TE Bvwg Beschluss 2021/3/2 W240 2233651-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2021
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Entscheidungsdatum

02.03.2021

Norm

AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §5
B-VG Art133 Abs4
FPG §61
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W240 2233651-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2020, Zl. 1248291605/191011835, beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 04.10.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seiner Person liegt eine EURODAC-Treffermeldung der Kategorie 1 (Asylantragstellung) vom 04.02.2010 zu Deutschland vor.

Im Zuge der Erstbefragung am 04.10.2019 gab der Beschwerdeführer an, traditionell verheiratet zu sein. Seine Ehefrau und seine zwei Söhne seien mit ihm nach Österreich gereist und hätten hier ebenso einen Asylantrag gestellt. Seinen Entschluss zur Ausreise aus seinem Herkunftsstaat habe er im Jahr 2011 gefasst. Als Zielland habe er Russland gehabt, da er dort ein Visum erhalten habe. Im Jahr 2011 sei er legal mit dem Taxi von Syrien in die Türkei gereist. Dort habe er über ein Reisebüro ein russisches Visum erhalten und sei mit diesem legal nach Russland geflogen. Seine Frau habe er im Jahr 2011 in Russland kennen gelernt und seine beiden Söhne seien dort geboren. In Russland habe er sich von 2011 bis September 2019 illegal aufgehalten, da er keine Papiere bekommen habe. Er sei über die Türkei nach Russland gereist, habe sich dort von 2011 bis etwa Ende September 2019 aufgehalten, sei über ihm unbekannte Länder bis in die Slowakei gereist, und anschließend nach Österreich. Auf der Reise habe er nirgendwo um Asyl angesucht, habe sich aber früher einmal in Deutschland aufgehalten und dort im Jahr 2010 um Asyl angesucht. Sein Verfahren in Deutschland sei noch offen gewesen, als er freiwillig die Rückreise angetreten habe.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 13.10.2019 ein auf Art.°13°Abs. 1 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an Polen und ein Informationsersuchen gem. Art. 34 Dublin III-VO an die Slowakei und Deutschland.

Es wurden folgende Dokumente vorgelegt:

-        Aufenthaltsbestätigung vom 19.10.2019 eines österreichischen Landesklinikums

-        Ambulanzkarte vom 11.10.2019 mit der Diagnose: „Verdacht auf akute Belastungsreaktion; anamnestisch Epilepsie (keine Dauermedikation)“

-        Laborbericht vom 11.10.2019

-        Arztbericht vom 16.10.2019 mit dem Ergebnis: „Beschriebene Fehlhaltung, Diskusschaden C3/4"

-        Vorläufiger Entlassungsbericht vom 19.01.2019 mit der Diagnose: „St. P. Verkehrsunfall 2014, fragliche Epilepsie, posttraumatische Störung DD GAD“

-        Untersuchungsprotokoll vom 19.10.2019, Befund: „CT Hirnschädel: keine Blutung. Unauffällige Dichte und Differenzierung des Gehirns. Etwas weitergestellte Liquorräume, frontal in erster Linie anlagebedingt- DD Atropie? Die knöchernen Abschnitte sind unauffällig.“

-        Überweisungsscheine

Am 21.10.2019 teilten die deutschen Behörden mit, dass der Beschwerdeführer bei ihnen mit der ukrainischen Staatsangehörigkeit registriert sei und sein Asylverfahren eingestellt sei. Seine Aufenthaltsgestattung sei am 19.03.2011 erloschen.

Mit Schreiben vom 04.11.2019 teilte die polnische, am 12.11.2019 die slowakische Dublinbehörde mit, dass sie nicht der zuständige Dublinstaat seien.

Nach durchgeführter Rechtsberatung fand am 28.01.2020 die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA statt. Dabei gab der Beschwerdeführer unter anderem Folgendes an:

LA: Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen die anwesenden Personen vor?

VP: Nein

LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich? Sind Sie in ärztlicher Behandlung, nehmen Sie irgendwelche Medikamente?

VP: Ich leide an Epilepsie, Rückenschmerzen und habe auch Probleme mit dem Blinddarm. Ich leide auch an Migräne und Schlaflosigkeit. Ich bin auf ständige Begleitung wegen möglicher Anfälle angewiesen. Ich bin aktuell in Behandlung und nehme Tabletten zu mir.

LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

VP: Ja, ich bin in der Lage die Fragen zu beantworten und ich möchte heute meine Aussage machen.

LA: Es wurde Ihnen das Info- und Belehrungsblatt zum Ermittlungsverfahren (Wahrheits- und Mitwirkungspflicht, vertrauliche Behandlung, Konsequenzen von Falschaussagen, Rechtsberater, Ablauf der Niederschrift, Meldepflichten, etc.) in einer verständlichen Sprache bereits im Zuge der Erstbefragung zur Kenntnis gebracht und mit Ihnen gemeinsam erläutert.

LA: Sie werden zur verpflichtenden Mitwirkung an der Klärung Ihrer Identität und Alter in jedem Verfahrensstadium vor dem BFA und dafür ausreichend vorhandener Zeit eingehend und das den nunmehrigen Angaben eine besondere Glaubwürdigkeit zukommt belehrt und ebenso zur Strafbarkeit der Vorlage falscher Beweismittel einschließlich der Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Aussage bei sonstigen straf- und verfahrensrechtlichen Folgen. Ebenso wird Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass Sie jegliche Ladungstermine im gesamten Verfahren vor dem BFA befolgen müssen, da Sie sonst riskieren, dass ein Festnahmeauftrag gegen Sie erlassen werden kann.

LA: Haben Sie den gesamten Inhalt verstanden und sind Ihnen die damit verbundenen Rechte und Pflichten bewusst?

VP: Ja, das ist mir bewusst.

LA: Weiters informiere ich Sie über die Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr, die Sie in jedem Verfahrensstadium in Anspruch nehmen können. Es gibt verschiedene Projekte, die Sie bei einer freiwilligen Rückkehr finanziell unterstützen- so können Sie je früher Sie in Ihr Herkunftsland zurückkehren mehr Unterstützungsleistung erhalten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Rückkehrberatungsorganisationen Caritas und Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ) beraten Sie diesbezüglich gerne.

Haben Sie bereits überlegt, die Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr in Anspruch zu nehmen?

VP: Ich habe darüber gehört, will aber nicht nach Syrien bzw. nach Russland zurückkehren.

LA: Sie werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen können. Ich möchte sicher sein können, dass alles, was Sie gesagt haben, auch so gemeint wurde. Wenn Sie während der Befragung etwas trinken möchten, sagen Sie das bitte.

VP: Ich werde das bei Bedarf machen.

LA: Wie verstehen Sie den anwesenden Dolmetscher?

VP: Ich habe gegen den anwesenden Dolmetscher keine Einwände und ich habe auch keinerlei sprachliche Schwierigkeiten mit ihm.

LA: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

VP: Ich habe die Wahrheit gesagt.

LA: Werden Sie in gegenständlichem Verfahren vertreten? Liegt diesbezüglich eine Vollmacht vor? In welchem Umfang?

VP: Nein.

LA: Sind Sie je von einer gerichtlichen Untersuchung oder einem Gerichtsverfahren oder eine (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung in Österreich betroffen gewesen?

VP: Nein weder noch. Ich hatte außer in Zusammenhang mit meinem Asylverfahren weder mit der Polizei noch den Gerichten bzw. noch mit anderen Behörden zu tun gehabt.

LA: Verfügen Sie über Dokumente, die Ihre Identität bestätigen?

VP: Nein, Ich habe Syrien 2008 verlassen. Ich habe damals dem Schlepper alle meine Dokumente gegeben und diese nicht mehr zurückbekommen. Aber ich möchte folgende Bestätigungen vorlegen:

?        Konvolut von medizinischer Befunde aus Österreich.

?        Diverse Tabletten

LA: Haben Sie jemals einen Auslandsreisepass besessen oder beantragt? Wenn ja, befand sich ein Visum darin?

VP: Ja, Ich besaß einen syrischen Reisepass. Ja ich war 3mal in Europa. Die Visa wurden damals von Schleppern organisiert. Diese waren nicht legal. 2009 oder 2010 war ich das erste Mal in Europa. Ich fuhr nach Deutschland. Ich habe dort um Asyl angesucht und später habe ich den Antrag wieder zurückgezogen. Das 2. Mal war ich in Russland. Dort war die Lage jedoch nicht rosig, weshalb ich wieder 2010 über die Ukraine und Polen nach Deutschland einreiste. (3. Mal).

LA: Können Sie sich Dokumentkopien beschaffen?

VP: Ja ich kann welche beschaffen.

LA: Wie lange brauchen Sie dazu Zeit? Ich erinnere Sie daran das Sie dazu verpflichtet sind an Ihrem Verfahren mitzuwirken.

VP: Ich werde mein Bestes geben. Ich benötige dazu Zeit. Ich benötige dazu 2 Monate Zeit.

Anm. Der VP wird zur Vorlage von Kopien von Dokumenten eine Frist von 2 Monaten gewährt.

LA: Wie bestreiten Sie nun in Österreich Ihren Lebensunterhalt? Welche Unterstützungen beziehen Sie?

VP: Ich lebe in Grundversorgung und bekomme Unterstützung.

LA: Welche Staatsbürgerschaft, welcher Religionszugehörigkeit und Volksgruppe gehören Sie an?

VP: Ich bin in XXXX in Libanon geboren, gehöre zur Volksgruppe der Araber und bin alawitischer Moslem.

LA. Sind Sie demnach libanesischer Staatsbürger?

VP. Nein ich wurde nur dort geboren, weil meine Mutter damals dort zu Besuch war. Sie besuchte dort Ihre Cousine mütterlicherseits. Ich bin syrischer Staatsbürger.

LA: Welche Staatsbürgerschaft haben Ihre Eltern?

VP: Sie sind Syrer.

LA: Wo leben Ihre Eltern aktuell?

VP: Mein Vater ist als Märtyrer am 03.11.2015 in Syrien gestorben. Meine Mutter pendelt aktuell zwischen Syrien und Libanon. Sie hat keinen festen Wohnsitz.

LA: Hatten Sie aufgrund Ihrer Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit Probleme im Heimatland?

VP: Nein.

LA: Haben Sie die Schule besucht?

VP: 3 Jahre Grundschule in XXXX .

LA: Was war dann in XXXX ?

Es könnte sein, dass meine Familie XXXX als 4 Jahre war verlassen haben.

LA: Welchen Beruf gingen Sie nach bzw. wie haben Sie sich Ihr Leben finanziert?

VP: Wir waren Landwirte und haben Oliven Marillen und andere Obstsorten angebaut. Dieses haben wir am Markt verkauft.

LA: Sie haben angegeben verheiratet zu sein. Wann und wo haben Sie geheiratet?

VP: Wir haben uns Ende 2011 kennengelernt haben 2011 in XXXX , ca. 60 KM von Moskau entfernt traditionell geheiratet. Dort haben wir auch seit Anfang 2012 zusammengelebt.

Ich hatte vorher eine Freundin namens XXXX . Sie ist verstorben. Wir hatten keine gemeinsamen Kinder. Sie starb in Syrien, als Sie meinen Vater begleitete um meine Familie zu besuchen. Das Auto meines Vaters wurde in Syrien unter Beschuss genommen. Das war am XXXX .2015.

LA: Hatten Sie damals 2 Frauen, demnach, weil Ihre Freundin XXXX 2015 Ihre Familie besuchte?

VP: Ich hatte weiter eine Beziehung zu XXXX .

LA: Gibt es zu Ihrer Verehelichung Urkunden, Bestätigungen oder dergleichen?

VP: Nein.

LA: Gibt es Fotos dazu?

VP: Nein.

LA: Wer waren die Trauzeugen?

VP: Es waren Studenten aus Jordanien. Sie hießen XXXX .

LA: Wer war sonst noch dabei?

VP: Es gab einen Sheikh namens XXXX , welcher uns getraut hat.

LA: Nennen Sie mir die genauen Daten Ihrer Ehefrau und Ihrer gemeinsamen Kinder?

VP: Ehefrau: XXXX

Sohn: XXXX

Sohn: XXXX

LA: Haben Ihre Ehefrau und Kinder russische Dokumente?

VP: Meine Kinder haben nur russische Geburtsurkunden. Sie haben jedoch keinen Staatsbürgerschaftsnachweis. Dazu musste ich zur russischen Botschaft nach Syrien gehen um ein Visum zu bekommen. Meine Gattin hat die russische Staatsbürgerschaft, jedoch keinen russischen Reisepass.

LA. Warum hat sie nie einen Reisepass für Russland beantragt?

VP: Sie hatte nur ein Dokument für Reisen innerhalb Russlands. Der Schlepper hat alle Dokumente behalten.

LA: Haben Ihre Ehegattin und Ihre gemeinsamen Söhne eigene Fluchtgründe?

VP: Wegen mir wurden meine Frau und meine Kinder in Russland bedroht.

LA: Wo haben Sie bis zu Ihrer Flucht im Heimatland gelebt?

VP: Syrien, XXXX .

LA. Ist XXXX eine Stadt?

VP: Nein ein Dorf ca. 15 Min von XXXX entfernt?

LA: Können Sie mir Ihr Dorf etwas beschreiben?

VP: Es gab eine Moschee und eine Schule. In der Nähe gab es die Gemeinde Al Qaa (Libanon).

LA: Wie oft waren Sie damals in XXXX ?

VP. Als kleines Kind war ich öfters dort. Später war ich nicht mehr dort.

LA: Können Sie mir XXXX beschreiben?

VP: Es gibt dort einen bekannten Bezirk namens XXXX . Dort leben alle Ethnien gemeinsam. Es gibt in XXXX auch viele Schmuckläden. Es gibt auch einen Hauptplatz namens XXXX . Es gibt auch Märkte und einen berühmten Busterminal dort. Es gibt dort auch eine Moschee namens XXXX . (Beilage 1).

Anm. Der VP wird ein Foto der genannten Moschee gezeigt, welche die VP jedoch nicht bekannt ist.

LA: Gibt es ein Gewässer dort?

VP: Der Fluss namens XXXX fließt dort durch.

LA: Wann haben Sie Ihren Wohnsitz endgültig verlassen?

VP: Im Jahr 2008 legal über die Türkei nach Russland. Ich habe dort dann 1 Jahr gelebt. Der Reisepass lief dann ab und ich besorgte mir einen ukrainischen Reisepass. Ich besorgte mir ein polnisches Visum und reiste damit Ende 2009 Anfang 2010 nach Deutschland. Ich suchte dort um Asyl an. Nach 1 ½ Jahren Asylverfahren zog ich meinen Antrag zurück und verließ Deutschland in die Türkei.

LA: Haben Sie in Deutschland mit der Ukrainischen Reisepass angesucht?

VP: Nein als palästinensischer Staatsangehöriger, um einer Schubhaft zu entgehen.

LA: Das Dokument haben Sie damals den deutschen Behörden ausgehändigt?

VP: Nein.

LA: Wie haben Sie sich damals ausgewiesen?

VP: Ich hatte nur ein kleines Interview. Ich legte keine Dokumente vor.

LA: Erzählen Sie weiter, als Sie von Deutschland in die Türkei reisten. Was geschah danach?

VP: Ich sprach dort über Telefon mit meinem Vater. Er war in Syrien. Er sagte, dass ich nicht nach Syrien zurückkehren sollte, um einer Festnahme und einer Einberufung zum Militär zu entgehen. Ich blieb dann noch 2 Wochen in der Türkei und reiste mit dem ukrainischen Reisepass wieder nach Russland. Dort blieb ich nur ca. 1 Monat. Ich wurde ständig von der russischen Polizei befragt und musste ständig Schmiergeld zahlen um in Ruhe gelassen zu werden. Ich besorgte mir ein litauisches Visum über einen Schlepper und reiste wieder für 2 Wochen nach Deutschland. Dort hatte ich keinen Erfolg, um mein Asylverfahren positiv abzuschließen und beschloss wieder nach Russland zurückzukehren. Ich ging in die Stadt XXXX , lernte dort einen Offizier kennen, welche für mich immer wieder ein Schreiben ausstellte, das ich meinen syrischen Reisepass verloren hätte. Der Offizier hieß XXXX . So konnte ich bis vor 3-4 Monaten in Russland leben.

LA: Haben Sie in Russland um Asyl angesucht?

VP: Natürlich nicht

LA: Warum nicht?

VP: Weil der russische und syrische Geheimdienst miteinander kooperieren. Außerdem wäre ein Asylverfahren negativ entschieden worden.

LA: Wie wurde Ihre Ausreisen finanziert?

VP: Mein Vater hat vieles finanziert. Später habe ich in Russland in einer Trafik gearbeitet und so Geld verdient.

LA: Haben Sie noch Angehörige in Ihrem Heimatland und wo genau halten sich in Ihrem Heimatland Ihre Angehörigen auf?

VP: In Syrien leben meine Mutter

3 Brüder: XXXX lebte zuletzt in der Türkei. XXXX lebten in Syrien, ich habe jedoch zu keinen mehr Kontakt.

3 Schwestern: XXXX Alter unbekannt, leben im Libanon;

Sonja lebt bei meiner Mutter.

Ein adoptierter Cousin namens XXXX .

LA: Hat Ihre Familie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland, z.B. Häuser, Grund?

VP: Wir hatten einen Bauernhof, welcher zurückgelassen wurde.

LA: Wie geht es Ihre Angehörige heute? Mit wem haben Sie Kontakt?

VP: Ich spreche ab und zu mit meiner Mutter.

LA: Hatten Sie wirtschaftliche Gründe Ihre Heimat zu verlassen?

VP: Nein, wegen des Militärs.

LA: Haben Sie vom Syrischen Militär einen Einberufungsbefehl erhalten?

VP: JA. Damals hieße es, dass ich mich innerhalb 15 Tagen mich beim Militäramt melden sollte. Das war 2008, ca. 1 Monat vor meiner Ausreise.

LA. Haben Sie diese Anordnung schriftlich bekommen?

VP: Ja.

LA: Können Sie mir diese vorlegen?

VP: Nein, da mein Haus zerstört wurde.

VP: Nein

LA: Was hätten Sie bei einer Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?

VP: Ich würde erhängt werden.

LA. Warum das?

VP: Meine 2 Brüder sind verschwunden. Mein Vater wurde auch erschossen, weil gegen das System demonstriert hatte.

LA: Gibt es vom Verschwinden Ihrer Brüder Schriftstücke bzw. eine Todesurkunde Ihres Vaters?

VP: Nein, weil unser Dorf von Regimegegnern besetzt ist. Es gibt keine Staatlich Institutionen, um sich ein Dokument ausstellen zu lassen.

LA: Woher wissen Sie, dass Ihr Vater tot ist? Haben Sie die Leiche gesehen?

VP. Meine Mutter hat mir das gesagt. Außerdem hatte ich auch eine Videoaufnahme vom Begräbnis, welches in Russland geblieben ist?

LA. Können Sie das Video nachreichen?

VP: Nein, ich bin sicher das die russische Polizei alles beschlagnahmt hat.

LA: Haben Sie im Herkunftsland Strafrechtsdelikte begangen?

VP: Nein.

LA: Hatten Sie in Ihrem Heimatland Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen?

VP: Nein. Auch nicht in Russland.

LA: Ist gegen Sie ein Gerichtsverfahren anhängig?

VP: Nein.

LA: Waren Sie in Haft oder wurden Sie festgenommen?

VP: In Deutschland war ich 3 Monate in U-Haft. Sonst nicht.

LA: Sind Sie Mitglied einer Partei, parteiähnlichen oder terroristischen Organisation?

VP: Nein.

Anm. Die EV wird um 11:08 unterbrochen.

Anm. Die EV wird um 11:15 fortgesetzt.

Wenn ich nun aufgefordert werde meine Flucht- und Asylgründe zu schildern, gebe ich an:

VP: Meine Hauptgründe ist die Flucht vom Militär. Man muss dort 5 Jahre Wehrdienst leisten.

Es gäbe andere Möglichkeiten, dass man sich von der Einberufung freikaufen kann. Aber da ich Alawit bin, ist mir das verwehrt. Ich müsste demnach in den Krieg ziehen.

LA: Welchen Kontakt hatten Sie mit dem syrischen Militär?

VP: Ich hatte nie einen Kontakt zu diesen.

LA: Haben Sie ein Wehrdienstbuch erhalten?

VP: Das habe ich früher gemeint. Ich wurde schriftlich verständigt, dass ich mein Wehrdienstbuch in Empfang nehmen sollte.

LA: Das heißt, Sie haben keinen Einberufungsbefehl erhalten?

VP: Nein. Wenn ich dortgeblieben wäre, hätte ich 10 Jahre zum Militär gehen müssen.

LA. Was ist mit Ihren Brüdern? Haben diese bereits gedient?

VP. Ja, beide haben bereits gedient. Als der Krieg jedoch ausbrach, wollten sie jedoch nicht weiter als Reservisten dienen und sind daher untergetaucht. Ich weiß nicht wie sie sind.

LA: Was ist mit Ihrem 3. Bruder, welcher in der Türkei war?

VP. Ich weiß nicht wo er ist. Er hat auch seinen Pflichtdienst geleistet, wollte aber auch nicht weiter als Reservist dienen.

LA: Wollen Sie mir noch weitere Details zu Syrien erzählen?

VP: Es ging dort alles verloren. Meiner Mutter geht es auch nicht gut.

LA: Hatte Ihre Mutter Kontakt mit syrischen Behörden?

VP: Sie hat Angst, dass Sie gezwungen wird Auskünfte über mich zu geben. Ich weiß es nicht ich habe sie auch nie danach gefragt.

LA: Haben Sie außer zu Ihrer Mutter, noch zu jemanden anderen Kontakt in Ihrem Heimatland?

VP. Nur wenn sie bei meiner Mutter zu Besuch sind.

LA: Hat Ihr Bruder Ali den gleichen Familiennamen wie Sie?

VP. Ja.

LA: Warum haben sie gerade in Österreich um Asyl angesucht? Warum nicht, mit Ausnahme von Deutschland, in einem anderen Land?

VP: Ich wollte ursprünglich nach Norwegen. Der Schlepper hat uns jedoch nach Österreich gebracht. Ich hatte auch kein Geld mehr um woanders hinzureisen.

LA: Was war in Russland das Problem?

VP: Dort hatte ich mit Leuten aus Aserbeidschan Probleme. Sie haben meinen Partner und mich beschuldigt, das Zollamt in Russland über sie informiert zu haben. Dessen Ware (Tabak) wurde vom Zollamt beschlagnahmt, deshalb verlangten die se Leute von mir eine Schadenswiedergutmachung in der Höhe von 100.000 US-Dollar. Sie haben außerdem die syrische Botschaft in Russland verständigt, dass ich mich illegal dort aufhielt. Der syrische Konsul dort (Konsulat Ukraine und Russland) namens Ali Issa, welcher auch als Interpolbeamter fungiert, rief mich an und sagte, wenn ich diesen Betrag nicht zahle, würde er meine Rückreise nach Syrien veranlassen. Selbst meine Kinder würde er abschieben. Er wollte mich erpressen, dass ich so schnell wie möglich zahle. Mein Freund der Offizier XXXX informierte mich 2 Tage nachdem ich das Gespräch mit dem Konsul hatte, dass es einen Haftbefehl für mich gab. Ich dachte, dass er scherzen würde, als jedoch noch am selben Tag am Abend um ca. 10 Minuten nach Mitternacht 3 Fahrzeuge bei uns auftauchten. Wir lebten in einem Einfamilienhaus. Meine Schwiegermutter lebte im Parterre und wir im ersten Stock.

Anm. Die VP wird mehrmals darauf hingewiesen, dass Szenario detaillierter zu erzählen.

Ich stand gerade am Fenster, weil ich nicht schlafen konnte und konnte beobachten, wie viele Leute zu unserem Haus gingen. Ich warte noch um sicher zu gehen, ob sie zu unserem Haus wollen. Als die Leute unseren Garten betraten, sprang ich auf der anderen Seite durch das Fenster und lief zu einem verlassenen Haus, um mich dort zu verstecken. Ich schickte eine SMS an meinen Freund XXXX . Er rief mich später zurück. Ich bat ihn, dass er meine Frau und Kinder helfen soll. Er brachte mir um 3:00 Uhr in der Früh meine Kinder. Mein Freund XXXX organisierte einen Transport zu einem bekannten Schlepper. Dieser verlangte 12000.- Dollar, welches ich von meinem Vater hatte.

Hatten Sie genug Zeit um bei Ihrer Flucht vom Haus noch das Geld einzupacken?

Nein, das brachte meine Frau später mit.

LA: haben Sie noch am selben Tag Russland verlassen?

VP: Um 05:00 Uhr fuhr der LKW von einem großen Parkplatz bei Moskau los.

LA: Warum ist Ihrer Frau und Ihren Kindern nichts passiert, als diese Männer zu ihnen nachhause kamen?

VP: Es wurde nur meine Frau nach mir gefragt. Sie sagte das ich nicht zuhause sei und Tabak für das Geschäft besorgen würde. Die Männer sagten, dass sich meine Frau keine Sorgen machen soll, sie würden uns nur helfen und um 06:00 früh oder abends wiederkommen würden. Die Männer sind danach wieder gefahren.

LA: Wie viele Männer waren das genau und was hatten diese für Kleidung?

VP: Es waren mindesten 8 Männer und diese waren normal gekleidet. Es waren Männer vom KGB.

LA: Woher wollen Sie das wissen? Haben sich diese ausgewiesen?

VP: Ich glaube, dass nur solche Leute sind in Zivil unterwegs.

LA: Hatten Diese Männer vielleicht etwas anderes im Sinn?

VP: Nein.

LA: Können Sie mir erklären, was denn Männern des KGB davon abgehalten haben sollte, nicht Ihr Haus zu Observieren und einfach zu warten bis entweder Sie dort auftauchen würden oder einfach Ihrer Frau zu folgen? Stattdessen soll der KGB noch gesagt haben, dass sie am um 06:00 oder um 18:00 Uhr wiederkommen würden?

VP. Ich verstehe das auch nicht. Wir hatten einfach Glück.

LA: Warum sollten gerade Sie in verfolgt worden sein?

VP: Weil ich kein Geld gezahlt habe, würde die Männer mich mitnehmen.

LA: Warum ist Ihren Kindern nichts passiert?

VP. Ich glaube Sie wollten nur mich haben und gesetzlich handeln. Ich war das Ziel und nicht die Kinder.

LA: Warum haben Ihre Kinder nicht die russische Staatsbürgerschaft. Können Sie mir das erklären?

VP: Ich müsste einen ordentlichen Aufenthalt in Russland beantragen und ein Visum über die Botschaft beantragen um in weiterer Folge eine russische Staatsbürgerschaft für meine Kinder zu beantragen. Meine Frau wollte auch, dass ich der Vater bin, deshalb, hat sie auch nichts beantragt.

LA. Warum waren in den ganzen Jahren in Russland nicht einmal dort bei der syrischen Botschaft?

VP. Die Botschaft ist nicht sicher. Deshalb habe ich mich dort nie hingewandt. Es sind dort auch schon Personen verschwunden. Das sind Mafia-Zentren.

LA: Warum Sind Sie nicht in eine andere Provinz Russlands gezogen?

VP: Ich wollte meiner Frau nicht weiter zumuten in Russland zu bleiben. Außerdem hätten mich die KGB gefunden.

LA: Wie war eigentlich der Grenzübertritt von Russland ins Nachbarland?

VP. Keine Ahnung. Wir sind nie ausgestiegen. Wir haben im LKW alles erledigt, Essen, WC.

LA: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

VP: Ich habe alles gesagt.

Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in die vom BFA zur Beurteilung Ihres Falles herangezogenen allgemeinen Länderfeststellungen zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

Die VP verzichtet auf eine Übersetzung. Dazu gibt die VP an:

VP: Ich verzichte darauf.

LA: Auf die Vertraulichkeit der von Ihnen angegebenen Daten wird nochmals hingewiesen. Sind Sie damit einverstanden, dass Erhebungen zum Sachverhalt in Ihrem Heimatland durchgeführt werden? Es werden keine persönlichen Daten an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergegeben.

VP: Ja, ich bin einverstanden.

LA: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals ob Sie noch etwas Asylrelevantes oder etwas sonst Bedeutendes angeben möchten, das Ihnen wichtig erscheint, jedoch bislang nicht gefragt wurde?

VP: Ich habe alles gesagt.

V: Sie werden davon in Kenntnis gesetzt, dass Sie im Zuge einer gegebenenfalls gleichzeitig mit Ihrem Asylantrag zu prüfenden Rückkehrentscheidung, berechtigt sind, in dessen Rahmen Anträge auf Feststellung des Verbotes der Abschiebung oder auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu stellen. Letzteres setzt voraus, dass keine Erteilungshindernisse vorliegen.

V: Dies wird gleichzeitig im Rahmen der Prüfung ihres Asylantrages erfolgen.

VP: Ich habe verstanden.

LA: Würde Ihnen im Falle der Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat seitens der syrischen Regierung Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen?

VP: Weil ich abgehauen bin, bin ich als Verbrecher eingestuft. Ich bin mir sicher das es einen Festnahmeauftrag gibt.

LA: Haben Sie so etwas in schriftlicher Form?

VP: Damals hatte ich das. Dies gibt es nicht mehr.

LA: Würden Sie im Falle Ihr Asylantrag negativ entschieden werden würde, freiwillig in Ihr Heimatland oder Russland zurückkehren?

VP: Nein. Ich würde aber nach Bangladesch reisen.

LA: Können Sie Gründe vorbringen, die gegen eine Ausweisung aus Österreich sprechen, bzw. Was haben Sie, seit sie in Österreich aufhältig sind, bis heute alles für Ihre Integration getan?

VP: Ich lerne derzeit über YouTube die deutsche Sprache. Deutschkurs gibt es aktuell keine.

LA: Geben Sie mir etwas in Deutsch an!

VP: Ich möchte Hauptbahnhof ich möchte Taxi, ich krank, ich möchte Krankhaus. Ich möchte andere Stadt, ich möchte Arbeit.

LA: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

VP: Ich koche für uns und bringe meine Kinder in den Kindergarten. Ich helfe den Hausverwalter auch ehrenamtlich und säubere dafür die ganze Pension.

La: Bringt Ihre Frau die Kinder nicht in den Kindergarten?

VP: Natürlich, wir gehen meistens gemeinsam.

LA: Haben Sie Familienangehörige oder sonstige Verwandte in Österreich? Wie oft sehen Sie diese?

VP: Außer meiner Frau und unsere Kinder habe ich keine Verwandten

LA: In welchen Vereinen oder Organisationen sind und waren Sie Mitglied in Österreich?

VP: Nein.

LA: Möchten Sie noch weitere Angaben machen? Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen und gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände?

VP: Nein ich möchte keine Angaben mehr machen. Ich konnte alles vorbringen und habe keine Einwände.

LA: Wie haben sie den Dolmetscher verstanden?

VP: Sehr gut, es gab keine Verständigungsschwierigkeiten

LA: Fühlten Sie sich während dieser Einvernahme auch wohl?

VP: Ja.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird rückübersetzt.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Nein Ich habe keine Einwände, es wurde alles richtig und vollständig übersetzt und protokolliert.

LA: Eine schriftliche Ausfolgung dieses Protokolls erhalten Sie nachdem Ihre Gattin befragt wurde!

VP: Ich habe verstanden.

Anmerkung: Die Verfahrenspartei wird über den weiteren Verlauf des Verfahrens aufgeklärt.

Am 17.02.2020 stellte das BFA eine interne Anfrage an die Staatendokumentation, welche mit Schreiben von 03.03.2020 antwortete.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.06.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründe gem. § 57 AsylG nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z.1 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z .1 FPG erlassen, festgestellt, dass gem. §°52°Abs.°9°FPG eine Abschiebung gem. § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Wochen erteilt.

Nach Wiedergabe der Länderberichte zur Russichen Föderation wurde insbesondere festgestellt, dass die Identität nicht eindeutig festgestellt werden könne. Begründend wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer traditionell mit einer russischen Staatsbürgerin verheiratet sei und mit ihr zwei Söhne habe. Eine staatlich anerkannte Eheschließung liege nicht vor. Es hätten keine maßgeblichen sozialen oder gesellschaftlichen Integrationsmerkmale festgestellt werden können. Außer der mitgereisten Kernfamilie verfüge der Beschwerdeführer in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte. Die Russische Föderation habe die GFK ratifiziert, habe gesetzlich ein Asylverfahren eingerichtet, welches die Grundsätze der GFK und der EMRK, sowie auch des Protokolls Nr. 6, Nr. 11 und Nr. 13 zur Konvention erfülle. Es sei festzustellen, dass in der Russischen Föderation eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte nicht stattfinde. Der Beschwerdeführer leide an Epilepsie, welche jedoch durch Medikamente und sonstiger psychologischen Maßnahmen gut behandelbar sei. Diese Möglichkeiten der Behandlung und die Verfügbarkeit der benötigten Medikamente seien in der Russischen Föderation gegeben und würden daher kein Rückkehrhindernis darstellen. Es liege keine Verfolgung iSd GFK bzw. eine Gefährdung iSd Art. 2 und 3 des Protokolls Nr. 6, 11 und 13 der EMRK in der Russischen Föderation vor und sei vom Beschwerdeführer auch kein Beweismittel entgegnet worden. Es sei daher davon auszugehen, dass eine Rückkehr in die Russische Föderation für den Beschwerdeführer und die Kernfamilie möglich sei, um dort seinen Status als Asylwerber zu legalisieren bzw. in weitere Folge auch die russische Staatsbürgerschaft zu beantragen.

3. Gegen den Bescheid des BFA erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig das Rechtmittel der Beschwerde und hielt fest, dass der Bescheid in vollem Umfang angefochten werde. Inhaltlich verwies der Beschwerdeführer auf sein bereits erstattetes Vorbringen und führte aus, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Russland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, Ermordung oder Misshandlung aufgrund seiner Probleme mit Männern aus Aserbaidschan sowie dem Konsul drohe. In Syrien drohe dem Beschwerdeführer Verfolgung aufgrund der Wehrdienstverweigerung. Somit sei er jedenfalls als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention anzusehen.

4. Mit Beschluss vom 06.08.2020 zu W240 2233651-1/2Z, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

5. Am XXXX 2020 wurde die Tochter namens XXXX des Beschwerdeführers und seiner nach muslimischen Ritus angetrauten Ehefrau geboren. Hinsichtlich der Tochter erging eine Entscheidung gleichlautend mit den Entscheidungen der Ehefrau und der minderjährigen Söhne und ist ihr Beschwerdeverfahren zu W280 2238185-1 ebenfalls beim BVwG anhängig.

6. Mit dem – zeitgleich mit dieser Entscheidung ergangenen - Beschluss zu den Zahlen
W280 2233654-1, W280 2233653-1, W280 2233652-1 und W280 2238185-1 wurde der Beschwerde der nach muslimischen Ritus angetrauten Ehefrau und der Kinder gemäß
§ 28 Abs. 3 VwGVG stattgegeben, es wurden die angefochtenen Bescheide behoben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen, da eine Entscheidung in den diesen Beschwerdesachen aufgrund der fehlenden Ermittlungen im Zulassungsverfahren betreffend den Vater und Ehemann kann nicht getroffen werden, als ein divergierender Sachverhalt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu unterschiedlichen Entscheidungen in den Verfahren der Familienangehörigen führen würde und eine Verletzung der von Art 8 EMRK postulierten Rechte nach sich ziehen könnte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger. stellte am 04.10.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist traditionell mit einer russischen Staatsbürgerin verheiratet, sie haben gemeinsame zwei Söhne und eine Tochter, die ebenfalls russische Staatsbürger sind. Die Beschwerdeverfahren der nach muslimischen Ritus angetrauten Ehefrau des Beschwerdeführers namens XXXX , W280 2233654-1, und der gemeinsamen Kinder XXXX , zu W280 2233653-1, XXXX zu W280 2233652-1, und XXXX , zu W280 2238185-1 - alle russische Staatsangehörige - sind derzeit ebenfalls beim BVwG anhängig.

Aus der Aktenlage in Kombination mit der Beweiswürdigung im nunmehr angefochtenen Bescheid ist nicht schlüssig nachvollziehbar, wie das BFA zu der Feststellung gelangt, dass der Beschwerdeführer Schutz vor Verfolgung in der Russischen Föderation finden könne.

Nicht schlüssig nachvollziehbar ist weiters die Feststellung des BFA, dass der Beschwerdeführer für eine bevorzugte Behandlung für eine Asylverfahren mit positiven Ausgang im Sinne des Art. 8 EMRK in Frage komme.

In Summe kann nicht nachvollzogen werden, wie das BFA zur Einschätzung gelangt, dass der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers in Österreich als unzulässig zurückzuweisen ist, da der Beschwerdeführer als Drittstaatsangehöriger in der Russischen Föderation, Schutz vor Verfolgung finden könne (Schutz im sicheren Drittstaat).

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Zusammenhalt mit den Länderberichten zur Russischen Föderation und dem Akteninhalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:
Drittstaatsicherheit

§ 4. (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige in einem Staat, mit dem ein Vertrag über die Bestimmungen der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz nicht besteht oder die Dublin-Verordnung nicht anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat).

(2) Schutz im sicheren Drittstaat besteht, wenn einem Drittstaatsangehörigen in einem Staat, in dem er nicht gemäß § 8 Abs. 1 bedroht ist, ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offen steht oder über einen sonstigen Drittstaat gesichert ist (Asylverfahren), er während dieses Verfahrens in diesem Staat zum Aufenthalt berechtigt ist und er dort Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat hat, sofern er in diesem gemäß § 8 Abs. 1 bedroht ist. Dasselbe gilt bei gleichem Schutz vor Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für Staaten, die in einem Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention bereits eine Entscheidung getroffen haben.

(3) Die Voraussetzungen des Abs. 2 sind in einem Staat widerlegbar dann gegeben, wenn er die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert und gesetzlich ein Asylverfahren eingerichtet hat, das die Grundsätze dieser Konvention, der EMRK und des Protokolls Nr. 6, Nr. 11 und Nr. 13 zur Konvention umgesetzt hat.

(4) Trotz Schutz in einem sicheren Drittstaat ist der Antrag auf internationalen Schutz nicht als unzulässig zurückzuweisen, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Rückkehrentscheidung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(5) Kann ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Abs. 1 als unzulässig zurückgewiesen wurde, aus faktischen Gründen, die nicht in seinem Verhalten begründet sind, nicht binnen drei Monaten nach Durchsetzbarkeit der Entscheidung zurückgeschoben oder abgeschoben werden, tritt die Entscheidung außer Kraft.
Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

----------

-1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

[…]

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.

(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1.       wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.       zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.       wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1.       der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

…“

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“
§ 21 Abs. 3 BFA-VG lautet:
„(3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:

„§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1.       dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. er in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und dieser Mitgliedstaat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung dieses Antrages zuständig ist. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“

3.2. Es kann im gegenständlichen Fall nicht schlüssig nachvollzogen werden, wie das BFA zur Einschätzung gelangt, dass der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers in Österreich als unzulässig zurückzuweisen ist, da der Beschwerdeführer gemäß § 4 AsylG als Drittstaatsangehöriger in der Russischen Föderation Schutz vor Verfolgung finden könne.

Im vorliegenden Fall begründet die Erstbehörde die Drittstaatsicherheit der Russischen Föderation im Wesentlichen damit, dass die Russische Föderation die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert habe und ein gesetzliches Asylverfahren eingerichtet habe, welches die Grundsätze der GFK und der EMRK sowie auch des Protokolls Nr. 6, Nr. 11 und Nr. 13 zur Konvention erfülle. Gestützt wird diese zentrale Begründung auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 31.01.2018 zum Thema „Antrag auf Asyl in der RF“ (vgl. AS 255) und vom 03.03.2020 (vgl. AS 221). Diese bezieht sich bei der Beantwortung der für den gegenständlichen Fall entscheidungsrelevanten Fragen aber lediglich auf das Asylgesetz der Russischen Föderation, ohne jedoch einen Bezug zur praktischen Handhabung aufzuzeigen. Die Auskunft der Staatendokumentation bleibt weit an den Anforderungen an dieser Institution zurück und ist im gegenständlichen Verfahrenszusammenhang manifest unzureichend.

Hiezu hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 08.10.2008, Zl. U 5/08-9 ausgesprochen: "Bei der Beurteilung der Drittstaatssicherheit kommt es nicht allein auf die formalen Kriterien der Mitgliedschaft zur Genfer Flüchtlingskonvention, der Abgabe einer Erklärung nach Art. 25 EMRK und das Vorhandensein eines Asylgesetztes an, sondern es ist darauf abzustellen, ob der Schutz auch tatsächlich gewährt wird. Dazu müssen die Asylbehörden laufend Vorkehrungen treffen, dass ihnen einschlägige Informationen namhafter Stellen unverzüglich zukommen, die seine Beurteilung der faktischen Situation erlauben. [...]"

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass in der vorliegenden Sonderkonstellation der Beschwerdeführer ein russisches Visum erhalten hat und sich von 2011 bis September 2019 in der Russischen Föderation aufgehalten hat, jedoch vermag dieser Umstand für sich allein - im Lichte der oben zitierten Entscheidung des VfGH - nicht den Schluss zu rechtfertigen, dass der Beschwerdeführer in den Genuss eines effektiven Asylverfahrens in der Russischen Föderation kommen würde.

Zudem ist der Anfragebeantwortung vom 03.03.2020 zu entnehmen, dass im Laufe des Jahres 2018 die russischen Migrationsbehörden fast keinem Staatsangehörigen Syriens Asyl gewährt habe (vgl. AS 222). Auch wenn die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung dies thematisiert (vgl. AS 389), erscheint nicht schlüssig nachvollziehbar, warum von einer „bevorzugten Behandlung“ (vgl. As 326) des Beschwerdeführers in Russland auszugehen ist und die belangte Behörde von einer möglichen Einbürgerung des Beschwerdeführers ausgeht. So führt das BFA aus, dass der Beschwerdeführer verheiratet ist und seinen Lebensunterhalt dort verdient hat, stellt allerdings auch fest, dass er keiner legalen Arbeit nachgegangen ist und lediglich traditionell mit einer russischen Staatsbürgerin verheiratet ist und verweist hierbei auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 25.10.2018 zum Thema „Bedingungen für Aufenthaltsrecht“ (vgl. AS 241ff.). Dieser Anfragebeantwortung ist allerdings explizit zu entnehmen, dass u.a. eine gesetzmäßige Einkommensquelle vorhanden sein muss (vgl. AS 243) um eingebürgert werden zu können. Auch klärte die belangte Behörde nicht, wie lange sich der Beschwerdeführer, der im Besitz eines russischen Visums war, legal in Russland aufhielt und handelt es sich bei einem zeitlich geregelten Aufenthalt ebenso um eine Voraussetzung für die Erteilung der Staatsbürgerschaft.

Unrichtig ist zudem der Schluss des BFA, dass der Beschwerdeführer im vereinfachten Verfahren die russische Staatsbürgerschaft beantragen könne (vgl. AS 389), da er als Vater von Kindern mit russischer Staatsbürgerschaft die Voraussetzung einer Mindestaufenthaltsdauer in der Russischen Föderation nicht nachweisen brauche und sogar bestehende Aufenthaltshindernisse oder -beschränkungen wegfallen würden. Hierbei stützt sich die belangte Behörde ebenfalls auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 25.10.2018 zum Thema „Bedingungen für Aufenthaltsrecht“, verkennt allerdings, dass das hier in Auszug angegebene vereinfachte Verfahren (vgl. AS 244) nicht auf den Beschwerdeführer anzuwenden ist, da es nur auf ein Kind bzw. eine geschäftsunfähige Person zugeschnitten ist laut dem zitierten Art. 14 des föderalen Gesetzes N 62 FZ „Über die Staatsangehörigkeit der RF“ vom 31.05.2002 idgF.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit der aktuellen Lage von Antragstellern auf internationalen Schutz in der Russischen Föderation auseinander zu setzen, die relevante aktuelle (rechtliche) Situation sowie den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen haben und ausgehend davon die Frage zu klären haben, ob in der Russischen Föderation aktuell für gegenständlichen Beschwerdeführer eine Situation vorherrscht, die einen Selbsteintritt Österreichs zur Vermeidung einer Grundrechtsverletzung nach Art.°3°EMRK (bzw. Art. 4 GRC) geboten erscheinen lässt.

Anamnestisch wurde beim Beschwerdeführer Epilepsie ohne Dauermedikation (vgl. AS°91,ff.) diagnostiziert bzw. die Diagnose: „fragl. Epilepsie“ (vgl. AS 199) gestellt. Zwar wurde eine Anfragebeantwortung zur symptomatischen Epilepsie vom 15.03.2019 vorgelegt (vgl. AS 265) jedoch hat es die belangte Behörde unterlassen auszuführen, ob eine medizinische Behandlung des Beschwerdeführers konkret gewährleistet ist.

3.3. Sollte die Unzuständigkeit Österreichs zur Führung des gegenständlichen Verfahrens des Beschwerdeführers dennoch festgestellt werden, ist weiters zu prüfen, ob Österreich zwingend selbst in das Verfahren des Beschwerdeführers einzutreten hat. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z. B. VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (z. B. VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673; 08.09.2015, Ra 2015/18/0113-0120) ist im Zuständigkeitsverfahren nämlich aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat, die auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der aktuellen Berichtslage unter Bedachtnahme auf die individuelle Lage des betroffenen Beschwerdeführers zu erfolgen hat.

Das BVwG verweist abschließend darauf, dass anhand der vom BFA eingeholten Rechercheergebnisse nicht hinreichend gesichert erscheint, ob der Beschwerdeführer sich tatsächlich in der Russischen Föderation auf einen Aufenthaltstitel stützen kann. Entsprechende weitere Ermittlungen sind durchzuführen, um das Verfahren einer hinreichenden nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen.

Es kann aufgrund der vorzitierten nicht unwesentlichen Mängel im Ermittlungsverfahren und der nicht schlüssig nachvollziehbaren Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt werden, wie das BFA zur Einschätzung gelangt, dass der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers in Österreich als unzulässig zurückzuweisen ist, da der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation, Schutz vor Verfolgung finden könne.

Im fortgesetzten Verfahren bedarf es daher auch einer aktuellen Feststellung zum tatsächlichen Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers und ist unter Zugrundelegung aktueller Länderberichten nachvollziehbar darzulegen, ob und wie der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation Schutz vor Verfolgung finden könne.

Schließlich wird auch der aktuelle Gesundheitszustand des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sein.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.4. Gemäß § 21 Abs. 6a und Abs. 7 BFA-VG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im vorliegenden Fall konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Selbsteintrittsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W240.2233651.1.00

Im RIS seit

16.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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