TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/15 W195 1414980-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.03.2021
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Entscheidungsdatum

15.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W195 1414980-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.09.2017, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.03.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Vorangegangenes, rechtskräftig erledigtes Verfahren:

I.1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein bengalischer Staatsangehöriger, stellte am 27.07.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend gab er dazu bei einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes Tag der Antragstellung an, er sei Mitglied der Partei Jamaat e-Islami (im Folgenden: JIB) und in seiner Heimat auf Grund seiner politischen Gesinnung von Mitgliedern der regierenden Awami League (im Folgenden: AL) mehrmals geschlagen worden. Als er von ihnen mit dem Umbringen bedroht worden sei, habe er sich in Bangladesh nicht mehr sicher gefühlt und die Flucht ergriffen. Im Falle einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.

I.1.2. Bei einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) am 27.07.2010 gab der BF auf die Frage nach seiner Tätigkeit in den letzten Jahren an, er sei Politiker gewesen, und zwar einfaches Mitglied der JIB, er habe keinen Parteiausweis gehabt. Er sei finanziell unterstützt worden. In seinem Dorf sei er das einzige Mitglied der JIB gewesen, die anderen Bewohner hätten der AL angehört. Hin und wieder sei er telefonisch bedroht worden. Beim Versuch, Leute zum Parteibeitritt zu überzeugen, sei er auch geschlagen worden. Einige Male sei er sogar körperlich angegriffen und auch mit Hockeyschlägern, Messern und anderen Gegenständen verletzt worden. (Der BF zeigte einige Verletzungen im Bereich der rechten Handfläche, der linken Pulsader, der rechten Wade und oberhalb des linken Auges vor.)

Auf die Frage, mit welchen Gegenständen er verletzt worden sei, führte der BF aus, vor ungefähr vier Monaten sei er zur Abendzeit auf dem Weg zum Bazar angehalten worden. Vier bis fünf Männer hätten ihm Verletzungen zugefügt. Beim Versuch, sie abzuwehren, sei er mit dem Messer an der Handfläche verletzt worden. Die Verletzung über dem Auge sei ihm mit einem Hockeyschläger zugefügt worden. Den Schnitt an der Pulsader habe er vor etwa drei Monaten erlitten, als man versucht habe, mit einer Rasierklinge seine Pulsader aufzuschneiden. An seiner Wade sei er verletzt worden, als er davongelaufen sei und man ihm ein Fleischerbeil nachgeworfen habe. Er habe es herausgezogen und sei dann noch etwa 40 Minuten bis nach Hause gelaufen, dabei habe er seine Verfolger abgeschüttelt. Unmittelbar darauf gab der BF an, er sei bis nach Hause verfolgt worden; als er die Tür geschlossen habe, sei er („ich“; gemeint wohl: sie) gegangen; die Nachbarn seien dazugekommen, darauf seien die Angreifer abgezogen. Zu Hause habe er sich beruhigt und sei dann zum Arzt gegangen. Man habe ihn umbringen wollen, weil er das einzige Mitglied der JIB in seinem Dorf gewesen sei. Die Vorfälle hätten sich immer im Dorf ereignet. Nach dem letzten Vorfall habe er sich versteckt gehalten und dann bemerkt, dass ihn auch die Polizei suche; sie sei ihm auf der Straße nachgelaufen. Warum ihn die Polizei verfolge, wisse er nicht; die AL habe sie auf ihn gehetzt.

Der BF gab an, er sei seit drei Jahren Mitglied der JIB. In der Stadt XXXX sei er zum Parteibüro der JIB gegangen und habe beim dortigen Obmann, XXXX , das Beitrittsformular unterschrieben. Er habe sich einfach in eine Namensliste eingetragen. Er habe von der Partei Geld bekommen, da er der einzige im Dorf gewesen sei, damit er andere zur Partei bringe. Der BF wurde nach dem Parteisymbol der JIB gefragt und konnte es nicht angeben, obwohl er schon einmal an Wahlen teilgenommen habe; er wisse nicht, welches Symbol er angezeichnet habe, er sei durcheinander. Dagegen konnte der BF die Parteisymbole der AL und der Bangladesh Nationalist Party (in der Folge: BNP) angeben, obwohl er vor seinem Beitritt zur JIB angab, parteilos gewesen zu sein. Der BF wurde nach dem Vorstand seiner Partei gefragt und nannte einen Namen. Beiträge seien von ihm nicht verlangt worden. Auf die Frage nach der Struktur seiner Partei gab der BF an, das wisse er nicht, aber er habe zu Leuten gehen und sie überzeugen müssen, dass sie der Partei beiträten. Die Partei habe seine Ausreise finanziert, weil er das einzige Mitglied der JIB in seinem Dorf gewesen sei; es sei seine Partei gewesen, die ihn aufgefordert habe, Bangladesch zu verlassen. An einem anderen Ort in Bangladesch könne er nicht leben, da die Leute der JIB in ganz Bangladesch Probleme hätten. Probleme habe er, seit die AL an die Macht gekommen sei.

Dem BF wurde vorgehalten, der von ihm vorgebrachte Fluchtgrund und „die daraus angeblich resultierende Gefährdungslage“ seien – wie der Bedienstete des BAA meinte – „in keiner Weise glaubhaft“, weil er nicht konkret betroffen sei und nicht glaubhaft habe darlegen können, dass er der JIB angehöre.

I.1.3. Mit Bescheid vom 02.08.2010, XXXX , wies das BAA den Antrag auf internationalen Schutz vom 27.07.2010 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab (Spruchpunkte I. und II), und den BF aus dem Bundesgebiet nach Bangladesch aus (Spruchpunkt III.). In diesem Bescheid wurde zunächst die Niederschrift der Einvernahme wörtlich wiedergegeben. Das BAA hielt fest, es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF in Bangladesch begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung zu gewärtigen habe oder dass er im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch dort der Gefahr einer Verfolgung GFK ausgesetzt wäre. Sodann traf das BAA Feststellungen zur Situation in Bangladesch.

Rechtlich folgerte das BAA, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Weiters verneinte es, dass der BF iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bedroht oder gefährdet sei, und begründet abschließend seine Ausweisungsentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aF.

I.1.4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF innerhalb offener Frist Beschwerde an den Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH).

I.1.5. Am 23.8.2011 übermittelte ein Finanzamt (im Folgenden: FA) dem BAA einen Strafantrag mit Beilagen, aus denen sich ergibt, dass der BF am 13.07.2011 in einem Gastronomiebetrieb dabei betreten wurde, als er in der Küche Geschirr wusch, ohne im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung gewesen zu sein. Am 24.10.2012 übermittelte ein FA dem BAA einen Strafantrag mit Beilagen, aus denen sich ergibt, dass der BF am 16.07.2012, am 26.07.2012 und am 19.08.2012 Reinigungsarbeiten in einer Toilettenanlage auf der Donauinsel durchgeführt hatte. Ob eine Beschäftigungsbewilligung erforderlich gewesen wäre oder ob der BF selbständig tätig war (er legte einen Pachtvertrag vor, wonach ihm die Toilettenanlage um den Preis von € 0,– verpachtet worden war), war möglicherweise nicht klar.

I.1.6. Mit Schreiben vom 13.8.2013 gewährte der AsylGH den Verfahrensparteien Parteiengehör.

Das BAA äußerte sich nicht; der BF legte – nachdem er am 03.09.2013 um Fristverlängerung ersucht hatte – am 12.09.2013 Unterlagen zu seiner Situation in Österreich vor.

I.1.7. Mit Erkenntnis vom 06.12.2013, XXXX , wies der AsylGH die Beschwerde ab.

Begründend führte der AsylGH im Wesentlichen aus, er folge den Feststellungen des BAA. Davon abgesehen tadelte er den Tonfall der Begründung des Bescheides. Da der BF die von ihm geltend gemachten Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können, sei ihm der Status eines Asylberechtigen nicht zuzuerkennen. Weiters gebe es keinen Hinweis darauf, dass dem BF im Falle einer Rückkehr mach Bangladesch den in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 umschriebenen Gefahren ausgesetzt wäre und es bestehe auch kein Hinweis auf „außergewöhnliche Umstände“, die eine Abschiebung unzulässig machen könnten. Daher sei ihm auch nicht der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Nach Durchführung einer Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK führte der AsylGH aus, dass dem öffentlichen Interesse an einer Außerlandesbringung des BF größere Bedeutung als seinen persönlichen Interessen zukomme.

I.2. Gegenständliches Verfahren:

I.2.1. Der BF stellte am 05.04.2017 gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er am Tag der Folgeantragstellung einer niederschriftlichen Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, vor fünf Tagen erfahren zu haben, dass es in seinem Heimatort neuerliche Klagen gegen ihn gebe. Er habe bereits nach Erlassung des „Ausreisbescheides“ in seine Heimat zurückreisen wollen. Die Leute, mit denen er vorher bereits Probleme gehabt habe, hätten neuerlich gegen den BF Anzeige erstattet, er hätte mit seinem Cousin bei ihnen randaliert, neuerlich Geld entwendet und sie geschlagen, obwohl er gar nicht in Bangladesch gewesen sei. Aufgrund der neuerlichen Anzeige werde er bereits von der Polizei in Bangladesch gesucht. Würde er nunmehr nach Bangladesch zurückkehren, würde er am Flughafen sofort verhaftet werden.

I.2.2. Am 06.04.2017 wurde der BF vor dem nunmehr zuständigen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zur Frage, ob im Besitz eines Reisepasses sei, befragt. Hiebei brachte der BF vor, nie einen Reisepass besessen zu haben (vgl. Vorakt 465 ff.). Dargetan wurde, dass das fremdenrechtliche Verfahren derzeit unterbrochen sei, weil er einen „Folgeasylantrag“ gestellt habe.

I.2.3. Am 03.05.2017 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland zu fürchten, verhaftet zu werden. Im Zuge dieser Einvernahme legte der BF bengalisprachige Dokumente vor. Das BFA führte diese Dokumente einer deutschsprachigen Übersetzung zu.

I.2.4. Am 11.07.2017 wurde der BF vor dem BFA neuerlich niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, von seinem Vater und von Freunden von seinen nunmehr geltend gemachten Fluchtgründen erfahren zu haben. Der BF habe, als er seinen ersten negativen Bescheid erhalten habe, seinen Vater davon informiert. Er habe seinen Vater telefonisch davon verständigt, dass er zurückkommen werde. Daraufhin hätten die Mitglieder der „Gegenpartei“ eine neue Anzeige bei der Polizei erstattet.

Das Telefonat mit seinem Vater sei am 03.04.2017 gewesen. Er habe seit Anfang 2014 versucht, „irgendwie einen Aufenthalt“ zu bekommen. Anfang 2017 habe er einen Brief vom BFA bekommen, er habe einen Unfall mit dem Fahrrad gehabt und den Termin nicht wahrnehmen können. Bei dem Telefonat habe sein Vater anfangs gesagt, der BF sollte zurückkommen, die alte Geschichte wäre nicht mehr aufrecht. Eine Woche später hätten „dieselben Leute“ eine Anzeige erstattet, weil sie irgendwie mitbekommen hätten, dass der BF zurückkehre. Der Vater habe den Nachbarn erzählt, dass der BF nach Bangladesch zurückkommen würde. Jemand müsse dieses Gespräch mitbekommen haben. Weitere Fluchtgründe habe der BF nicht. Im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch sei alles möglich. Die Machthaber könnten die Polizei bestechen, den BF verschwinden oder erschießen lassen, wie es vermutlich seinem Bruder und seinem Cousin vor sechs Jahren passiert sei.

I.2.5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25.09.2017, XXXX wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und darüber hinaus gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.2.6. Mit Schriftsatz vom 12.10.2017 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – im Beschwedezeitpunkt durch RA XXXX vertretenen – BF zur Gänze angefochten.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, das BFA habe den zu beurteilenden Sachverhalt in wesentlichen Punkten nicht ermittelt. Aufgrund der vorgelegten Unterlagen hätte das BFA Vor-Ort-Recherchen durchführen müssen. Das BFA hätte einen Vertrauensanwalt heranziehen und mit der Aufgabe betrauen müssen, in Bangladesch zu überprüfen, ob gegen den BF politisch motivierte Anzeigen vorlägen. Zudem befinde sich der BF sieben Jahre im Bundesgebiet und er sei sprachlich und kulturell integriert. Er arbeite als Zusteller und verfüge über ein ausreichendes Einkommen.

Es wurden die Anträge gestellt, dem BF Asyl bzw. subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu, den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückzuverweisen, in eventu, „den Bescheid für einen Aufenthaltstitel ‚Aufenthaltsberechtigung Plus‘ zu erteilen“ (sic) sowie, eine öffentliche Verhandlung durchzuführen.

I.2.7. Mit Schreiben vom 19.10.2017 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.2.8. Mit Schreiben vom 21.11.2017, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 28.11.2017, brachte der BF durch seinen ausgewiesenen Vertreter Urkunden in Vorlage.

I.2.9. Mit Schreiben vom 14.12.2017, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 21.12.2017, brachte der BF durch seinen ausgewiesenen Vertreter Urkunden in Vorlage.

I.2.10. Mit Schreiben vom 10.01.2018 gab das Bundesverwaltungsgericht die Übersetzung der in Vorlage gebrachten Urkunden in Auftrag.

I.2.11. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand November 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 09.03.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

I.2.12. Am 09.03.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Vertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.

Der BF hat regelmäßigen (ein- bis dreimal pro Woche) Kontakt zu seiner Familie, die in Bangladesch von der Fischzucht lebt, wobei es den Eltern des BF weder gesundheitlich noch wirtschaftlich gut gehe.

In Österreich hat der BF keine Verwandten, keine Kinder und auch keine Beziehung.

Eine Konversation mit dem BF in deutscher Sprache war möglich, der Sprachwortschatz ist jedoch begrenzt. Die Antworten erfolgten nicht in vollen Sätzen.

Der BF habe in Bangladesch eine Freundin, mit der er eine Beziehung über Facebook habe. Sie sei 25 Jahre, studiere „Krankenpflege“ und er kenne sie seit fünf Jahren. Sie würden heiraten wollen und dann würde der BF die Freundin gerne, wenn es ginge, nach Österreich bringen.

Er selbst habe eine Schul-, jedoch keine Berufsausbildung. Er habe seinerzeit seinem Vater bei der Fischzucht geholfen.

In Österreich habe er keine Arbeit, er sei die meiste Zeit zu Hause und koche. Er zahle € 150 für die Miete und borge sich Geld von Freunden aus. Er sei Mitglied des österreichisch-bengalischen Cricket Clubs.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass er Probleme mit der Polizei hatte. Er selbst sei aber kein Mitglied der oppositionellen BNP gewesen, sondern sein Vater und (vermutlich) sein Bruder.

Ausdrücklich befragt gab der BF an, er sei auch kein Mitglied einer anderen Partei gewesen.

Im Jahr 2009 sei eine Anzeige gegen „uns“ erstattet worden, weil die Familie Unterstützer der BNP gewesen sei. Nachgefragt, wann die gegnerische Awami-League an die Macht gekommen sei, meinte der BF: „2009 oder 2010, ich weiß es nicht. Ich habe es vergessen, weil ich nicht politisch aktiv war“.

Er sei mit einem legalen Reisepass nach Indien gegangen, von dort per Flugzeug schlepperunterstützt nach Russland, die restliche Route war auf dem Landweg bis nach Österreich.

Darauf angesprochen, dass der BF im Jahr 2010 nach Österreich gekommen sei und der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 06.12.2013 den negativen Asylbescheid des Bundesasylamtes bestätigt habe, also der BF eigentlich das Bundesgebiet bereits Anfang 2014 hätte verlassen müssen, meinte der BF, er habe dies nicht getan, weil er in Bangladesch Probleme hatte. Sein Leben sei in Gefahr gewesen. Darauf hingewiesen, dass der Asylgerichtshof feststellte, dass dies eben nicht der Fall gewesen sei, konnte der BF keine logische Antwort geben und wiederholte sich lediglich.

Festgehalten wurde, dass sich der BF zwischen Jänner 2014 (Rechtskraft der Entscheidung AsylGH) und 05.04.2017 illegal in Österreich aufhielt. Dies sei ein respektloses Verhalten gegenüber der Republik Österreich gewesen, wie auch der BF selbst zugab. Er habe in dieser Zeit bei einem Zeitungsstand „ein, zwei Stunden“ lang gearbeitet. 2017 habe dann sein Vater in einem Telefonat von den Anzeigen aus 2017 erzählt, worauf er einen neuen Asylantrag gestellt habe.

In Bangladesch würde der BF von der Polizei verfolgt werden. Sie sei in das Haus des BF gekommen und habe (seinerzeit) ihn und seinen Bruder geschlagen, weil sie die einzige Familie im Dorf gewesen sei, welche nicht der Awami League angehörte. Es seien gegen ihn auch Anzeigen erstattet worden, nachdem er Bangladesch im Jahr 2010 verlassen habe, nämlich im Jahr 2017. Er sowie zwei Cousins väterlicherseits würden beschuldigt, einem Führer der Awami League 200.000 Taka entwendet zu haben (Anmerkung: diese Geschichte stimmt nicht mit der deutschsprachigen Übersetzung der Anzeige überein, vergleiche AAS 145 bis 151).

Der BF habe seinen Vater gebeten, einen Anwalt zu nehmen, aber mangels ausreichender Geldmittel habe die Familie dies nicht gemacht. Es sei jetzt ein Haftbefehl gegen den BF erlassen worden.

Falls er nach Bangladesch zurückkehren müsste befürchte der BF, dass er ins Gefängnis gesteckt werde. Der BF wisse nicht, wo sich die Cousins derzeit befinden. Mit dem genannten Kläger habe der BF bisher keine Streitigkeiten gehabt, auch nicht wegen Grundstücke.

Bei dem zweiten Verfahren aus 2017 ginge es um unerlaubten Waffenbesitz. Dies sei eine Anzeige von staatlicher Seite. In diesem Verfahren würde aus dem Kreis der Familie lediglich der BF beschuldigt werden sowie ca 100 andere Personen. Auch diesbezüglich gäbe es einen Haftbefehl.

Am Ende der Verhandlung wurde auf den offiziellen Länderbericht sowie die Auswirkungen der Corona-Pandemie eingegangen. Der engagierte Vertreter des BF fasste danach zusammen, dass der BF seit elf Jahren in Österreich lebe, davon habe er fünf Jahre lang gearbeitet und habe sich nicht strafbar gemacht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali (gleichlautende Angaben in der Erstbefragung am 21.07.2010, Vorakt 7, sowie in der Erstbefragung zum Folgeantrag AS 9 und vor dem BFA AS 318).

Der BF ist im Ort XXXX geboren sowie aufgewachsen und hat zuletzt dort gewohnt (Vorakt 7; AS 318). Er hat in seinem Heimatland für zehn Jahre die Grundschule besucht. In Bangladesch hat er nicht gearbeitet (AS 319).

Der BF ist ledig und hat keine Kinder (AS 318). In Bangladesch halten sich die Eltern und Geschwister des BF auf (AS 318). Zwischen dem BF und seinen Verwandten besteht aufrechter regelmäßiger (mehrmals wöchentlich) Kontakt.

Der BF hat in Bangladesch seit fünf Jahren eine Freundin, die er heiraten möchte.

Der BF ist im Juli 2010 nicht legal in das Bundesgebiet eingereist. Er verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb seiner Asylverfahren. Der BF ist in die staatliche Grundversorgung einbezogen. Er arbeitete in Österreich als Zeitungszusteller. Er lebt mit drei weiteren Bengalen in einer Zweizimmerwohnung mit einer Fläche von 60 m2 (AS 318). Abhängigkeiten bestehen nicht (AS 317). Der BF ist in Österreich im XXXX Austria und bei der XXXX (AS 317, 181 ff.). In seiner Freizeit ist der BF mit seinen Mitbewohnern draußen unterwegs (AS 317), er kocht auch für seine bengalischen Freunde.

Der BF engagierte sich während seines bisherigen Aufenthaltes nicht ehrenamtlich. Der BF verfügt über geringe Deutschkenntnisse, insbesondere nur einen beschränkten Wortschatz. Er ist strafrechtlich unbescholten. Der BF ist gesund. Er nimmt keine Medikamente.

I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Festgestellt wird, dass der erste Asylantrag des BF rechtskräftig mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 06.12.2013, XXXX , abgewiesen wurde.

Festgestellt wird, dass der BF im Erstverfahren angab, Mitglied der „Jammat-E-Islam“ zu sein, nunmehr im gegenständlichen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht angab, kein Mitglied irgendeiner Partei in Bangladesch gewesen zu sein.

Festgestellt wird, dass sich der BF vom Jänner 2014 bis 05.04.2017 illegal im Bundesgebiet aufhielt.

Festgestellt wird, dass der BF am 05.04.2017 einen neuerlichen Asylantrag stellte.

Festgestellt wird, dass der BF in der Vernehmung des BFA vom 03.05.2017 aussagte, dass die Anzeige des Nachbarn aus 2017 nicht mit einer politischen Gesinnung zusammenhinge.

Festgestellt wird, dass der BF bei der Einvernahme des BFA am 11.07.2017 angab, dass gegen ihn „neue Anzeigen im Juli erstattet werden könnten“.

Festgestellt wird, dass der BF in der Verhandlung vor dem BVwG nicht nur angab, bei keiner Partei Mitglied gewesen zu sein (BVwG S 10), sondern, dass er auch nicht politisch in Bangladesch tätig war (BVwG S 11).

Festgestellt wird, dass die behaupteten Anzeigen gegen den BF falsche Anzeigen sind, weil sich der BF im Bundesgebiet aufhielt und somit weder einen Raubüberfall noch einen illegalen Waffenbesitz in Bangladesch ausüben konnte; Festgestellt wird, dass der BF sich nicht gegen die Anzeigen, etwa mittels Anwalt, gewehrt hat und damit bewusst die Chance vertan hat, diese behaupteten Anzeigen zu falsifizieren.

Es wird somit festgestellt, dass eine konkrete Verfolgung des BF in Bangladesch tatsächlich nicht besteht.

Es wird nicht festgestellt, dass der BF in Bangladesch angezeigt wurde und es wird nicht festgestellt, dass der BF in Bangladesch von Behörden gesucht würde.

Es wird nicht festgestellt, dass der BF weder Mitglied der JIB oder einer anderen Partei war.

Es wird festgestellt, dass sich der BF im Falle einer Rückkehr allfälligen Behelligungen durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen entziehen wird können. Eine Verfolgung des BF nach Rückkehr ins Heimatland wird ausgeschlossen.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

COVID-19:

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).

Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).

Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 8.5.2020

Politische Lage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).

Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).

Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).

Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.11.2020): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 10.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 11.11.2020

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020

?        CIA – Central Intelligence Agency (4.11.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 10.11.2020

?        DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020

?        DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020

?        DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.11.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 10.11.2020

?        Guardian, The (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 10.11.2020

?        Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 10.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020

?        NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail

?        Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 10.11.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020

Sicherheitslage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).

Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/2019yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia25-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020

?        AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 13.11.2020

?        BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 16.11.2020

?        EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 10.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 16.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 16.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        SATP – South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 10.11.2020

?        TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 16.11.2020

Rechtsschutz / Justizwesen:

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem „Scharia Recht“. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).

Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, „Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

Allgemeine Menschenrechtslage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Die Menschenrechte werden nach der Verfassung mit Gesetzesvorbehalten garantiert (AA 21.6.2020). Bangladesch hat bisher mehrere UN Menschenrechtskonventionen ratifiziert, ist diesen beigetreten oder hat sie akzeptiert (ÖB 9.2020; vgl. UNHROHC o.D.). Die Verfassung von Bangladesch in der seit 17. Mai 2004 geltenden Fassung listet in Teil III, Artikel 26 bis 47A, einen umfassenden Katalog an Grundrechten auf. Artikel 102 aus Teil VI, Kapitel 1 der Verfassung regelt die Durchsetzung der Grundrechte durch die High Court Abteilung des Obersten Gerichtshofes. Jeder Person, die sich in ihren verfassungsmäßigen Grundrechten verletzt fühlt, steht der direkte Weg zum „High Court“ offen. Die „National Human Rights Commission“ wurde im Dezember 2007 unter dem „National Human Rights Commission Ordinance“ von 2007 eingerichtet, hat aber noch keine nennenswerte Aktivität entfaltet (ÖB 9.2020). Die Verwirklichung der in der Verfassung garantierten Rechte ist nicht ausreichend (AA 21.6.2020).

Teils finden Menschenrechtsverletzungen auch unter Duldung und aktiver Mitwirkung der Polizei und anderer Sicherheitskräfte statt (GIZ 11.2019a). Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen sowie Folter (USDOS 11.3.2020). Die Regierung verhaftete laut neuesten Berichten bis zu 2.000 Mitglieder der RABs (Rapid Action Battalion (RAB), Spezialkräfte für u.a. den Antiterrorkampf) wegen diverser Vergehen. Obwohl die RABs in den letzten Jahren hunderte Tötungen bzw. mutmaßliche Morde verübt haben, kam es noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen (ÖB 9.2020, siehe auch Abschnitt 4).

Menschenrechtsverletzungen beinhalten weiters harte und lebensbedrohende Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre, Zensur, Sperrung von Websites und strafrechtliche Verleumdung; erhebliche Behinderungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie beispielsweise restriktive Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Beschränkungen der Aktivitäten von NGOs; erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der politischen Partizipation, da Wahlen nicht als frei oder fair empfunden werden; Korruption, Menschenhandel; Gewalt gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender- und Intersexuelle (LGBTI) und Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten; Einschränkungen für unabhängige Gewerkschaften und der Arbeitnehmerrechte sowie die Anwendung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung von Bangladesch ignoriert Empfehlungen im Hinblick auf glaubwürdige Berichte zu Wahlbetrug, hartem Vorgehen gegen die Redefreiheit, Folterpraktiken von Sicherheitskräften und zunehmenden Fällen von erzwungenem Verschwinden und Tötungen (EEAS 1.1.2019; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Gesetz verbietet Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und es werden Maßnahmen ergriffen, um diese Bestimmungen wirksamer durchzusetzen. Fälle von Diskriminierung und gesellschaftlicher Gewalt gegen religiöse und ethnische Minderheiten sowie von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bestehen fort (USDOS 11.3.2020). Das Informations- und Kommunikationstechnologiegesetz (Information and Communication Technology Act - ICT Act) wird angewandt, um Oppositionelle und Mitglieder der Zivilgesellschaft wegen Verleumdungsdelikten juristisch zu verfolgen (USDOS 11.3.2020).

Bangladesch ist nach wie vor ein wichtiger Zubringer wie auch Transitpunkt für Opfer von Menschenhandel. Jährlich werden Zehntausende Menschen in Bangladesch Opfer von Menschenhandel. Frauen und Kinder werden sowohl in Übersee als auch innerhalb des Landes zum Zweck der häuslichen Knechtschaft und sexuellen Ausbeutung gehandelt, während Männer vor allem zum Zweck der Arbeit im Ausland gehandelt werden. Ein umfassendes Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels aus dem Jahr 2013 bietet den Opfern Schutz und verschärft die Strafen für die Menschenhändler, doch die Durchsetzung ist nach wie vor unzureichend (FH 2020). Internationale Organisationen behaupten, dass einige Grenzschutz-, Militär- und Polizeibeamte an der Erleichterung des Handels mit Rohingya-Frauen und -Kindern beteiligt waren. Formen der Unterstützung von Menschenhandel reichen dabei von „Wegschauen“ über Annahme von Bestechungsgeldern für den Zugang der Händler zu Rohingya in den Lagern, bis hin zur direkten Beteiligung am Handel (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        EEAS - European External Action Service (1.1.2019): Statement by the Spokesperson on parliamentary elections in Bangladesh, https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/56110/node/56110_es, Zugriff 13.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2019a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat, Zugriff 10.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 10.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asyll

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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