TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/16 W215 2198766-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.02.2021
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Entscheidungsdatum

16.02.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W215 2198766-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.06.2018, Zahl
1078870804-150900025, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Das Verfahren wird wegen Zurückziehung der Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), eingestellt und die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. gemäß § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben, der Bescheid hinsichtlich der bekämpften Spruchpunkte IV. bis VI. aufgehoben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005,
BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019 iVm
§ 9 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung
BGBl. I Nr. 56/2018, für auf Dauer unzulässig erklärt und XXXX gemäß
§ 55 Abs. 1 Z 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, iVm § 55 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz,
BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, deren Identität nicht feststeht, reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 21.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Anlässlich ihrer niederschriftlichen Erstbefragung am selben Tag gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen und moslemischen Glaubens zu sein. Die Eltern ihres im österreichischen Bundesgebiet lebenden künftigen Ehegatten Herrn XXXX hätten ihre Reise nach Österreich bereits im Juni 2015 organisiert. Die Ausreise aus der Russischen Föderation sei problemlos, legal mit ihrem russischen Auslandsreisepass erfolgt. Nach ihren Fluchtgründen gefragt, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie in Tschetschenien einen Mann hätte heiraten sollen, welcher bereits verheiratet gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe diesem Mann gesagt, dass sie bereits einen Verlobten in Österreich habe, das habe dieser Mann aber nicht verstehen wollen und die Beschwerdeführerin und ihre Familie seien von diesem Mann bedroht worden, weshalb die Beschwerdeführerin Mitte Juli ausgereist und zu ihrem künftigen Ehegatten, Herrn XXXX , nach Österreich geflüchtet sei.

Am 30.06.2016 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Kopien einer Heiratsurkunde, des Standesamtes XXXX bezüglich einer am XXXX erfolgten Eheschließung der Beschwerdeführerin mit Herrn XXXX XXXX , sowie ein entsprechender Auszug aus dem Heiratseintrag des Standesamtes XXXX und Auszüge aus dem Zentralen Melderegister vom XXXX , bezüglich der gemeinsamen Meldeadresse, ein.

Am 13.04.2018 wurde die Beschwerdeführerin im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt und brachte mehrere Unterlagen in Vorlage, darunter ihr Arbeitsbuch mit der Nr. XXXX , ausgestellt am XXXX in XXXX , eine Urkunde bezüglich einer „Eheschließung nach moslemischem Ritus“ mit Herrn XXXX in der Russischen Föderation, zwei Diplome ( XXXX ); einen Mutter-Kind-Pass mit Geburtstermin XXXX ; vier medizinische Unterlagen zur bevorstehenden Geburt und einer XXXX ; ein A2 Sprachzertifikat vom XXXX und ein Dienstzeugnis ihres Ehegatten vom XXXX (samt Abrechnungsbelege der Monate Jänner bis März 2018). Hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, dass sie an der XXXX leide, dagegen das Medikament XXXX einnehme, derzeit wieder schwanger bzw. nach drei Fehlgeburten unter ärztlicher Kontrolle sei. Die Beschwerdeführerin sei in XXXX geboren, sie habe die XXXX begonnene Schule im Jahr XXXX abgeschlossen, danach ein Studium am XXXX absolviert und XXXX mit Auszeichnung abgeschlossen, ab XXXX habe die Beschwerdeführerin ein weiteres Studium an der XXXX in XXXX begonnen, welches sie XXXX abgeschlossen habe, schon während dieser Zeit und auch danach habe sie XXXX gearbeitet. Die Beschwerdeführerin sei bereits seit XXXX mit Herrn XXXX nach „islamischer Ritus in Tschetschenien verheiratet“, diese Eheschließung sei in der Heimat, im XXXX erfolgt; aber in Abwesenheit des in Österreich aufhältigen Herrn XXXX . Die Eltern der Beschwerdeführerin seien in Pension, der jüngere Bruder habe studiert und suche Arbeit, der ältere Bruder arbeite als Leiter der XXXX ; die Familie besitze eine Eigentumswohnung; weiters würden noch mehrere Tanten und Onkel in der Russischen Föderation leben. In Österreich bestreite die Beschwerdeführerin ihren Lebensunterhalt mit dem Einkommen ihres Ehegatten; sie selbst studiere hier und erhalte von der Caritas Fahrtkostenersatz; die Beschwerdeführerin besuche Deutschsprachkurse, sei arbeitsfähig und arbeitswillig und wolle mit Kindern arbeiten, wenn sie besser Deutsch spräche. Die Beschwerdeführerin wiederholte auszugsweise ihre Angaben in der Erstbefragung, wonach sie wegen eines Mannes geflüchtet sei, und sich bei einer Rückkehr vor diesem fürchten würde. Dieser Mann habe die Beschwerdeführerin zunächst nur beobachtet, danach den persönlichen Kontakt mit der Beschwerdeführerin gesucht und habe nachdem er ihre Telefonnummer in Erfahrung gebracht habe, die Beschwerdeführerin ständig angerufen. Er habe eine Uniform mit der Aufschrift „OMON“ getragen, deshalb glaube die Beschwerdeführerin, dass er Polizist gewesen sei; er sei immer wieder an ihrem Arbeitsplatz aufgetaucht, habe ihr Blumen gebracht, und hätte sie schließlich heiraten wollen, obwohl er bereits eine Ehefrau hat. Obwohl es für Muslime möglich sei, mehrere Ehefrauen zu haben, wären die Beschwerdeführerin und ihre Eltern mit dieser Ehe nicht einverstanden gewesen. Die Beschwerdeführerin habe mit ihrem zukünftigen Ehegatten Herrn XXXX „ihren Brautraub organisiert“, damit mit diesem am XXXX die „Eheschließung nach moslemischem Ritus“ im Herkunftsstaat stattfinden habe können. Am XXXX habe die Beschwerdeführerin die Russische Föderation verlassen um zu Herrn XXXX nach Österreich zu fliehen. Nach ihrer Ausreise sei der Bruder der Beschwerdeführerin von diesem Mann einmal aufgesucht und bedroht worden.

Am 27.04.2018 langte eine Stellungnahme samt Kopien von bereits vorgelegten Unterlagen beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein und mit Verfahrensanordnung vom 06.06.2018 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.06.2018, Zahl 1078870804-150900025, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 21.07.2015 in Spruchpunkt I. bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG und in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Im Bescheid wird zusammengefasst ausgeführt, dass die Identität der Beschwerdeführerin nicht feststehe, ihr Herkunftsstaat die Russische Föderation sei, sie Russisch und nicht Deutsch spreche, der tschetschenischen Volksgruppe angehöre und moslemischen Glaubens sei. Die Beschwerdeführerin sei spätestens am 20.07.2015 illegal in das Bundesgebiet eingereist, habe jedenfalls an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, sei verheiratet, erwarte ihr erstes Kind; ihre Familie lebe nach wie vor in XXXX . Sie leide an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Die Beschwerdeführerin verfüge über eine 14jährige Schulbildung, habe fünf Jahre die Universität in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien besucht und verfüge über Berufserfahrung als XXXX im Herkunftsstaat. Die Beschwerdeführerin habe keine asylrelevante Verfolgung dargetan, eine Rückkehr in die Russische Föderation sei möglich und zumutbar, für eine Verfolgung im Sinne des § 8 AsylG bestünden keine stichhaltigen Gründe. Die Beschwerdeführerin sei nicht selbsterhaltungsfähig, sei in Grundversorgung und bestreite den gegenwärtigen Lebensunterhalt ausschließlich von staatlichen Unterstützungen. Eine über das normale Maß hinausgehende Integration könne nicht festgestellt werden. Einer Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation stehe nichts entgegen.

Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.06.2018, Zahl 1078870804-150900025, zugestellt am 07.06.2018, erhob die Beschwerdeführerin vertreten durch ihre zur Vertretung bevollmächtigte Rechtsberaterin fristgerecht am 15.06.2018 die gegenständliche Beschwerde. Der Bescheid wurde vollinhaltlich angefochten; der bereits bekannte Sachverhalt wurde auszugsweise wiedergegeben, Berichte zur Sicherheitslage in der Russischen Föderation hinsichtlich der Lage der Volksgruppe der Tschetschenen und Frauen im Nordkaukasus, sowie Brautentführungen vorgelegt.

2. Die Beschwerdevorlage vom 18.06.2018 langte am 20.06.2018 im Bundesverwaltungsgericht ein und wurden einer Gerichtsabteilung zur Erledigung zugewiesen. Nach einer Unzuständigkeitseinrede wurde das Verfahren am 02.07.2018 der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.

Am 19.11.2018 wurde eine Beschwerdeergänzung eingebracht, mit welcher eine Kopie der Geburtsurkunde und des Aufenthaltstitels (Rot-Weiß-Rot - Karte Plus, Nr. XXXX ) des am XXXX geborenen Sohnes XXXX vorgelegt wurden.

Am 30.06.2020 langte die Kopie der Geburtsurkunde einer Tochter XXXX XXXX ), geboren am XXXX , beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 08.09.2020 wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine schriftliche Stellungnahme, samt Vollmachtserteilung, übermittelt.

Für den 01.02.2021 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Bundesverwaltungsgericht anberaumt, zu welcher die geladene Beschwerdeführerin, in Begleitung ihrer bevollmächtigten Vertreterin, erschien. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich mit Schreiben vom 26.01.2021 entschuldigt und war nicht erschienen. In der Verhandlung wurden die Quellen der zu Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan, auf deren Einsichtnahme und Ausfolgung die Beschwerdeführerin und ihre Vertreterin verzichteten. Kurz vor dem Ende der Verhandlung zog die Beschwerdeführerin die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides zurück (Verhandlungsschrift Seite 22). Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien eine zweiwöchige Frist zur Abgabe von Stellungnahmen ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

a) Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin:

Die Identität der Beschwerdeführerin steht nicht fest. Sie ist Staatsangehörige der Russische Föderation, gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an und ist moslemischem Glaubens. Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist Tschetschenisch, darüber hinaus spricht sie auch sehr gut Russisch und rudimentär Deutsch.

Die Beschwerdeführerin lebte bis zu ihrer problemlosen legalen Ausreise aus der Russischen Föderation in Tschetschenen, konnte dort ein Studium am XXXX absolvieren, danach von XXXX ihr Studium an der XXXX XXXX abschließen. Schon während dieser Zeit und danach arbeitet die Beschwerdeführerin bis zu ihrer Ausreise, welche XXXX . XXXX Monate vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat (diese Reise nach Österreich wurde von ihren zukünftigen Schwiegereltern bereits im Juni 2015 organisiert, erfolgte aber erst am XXXX ), schloss die Beschwerdeführerin XXXX mit Herrn XXXX im Dorf XXXX eine „Ehe nach moslemischem Ritus“.

b) Zum bisherigen Verfahrensverlauf:

Die Beschwerdeführerin reiste illegal nach Österreich und stellte hier am 21.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie gab im Lauf des Verfahrens zusammengefasst an, bereits vor und auch noch nach ihrer „Eheschließung nach moslemischen Ritus“ im Herkunftsstaat (diese erfolgte am XXXX mit Herrn XXXX in der Russischen Föderation), von einem bereits verheirateten Mann verfolgt worden zu sein, weil dieser unbedingt die Beschwerdeführerin nach „moslemischem Ritus“ heiraten haben wollen.

Die Beschwerdeführerin heiratete am XXXX standesamtlich im Bundesgebiet Herrn XXXX .

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.06.2018, Zahl 1078870804-150900025, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 21.07.2015 in Spruchpunkt I. bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG und in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht die gegenständliche Beschwerde.

Am XXXX wurde der Sohn XXXX geboren; am XXXX die Tochter XXXX .

In der für 01.02.2021 zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes anberaumten öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung im Bundesverwaltungsgericht, zog die Beschwerdeführerin, nach Rücksprache mit ihrer Vertreterin, die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. des bekämpften Bescheides zurück, womit Spruchpunkt I. (Abweisung der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) und Spruchpunktes II. (Abweisung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten) in Rechtskraft erwuchsen.

c) Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich:

Seit wann sich die in Österreich unbescholtene Beschwerdeführerin tatsächlich im Bundesgebiet aufhält, kann auf Grund ihrer illegalen Einreise nicht festgestellt werden; jedenfalls aber seit ihrer Asylantragstellung 21.07.2015. Die Beschwerdeführerin hat mit dem in Österreich lebenden Herrn XXXX , ebenfalls ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, am XXXX in Österreich die standesamtliche Ehe geschlossen. Die beiden gemeinsamen Kinder wurden in Österreich geboren; alle leben derzeit im gemeinsamen Haushalt.

Die Beschwerdeführerin hat trotz ihres mehr als fünfjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nur am XXXX eine A2 Deutschprüfung bestanden, spricht immer noch langsam und wenig Deutsch, geht keiner Beschäftigung nach und bezieht nach wie vor Leistungen aus der Grundversorgung.

Der Ehegatte der Beschwerdeführerin, Herr XXXX , verfügt derzeit über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“, ausgestellt vom XXXX , Kartennummer XXXX , gültig bis XXXX . Der am XXXX geborene, XXXX Jahre alte Sohn XXXX , verfügt über den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot Karte plus“, ausgestellt vom XXXX , Kartennummer XXXX , gültig bis XXXX und die am XXXX geborene XXXX Monate alte Tochter XXXX ebenfalls über den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot Karte plus“, ausgestellt vom XXXX , Kartennummer XXXX , gültig bis XXXX .

2. Beweiswürdigung:

a) Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin:

Die Identität der Beschwerdeführerin kann mangels Vorlage russischer Identitätsdokumente mit Lichtbild nicht festgestellt werden. Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie Sprachkenntnissen beruhen auf den Angaben der Beschwerdeführerin bzw. darauf, dass von der Beschwerdeführerin zwar ein Deutschprüfungszeugnis A2 vom XXXX vorgelegt wurde, aber auf Grund der richterlichen Wahrnehmung in der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.02.2021 davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin immer noch langsam spricht bzw. Vieles immer noch nicht versteht (Verhandlungsschrift Seite 11).

b) Zum bisherigen Verfahrensverlauf:

Die Feststellungen zum bisherigen Verfahrensgang ergeben sich aus dem gegenständlichen Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Bundesverwaltungsgerichts.

c) Zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich:

Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin in Österreich beruht auf dem Vorbringen im Verfahren und den vorgelegten Unterlagen sowie auf Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Zentrales Fremdenregister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregister) und den schriftlichen Stellungnahmen samt vorgelegten Unterlagen, insbesondere dem A2 Zeugnis vom XXXX und Einsicht in das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister bezüglich der Aufenthaltstitel des Ehegatten und der beiden Kinder. Aus den vorgelegten Beweismitteln ist zu erkennen, dass sich das Familienleben der Beschwerdeführerin zwischenzeitlich in Österreich abspielt, wohingegen sie zu ihrem Herkunftsstaat mit ihren dort lebenden zahlreichen Verwandten vergleichswiese geringere Bindungen aufweist; dazu wird auf die nachfolgende rechtliche Beurteilung, zu Spruchpunkt II. dieses Erkenntnisses verwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zu Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses

1. Kurz vor dem Ende der Beschwerdeverhandlung zog die Beschwerdeführerin die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides zurück.

Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Einschreiter ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfolgt die Einstellung infolge Zurückziehung der Beschwerde durch Beschluss (VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

Mit der Zurückziehung ist das Rechtsschutzinteresse der beschwerdeführenden Parteien weggefallen, womit Sachentscheidungen die Grundlage entzogen und die Einstellung der betreffenden Verfahren – in dem von der Zurückziehung betroffenen Umfang – auszusprechen ist (vgl. Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2015, § 7 VwGVG, Rz 20; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2. Auflage 2017, § 7 VwGVG, K 6ff).

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Beschwerde zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offenlässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (vgl. zu Berufungen Hengstschläger/Leeb, AVG, § 63, Rz 75 mit zahlreichen Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

Die Beschwerdeführerin wurde in der Beschwerdeverhandlung am 01.02.2021 von einer Juristin vertreten und erklärte nach Manuduktion bezüglich der rechtlichen Folgen einer Zurückziehung, dass sie sich diesbezüglich bereits vor der Beschwerdeverhandlung ausführlich beraten haben lassen und sich absolut sicher sei, die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheides zurückziehen zu wollen (Verhandlungsschrift Seite 22). Mit der Zurückziehung ist das Rechtschutzinteresse weggefallen und einer Entscheidung im Beschwerdeverfahren die Grundlage entzogen. Die Spruchpunkte I. und II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erwuchsen mit dieser Zurückziehungen in Rechtskraft und das Beschwerdeverfahren ist hinsichtlich dieser Spruchpunkte einzustellen.

2. In Spruchpunkt III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

Dazu wurde weder in der Beschwerde noch der Beschwerdeverhandlung ein entsprechendes Vorbringen erstattet. Wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zutreffend ausgeführt hat, liegen im Fall der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführerin weder seit mindestens einem Jahr gemäß
§ 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch die Beschwerdeführerin Opfer von Gewalt gemäß § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, wurde.

Somit ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. dieses Erkenntnisses

In Spruchpunkt IV. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 des § 10 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG).

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ist der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre. (§ 9 Abs. 3 BFA-VG, in der Fassung
BGBl. I Nr. 70/2015).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR 27.10.1994, Kroon u.a. gg. die Niederlande, ÖJZ 1995, 296; siehe auch VfGH 28.06.2003, G 78/00).

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8. 4. 2008, Nnyanzi gg. das Vereinigte Königreich, Appl. 21.878/06; 04.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

Das Recht auf Achtung des Privatlebens sichert dem Einzelnen zudem einen Bereich, innerhalb dessen er seine Persönlichkeit frei entfalten und erfüllen kann. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH).

Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen ist insbesondere das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17.3.2005, G 78/04, zu erwähnen. Demnach ist das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den privaten Interessen bei der Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen. Es ist auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216, mwH).

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041 mit Hinweis auf E 30.08.2011, 2008/21/0605; E 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; E 30.06.2016, Ra 2016/21/0165; VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253-12).

Betreffend Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin ist Folgendes zu erwägen:

Gegenständlich kann man (nur) von einem ausgeprägten Familienleben in Österreich ausgehen, weshalb die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu Gunsten der Beschwerdeführerin ausfällt und eine Ausweisung einen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK darstellen würde.

Die Beschwerdeführerin hält sich seit ihrer Antragstellung auf internationalen Schutz am 21.07.2015 seit mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet auf, ist seit XXXX mit dem aufenthaltsberechtigten Herrn XXXX , ebenfalls Staatsangehöriger der Russischen Föderation, standesamtlich verheiratet und hier leben die beiden gemeinsamen Kinder XXXX und XXXX , welche ebenfalls über gültige Aufenthaltsberechtigungen verfügen (siehe dazu Feststellungen c zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin). Bezüglich der Bindungen zum Herkunftsstaat ist zu beachten, dass sich alle drei Familienangehörigen der unmittelbaren Kernfamilie der Beschwerdeführerin im österreichischen Bundesgebiet befinden, mögen auch die Eltern und Geschwister sowie zahlreiche andere Familienmitglieder nach wie vor in der Russischen Föderation leben.

Dem öffentlichen Interesse, eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, zu verhindern kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH 01.07.2009, U992/08 bzw. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216; 26.06.2007, 2007/01/0479; 16.01.2007, 2006/18/0453; 08.11.2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; 22.06.2006, 2006/21/0109; 20.09.2006, 2005/01/0699). In diesem konkreten Fall überwiegen aber - wegen der rechtmäßigen Aufenthaltstitel der Kernfamilie der Beschwerdeführerin in Österreich – mittlerweile die familiären Interessen der beschwerdeführenden Partei an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Im konkreten Fall liegt zwar eine illegale Migration bzw. offensichtliche Umgehung der fremdenrechtlichen Einwanderungsbestimmungen in Verbindung mit in Anbetracht einer mehr als fünfjährige Aufenthaltsdauer mangelhafter Integration vor, bei einer Rückkehrentscheidung würde aber eine Verletzung des Familienlebens drohen, weshalb die Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 52 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, auf Dauer für unzulässig zu erklären ist.

Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, werden Drittstaatsangehörigen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt als:

1. „Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,

2. „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,

3. „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar (§ 54 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012).

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß
§ 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen (§ 55 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012).

Gemäß § 9 Abs. 4 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017 (IntG), in der Fassung BGBl. I Nr. 41/2019, ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige
1.         einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019)
3.         über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,
4.         einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder
5.         als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.

Die Beschwerdeführerin erfüllt die in § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, genannten Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung plus“ nicht, es liegen gegenständlich - trotz des mehr als fünfjährigen Aufenthaltes - nur die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, vor, sodass der Beschwerdeführerin gemäß § 55 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, im Hinblick auf die Aufrechterhaltung ihres Familienlebens der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen ist.

Nachdem bei der Beschwerdeführerin nur die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, vorliegen, hat das das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Beschwerdeführerin einen Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG, in der Fassung
BGBl. I Nr. 87/2012, auszufolgen, welcher gemäß § 54 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen ist; die Beschwerdeführerin hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, mitzuwirken.

Da im konkreten Fall die Rückkehrentscheidung behoben wird, ist den Spruchpunkten V. und VI. des erstinstanzlichen Bescheides die Grundlage entzogen, weshalb diesbezüglich spruchgemäß zu entscheiden ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 (VwGG), in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im konkreten Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es wurde ausführlich dargelegt, dass der Sachverhalt nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung feststeht. Dieses Erkenntnis beschäftigt sich vor allem mit der Erforschung und Feststellung von Tatsachen und es ergaben sich im Lauf des Verfahren keine Hinweise auf das Vorliegen von ungeklärten Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Integration Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Verfahrenseinstellung Zurückziehung der Beschwerde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W215.2198766.1.00

Im RIS seit

16.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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