TE Bvwg Beschluss 2021/2/23 W124 2225931-1

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Veröffentlicht am 23.02.2021
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Entscheidungsdatum

23.02.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W124 2225931-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde des mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt I. behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der minderjährige Beschwerdeführer (in der Folge: mj. BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, wurde am XXXX als Sohn der afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , und XXXX , geboren am XXXX , im österreichischen Bundesgebiet geboren.

Am XXXX beantragte die Mutter als gesetzliche Vertreterin für den mj. BF gemäß § 34 AsylG 2005 die Gewährung desselben Schutzes wie in ihrem Fall. Im für den Antrag verwendeten Formular wird angeführt, dass sie für den mj. BF keine eigenen Fluchtgründe vorzubringen habe.

Dem Antrag wurden folgende Unterlagen in Kopie beigelegt:

?        Geburtsurkunde des mj. BF;

?        Auszug aus dem Zentralen Melderegister betreffend den mj. BF;

?        Karte für subsidiär Schutzberechtigte betreffend die Mutter des mj. BF und

?        Karte für subsidiär Schutzberechtigte betreffend den Vater des mj. BF.

I.2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Antrag des mj. BF auf internationalen Schutz betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.

Hinsichtlich Spruchpunkt I. wurde rechtlich ausgeführt, dass für den mj. BF keine eigenen Asylgründe vorgebracht worden seien. Ferner könne er den Status des Asylberechtigten gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 auch nicht von einem anderen Familienmitglied ableiten. Bezüglich der allgemeinen Lage in Afghanistan wurden keine eigenen Feststellungen getroffen, sondern wurde auf den Bescheid seiner Mutter verwiesen.

I.3. Mit fristgerechter Beschwerde vom XXXX wurde Spruchpunkt I. dieses Bescheids vom BF im Wege seiner Vertretung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten. Begründend wurde im Wesentlichen und zusammengefasst ausgeführt, der mj. BF wäre als vulnerables Kleinkind und Angehöriger einer religiösen und ethnischen Minderheit ohne familiäres Netzwerk in Afghanistan im Fall der Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanter physischer und psychischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt. Die Behörde sei im gegenständlichen Fall ihrer Pflicht zur amtswegigen Erforschung des maßgebenden Sachverhalts und der Wahrung des Parteiengehörs nicht nachgekommen. Konkret habe es die Behörde verabsäumt, eine Einvernahme der gesetzlichen Vertreterin des mj. BF zu dessen Fluchtgründen durchzuführen. Eine Einvernahme sei vom Bundesamt auch dann durchzuführen, wenn ein Antragsteller anführe, keine Fluchtgründe zu haben. Einem rechtsunkundigen, sprachunkundigen Fremden sei es nicht zumutbar zu erkennen, welche Gründe zur Asylgewährung führen können, weshalb das Bundesamt zur amtswegigen Ermittlung der Fluchtgründe gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 gehalten sei. Die Behörde habe es ferner unterlassen, die Ermittlungen zur Lage von Kindern in Afghanistan durchzuführen. Ferner habe sie keine Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan getroffen. Ingesamt habe die Behörde durch das Unterlassen wesentlicher Ermittlungsschritte ihre Entscheidung mit Willkür belastet.

Zu den Fluchtgründen des BF wurde zusammgenfasst ausgeführt, er sei schiitischer Tadschike und drohe ihm aus diesem Grund im Herkunftsstaat Verfolgung. Hinzu komme, dass er in Österreich geboren sei, weshalb ihm im Fall der Rückkehr nach Afghanistan unterstellt werde, Christ zu sein. Als Jugendlicher werde ihm überdies Zwangsrekrutierung drohen. Weiter wurde auf die besondere Vulnerabilität des BF aufgrund seines Alters hingewiesen und weiter ausgeführt, auch UNHCR gehe davon aus, dass Kinder mit bestimmten Profilen asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt sein können.

Abschließend wurde festgehalten, dass dem mj. BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten originär zuzuerkennen gewesen wäre.

I.4. Am XXXX langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen und Beweiswürdigung

Die unter Pkt. I als Verfahrensgang dargelegten Ausführungen werden als Feststellungen der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt. Diese ergeben sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt.

II.2. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

II.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg. cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

II.2.2. Der BF, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, wurde am XXXX als Sohn der afghanischen Staatsangehörigen XXXX und XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren. Den Eltern des Beschwerdeführers kommt in Österreich der Status der subsidiär Schutzberechtigten zu.

Am XXXX stellte der Beschwerdeführer im Wege seiner gesetzlichen Vertreterin einen schriftlichen Antrag auf internatonalen Schutz (vgl. § 17 Abs. 3 AsylG 2005). Zur Antragstellung wurde ein Formular verwendet, in welchem wörtlich angeführt wird:

„[…] Ich beantrage daher gem. § 34 AsylG 2005 die Gewährung desselben Schtuzes wie in meinem Falle. Eigene Fluchtgründe habe ich für mein Kind nicht vorzubringen […]“.

Ohne Durchführung weiterer Ermittlungsschritte wurde mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid dieser Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Begründung abgewiesen, dass die gesetzliche Vertreterin des mj. BF im Verfahren nicht in der Lage gewesen sei glaubhaft darzulegen, dass der mj. BF im Herkunftsstaat einer Verfolgungsgefahr iSd Artikel 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt wäre. Für den mj. BF seien keine Asylgründe vorgebracht worden.

II.2.2.1. Im gegenständlichen Fall liegt hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aus nachfolgenden Erwägungen vor:

Bereits aus § 34 Abs. 1 AsylG 2005 ergibt sich, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen - anders als nach dem Asylerstreckungsverfahren nach dem AsylG 1997 (in der Fassung vor der Asylgesetz-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101/2003) - ex lege als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes" gilt. Die Behörde hat bei einem Antrag eines Familienangehörigen somit in jedem Fall die Bestimmungen des Familienverfahrens anzuwenden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist (§ 34 Abs. 4 AsylG 2005). Unabhängig von der konkreten Formulierung ist jeder Antrag eines Familienangehörigen überdies in erster Linie auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gerichtet. Es sind daher für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn solche - nach einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren - nicht hervorkommen, ist dem Antragsteller jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (VwGH 24.03.2015, Ra 2014/19/0063; mV zur historischen Entwicklung des Familienverfahrens auf Putzer/Rohrböck, Asylrecht, Rz 522 ff; siehe weiters Frank/Anerinhofer/Filzwieser, AsylG 20056, K 13 f zu § 34; Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 496 f, Schrefler-König in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, Anm. 8 zu § 34 AsylG 2005; vgl. zur gesonderten Prüfung der Anträge von Familienangehörigen nach § 34 Abs. 4 AsylG 2005 etwa auch das Erkenntnis vom 21. Oktober 2010, 2007/01/0164).

II.2.2.2. Aus dieser Entscheidung ergibt sich für den gegenständlichen Fall, dass das Bundesamt – unter Mitwirkung der Eltern – das allfällige Vorliegen eigener Fluchtgründe des mj. BF zu prüfen gehabt hätte, obwohl die gesetzliche Vertreterin des mj. BF im verfahrensgegenständlichen Antrag anführte, sie habe für ihr Kind keine eigenen Fluchtgründe vorzubringen.

Folglich ist das Bundesamt der Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungswesenthlichen Sachverhalts nicht nachgekommen, zumal der Antrag des mj. BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten lediglich auf der Grundlage des Vorbringens im verfahrensgegegenständlichen Antrag abgewiesen wurde.

Insoweit im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der herangezogenen Beweismittel die Akte der Eltern des mj. BF angeführt werden, so ist Folgendes auszuführen: Das Vorbringen der Eltern des mj. BF in deren Verfahren zu ihren eigenen Fluchtgründen hätte schon im Hinblick auf den zeitlich vor der Geburt des mj. BF gelegenen Abschlusses dieser Verfahren gegenständlich nicht ohne die Gewährung von Parteingehör herangezogen werden dürfen. Der Verweis auf die Asylverfahren der Eltern des mj. BF entbindet die Behörde sohin nicht von ihrer Verpflichtung, unter Wahrung des Parteingehörs amtswegig den entscheidungswesentlichen Sachveralt zu ermitteln.

Hinsichtlich der Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach als Beweismittel die Zusammenstellung der Staatendokumentation des Bundesamtes zum Herkunftsstaat des BF herangezogen wurden (vgl. AS 41), ist festzuhalten, dass der vorliegende Verwaltungsakt keine aktuellen Berichte zur allgemeinen Lage in Afghanistan enthält und im angefochtenen Bescheid auch keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen wurden. Vielmehr wurde in den Feststellungen lediglich auf den Bescheid der Mutter des BF verwiesen. Das Bundesamt hat es sohin verabsäumt, Ermittlungen zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat des mj. BF durchzuführen.

Zusammengefasst hat das Bundesamt sohin jegliche Ermittlungen zur Frage, ob dem mj. BF im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung droht, unterlassen, zumal weder Ermittlungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan getroffen, noch eine Einvernahme der Eltern des mj. BF durchgeführt oder sonstige Ermittlungsschritte gesetzt wurden.

II.2.2.3. Der angefochtene Bescheid und das diesem zugrunde liegende Verfahren erweisen sich daher im gegenständlichen Fall als so mangelhaft, dass die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt zur Erlassung eines neuen Bescheides unvermeidlich erscheint. Die Vornahme der notwendigen Ermittlungen bzw. Erhebungen durch das Bundesverwaltungsgericht selbst verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und unter Effizienzgesichtspunkten, da diese Ermittlungen grundsätzlich vom Bundesamt durchzuführen sind. Eine Nachholung des gesamten durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, da eine ernsthafte Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Gewährung des Status des Asylberechtigten nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

II.2.2.4. Im fortgesetzten Verfahren wird die Behörde sohin die Eltern des mj. BF zu seinen Fluchtgründen einzuvernehmen haben. Ferner werden Ermittlungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan durchzuführen und dem mj. BF im Wege seiner Vertretung Parteiengehör zu gewähren sein. Bei den jeweiligen Ermittlungsschritten wird vor allem das in der Beschwerde dargelegte Fluchtvorbringen zu berücksichtigen und auf die spezifische Situation von Kindern in Afghanistan Bedacht zu nehmen sein.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass die Verwaltungsbehörde an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (siehe § 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH vom 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010 sowie VwGH vom 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG), auch wenn durch eine derartige Zurückverweisung das Verfahren in die Lage zurücktritt, in der es sich vor Erlassung des Bescheides befunden hat.

II.2.3. Insoweit in der Beschwerde moniert wird, dass dem mj. BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht „originär“ zuerkannt, sondern von seinem Vater gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 34 AsylG abgeleitet worden sei, so ist zunächst festzuhalten, dass mit der gegenständlichen Beschwerde explizit nur Spruchpunkt I. des Bescheides angefochten worden ist.

Im Übrigen hielt der VwGH in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in seiner Entscheidung vom 30.04.2018, Ra 2017/01/0418, fest, dass das Gesetz weder einen "originären" Status des Asylberechtigten kennt, noch spricht das Gesetz in § 34 Abs. 4 AsylG 2005 davon, dass im Familienverfahren ein anderer, nur "abgeleiteter" Status zuzuerkennen ist. Im Gegenteil spricht der zweite Satz des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ausdrücklich davon, dass "der" Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist, was nur bedeuten kann, dass der Status des Asylberechtigten an sich (ohne weitere Differenzierung) zuzuerkennen ist. Im Übrigen lässt sich auch der Status-Richtlinie 2011/95/EU eine solche Differenzierung bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entnehmen (vgl. insbesondere deren Art. 13). Hinzu kommt, dass nach den Materialien zu § 34 AsylG 2005 (RV 952, 22. GP, 54) § 34 AsylG 2005 der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband dient. Ziel der Bestimmungen ist, Familienangehörigen (§ 2 Z 22) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Ist einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status des Asylberechtigten zu gewähren, so kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen.

Nichts Anderes gilt für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.

II.2.4. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben (und zurückzuverweisen) ist. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.

Zu Spruchteil B)

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W124.2225931.1.00

Im RIS seit

16.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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