Entscheidungsdatum
05.01.2021Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
W270 2195040-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. GRASSL über die Beschwerde des XXXX , vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 12.04.2018, Zl. XXXX , in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der Spruch des angefochtenen Bescheids abgeändert, sodass er zu lauten hat:
„I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 06.06.2016 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.
II. Ihnen wird der Status als subsidiär Schutzberechtigter in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Ihnen wird eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt.“
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (in Folge: „Beschwerdeführer“) stellte am 06.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde am selben Tag erstmals insbesondere zu den Gründen für seine Antragstellung befragt.
2. Die belangte Behörde holte u.a. ein Gutachten zur Altersfeststellung ein und vernahm den Beschwerdeführer am 27.03.2018 zu seinem Antrag. Der Beschwerdeführer gab dabei insbesondere an, dass er im Alter von vier Jahren Afghanistan gemeinsam mit seiner Familie wegen Grundstücksstreitigkeiten verlassen habe.
3. Mit Bescheid vom 12.04.2018 wies die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Ferner erließ sie keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, hingegen jedoch eine Rückkehrentscheidung. Sie stellte außerdem fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig ist und dass die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt. Die Behörde begründete ihren Bescheid im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung bezogen auf seinen Heimatstaat Afghanistan nicht glaubhaft gemacht habe. Da der Beschwerdeführer volljährig und im erwerbsfähigen Alter sei, sei ihm eine Rückkehr nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif auch zumutbar.
4. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom 08.05.2018 monierte der Beschwerdeführer unrichtige Feststellungen, eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens und eine unrichtige rechtliche Beurteilung und erstattete weiteres Beweismittelvorbringen insbesondere auch zu einer „Verwestlichung“ sowie zur allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan.
5. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.04.2020 wurde die Rechtssache neu zugewiesen.
6. Gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie weitere länderkundliche und sonstige Informationen im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht. Der Beschwerdeführer wurde darüber hinaus aufgefordert, seinen Gesundheitszustand mitzuteilen sowie allfällige Urkunden zu seinen integrativen Tätigkeiten in Österreich vorzulegen.
7. Mit Stellungnahme vom 09.10.2020 äußerte sich der Beschwerdeführer zu diesen und legte weitere Urkunden zu seinen integrativen Leistungen in Österreich vor.
8. Am 21.10.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch. In dieser vernahm es den Beschwerdeführer neuerlich ein und nahm auch sonstige Beweise auf.
II. Feststellungen:
1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1. Identität, Herkunft und Sprachkenntnisse:
1.1.1. Der Beschwerdeführer trägt den Namen XXXX und ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan. Er wurde dort am XXXX in der Provinz Ghazni, im Distrikt Jaghori geboren und verbrachte dort die ersten Jahre seines Lebens.
1.1.2. Im Alter von vier Jahren reiste der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie nach Pakistan aus und lebte dort bis Anfang des Jahres 2016. In Afghanistan war der Beschwerdeführer seit seiner damaligen Ausreise nicht mehr.
1.1.3. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Hazaragi. Er spricht auch Dari, wobei die Aussprache des Beschwerdeführers jenen Angehörigen der Volksgruppe der Hazara, die in Pakistan aufwachsen und leben entspricht. Darüber hinaus spricht der Beschwerdeführer noch Urdu und etwas Deutsch.
1.2. Volksgruppenzugehörigkeit und Religion:
Der Beschwerdeführer gehört der afghanischen Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem.
1.3. Familiäre Situation und wirtschaftliche Lage:
1.3.1. In Pakistan, genauer gesagt in der Stadt Mari Abad, leben die Mutter des Beschwerdeführers (geboren 1978) sowie dessen Bruder XXXX (geboren 2003) und seine Schwester XXXX (geboren 2007). Ebenso lebt dort noch ein Onkel mütterlicherseits. Der Beschwerdeführer steht zu den genannten Personen in Kontakt. Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers ist seit 2007 verschollen, sein Vater in diesem Jahr bereits verstorben.
1.3.2. Die Mutter des Beschwerdeführers arbeitet als Schneiderin. Die Schwester und der Bruder sind nicht erwerbstätig. Der Onkel mütterlicherseits, er arbeitet als Koch, unterstützt die Familienangehörigen des Beschwerdeführers. Er hat auch selbst Familienangehörige.
1.4. Ausbildung und Berufserfahrung außerhalb von Österreich:
1.4.1. Der Beschwerdeführer besuchte in Pakistan Kurse für Urdu, Englisch und Hazaragi.
1.4.2. In Pakistan unterstützte der Beschwerdeführer seine Mutter beim Nähen von Kleidung und der Verteilung an Kunden. Er verkaufte auch Tee am Basar.
1.5. Gesundheitszustand:
1.5.1. Wegen der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nimmt der Beschwerdeführer eine Psychotherapie in Anspruch.
1.5.2. Sonst waren keine Erkrankungen oder Gebrechen festzustellen.
2. Antragstellung in Österreich:
Der Beschwerdeführer stellte am 06.06.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
3. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
3.1. Der Beschwerdeführer verließ als Kind mit Familienangehörigen seinen Herkunftsdistrikt in Afghanistan nach Streitigkeiten um Grundstücke, die bereits im Jahr 2003 begonnen hatte.
3.2. Weder gegenüber dem Beschwerdeführer noch dessen Angehörigen wurde in Zusammenhang mit den Streitigkeiten eine Drohung ausgesprochen. Es kam dabei auch zu keiner Tötung eines Familienangehörigen des Beschwerdeführers.
3.3. Der Beschwerdeführer bekam selbst von den Streitigkeiten nichts mit.
3.4. Nicht festgestellt werden kann, mit wem die Familienangehörigen die Streitigkeiten um die Grundstücke hatten.
4. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
4.1. Der Beschwerdeführer lebt derzeit in Kärnten.
4.2. Im September 2020 hat er eine Ausbildung zum Sozialbetreuer begonnen. Diese Ausbildung würde aus derzeitiger Sicht bis März 2023 dauern. Davor hat er auch bereits im XXXX in Friesach ein Praktikum gemacht.
4.3. In seiner Freizeit sieht er sich kurze Videos oder Filme auf Deutsch an, um diese Sprache zu lernen. Ansonsten kocht und isst er zusammen mit Nachbarn und anderen Kollegen.
4.4. Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom XXXX , zu Zl. XXXX , wurde über den Beschwerdeführer wegen der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs. 3 zweiter Satz StGB und § 207a Abs. 1 Z 2 StGB eine Geldstrafe von 180 Tagsätzen zu je EUR 4,00 sowie eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten verhängt.
5. Zur maßgeblichen Lage in Afghanistan:
5.1. Lage im Herkunftsdistrikt des Beschwerdeführers:
Allgemeines
Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans und grenzt im Norden an die Provinzen Bamyan und Wardak, im Osten an die Provinzen Logar, Paktya und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daykundi. Ghazni hat keine gemeinsame internationale Grenze. Die Provinz ist in die folgenden Verwaltungseinheiten unterteilt: Ghazni, mit der Provinzhauptstadt Ghazni-Stadt, Abband, Ajrestan, Andar, Dehyak, Gelan, Giro, Jaghatu, Jaghuri, Khwajaumari, Malestan, Muqur, Nawa, Nawur, Qarabagh, Rashidan, Waghaz, Walimuhammad-e Shahid (Khugyani) und Zanakhan. Der Distrikt Andar ist auch als Shelgar bekannt.
NSIA schätzte die Einwohnerzahl von Ghazni für 2020/21 auf 1 362 504, wobei 68 993 der Einwohner in der Provinzhauptstadt Ghazni-Stadt leben. Die städtische Bevölkerung macht etwa 5 % aller Einwohner der Provinz aus. Ghazni wird von Paschtunen (49 %), Hazara (46 %), Tadschiken (5 %) und anderen kleineren Minderheiten bewohnt. Drei Distrikte - Jaghori, Malistan und Nawur - werden ausschließlich von der Hazara-Bevölkerung bewohnt. Auch Kutschi-Nomaden leben in Ghazni, und ihre Präsenz in der Provinz kann aufgrund der Migration im Laufe des Jahres variieren.
Das Klima in der Provinz ist rau, aber einige isolierte, abgelegene Bezirke (Nawur, Jaghori, Malistan, die von Hazara und Ajrestan, vorwiegend Paschtunen, bewohnt werden) leiden mehr als die anderen, da die Zufahrtsstraßen im Winter durch Schnee und im Frühjahr durch Schlamm gesperrt sind. Ein US-Militärexperte bezeichnete Ghazni City als "Schlüsselkreuzung", da sie an der Ringstraße (oder Highway One) liegt, die die Hauptstadt Kabul mit dem Hauptbevölkerungszentrum Kandahar im Süden verbindet. Darüber hinaus zweigt die Straße zur paktikanischen Hauptstadt Sharan von der Ringstraße in Ghazni-Stadt ab, während sich die Straße zur paktikanischen Hauptstadt Gardez etwas nördlich von Ghazni-Stadt gabelt. Daher ist die Kontrolle über Ghazni von strategischer Bedeutung.
Nach den von AAN erhaltenen UNODC-Daten ging der Mohnanbau in der Provinz Ghazni im Jahr 2019 um 67 % zurück, verglichen mit 2018.
Konflikthintergrund und Akteure in Ghazni
Was die Präsenz staatlicher Sicherheitskräfte betrifft, so untersteht die Provinz Ghazni dem 203. ANA-Korps, das zur Task Force Südost (TF Südost) gehört und von US-Streitkräften geführt wird. Der wichtigste Militärstützpunkt in der Provinz heißt Camp Sultan. Nach Angaben afghanischer Militärbeamter in Ghazni verfügt die ANA nicht über genügend Truppen, um das Territorium der Provinz zu halten. Die Armee errichtete eine Reihe kleiner Außenposten rund um die Provinz, um größere Kontrollpunkte leichter verteidigen zu können. Sie wurden schnell zu einem häufigen Ziel nächtlicher Angriffe der Taliban. Im Distrikt Andar beispielsweise waren nach einer Taliban-Offensive im Oktober 2018 sechs Militärkontrollpunkte das einzige Anzeichen für die Präsenz der ANA, und die einzige Aufgabe der dort stationierten Soldaten bestand darin, sich nicht zu ergeben. Einige dieser Stützpunkte wurden aus der Luft versorgt, ohne Zugang zu Land. Andere Stützpunkte hatten Straßenzugang, aber die Taliban zielten immer noch auf die Versorgungsoperationen ab. Zur Ergänzung der Präsenz der paramilitärischen Kräfte der ANP, ALP und der NDS wird eine neu gegründete ANA-Territorialtruppe (ANA TF) im Hazara-Distrikt von Jaghori eingesetzt, wo zwei ANA-TF-Kompanien gegründet wurden, ohne dass es eine langfristige regelmäßige ANA-Präsenz gab.
Die Taliban hatten in der Provinz "seit langem einen erheblichen Einfluss" und dominierten militärisch, wobei die Provinzhauptstadt eine Ausnahme blieb. In einer Fallstudie über den Distrikt Andar im südlichen Ghazni stellte die AAN fest, dass seit Jahren zwei parallele Regierungsformen operieren, wobei seit 2007 eine Taliban-Schattenverwaltung besteht. Seit 2013 haben die Taliban ihre Regierungsstruktur ausgeweitet, indem sie Steuern erhoben und mehrere Verwaltungskommissionen eingerichtet haben, darunter eine Finanzkommission, eine Kommission für zivile Opfer, eine Kommission für Gefangene, eine Kommission für die Einladung von Regierungstruppen zur Kapitulation, eine Kommission für kulturelle Angelegenheiten und eine Kommission für den Umgang mit internationalen NGOs; und seit Oktober 2018 steht der Distrikt Andar "praktisch vollständig unter der Kontrolle der Taliban". Während die Regierung eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Gesundheits- und Bildungsdiensten spielt und auch für die Verteilung von Personalausweisen zuständig ist, spielt sie in anderen Bereichen des täglichen Lebens nur eine sehr begrenzte Rolle. Die lokale Verwaltung hat manchmal informelle Vereinbarungen mit den Taliban getroffen, die die täglichen Bedürfnisse und Dienstleistungen regeln. Die AAN stellte ferner fest, dass der Distrikt Andar der Schlüsselstandort der Taliban in Ghazni ist, da er als Kommandozentrale für Angriffe auf verschiedene Teile der Provinz diente. Die meisten Taliban-Kämpfer, die derzeit in Andar aktiv sind, sind Einheimische und nur sehr wenige Außenstehende. Die Schattengouverneure der Provinz Ghazni stammten jedoch früher aus Kandahar, während einer der Ghazni-Kommandeure aus Andar ein Schattengouverneur der Provinz Khost ist.
Im Frühjahr 2019 gelang es ANA Berichten zufolge, Verwaltungszentren in den Distrikten Deh Yak und Khwajah Omari zurückzuerobern. Im September 2019 berichteten Regierungsquellen, dass es ANA im September 2019 gelang, auch die Distrikte Jaghato, Malistan, Jaghori, Ajristan und Nawur zurückzuerobern. Im Oktober 2019 kontrollierten die Taliban Berichten zufolge fast alle von Paschtunen bewohnten Bezirke von Ghazni, während Regierungstruppen die Stadt Ghazni und die von Hazara bewohnten Bezirke der Provinz kontrollierten. In einem gemeinsamen Bericht der Johanniter-Auslandshilfe (JUH) und der Agentur für Hilfe und Entwicklung Afghanistans (AADA) wird von einer Verschlechterung der allgemeinen Sicherheitslage in der Provinz Ghazni ab Dezember 2019 berichtet. Die Quelle stellte fest, dass es in der gesamten Provinz eine beträchtliche Anzahl von Kontrollpunkten gebe, die sowohl von den Taliban als auch von Regierungstruppen besetzt seien, und erklärte, dass "die Distriktzentren größtenteils von der Regierung kontrolliert werden und außerhalb der Distriktzentren vollständig unter der Kontrolle der Taliban stehen. In einigen Bezirkszentren wie Qarabagh, Nawa, Andar, die vollständig unter der Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte stehen, aber Taliban-Kämpfer sind in einem Umkreis von etwa einem Kilometer präsent. Im Mai 2020 berichteten lokale Medien, dass es der ANA gelungen sei, während einer 16-tägigen Operation, bei der mehr als 100 Taliban-Kämpfer getötet wurden, mehrere Dörfer in den Außenbezirken der Stadt Ghazni und im Bezirk Andar zu räumen.
Nach Angaben afghanischer Militärquellen, die im „Stars and Stripes“-Artikel zitiert werden, ziehen die Taliban in der Nacht durch die Dörfer der Provinz, auch wenn sie nicht unter ihrer Kontrolle stehen. Manchmal legen sie Bomben am Straßenrand oder planen Angriffe auf die Kontrollpunkte der Regierung. Die Taliban schießen jedoch nur mit Handfeuerwaffen, und die Armee kann bei Bedarf Artillerie- oder Luftunterstützung anfordern. Der wichtigste Militärstützpunkt schießt im Durchschnitt 80 Granaten pro Woche ab.
Im Jahr 2019 dokumentierte die UNAMA 673 zivile Opfer (213 Tote und 460 Verletzte) in Ghazni. Dies entspricht einem Anstieg von 3 % im Vergleich zu 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Selbstmord-IEDs und nicht-selbstmörderische IEDs sowie Bodeneinsätze. Resolute Support verzeichnete im ersten Quartal 2020 zwischen 0 und 25 zivile Opfer in Ghazni und meldete einen Anstieg der Zahl der zivilen Opfer im zweiten Quartal des Jahres mit über 126 registrierten Opfern (vom 1. April bis 30. Juni 2020).
Im Zeitraum vom 1. März 2019 bis zum 30. Juni 2020 meldete ACLED insgesamt 1 291 Vorfälle im Zusammenhang mit der Sicherheit in der Provinz Ghazni: 830 Kämpfe, 423 Gewalttätigkeiten aus der Ferne, 38 Fälle von Gewalt gegen Zivilisten, die meisten in der zweiten Hälfte des Jahres 2019. Im Jahr 2020 ging die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle und Todesopfer zurück.
Während des gesamten Jahres 2019 und in den ersten Monaten des Jahres 2020 war Ghazni weiterhin ein wichtiges Schlachtfeld zwischen den Aufständischen der Taliban und der afghanischen Regierung - unterstützt von US-Streitkräften. Die Intensivierung der Militäraktionen der afghanischen Streitkräfte mit dem Ziel der Rückeroberung von Schlüsselgebieten der Provinz hat das "Leben der Zivilbevölkerung" in diesen Gebieten "verschlechtert". Einigen lokalen Befragten, die von der AAN befragt wurden, zufolge bedeutete die vollständige Kontrolle über die Taliban in einigen Distrikten eine bessere Sicherheit in Bezug auf ein geringeres Maß an Kriminalität und Bewegungsfreiheit. Während der Zusammenstöße im Jahr 2019 wurden die Straßen nicht mehr befahrbar. Infolge von Zusammenstößen und Straßenblockaden konnten Menschen, die eine medizinische Notversorgung benötigten, Berichten zufolge nicht rechtzeitig eine angemessene Gesundheitsversorgung erreichen. Darüber hinaus wurden mehrere Gesundheitseinrichtungen in der Provinz Ghazni entweder aufgrund von Konflikten oder Naturkatastrophen beschädigt.
Die Kontrollposten der Taliban entlang der Hauptstraßen in der Provinz Ghazni machten das Reisen unsicher, insbesondere für Regierungsangestellte und Universitätsstudenten. Im Juni 2019 sollen die Taliban im Juni 2019 im Qiyaq-Gebiet des Distrikts Jaghatu ein Auto angehalten, einen nach Kabul reisenden Universitätsstudenten entführt und getötet haben. Im September 2019 wurden ein ziviler stellvertretender Polizeichef von Ghazni und ein weiterer hochrangiger Sicherheitsbeamter der Polizei von Ghazni von den Taliban auf der Kabul-Ghazni-Autobahn in zwei separaten Angriffen getötet. Im Dezember 2019 wurden im Bezirk Jaghatu bei einer Explosion einer von den Taliban gepflanzten Druckplatten-ID zehn Zivilisten getötet, die auf der Straße von Daikundi nach Ghazni unterwegs waren.
2019 gab es mehrere Fälle von gezielten Tötungen in der Stadt Ghazni im Jahr 2019. Im Mai 2019 entführten und töteten die Taliban einen Militärstaatsanwalt und einen Regierungsbeamten der Provinz Zabul. Am 27. September 2019 wurde einem örtlichen Reporter, der mit seiner Frau auf einem Motorrad unterwegs war, ins Bein geschossen. Im Oktober 2019 töteten die Taliban einen Anwalt. Am 10. Dezember 2019 wurde der Leiter der Abteilung für Behinderte und Märtyrer von einer nicht identifizierten bewaffneten Gruppe getötet.
Nach der Einnahme von Andar durch die Taliban im Oktober 2018 hat der Bezirk nach Angaben der AAN "eine erhebliche Zunahme von Nachtangriffen, Drohnenaktivitäten, Luftangriffen, Suchaktionen und Bodenkämpfe zwischen Militanten und von US-Spezialeinheiten unterstützten afghanischen Streitkräften. Diese haben zur Tötung sowohl von Zivilisten als auch von Taliban-Kämpfern sowie zur Zerstörung des Geländes des Distrikt-Gouverneurs geführt. Auch Zivilisten wurden festgenommen und geschlagen". Laut afghanischen Militärquellen wuchs bei Zusammenstößen in bewohnten Gebieten die Gefahr ziviler Kausalitäten, da der Einsatz von Artillerie und Luftangriffen die einzige wirksame Waffe der ANA gegen die Taliban-Kräfte war. Am 30. März 2019 traf ein Mörsergeschoß, das während des Zusammenstoßes zwischen ANA und Taliban abgefeuert wurde, die Schule im Bezirk Andar. Vier Schüler und ein Lehrer wurden getötet und 18 weitere verletzt.
Es gab auch Berichte über Durchsuchungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte, bei denen Menschen schikaniert wurden. Einheimischen zufolge führen die Taliban in der Regel keine Hausdurchsuchungen durch. Laut ACLED begannen die afghanischen Streitkräfte im Juni 2019, auf Menschen zu schießen, die sich weigerten, ihren Personalausweis vorzuzeigen, und töteten dabei eine Person. Am 10. September 2019 überfielen und zerstörten afghanische und US-Streitkräfte ein Dorf im Bezirk Giro, fünf Zivilisten wurden getötet, zwei verwundet. Die afghanische Armee zerstörte auch zwei Moscheen, eine Schule und zwei Häuser. Im April 2020 kam es in Jaghori zu gewalttätigen Protesten, nachdem zwei örtliche Polizisten angeblich zwei Frauen aus dem Bezirk vergewaltigt hatten. Die Demonstranten stießen mit der Polizei zusammen, wobei eine Person getötet und neun weitere verletzt wurden, als die Polizei das Feuer auf die Versammlung eröffnete.
Es wurde auch über Angriffe der ISKP auf Zivilisten in der Provinz Ghazni berichtet. Am 5. Juli 2019 zündete die IKSP eine ferngesteuerte IED in der schiitischen Muhammadiyah-Moschee in der Stadt Ghazni; dabei wurden zwei Menschen getötet und 22 verletzt, darunter auch Kinder. Am 8. Oktober 2019 wurde ein weiteres IED in einem Klassenzimmer der Universität Ghazni gesprengt, wobei 27 Studenten, meist Frauen, getötet oder verletzt wurden.
(Quelle: EASO, Security Situation, September 2020, Abschnitt 2.10)
5.2. Zur allgemeinen Lage der Hazara in Afghanistan:
Unter Abschnitt 18.3 führt das von der Staatendokumentation zusammengestellte Länderinformationsblatt Afghanistan (in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, bei letzter eingefügter Information vom 21.07.2020) auszugsweise an:
„Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA 7.2016).
Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen sie ist, da viele von ihnen – zumindest anfangs – regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“ (AAN 19.3.2019). Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dashte Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri, Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.3.2019).
Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (BFA 7.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 21.6.2019). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch (BFA 7.2016). Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.8.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 21.6.2019).
Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert (AA 2.9.2019; vgl. FH 4.2.2019) und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert (AA 2.9.2019). Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 11.3.2020). Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (FH 4.2.2019; vgl. WP 21.3.2018).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c). Sollte der haushaltsvorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o.D.c). Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (BFA 7.2016).
Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.3.2018). Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – an (USDOS 21.6.2019).
Im Laufe des Jahres 2109 setzte der ISKP Angriffe gegen schiitische, vorwiegend aus der Hazara Gemeinschaften, fort. Beispielsweise griff der ISKP einen Hochzeitssaal in einem vorwiegend schiitischen Hazara-Viertel in Kabul an; dabei wurden 91 Personen getötet, darunter 15 Kinder und weitere 143 Personen verletzt wurden. Zwar waren unter den Getöteten auch Hazara, die meisten Opfer waren Nicht-Hazara-Schiiten und Sunniten. Der ISKP nannte ein sektiererisches Motiv für den Angriff (USDOS 11.3.20209). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart (USDOS 21.6.2019). Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (MEI 10.2018; vgl. WP 21.3.2018).
In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (AREU 1.2018).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.9.2017). NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (USDOS 13.3.2019).“
5.3. Zu den sozioökonomischen Rahmenbedingungen in den Städten Kabul, Masar-e Sharif und Herat:
Das EASO führt im Bericht „Afghanistan – Key socio-economic indicators – Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City“ von August 2020 (abrufbar unter: https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/2020_08_EASO_COI_Report_Afghanistan_Key_Socio_Economic_Indicators_Forcus_Kabul_Citry_Mazar_Sharif_Herat_City.pdf, abgerufen am 26.11.2020) auf den Seiten 23 und 26 auszugsweise aus (Weglassung von Fußnoten und übersetzt mit www.DeepL.com/Translator [kostenlose Version]):
„2.1. Wirtschaftsklima
Die Weltbank stellte fest, dass die Wachstumsrate der afghanischen Wirtschaft von durchschnittlich 9 % zwischen 2003 und 2013 auf 2,7 % im Jahr 2014 und 1,5 % im Jahr 2015 zurückging.140 In den Jahren 2016 und 2017 zeigte das Wirtschaftswachstum aufgrund "stetiger Reformfortschritte und einer Stabilisierung des politischen Umfelds" eine leichte Erholung, verlangsamte sich jedoch aufgrund der schweren Dürre und der politischen Unsicherheit auf 1,8 % im Jahr 2018. In ihrem Bericht für 2019 stellte die OECD fest, dass die staatlichen Institutionen Afghanistans schwach und unterfinanziert waren, die afghanischen Bürger und Unternehmen nicht schützen konnten und nicht in der Lage waren, qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen anzubieten. In ähnlicher Weise unterstrich die Bertelsmann Stiftung, dass die öffentlichen Verwaltungseinrichtungen des Landes trotz der allmählichen Verbesserung der Leistung mehrerer Ministerien, d.h. des Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Justizministeriums, nicht effizient funktionierten. Die politische Unsicherheit des Jahres 2019 wirkte sich Berichten zufolge auf den afghanischen Bankensektor aus und führte zu Währungsabwertung, Rückgang der Einlagen, Abzug von Kapital, wenigen oder keinen Möglichkeiten für Kredite und zur Schließung mehrerer internationaler Bankfilialen.
Der Asiatische Entwicklungsfonds (ADF) prognostizierte im November 2019, dass Afghanistan mit einem erheblichen Finanzierungsbedarf - und sogar einem steigenden Finanzierungsbedarf, wenn der Friedensprozess voranschreitet - konfrontiert sein wird, wobei ein großer Bedarf an Infrastrukturentwicklung besteht. Wie die Weltbank im Januar 2020 feststellte, "könnten sich ungünstige regionale wirtschaftliche oder politische Entwicklungen negativ auf Afghanistan auswirken, indem sie die Überweisungsströme verringern, zu einem Anstieg der Rückkehrer und Vertreibungen führen oder das lokale Sicherheitsumfeld unter Druck setzen", während "erhebliche Verbesserungen der Sicherheitsbedingungen nach einer politischen Einigung mit den Taliban dazu beitragen könnten, Wachstum und private Investitionen anzukurbeln". Gleichzeitig berichtete die Weltbank, dass die Wirtschaft und die Institutionen des Landes aufgrund einer hohen Zahl von Binnenvertriebenen und Rückkehrern weiterhin unter Druck stehen. Zuletzt wurde die Wirtschaft durch den Ausbruch des COVID-19, der den Konsum, die Exporte und Überweisungen beeinträchtigte, hart getroffen.
Die Erhebung über die Lebensbedingungen in Afghanistan 2016-17, die zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts die jüngste Haushaltserhebung ist, listete als "strukturelle Faktoren", die die Entwicklung Afghanistans behindern könnten, das Bevölkerungswachstum, die Schwierigkeiten von Frauen bei der Teilhabe an der Gesellschaft und die mangelnde Qualität von Bildung und Investitionen auf.
…
Geschäftsklima in Kabul, Herat City und Mazar-e Sharif
Im Bericht 2017 der Weltbank wurde festgestellt, dass Unternehmen in den Provinzen Herat und Balkh bei der Gründung eines Unternehmens drei verschiedene Agenturen besuchen mussten, was zu doppelt so vielen Verfahren führte wie in Kabul. Die Gründung eines Unternehmens in Herat dauerte im Vergleich zu Kabul und Balkh einen weiteren Tag.
Laut Telefoninterviews, die die afghanische Handels- und Investitionskammer (ACCI) im November 2019 mit Unternehmen in den Provinzen Kabul, Balkh, Kandahar, Nangarhar und Herat führte, gaben rund 83 % der Unternehmen den fehlenden Zugang zu Elektrizität als das einschränkendste Infrastrukturproblem an. Außerdem berichteten viele Unternehmen über Schwierigkeiten im Umgang mit Zöllen und Steuern, die sie als "zu kompliziert und undurchsichtig" bezeichneten.
Wie F. Foschini in seinem Briefwechsel mit dem EASO im Jahr 2018 feststellte, war der Mangel an billiger und zuverlässiger Stromversorgung stets ein großer Rückschlag für alle produktiven Aktivitäten in Afghanistan mit einem hohen Gewicht auf den Produktionskosten, wodurch die afghanischen Unternehmen gegenüber ausländischen Waren und Unternehmen nicht wettbewerbsfähig waren. Dieser Nachteil behinderte die Entwicklung der Industrieparks von Herat erheblich. Diese zählten zu den besser positionierten im ganzen Land, die aufgrund des relativ freizügigen Sicherheitsumfelds der Stadt und der lebhaften lokalen Geschäftswelt bessere Ergebnisse erzielten, waren aber paradoxerweise im Energiebereich von ihrem Hauptkonkurrenten, dem Iran, abhängig.
Nach den Bewegungseinschränkungen, die in Herat eingeführt wurden, um den Ausbruch von COVID-19 Mitte März 2020 zu verhindern, sollen nach Angaben des Leiters des Berufsverbandes etwa 35 000-36 000 Geschäfte und Fabriken geschlossen worden sein, während "Hunderttausende von Menschen" ihren Arbeitsplatz verloren haben. Im Juni 2020 erklärten Beamte der Industrie- und Handelskammer der Provinz Balkh, dass die COVID-19-bezogene Abriegelung etwa 80 % der Wirtschaft und der Geschäftsabschlüsse in der Provinz zum Erliegen brachte; Mazar-e Sharif, die Provinzhauptstadt, wurde zum zweiten Mal seit der Verbreitung des Virus als abgeriegelt gemeldet.“
5.4. Risiko von Personen, die in Liegenschaftsstreitigkeiten (Grundstücksstreitigkeiten) verwickelt waren:
Landstreitigkeiten treten zwischen Einzelpersonen und Familien auf und können manchmal mächtige Eliten oder aufständische Gruppen betreffen. Sie treten im ganzen Land und zwischen allen ethnischen Gruppen auf. In ländlichen Gebieten können sich die Landkonflikte auf ganze Familien, Gemeinschaften, Ethnien, Stämme oder Clans innerhalb eines Stammes ausweiten. Landkonflikte können schnell eskalieren und gewalttätig werden und manchmal in kleine bewaffnete Konflikte sowie in Blutfehden ausarten. Ungefähr 70% der schweren Gewaltverbrechen wie Mord werden durch Streitigkeiten um Landbesitz verursacht. Es wurde von Fällen berichtet, in denen Familien und Einzelpersonen in verschiedenen Regionen Afghanistans in Konflikte um Land und Eigentum verwickelt waren, die zu Tötungen und Opfern führten. Eine schwache Rechtsstaatlichkeit führt dazu, dass mächtige Personen die Möglichkeit haben, Einfluss auf die Verwaltung zu nehmen, um gefälschte Dokumente zu erstellen, und auf die Justiz, damit diese ungestraft agieren kann. Bei der Streitbeilegung weisen sowohl formelle als auch informelle Mechanismen eine Voreingenommenheit gegenüber den Mächtigen, Reichen, Männern, Eliten und dominanten Ethnien auf.
(Quelle: Zusammenfassung aus den Abschnitten 3.5.4, 6, 6.1, 6.4.1, 6.4.2, 7.7.3 des EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen [Dezember 2017], abzurufen hier: https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/afghanistan_targeting_society_de.pdf, abgerufen am 03.12.2020)
5.5. Situation für Rückkehrer aus dem Westen / Risiken aus einer „Verwestlichung“:
Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es liegen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen als „Ausländer“ oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden. Ähnlich kann Personen mit Profilen als „Mitarbeiter von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen“ und „Frauen im öffentlichen Leben“ von regierungsfeindlichen Gruppen zur Last gelegt werden, Werte und/oder ein Erscheinungsbild übernommen zu haben, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht werden. Auch aus diesem Grund können sie Opfer von Angriffen werden.
Generell kann gesagt werden, dass Afghanen, die sich mit westlichen Werten identifizieren, von aufständischen Gruppen angegriffen werden können, da sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen werden können oder als Spione betrachtet werden können.
(Auszug und Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus den UNHCR-Richtlinien, S. 46 f)
Generell kann gesagt werden, dass Afghanen, die sich mit westlichen Werten identifizieren, von aufständischen Gruppen angegriffen werden können, da sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen werden können oder als Spione betrachtet werden können.
Für die Gesellschaft ist eine Unterscheidung nach der Einstellung gegenüber Männern einerseits und Frauen andererseits erforderlich. Afghanische Frauen und Kinder, die sich an die Freiheiten und die Unabhängigkeit im Westen gewöhnt haben, können Schwierigkeiten haben, sich an die sozialen Restriktionen in Afghanistan anzupassen. Frauen können auch als „verwestlicht“ angesehen werden, wenn sie außerhalb des Hauses arbeiten oder eine höhere Ausbildung haben. Frauen, die als „verwestlicht“ wahrgenommen werden, können als gegen kulturelle, soziale und religiöse Normen verstoßend empfunden werden und können Gewalt von ihrer Familie, konservativen Elementen in der Gesellschaft und Aufständischen ausgesetzt sein.
Bei den Männern sind die gesellschaftlichen Haltungen gegenüber „verwestlichten“ Individuen gemischt. Es werden nur sehr wenige Fälle von Vorfällen im Zusammenhang mit der „Verwestlichung“ gemeldet. Teile der Gesellschaft, meist in Städten (z.B. Kabul-Stadt), sind offen für westliche Ansichten, während andere Teile, meist in ländlichen oder konservativen Umgebungen, dagegen sind.
(Auszug aus dem EASO-Länderleitfaden Afghanistan, S. 65 mit dortigen Hinweisen auf weitere Berichte dieser Organisation)
III. Beweiswürdigung:
1. Zu den Feststellungen zur Person:
1.1. Die Feststellungen unter II.1.1.1. bis 1.1.3. beruhen einerseits auf den dahingehend konsistenten Angaben des Beschwerdeführers im verwaltungsbehördlichen Verfahren (Erstbefragung, Vernehmung) sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (Vernehmung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung). Sie ergeben sich andererseits auch aus den Angaben der in der mündlichen Beschwerdeverhandlung herangezogenen Dolmetscherin, an denen sich das erkennende Gericht zu zweifeln veranlasst sah. Sie stehen auch nicht in Widerspruch zu den von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen und es gab auch vom Beschwerdeführer kein Vorbringen, jedenfalls nicht mehr in der Beschwerde, welches sie als strittig erscheinen ließ.
1.2. Die Feststellungen unter II.1.2 bis II.1.4. folgen aus den Angaben des Beschwerdeführers im verwaltungsbehördlichen wie verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Sie waren konsistent und es ergab sich auch sonst kein Grund daran zu zweifeln. Sie stehen nicht in Widerspruch zu den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen und waren auch sonst nicht als strittig anzusehen.
1.3. Die Feststellungen unter II.1.5. folgt einerseits aus dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bericht (OZ 10), an dessen Inhalt als solches nicht zu zweifeln war. Ansonsten hat der Beschwerdeführer über Aufforderung im Beschwerdeverfahren keine Leiden oder Gebrechen angegeben, was auch festzustellen war.
2. Zu den Feststellungen zur Antragstellung in Österreich:
Die Feststellung unter II.2. folgt aus den konsistenten Angaben des Beschwerdeführers während des Verfahrens wie auch aus den Verfahrensakten.
3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen (II.3.):
3.1. Der Beschwerdeführer behauptete im Verfahren zusammengefasst, dass er 2005 wegen Problemen mit einige Zeit davor begonnenen Streitigkeiten von Familienangehörigen über Grundstücke Afghanistan, genauer gesagt die Provinz Jaghori, verlassen habe. Nachbarn hätten Anspruch auf Grundstücke im Besitz der Familie erhoben.
3.2. Zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts zu dem von einem Antragsteller auf internationalen Schutz getätigten Fluchtvorbringen ist zu beachten:
3.2.1. Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. etwa VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, Rn. 11, m.w.N.).
3.2.2. Es ist jedoch ausreichend, wenn das Beweismaß der Glaubhaftigkeit heranzogen und das vom Revisionswerber erstattete Vorbringen ausschließlich auf dessen Glaubwürdigkeit hin gewürdigt wird (vgl. VwGH 25.02.2019, Ra 2018/19/0707, Rn. 13).
3.2.3. Die Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist von der zuständigen Behörde (oder eben auch durch das Verwaltungsgericht) nach der zu Art. 4 der EU-Richtlinie 2011/95/EU ergangenen Rechtsprechung des EuGH zu prüfen. Dabei kommt es darauf an, ob dieser sein Vorbringen gebührend substantiierte und auch, ob er es so schnell wie möglich darlegte. Sollten Unterlagen oder sonstige Beweise für die vom Asylwerber aufgestellten Behauptungen fehlen, so können die Behauptungen weiters auch nur dann berücksichtigt werden, wenn sie kohärent und plausibel sind, zu den verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen und auch die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers gegeben ist. Zu berücksichtigen sind dabei allerdings auch Erklärungen für das Fehlen von Beweisen und die generelle Glaubwürdigkeit (vgl. VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472, Rn. 21 und 19, m.w.N.).
3.2.4. Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Asylbehörden in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen haben. Bei den von Amts wegen zu treffenden Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern haben die Asylbehörde und das Verwaltungsgericht von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch zu machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen (vgl. etwa VwGH 05.10.2020, Ra 2020/19/0092, Rn. 15, m.w.N.).
4. Vor diesem Hintergrund war zu den Behauptungen des Beschwerdeführers in Zusammenhang mit dem Verlassens Afghanistans zu erwägen:
4.1. Bei Gegenüberstellung mit dem unter II.5.4. festgestellten Sachverhalt kommen – auch gewalttätige – Grundstücksstreitigkeiten in Afghanistan durchaus vor.
4.2. Festzuhalten ist zunächst, dass der Beschwerdeführer bei seiner Erstbefragung – bei der im Übrigen auch ein Rechtsberater anwesend war – ungefähr 17 ½ Jahre und bei seiner Vernehmung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bereits volljährig war. Bei seiner Erstbefragung gab der Beschwerdeführer keine Erkrankung an (AS 15), bei der Vernehmung durch die belangte Behörde bezeichnete er sich als – mit Ausnahme von manchmal auftretenden Kopfschmerzen, zu deren Behandlung er auch ein Medikament verschrieben bekommen habe – als „gesund“ (AS 116). Bei der Vernehmung im verwaltungsbehördlichen Verfahren gab der Beschwerdeführer auch an, dass er bis dahin wahrheitsmäße Angaben tätigte, die auch – mit Ausnahme falsch geschriebener Geburtsdaten und Namen seiner Familie – korrekt protokolliert und ihm auch rückübersetzt worden seien (AS 118). Im Zeitpunkt seiner Vernehmung vor dem Bundesverwaltungsgericht nahm er wegen einer Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung eine Psychotherapie in Anspruch (in einer vorgelegten Urkunde vom Psychosozialen Zentrum Aspis wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer – wobei auf eine allfällige Erforderlichkeit von Pausen und einem möglichen Auftreten von Konzentrationsstörungen hingewiesen wurde – „gut“ befragt werden könne, OZ 10, Beilage). Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass weder das Alter noch sonstige Umstände einer vollumfänglichen Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers entgegenstehen.
4.3. Festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer mit Familienangehörigen Afghanistan nach Auseinandersetzungen um Grundstücke Afghanistan im Kindesalter verließ. Die Streitigkeiten haben im Jahr 2003 begonnen. Diese diesbezüglichen Behauptungen sind in Anbetracht der zuvor dargestellten Informationslage zu Afghanistan wie auch der dahingehend konsistenten Angaben bei der erstmaligen Befragung sowie der Angaben bei der Vernehmung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (AS 125f) für glaubwürdig zu erachten (zu alledem II.3.1.).
4.4. Festzustellen ist andererseits auch, dass weder gegenüber dem Beschwerdeführer noch Angehörigen eine Drohung wegen den Grundstücken ausgesprochen wurde (II.3.2.): So gab er zwar an (AS 121), dass die Leute, die „alle unsere Grundstücke genommen“ hätten „uns“ bedroht und gesagt hätten, dass „wir jetzt niemanden mehr“ hätten und wenn wir „nach Afghanistan“ kommen, „werden wir umgebracht“. Eine solche „Drohung“ ist schon in sich unschlüssig: Warum soll man jemanden gleichzeitig sagen, dass er bei Rückkehr nach Afghanistan „niemanden“ mehr hätte und auch angeben, dass er „umgebracht“ wird. Dazu kommt außerdem, dass der Beschwerdeführer sämtliche Informationen, wie er selbst einräumte, zu den – von ihm so bezeichneten – „Streitigkeiten“ selbst nichts mitbekommen habe (AS 126). Er hatte sämtliche behauptete Tatsachen vielmehr nur vom Hörensagen (zur grundsätzlichen Zulässigkeit Hörensagen zu verwerten, VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252), was den Beweiswert gegenüber einer selbst erlebten Tatsache deutlich mindert. Festzustellen ist damit, dass der Beschwerdeführer selbst von den Streitigkeiten nichts mitbekam (II.3.3.).
4.5. Festzustellen ist auch, dass nicht festgestellt werden kann, wer denn die Akteure auf der Gegenseite (in Worten des Beschwerdeführers: „Feinde“) waren (II.3.4.): So gab der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung im verwaltungsbehördlichen Verfahren dazu (AS 125, Frage: „Wer waren die Feinde Ihres Vaters“, Nachfrage: „Wer sind „alle“?“) an, dass es „die Nachbarn“ gewesen wären. Bei der Vernehmung durch das erkennende Gericht gab er – ohne, dass sich für diese Tatsache ein Anhaltspunkt aus den bisherigen Angaben gewinnen lässt – hingegen an, dass man dort eine „Feindschaft mit dem Dorfvorsteher“ gehabt habe (OZ 11, S. 8). Der Vater habe „Probleme“ wegen des Grundstücks „mit dem dortigen Dorfvorsteher“ gehabt zu haben, weil der Vater einen Teil dieses Grundstücks den „Nachbarn“ unter dem eigentlichen Wert verkauft habe (OZ 11, S. 8). Die ist ein eindeutig erkennbarer Widerspruch bzw. – je nach Sichtweise – eine Steigerung (etwa, um die Gefährdungslage zu erhöhen). Auch die getätigte Behauptung wiederum, dass es 2003 zu einer Tötung – indem ein Fahrzeug zur Explosion gebracht worden sei – von Großvater und weiteren Angehörigen gekommen sei (OZ 11, S. 7), stellt sich, wobei dem Beschwerdeführer im Verfahren davor jegliche Gelegenheit gegeben war, dies anzugeben, als klar erkennbare Steigerung dar und erschien dem erkennenden Gericht deshalb nicht als glaubwürdig.
Weder den dargestellten Widerspruch zu den Feinden wie auch die Tötung der Angehörigen konnte der Beschwerdeführer nachvollziehbar – und insbesondere durch den bei der Befragung gewonnen persönlichen Eindruck des entscheidenden Richters – aufklären:
Er führte auf Vorhalt von Angaben, die er im März 2018 tätigte, aus, dass er „die Sachen“ früher nicht gewusst habe, weil seine Mutter nicht mit ihm darüber gesprochen habe, wegen „physischer“ (gemeint wohl: psychischer) Probleme. 2017 habe er seine Pulsader aufgeschnitten, der Arzt habe damals mit seiner telefoniert, er dann seine Mutter befragt, die ihm von der Tötung seiner Verwandten erzählt habe. Der Physiologe (gemeint wohl: Psychologe) habe seiner Mutter im Jahr 2017 gesagt, dass sie ihm über die Probleme „die dort seien“ nicht erzählen soll, weil sich sonst sein Zustand noch weiter verschlechtern würde. Er habe nun seine Mutter gebeten, ihm alles zu erzählen, sonst würde man ihn aus Österreich abschieben (OZ 11, S. 8).
Schon aus diesen Ausführungen ist für den Standpunkt des Beschwerdeführers nicht zu gewinnen. So folgt ja daraus, dass er bereits 2017 von seiner Mutter von den Tötungen erfahren haben müsste, er gab diese jedoch nicht an.
Auch konnte der Beschwerdeführer in weiterer Folge nicht plausibel erklären, warum er dennoch Angaben „zu den Feinden“ bei der Befragung im verwaltungsbehördlichen Verfahren machen konnte (OZ 11, S. 9).
Auch zur Behauptung der Tötung der Angehörigen waren daher negative Feststellungen zu treffen (II.3.2.).
4. Zu den Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
4.1. Die Feststellungen unter II.4.1. bis II.4.3. beruhen im Wesentlichen auf den Angaben des Beschwerdeführers bei dessen Vernehmung durch das Bundesverwaltungsgericht (OZ 11) sowie auch den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Urkunden. Das Gericht erachtete die Angaben, insbesondere angesichts deren Konsistenz mit im Verfahren bis dahin getätigten Angaben, für glaubwürdig und sah auch sonst keinen Grund, an der Echtheit und Richtigkeit der Beweismittel zu zweifeln.
4.2. Die Feststellung unter II.4.4. folgt aus der gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichts Klagenfurt.
5. Zu den Feststellungen zur maßgeblichen Lage in Afghanistan:
5.1. Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsdistrikt des Beschwerdeführers (II.5.1.) beruhen auf den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des EASO in dessen Bericht zur Sicherheitslage in Afghanistan von September 2020. Dieser Bericht wurde vom Bundesverwaltungsgericht als Beweismittel in das Verfahren eingeführt und blieb unbestritten.
5.2. Der zur Lage der Hazara in Afghanistan festgestellte Sachverhalt (II.5.2.) beruht auf den nicht als unschlüssig oder unnachvollziehbar anzusehenden, dem von der Staatendokumentation zusammengestellten Informationen im Länderinformationsblatt Afghanistan. Diese blieben als solches auch unbestritten.
5.3. Die Feststellungen unter II.5.3. zur sozioökonomischen Situation in den Städten Kabul, Herat und Masar-e Sharif beruht auf einem aus August 2020 datierenden Bericht des EASO, der als schlüssig und nachvollziehbar erschien. Er wurde vom Bundesverwaltungsgericht als Beweismittel in das Verfahren eingeführt und blieb unbestritten.
5.3. Die Feststellungen unter II.5.4. folgen aus dem im Beschwerdeverfahren als Beweismittel eingeführten EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017. Diese waren für das erkennende Gericht schlüssig und nachvollziehbar. Die Ausführungen blieben von den Parteien unbestritten.
5.4. Die Feststellungen zu einem möglichen Risiko wegen einer Verwestlichung („westliche Orientierung“) oder als Rückkehrer aus dem Westen (II.5.5.) beruhen auf den UNHCR-Richtlinien sowie dem EASO-Länderleitfaden Afghanistan. Die jeweiligen Ausführungen waren ausreichend aktuell und schlüssig und blieben als solches auch unbestritten. Die Informationen von EASO ließen sich auch mit den UNHCR-Richtlinien ohne Widerspruch kombinieren.
III. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Teilweise Stattgabe der Beschwerde und Abänderung des Spruchs des angefochtenen Bescheids
1. Zu einem möglichen Anspruch des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status als Asylberechtigter:
1.1. Geltend gemachte Beschwerdegründe:
1.1.1. Die belangte Behörde wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status als Asylberechtigten ab. Begründend stellte sie im angefochtenen Bescheid zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaats durch den Beschwerdeführer fest, dass er keine ihn betreffenden individuelle Verfolgung, weder durch den Herkunftsstaat noch durch Drittpersonen in diesem Herkunftsstaat geltend gemacht hätte. Seine Flüchtlingseigenschaft sei daher nicht feststellbar gewesen und er wäre in Afghanistan weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnungsasyl relevant verfolgt. Zur Situation im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers stellte die Behörde fest, dass nicht festgestellt werden könne, dass ihm bei seiner Rückkehr eine Gefährdung durch die Polizei oder andere staatliche Organe und Behörden oder von privaten drohe. Es könne keine wie auch immer geartete, sonstige besondere Gefährdung seiner Person bei der Rückkehr nach Afghanistan festgestellt werden. Vor dem Hintergrund von § drei Abs. 1 Asylgesetz 2015 erwog die belangte Behörde zusammengefasst, dass sie zum Schluss komme, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Verfolgungsbefürchtungen wieder glaubhaft noch asylrelevant gewesen wären. Eine aktuelle, zum Fluchtzeitpunkt bestehende oder zukünftige asylrelevante Verfolgung sei nicht hervorgekommen. In der Folge sei davon auszugehen gewesen, dass in asylrelevante Verfolgung nicht existiere. Ins besondere führte die belangte Behörde aus, dass einem Heimatstaat eines Antragstellers allgemein herrschende politische und soziale Verhältnisse für sich allein noch nicht die Gewährung von Asyl rechtfertigen würden. Aus der allgemeinen langen Afghanistan ließen sich konkret für den Beschwerdeführer kein Status eines Asylberechtigten ableiten.
1.1.2. Der Beschwerdeführer macht unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Er befürchtet im Fall einer Abschiebung nach Afghanistan (gemeint: Rückkehr) Verfolgung aus politisch/religiösen Gründen bzw. wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Dies aus den Gründen, die bereits eine Familie zur Flucht gezwungen hätten, durch Afghanistan operierende islamistische Terroristen aufgrund einer verwestlichten Lebenseinstellung und wegen der Angehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara (Pkt. 1) der Beschwerde).
1.1.3. Dazu war vor dem Hintergrund der nachstehend dargestellten Rechtslage zu erwägen:
1.2. Maßgebliche Rechtslage:
1.2.1. „Flüchtling“ im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (in Folge: „GFK“) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
1.2.2. Die EU-Richtlinie 2011/95/EU (in Folge: „Statusrichtlinie“) lautet auszugsweise mit Überschriften wie folgt:
„Artikel 4
Prüfung der Tatsachen und Umstände
(1) Die Mitgliedstaaten können es als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Es ist Pflicht des Mitgliedstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen.
(2) … (3) …
(4) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
(5) Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn
a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;
b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;
c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;
d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und
e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.
…
Artikel 7
Akteure, die Schutz bieten können
(1) Der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden kann nur geboten werden
a) vom Staat oder
b) von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.
(2) Der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Ein solcher Schutz ist generell gewährleistet, wenn die unter Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Antragsteller Zugang zu diesem Schutz hat.
(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 beschriebenen Schutz bietet, ziehen die Mitgliedstaaten etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Union aufgestellte Leitlinien heran.
Artikel 8
Interner Schutz
(1) Bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz können die Mitgliedstaaten feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern er in einem Teil seines Herkunftslandes
a) keine begründete Furcht vor Verfolgung hat oder keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht oder
b) Zugang zu Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden gemäß Artikel 7 hat,
und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
(2) Bei Prüfung der Frage, ob ein Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung hat oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden in einem Teil seines Herkunftslandes gemäß Absatz 1 in Anspruch nehmen kann, berücksichtigen die Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers gemäß Artikel 4. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen