TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/16 W203 2226012-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.03.2021
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Entscheidungsdatum

16.03.2021

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §9
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch


W203 2226012-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Gunnar Rieger, Holter/Wildfellner Rechtsanwälte, Uferstraße 10, 4710 Grieskirchen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.10.2019, Zl. 1000018807 - 190172865, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. - III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte IV. - VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt.

III. XXXX wird gemäß § 54 und 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), idgF, nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 05.01.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 13.04.2017 wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 13.04.2018 erteilt.

Festgestellt wurde die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend, dass Gründe für die Annahme bestehen würden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung aufgrund der nicht vorhandenen Familienanknüpfungen in Afghanistan eine soziale Auffangmöglichkeit für einen Minderjährigen fehle. Begründet wurde dies damit, dass im Falle des Beschwerdeführers besondere Umstände vorlägen, die einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen würden. Dies insbesondere, da sich der Beschwerdeführer seit seinem ersten Lebensjahr nicht mehr in Afghanistan befunden habe und auch keine Kontakte zu Menschen, die dort leben würden, habe. Es sei somit kein soziales Netz vorhanden, welches den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr auffangen könne, seine gesamte Familie befinde sich in Pakistan. Es lägen daher Umstände vor, aufgrund derer man nicht ausschließen könne, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine seine Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Wenngleich im Fall des Beschwerdeführers keine asylrelevante Verfolgung vorliege, so stelle doch der Umstand, dass er noch minderjährig sei und keine familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan habe, ein Rückkehrhindernis dar.

3. Am 03.05.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

4. Am 19.02.2019 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme gab er zusammengefasst an, dass er Dari und Urdu spreche und gesund sei. Er sei schiitischer Moslem und Hazara. Aus seinen eingebrachten Dokumenten gingen seine Schulbildung sowie der Umstand, dass er als Koch arbeite, hervor. Der Beschwerdeführer habe nach einem Kurs beim AMS mit dieser Arbeit begonnen. Seine Familie lebe in Pakistan, er habe auch sonst keine Bekannten in Afghanistan. Er habe mit seiner Familie, der er auch gelegentlich Geld schicke, einmal die Woche Kontakt. Der Beschwerdeführer gab an, dass er ledig und kinderlos sei und auch keine Lebensgefährtin habe. Er habe keine Verwandten in Österreich. Er mache gerade seinen Führerschein und wolle dann eine Lehrstelle finden, am besten als KFZ-Mechaniker. Im Asylheim habe er zwei bis drei Personen kennengelernt, mit diesen sei er nach wie vor in Kontakt. Der Beschwerdeführer fühle sich in Österreich gut integriert, er sei früher auch in einem Fußballverein aktiv gewesen. Seinen Lebensunterhalt könne er aus seinem eigenen Einkommen bestreiten.

5. In einem Aktenvermerk der belangten Behörde vom 20.02.2019 wurde festgehalten, dass die Voraussetzungen für eine Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten infolge geänderter persönlicher Umstände nicht mehr vorliegen würden.

6. Am 04.10.2019 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde „vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ und von der Einleitung eines Aberkennungsverfahrens verständigt. Es wurden diesem die Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat Afghanistan, mit der Möglichkeit, binnen einer Woche Stellung zu nehmen, übermittelt. Es wurde weiters mitgeteilt, dass die belangte Behörde insbesondere auf Grundlage der aus diesen Berichten entnommenen Informationen die für die Entscheidung der Sache maßgeblichen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat treffen werde. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit eingeräumt, binnen der Frist bekanntzugeben, ob sich an seiner (privaten) Situation in Österreich bzw. allenfalls an seinem Gesundheitszustand seit der letzten Einvernahme am 19.02.2019 etwas geändert habe. Dies betreffe beispielsweise die Deutschkenntnisse, einen Arbeitsplatz in Österreich, schwere Krankheiten oder ähnliches.

7. Einlangend mit 18.10.2019 nahm der Beschwerdeführer wie folgt Stellung: Es habe sich seit der letzten Einvernahme am 19.02.2019 nicht viel geändert, außer dass er schon gute Deutschkenntnisse vorweisen könne. Er arbeite schon seit zweieinhalb Jahren im selben Betrieb und komme mit seinen Arbeitskollegen sehr gut aus. Außerdem habe er seinem Chef mitgeteilt, dass er so schnell wie möglich eine Lehre als Koch und Kellner machen wolle, da er bisher nur in der Gastronomie tätig gewesen sei und es ihm auch sehr gefalle. Zum Beleg dafür, dass der Chef sehr „begeistert“ darüber gewesen, legte der Beschwerdeführer seiner Stellungnahme ein diesbezügliches Schreiben bei. Der Beschwerdeführer gab an, dass er sich nach wie vor in einem guten gesundheitlichen Zustand befinde. Wie er schon bei der letzten Einvernahme mitgeteilt habe, verfüge er über keine Familienmitglieder in Afghanistan und kenne auch niemanden dort, der ihm helfen könne. Er wisse nicht wo er in Afghanistan schlafen und leben könne. Er fühle sich in Österreich sehr sicher, habe hier sehr viele Freunde und Bekannte und auch eine gesicherte Zukunft.

8.       Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und der von diesem gestellte Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und es wurde dem Beschwerdeführer eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gesetzt (Spruchpunkt VI.).

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und zur Situation des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:

Die Voraussetzungen für eine weitere Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten lägen nicht mehr vor. Der Beschwerdeführer befinde sich mittlerweile nicht mehr in der gleichen vulnerablen Lage wie zum Zeitpunkt der Zuerkennung. Er sei mittlerweile volljährig, könne durch seinen Abschluss der neuen Mittelschule und dem Abschluss der Polytechnischen Schule eine solide Schulbildung vorweisen und habe Berufserfahrung erlangt. Eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat sei ihm zumutbar. Die Lage in Mazar-e Sharif und Herat sei ausreichend sicher und beide Städte seien über die dortigen internationalen Flughäfen sicher erreichbar. Es könne nicht mehr festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung im Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen sein würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre oder einer asylrelevanten Verfolgung unterliegen würde. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und diesem die notwendigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Er sei wirtschaftlich genügend abgesichert und könne für seinen Unterhalt grundsätzlich sorgen.

Der Beschwerdeführer sei seit 05.03.2018 in einem Restaurant als Koch beschäftigt, davor sei er von 07.10.2017 bis 31.10.2017 und von 10.07.2017 bis 11.07.2017 angestellt gewesen, ansonsten habe er seinen Lebensunterhalt durch Sozialleistungen bestritten.

Diese Feststellungen beruhten darauf, dass kein Zweifel darüber bestehe, dass der Beschwerdeführer mittlerweile nicht mehr minderjährig, sondern seit 04.02.2018 volljährig, sei. Es handle sich beim Beschwerdeführer um einen fast 20-jährigen und somit jedenfalls erwachsenen und voll erwerbsfähigen Mann. Mit seiner Minderjährigkeit sei eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit sowie eine erhöhte Schutzbedürftigkeit bzw. besondere Vulnerabilität einhergegangen. Diese Umstände würden mittlerweile nicht mehr vorliegen. Es sei dem Beschwerdeführer somit grundsätzlich möglich, bei seiner Rückkehr eine bezahlte Tätigkeit aufzunehmen und so für seinen Unterhalt zu sorgen. Auch die mittlerweile in Österreich erlangte solide Schulbildung könne ihm die Suche nach einer Beschäftigung erleichtern. Auch könne er mittlerweile Berufserfahrung vorweisen. Er sei nunmehr im Gegensatz zum Zeitpunkt der Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten selbsterhaltungsfähig und es könne davon ausgegangen werden, dass er auch ohne familiäres Auffangnetz in einer sicheren Provinz Afghanistans für seinen Lebensunterhalt aufkommen könne. Auch auf die Reintegrationsprojekte in Afghanistan werde hingewiesen. Die belangte Behörde verkenne nicht, dass sich der Beschwerdeführer lediglich in seinem ersten Lebensjahr in Afghanistan aufgehalten habe, dem sei jedoch entgegen zu halten, dass er in Pakistan mit seiner afghanischen Familie in Quetta, also einem Gebiet, welches ausschließlich von Afghanen/Hazara besiedelt sei, aufgewachsen sei, weshalb davon ausgegangen werden könne, dass ihm die afghanische Kultur und die afghanischen Gepflogenheiten bestens bekannt seien. Es lägen zusammengefasst keine Gründe mehr vor, die eine Rückkehr als nicht zumutbar erscheinen ließen.

9. Am 18.11.2019 wurde der belangten Behörde durch die Bezirkshauptmannschaften XXXX und XXXX mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer ein Gewerbe, lautend auf „Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten“, angemeldet hat.

10.      Gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22.10.2019 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 22.11.2019 Beschwerde und führte im Wesentlichen wie folgt aus:

Es würden die Anträge gestellt, dass der „hier angefochtene Bescheid der Erstbehörde dahingehend abgeändert werden solle, dass den Anträgen auf internationalen Schutz Folge gegeben und dem Beschwerdeführer der Status Asylberechtigter zuerkannt werde“, in eventu „den angefochtenen Bescheid“ aufzuheben und „zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die 1. Instanz“ zurückzuverweisen, in eventu „den angefochtenen Bescheid der Erstbehörde“ dahingehend abzuändern, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status als subsidiär Schutzberechtigter in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt werde, allenfalls die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufzuheben und auf Dauer für unzulässig zu erklären, in eventu festzustellen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht zulässig sei. Weiters, eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen, damit der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe noch einmal vor unabhängigen RichterInnen persönlich und unmittelbar schildern und glaubhaft machen könne.

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer lediglich sein erstes Lebensjahr in Afghanistan verbracht habe und mit seiner Familie in Quetta (Pakistan) aufgewachsen sei. Aufgrund seines schiitischen Glaubens und der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie der Tatsache, dass der Beschwerdeführer in einem wehrfähigen Alter sei, falle der Beschwerdeführer in zumindest drei Risikoprofile der UNHCR-Richtlinie. Die belangte Behörde komme zur Ansicht, dass der Beschwerdeführer durch die Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit für seinen Unterhalt sorgen könne. Der Ansicht der belangten Behörde, wonach der Beschwerdeführer nunmehr – nicht zuletzt auch aufgrund seines Alters – selbsterhaltungsfähig sei und davon ausgegangen werden könne, dass dieser auch ohne familiäres Auffangnetz in einer sicheren Provinz in Afghanistan für seinen Lebensunterhalt aufkommen könne, werde entschieden entgegengetreten. Laut der im Bescheid zitierten Staatendokumentation würden Mitglieder der Hazara-Ethnie u.a. von Diskriminierungen während des Bewerbungsprozesses betroffen sein, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar seien. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei laut den UNHCR-Richtlinien zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben. Aufgrund des jungen Alters des Beschwerdeführers und dessen mangelnden Bezugs zu seinem „Heimatstaat“ sei einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausdrücklich zu widersprechen. Dem Beschwerdeführer sei es nicht zumutbar, sich unter den Schutz eines ihm völlig fremden Staates zu stellen. Der Beschwerdeführer habe dort keine Familie, keine Unterkunftsmöglichkeit, keinen Arbeitsplatz und er könne von niemandem finanzielle Unterstützung erwarten. Afghanische Flüchtlinge ohne familiäre Anbindungen hätten keine Chance zur Existenzsicherung. Staatliche soziale Sicherungssysteme würden praktisch nicht existieren. Es lägen beim Beschwerdeführer außergewöhnliche Umstände vor und eine Rückkehr würde ihn schwerer als andere Rückkehrer treffen. Die allgemeine Sicherheitslage sei nach wie vor prekär und fragil.

Der Beschwerdeführer spreche solides Deutsch und besuche die Neue Mittelschule sowie die Polytechnische Schule in XXXX . Er habe an verschiedenen sportlichen Veranstaltungen und an außerschulischen Aktivitäten teilgenommen. Seit 05.03.2018 sei er in einem Restaurant als Koch beschäftigt und könne seinen Lebensunterhalt selbständig bestreiten, davor sei er in zwei anderen Unternehmen angestellt gewesen. Der Beschwerdeführer sei in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er habe sich in Österreich gut eingelebt und sei nicht zuletzt bei seinem Arbeitgeber „ein geschätztes Mitglied“.

Nachfolgend wurde der Antrag gestellt, die getroffenen Ausführungen bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung zu berücksichtigen sowie der Beschwerde Folge zu geben, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben oder den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Beschwerdeführer der Status als subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt werde bzw. allenfalls die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufzuheben und auf Dauer für unzulässig zu erklären bzw. festzustellen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht zulässig sei.

Vorgelegt wurden Schulbesuchsbestätigungen, ein Schreiben der Neuen Mittelschule, eine „verbale Beurteilung“ der Neuen Mittelschule, Teilnahmebestätigungen der Volkshochschule Oberösterreich, eine Bestätigung über die Absolvierung des Pflichtschulabschlusses sowie ein Schreiben des aktuellen Arbeitgebers.

11. Einlangend am 02.12.2019 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - samt zugehörigem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht auf Grundlage der Protokolle über die Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie durch ein Organ der belangten Behörde und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem fest. Aus den diesbezüglichen Angaben und Informationen werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und dessen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem dort angegebenen Datum geboren. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitischen Islam.

Zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten war der Beschwerdeführer minderjährig. Zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung ist der Beschwerdeführer 21 Jahre alt und somit volljährig.

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan geboren, lebte aber seit seinem ersten Lebensjahr mit seiner Familie in Quetta, Pakistan. Seine Familie lebt auch zum nunmehrigen Zeitpunkt in Pakistan, in Afghanistan hat der Beschwerdeführer keine Familienmitglieder und keine Bekannten.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich die Schule besucht und seinen Pflichtschulabschluss nachgeholt.

Der Beschwerdeführer geht in Österreich einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach und hat auch ein Gewerbe im Bereich „Hausbetreuung“ angemeldet. Er ist selbsterhaltungsfähig und verfügt über ein monatliches Einkommen, welches über der Geringfügigkeitsgrenze liegt. Er bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

Über die vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgebrachten Asylgründe wurde bereits im Bescheid der belangten Behörde, mit welchem dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, rechtskräftig abgesprochen.

1.2. Zum Verfahren betreffend die Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten:

Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 13.04.2017 gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 13.04.2018 erteilt.

Am 03.05.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

Nach einer Einvernahme durch die belangte Behörde am 19.02.2019 wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 22.10.2019 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 aberkannt und dessen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und eine Rückkehrentscheidung gegen diesen erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise gegeben.

1.3. Zu einer Rückkehrmöglichkeit des Beschwerdeführers nach Afghanistan:

Zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten am 13.04.2017 war der Beschwerdeführer 17 Jahre alt und somit minderjährig. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer – maßgeblich damit begründet, dass er zum damaligen Entscheidungszeitpunkt volljährig gewesen sei – der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt.

Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund des Erreichens der Volljährigkeit nicht mehr in der gleichen vulnerablen Lage, wie sich dieser bei der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten befunden hat. Er ist nunmehr älter, erfahrener und selbständiger und er hat in Österreich eine ergänzende Schulbildung genossen und Berufserfahrung gesammelt.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, arbeitsfähig und –willig und gesund.

Die Covid-19-Pandemie stellt im gegenständlichen Fall kein Rückkehrhindernis dar, da der Beschwerdeführer völlig gesund ist und im Hinblick auf sein Alter bzw. fehlende Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe angehört, die einer erhöhten Morbidität durch das Corona-Virus unterworfen sein könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan schwer an Covic-19 erkranken werde, erweist sich als gering.

Auch wenn der Beschwerdeführer seit seinem ersten Lebensjahr in Pakistan aufgewachsen ist, ist er mit den kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans und mit mehreren der dort gesprochenen Sprachen – der Beschwerdeführer spricht Dari und Urdu – vertraut. Er wuchs in einem afghanischen Familienverband auf. Der Beschwerdeführer besuchte von 2005 bis 2010 eine „Medressa“ (eine Hausschule) in Quetta, Pakistan. Nach der Schule hat der Beschwerdeführer als Tagelöhner bzw. Bauarbeiter gearbeitet. Der Beschwerdeführer hat in Österreich den Pflichtschulabschluss nachgeholt und ist diversen Tätigkeiten nachgegangen. Derzeit arbeitet er als Koch in einem Restaurant.

Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers in Afghanistan kann nicht mit der dafür erforderlichen Sicherheit festgestellt werden.

Es ist dem Beschwerdeführer unter den nunmehr vorliegenden Umständen möglich und zumutbar, sich in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif niederzulassen. Wie bereits ausgeführt, ist der Beschwerdeführer mit den Gepflogenheiten der afghanischen Kultur vertraut, spricht eine dort gängige Sprache und wuchs in einem afghanischen Familienverband auf. Er hat zwar nie in Herat oder Mazar-e Sharif gelebt und verfügt dort auch über keine familiären Anknüpfungspunkte, kann sich aber – nicht zuletzt aufgrund des Erreichens der Volljährigkeit und der in Österreich erworbenen Fähigkeiten – eine Existenz durch Hilfs- oder Gelegenheitsarbeiten aufbauen bzw. sichern. Er ist in der Lage, in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Auch wenn ihn seine in Pakistan lebende Familie dabei nicht unterstützen kann, hat er doch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Ansiedlung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, liegen nicht vor. Der Beschwerdeführer liefe bei einer Ansiedelung in einer dieser beiden Städte nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Herat bzw. Mazar-e Sharif sind für den Beschwerdeführer von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug zu erreichen.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Aus dem Länderinformationsblatt für Afghanistan datiert mit 16.12.2020 wird auszugsweise, soweit gegenständlich maßgeblich, wie folgt angeführt:

1.4.1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hauptfestung in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum „vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte“ gemacht (SIGAR 30.7.2020).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 1.1.2020-30.9.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012 (UNAMA 27.10.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020).

Die Sicherheitslage bleibt nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurde in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die allesamt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gehen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mission (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindliche Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020) . Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen - speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen - blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020). Es gab im letzten Jahr (2019) eine Vielzahl von Operationen durch die Sondereinsatzkräfte des Verteidigungsministeriums (1.860) und die Polizei (2.412) sowie hunderte von Operationen durch die Nationale Sicherheitsdirektion (RA KBL 12.10.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu einem Anstieg feindlicher Angriffe um 6% bzw. effektiver Angriffe um 4% gegenüber 2018 (SIGAR 30.1.2020).

1.4.2. Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ Kabul o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS Kabul o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Suro- bi/Sarobi (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Kabul 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Kabul im Zeitraum 2020-21 auf 4.459.463 Personen (NSIA 1.6.2020).

[…]

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014), inklusive der Ring Road (Highway 1) welche die fünf größten Städte Afghanistans - Kabul, Herat, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Jalalabad miteinander verbindet (USAID o.D.).

Der Highway zwischen Kabul und Kandarhar gilt als unsicher (TN 7.7.2020a). Aufständische sind auf dem Highway aktiv (UNGASC 28.2.2019; vgl. UNOCHA 23.2.2020) und kontrollieren Teile der Straße und es wurde von Straßenblockaden und Kontrollen durch Aufständische berichtet, die sich gegen Regierungsmitglieder und Sicherheitskräfte richten (LI 22.1.2020; vgl. EASO 9.2020).

Der Kabul-Jalalabad-Highway ist eine wichtige Handelsroute, die oft als „eine der gefährlichsten Straßen der Welt" gilt (was sich auf die zahlreichen Verkehrsunfälle bezieht, die sich auf dieser Straße ereignet haben) und durch Gebiete führt, in denen Aufständische aktiv sind (TD 13.12.2015; vgl. EASO 9.2020).

Es wird berichtet, dass 20 Kilometer der Kabul-Bamyan-Autobahn, welche die Region Hazarajat mit der Hauptstadt verbindet, unter der Kontrolle der Taliban stehen (AAN 16.12.2019) und Berichten zufolge haben die sicherheitsrelevanten Vorfälle auf der Autobahn, die Kabul mit den Provinzen Logar und Paktia verbindet, im Juli 2020 zugenommen (TN 7.7.2020a).

In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit Stand November 2020 für die Abwicklung von internationalen und nationalen Passagierflügen geöffnet ist (F 24 19.11.2020).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Alt¬stadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern" (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine negative Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne" (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalem oder ethnischem Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft" entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, BalaChawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul (USDOD 1.7.2020) und alle Distrikte gelten als unter Regierungskontrolle (LWJ o.D.), dennoch finden weiterhin High-Profile-Angriffe - auch in der Hauptstadt - statt (USDOD 1.7.2020; vgl. NYTM 26.3.2020, HRW 12.5.2020), wie Angriffe auf schiitische Feiernde und einen Sikhtempel in März (USDOD 1.7.2020) sowie auf Bildungseinrichtungen wie die Universität in Kabul (GN 2.11.2020; vgl. AJ 2.11.2020) oder ein Selbstmordattentat auf eine Schule in Kabul im Oktober 2020 (HRW 26.10.2020) für die alle der Islamische Staat die Verantwortung übernahm (HRW 26.10.2020; vgl. AJ 2.11.2020, GN 2.11.2020). Den Angriff auf eine Geburtenklinik im Mai 2020 reklamierte bislang keine Gruppierung für sich (AJ 15.6.2020; vgl. AP 16.6.2020, HRW 12.5.2020), wobei die Taliban eine Verantwortung abstritten (AP 16.6.2020, vgl. HRW 12.5.2020). Bei Angriffen in Kabul kommt es oft vor, dass keine Gruppierung die Verantwortung übernimmt oder es werden diese von nicht identifizierten bewaffneten Gruppen durchgeführt (UNAMA 7.2020; vgl. UNGASC 2.2019, EASO 9.2020).

Das USDOD beschreibt die Ziele militanter Gruppen, die in Kabul Selbstmordattentate verüben, als den Versuch internationale Medienaufmerksamkeit zu erregen, den Eindruck einer weit verbreiteten Unsicherheit zu erzeugen und die Legitimität der afghanischen Regierung sowie das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanischen Sicherheitskräfte zu untergraben (USDOD 23.1.2020; vgl. EASO 9.2020). Afghanische Regierungsgebäude und -beamte, die afghanischen Sicherheitskräfte und hochrangige internationale Institutionen, sowohl militärische als auch zivile, gelten als die Hauptziele in Kabul-Stadt (USDOS 24.6.2020; vgl LI 22.1.2020, LIFOS 15.10.2019, EASO 9.2020).

Aufgrund öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFE/RL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern schwer bewacht (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und britische Einrichtungen (RFE/RL 2.9.2019; vgl. GN 15.7.2020) und der von hohen Mauern umgeben ist (GN 15.7.2020).

Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Straßen-Kriminalität in Kabul ein Problem (AVA 1.2020; vgl. ArN 11.1.2020, AAN 11.2.2020, AAN 21.2.2020, TN 4.10.2020, TN 17.10.2020, TN 21.10.2020, EASO 9.2020). Im vergangenen Jahr wurden in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif Tausende von Fällen von Straßenraub und Hausüberfällen gemeldet (ArN 11.1.2020; vgl. TN 24.7.2020). Nach einem Anstieg der Kriminalität und der Sicherheitsvorfälle in Kabul kündigte der Vizepräsident Amrullah Saleh im Oktober 2020 an, dass er auf Anordnung von Präsident Ashraf Ghani für einige Wochen die Verantwortung für die Sicherheit in Kabul übernehmen und hart gegen Kriminalität in Kabul vorgehen werde (TN 17.10.2020; vgl. AN 17.10.2020, TN 21.10.2020). Die Regierung kündigte einen Sicherheitsplan mit der Bezeichnung „Security Charter" an, um das Sicherheitspersonal in die Gewährleistung der Sicherheit Kabuls und anderer Großstädte des Landes zu integrieren. Als Teil dieses Plans wies Präsident Ghani die Sicherheitsbehörden an, gegen schwere Verbrechen in der Stadt vorzugehen (TN 21.10.2020; vgl. TN 17.10.2020, AN 17.10.2020).

Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train Advise Assist Com- mand - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 1.7.2020). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei geschaffen, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 27.9.2020; vgl. GW 14.7.2020, EASO 9.2020, UNOCHA 3.2.2020). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018; vgl. TN 27.9.2020). Er gilt als unter Regierungskontrolle, wenn auch unsicher. Die Taliban fokussieren ihre Angriffe auf die Straße zwischen Surubi und Jagdalak und konnten diesen Straßenabschnitt auch kurzzeitig unter ihre Kontrolle bringen (TN 27.9.2020). Im Juli 2020 wurde über eine steigende Talibanpräsenz im Distrikt Paghman berichtet (TN 15.7.2020).

Es wird berichtet, dass der Islamische Staat in der Provinz aktiv und in der Lage ist, Angriffe durchzuführen (UNGASC 27.5.2020; vgl. EASO 9.2020). Aufgrund des anhaltenden Drucks der ANDSF (Afghan National Security Forces), die Aktivitäten des Islamischen Staates zu stören (LI 22.1.2020; vgl. UNGASC 4.2.2020, EASO 9.2020), zeigte sich die militante Gruppe jedoch nur eingeschränkt in der Lage, 2019 in Kabul öffentlichkeitswirksame Anschläge zu verüben (UNAMA 2.2020; vgl. LI 22.1.2020, WP 9.2.2020; EASO 9.2020).

[…]

1.4.3. Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA Balkh 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Balkh 2019).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Balkh im Zeitraum 2020-21 auf 1,509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 Einwohner in Mazar-e Sharif (NSIA 1.6.2020). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) (PAJ Balkh o.D.; vgl. NPS Balkh o.D.) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird (AAN 8.7.2020).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Ring Road (auch Highway 1 genannt) verbindet Balkh mit den Nachbarprovinzen Jawzjan im Westen und Kunduz im Osten sowie in weiterer Folge mit Kabul (TD 5.12.2017). Rund 30 km östlich von Mazar-e Sharif zweigt der National Highway (NH) 89 von der Ring Road Richtung Norden zum Grenzort Hairatan/Termiz ab (OSM o.D.; vgl. TD 5.12.2017). Dies ist die Haupttransitroute für Warenverkehr zwischen Afghanistan und Usbekistan (LCA4.7.2018).

Entlang des Highway 1 westlich der Stadt Balkh in Richtung der Provinz Jawzjan befindet sich der volatilste Straßenabschnitt in der Provinz Balkh, es kommt dort beinahe täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Auch besteht auf diesem Abschnitt in der Nähe der Posten der Regierungstruppen ein erhöhtes Risiko von IEDs - nicht nur entlang des Highway 1, sondern auch auf den Regionalstraßen (STDOK 21.7.2020). In Gegenden mit Talibanpräsenz, wie zum Beispiel in den südlichen Distrikten Zari (AAN 23.5.2020), Kishindeh und Sholgara, ist das Risiko, auf Straßenkontrollen der Taliban zu stoßen, höher (STDOK 21.7.2020; vgl. TN 20.12.2019).

In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (Kam Air Balkh o.D.; BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählte zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert (KP 10.2.2020; STDOK 21.7.2020), da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen (KP 10.2.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz, wobei mit Stand Oktober 2019 keine städtischen Zentren unter ihrer Kontrolle standen (STDOK 21.7.2020). Anfang Oktober 2020 galt der Distrikt Dawlat Abad als unter Talibankontrolle stehend, während die Distrikte Char Bolak, Chimtal und Zari als umkämpft galten (LWJ o.D.).

Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, jedoch fanden 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) statt, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Bewohner der Stadt berichteten insbesondere von bewaffneten Raubüberfällen (STDOK 21.7.2020). Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften (NYT 16.12.2019; REU 14.3.2019).

Auf Regierungsseite befindet sich Balkh im Verantwortungsbereich des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps (USDOD 1.7.2020; TN 22.4.2018), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020). Das Hauptquartier des 209. Afghan National Army (ANA) „Shaheen“ Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Die meisten Soldaten der deutschen Bundeswehr sind in Camp Marmal stationiert (SP 7.4.2019). Weiters unterhalten die US-amerikanischen Streitkräfte eine regionale Drehscheibe in der Provinz (USDOD 1.7.2020).

[…]

1.4.4. Herat

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA Herat 4.2014). Herat ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Enjil, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kuhna, Obe, Pash- tun Zarghun, Zendahjan und die „temporären" Distrikte Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar, Kozeor), Zawol und Zerko (NSIA 1.6.2020; IEC Herat 2019), die aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Ihre Schaffung wurde vom Präsidenten nach Inkrafttreten der Verfassung von 2004 aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, während das Parlament seine Zustimmung (noch) nicht erteilt hat (AAN 16.8.2018). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (NSIA 1.6.2020). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ Herat o.D.).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Herat im Zeitraum 2020-21 auf 2,140.662 Personen, davon 574.276 in der Provinzhauptstadt (NSIA 1.6.2020). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ Herat o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. STDOK 13.6.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017, LCA 4.7.2018). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Straßen verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (LCA 4.7.2018), die einen der größten Trockenhäfen Afghanistans beherbergt (KN 7.7.2020). Die Schaffung einer weiteren Zollgrenze zum Iran ist im Distrikt Ghoryan geplant (TN 11.9.2020). Eine Eisenbahnverbindung zwischen der Stadt Herat und dem Iran, die die Grenze an diesem Punkt überqueren wird, ist derzeit im Bau (1TV 28.10.2020, TN 11.9.2020). Über Tötungen und Entführungen auf der Strecke Herat-Islam-Qala wurde berichtet (UNAMA 7.2020, KN 7.7.2020; vgl. PAJ 6.2.2020) sowie über Sprengfallen am Straßenrand (KN 7.7.2020; vgl. PAJ 6.2.2020), auch auf der Ring Road (TN 10.10.2020). Darüber hinaus gibt es Berichte über illegale Zolleinhebungen durch Aufständische sowie Polizeibeamte entlang der Strecke Herat- Kandahar (HOA 12.1.2020, PAJ 4.1.2020; vgl. NYT 1.11.2020). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (STDOK 25.11.2020; cf. Kam Air Herat o.D.).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte, wie z.B. Shindand, als unsicher gelten, weil die Kontrolle zwischen der Regierung und den Taliban umkämpft ist, kam es in Herat-Stadt in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte (AAN 21.4.2020; vgl. OA 20.7.2020). Darüber hinaus fanden im Juli und September 2020 (UNAMA 10.2020) sowie Oktober 2019 Angriffe statt, die sich gegen Schiiten richteten (AAN 21.4.2020). Bezüglich krimineller Handlungen wurde beispielsweise über bewaffnete Raubüberfälle und Entführungen berichtet (OA 20.7.2020, AAN 21.4.2020, AN 2.1.2020).

Je weiter man sich von der Stadt Herat (die im Januar 2019 als „sehr sicher" galt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban (STDOK 13.6.2019). Pushtkoh und Zerko befanden sich im Februar 2020 einem Bericht zufolge vollständig in der Hand der Taliban (AAN 28.2.2020), während die Kontrolle der Regierung in Obe auf das Distriktzentrum beschränkt ist (AAN 8.4.2020, AAN 20.12.2019). In Shindand befindet sich angeblich das „Taliban-Hauptquartier" von Herat (AAN 20.12.2019). Dem Long War Journal (LWJ) zufolge kontrollierten die Taliban Ende November 2020 jedoch keinen Distrikt von Herat vollständig. Mehrere Distrikte wie Adraskan, Ghoryan, Gulran, Kushk, Kushk-i-Kuhna, Obe und Shindand sind umstritten, während die Distrikte um die Stadt Herat unter der Kontrolle der Regierung stehen (LWJ o.D.; vgl. STDOK 13.6.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (SAS 2.11.2018; vgl. RUSI 16.3.2016). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab (SAS 2.11.2018). Die Rasoul-Gruppe, die mit der stillschweigenden Unterstützung der afghanischen Regierung operiert hat, kämpft mit Stand Jänner 2020 weiterhin gegen die Hauptfraktion der Taliban in Herat, wenn die Zusammenstöße zwischen den beiden Gruppen laut einer Quelle innerhalb der Rasoul-Fraktion auch nicht mehr so häufig und heftig sind wie in den vergangenen Jahren. Etwa 15 Kämpfer der Gruppe sind Anfang 2020 bei einem Drohnenangriff der USA gemeinsam mit ihrem regionalen Führer getötet worden (SAS 9.1.2020; vgl. UNSC 27.5.2020).

Während ein UN-Bericht einen Angriff in der Nähe einer schiitischen Moschee im Oktober 2019 dem Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) zuschrieb (UNGASC 10.12.2019) und ein Zeitungsartikel vom März 2020 behauptete, dass der ISKP eine Hochburg in der Provinz unterhält (VOA 20/3/2020), gab eine andere Quelle an, dass es unklar sei, ob und welche Art von Präsenz die ISKP in Herat hat. Angriffe gegen schiitische Muslime sind Teil des Modus operandi des ISKP, aber - insbesondere angesichts der Schwäche der Gruppe in Afghanistan - stellt ein Bekenntnis des ISKP zu einem bestimmten Angriff noch keinen vollständigen Beweis dafür dar, dass die Gruppe ihn wirklich begangen hat (AAN 21/4/2020). Ein Bewohner des Distrikts Obe hielt eine ISKP-Präsenz in Herat angesichts der Präsenz der Taliban z.B. im Distrikt Shindand für unwahrscheinlich (AAN 20.12.2019).

Auf Regierungsseite befindet sich Herat im Verantwortungsbereich des 207. Afghan National Army (ANA) „Zafar“ Corps (USDOD 1.7.2020; vgl. ST 2.10.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020).

1.4.5. Grundversorgung

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 16.7.2020; AF 2018). Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. UNOCHA erwartet, dass 2020 bis zu 14 Millionen Menschen (2019: 6,3 Mio. Menschen) auf humanitäre Hilfe (u. a. Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung) angewiesen sein werden (AA 16.7.2020). Laut einer IPC-Analyse vom April wird die Zahl der Menschen, die in Afghanistan unter akuter Ernährungsunsicherheit der Stufe 4 der Emergency-IPC leiden, im Zeitraum Juni-November 2020 voraussichtlich von 3,3 Millionen auf fast 4 Millionen ansteigen (USAID 12.6.2020).

Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 170 von 189 des Human Development Index (UNDP o.D). In humanitären Geberkreisen wird von einer Armutsrate von 80% ausgegangen. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg ihrer Rate von 55% aus dem Jahr 2016, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 16.7.2020). Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018), so leben in urbanen Gebieten rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze (STDOK 21.7.2020; vgl. NSIA2019).

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.8.2019; vgl. WB 7.2019).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 23.11.2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). 45% aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20% sind im Dienstleistungsbereich tätig (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018).

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus (AA 16.7.2020; vgl. WB 4.2020).

Arbeitsmarkt

Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan (AA 16.7.2020; vgl. STDOK 10.2020) Er ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert (STDOK 10.2020; vgl. Ahmend 2018; CSO 2018). Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen (AA 16.7.2020), auch wenn es keine offiziellen Regierungsstatistiken über die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt gibt (IOM 23.9.2020). Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt (NSIA 1.6.2020; vgl STDOK 10.2020). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (STDOK 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020, CSO 2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000) (STDOK 4.2018; vgl. CSO 2018).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).

Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. (STDOK 21.7.2020; vgl. STDOK 13.6.2020, STDOK 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (STDOK 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (STDOK 4.2018).

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (CSO 2018; vgl. IOM 23.9.2020). Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (STDOK 4.2018).

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Hai- der/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

Während Frauen am afghanischen Arbeitsmarkt eine nur untergeordnete Rolle spielen, so stellen jedoch im Agrasektor 33% und im Textilbereich 65% der Arbeits

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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