TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/22 W195 2167762-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.2021
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Entscheidungsdatum

22.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W195 2167762-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch Dr. Manfred SCHIFFNER, Rechtsanwalt in 8054 Seiersberg-Pirka, Haushamer Straße 2/4, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2017, 650521002/1745306, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.01.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 04.11.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Im Rahmen der am 06.11.2013 erfolgten Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte der BF – zusammengefasst – aus, er sei am XXXX in Bangladesch geboren, seine Religionszugehörigkeit sei Hindu. Er sei von 1985 bis 1997 in Bangladesch in die Schule, von 2008 bis 2012 in England auf die Universität gegangen.

Ende August 2012 habe er in England erfahren, dass die Eltern Probleme bekommen hätten, weil der BF Parteimitglied der oppositionellen Bangladesh Nationalist Party (im Folgenden: BNP) sei. Mitglieder der Regierungspartei Awami League (im Folgenden: AL) hätten den Familienbesitz an sich gerissen, die Eltern und seine Schwester seien auf der Flucht bei verschiedenen Verwandten in Bangladesch. Der BF sei daraufhin nach Bangladesch zurückgekehrt und er sei dann mit seiner Familie in die Stadt XXXX , seinem Geburtsort, gezogen, wo sie ein Haus und ein Grundstück besitzen. Der BF habe dann die Heimat verlassen, „da ich versucht habe unseren Landbesitz wieder zurückzubekommen. Die Regierung hat mich beschuldigt, welches Vergehen ich begangen haben soll, weiß ich nicht, da ich schon vorher meine Heimat verlassen habe.“ Dies sei sein einziger Fluchtgrund.

Im Falle seiner Rückkehr würde er seine Ermordung durch die jetzige Regierungspartei befürchten.

In das Bundesgebiet gelangte der BF im Jahr 2013 illegal.

I.3. Am 06.03.2014 erfolgte eine Einvernahme des BF vor dem BFA.

Er habe sich bis Oktober 2013 im Dorf XXXX im Distrikt XXXX aufgehalten. Er habe seine Ausbildung zuerst in Bangladesch gemacht, danach in England einen MBA abgeschlossen und sei nach Bangladesch zurückgekehrt. Er habe dann versucht einen Job zu erhalten, was ihm nicht gelang. In England sei der BF von September 2008 bis September 2012 gewesen.

Seit 2007 sei der BF bei der BNP gewesen, ab Jänner 2013 als Organisationssekretär bei deren Studentenflügel, der Jubo Dal. Am 02.10.2013 habe er sein Zuhause verlassen, weil die Polizei und Mitglieder der AL ihn belästigt hätten. Sie hätten ihm gesagt, dass er angezeigt worden sei, sein Onkel habe ihm dann die Anzeige nachgeschickt. Bei der Anzeige seien jedoch keine Namen genannt, sodass der BF in der Anzeige nicht namentlich genannt sei, es sei eine Anzeige gegen unbekannte Täter. Erst im Strafverfahren sei der BF nunmehr an 115. Stelle genannt.

Es sei ihm illegale Versammlung, Hantieren mit Sprengmitteln, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung von Staatsbeamten, Sachbeschädigung des Staatseigentums und Explosion von Sprengmitteln zur Last gelegt worden. Die Anzeige stamme vom 27.10.2013, die Anklageschrift vom 09.02.2014. Der BF befürchte deshalb eine mehr als zehnjährige Strafe und Haft. Die Eltern hätten in seine Ausbildung investiert und er habe einen Abschluss im internationalen Handel.

Ende September sei der BF gerade bei einem benachbartem Freund gewesen, als das Familienhaus von Polizisten und Mitgliedern der AL umstellt worden sei und den BF gesucht hätten. Sie hätten erzählt, dass der BF angezeigt worden wäre, ob dies stimme, wisse er aber nicht. Er sei dann bis Anfang Oktober bei seinem Freund geblieben, nachdem ihm die Mutter von der Razzia per Telefon berichtet habe.

Sie seien dann ein paar Mal wiedergekommen, um nach den BF zu suchen.

Da der Vater schon alt sei habe sich ein Onkel um die Familie gekümmert und einen Anwalt engagiert. Auch im folgenden Jänner seien wieder Personen in Zivil erschienen und hätten nach den BF gesucht.

Im Jänner habe es Wahlen gegeben und in dieser Zeit kam es fast jeden Tag zu Streiks und Demonstrationen. Bei einer der Veranstaltungen, am 05.01., sei es zu Auseinandersetzungen gekommen, wobei aber der BF vermeine, bei dieser Veranstaltung nicht dabei gewesen zu sein. Nachgefragt, warum er darüber berichte, gab der BF an, er wolle aufzeigen, welche anarchistische Zustände in Bangladesch herrschen.

Er selbst habe „mindestens 15 Mal persönlichen Kontakt mit der Polizei, mit AL-Leuten unzählige Male“ gehabt. Er sei in persönlichen Kontakt gekommen, „im Zuge von Demonstrationen gab es Berührungspunkte. Solche Sachen gehören zur Tagesordnung“.

Gefragt, weshalb die AL ein derartiges Interesse an seiner Person hätte, gab der BF an, dass es in Bangladesch eine hohe Analphabetenrate gäbe. Sein Vater hätte ein Unternehmen, welches sehr gut liefe und wenn er dort sein Know-how investieren würde, könnte er die Partei auch in finanzieller Hinsicht unterstützen. Solche Leute seien ein Dorn im Auge der AL. Der Vater sei im Unternehmen nicht mehr aktiv, aber er führe es nach wie vor. Der BF selbst bezeichnete sich in diesem Zusammenhang als „Karrieremensch“, der jederzeit in das Unternehmen des Vaters einsteigen könne. „Das kleine Unternehmen kann ich jederzeit führen, das macht mir keinen Spaß, dort könnte ich noch immer hin, das reizt mich nicht.“

Derzeit würden sich die Eltern im Familienhaus befinden, die Schwestern bei einem Onkel, im 200 km entfernten XXXX .

I.4. In weiterer Folge wurde bengalisprachige Dokumente, welche der BF vorgelegt hatte, übersetzt und es erfolgte eine Anfrage an die Staatendokumentation.

I.5. In der Zusammenfassung des Vertrauensanwaltes der Republik Österreich wurde durch die Staatendokumentation am 13.01.2016 berichtet:

„Dem Bericht des Vertrauensanwaltes ist zu entnehmen, dass den Erhebungen zufolge die vorgelegte Anklageschrift zwar mit dem bei Gericht aufliegenden Datensatz übereinstimmt, der Antragsteller Bangladesch jedoch schon vor mehr als sieben Jahren verlassen hat, während sich der erwähnte Gerichtsfall auf einen Vorfall im Jahr 2013 bezieht. Dabei wurden neben den im Schreiben erwähnten Verdächtigen 1000 bis 1200 unbekannte Personen (Mitglieder der BNP) des Vandalismus verdächtigt. Zu den in der Anklageschrift angeführten Personen wird auch angeführt, dass es sich dabei um Mitglieder der BNP handelt – wobei der Antragsteller dem Bericht des Vertrauensanwaltes zufolge nie Mitglied der BNP war, nie in die Politik involviert war und auch das angeführte Büro der BNP nie aufgesucht hat. Die Identitäten des Antragstellers konnten bestätigt werden.“

Zu den Einzelquellen führte die Staatendokumentation aus:

„Dem Bericht des Vertrauensanwaltes ist zu entnehmen, dass die Angaben zur Identität des Antragstellers im Rahmen der Recherche an dessen Heimatadresse bestätigt werden konnten. Dabei stellte sich heraus, dass sich der Antragsteller seit zwei Jahren in Österreich aufhält und er zuvor fünf Jahre lang in London gelebt hat – und er Bangladesch vor nunmehr mehr als sieben Jahren verlassen hat.

Eine Nachfrage im Büro der BNP in XXXX ergab, dass der Antragsteller nie Mitglied dieser Partei war und die vorgelegte Bescheinigung über die Mitgliedschaft daher wahrscheinlich gefälscht ist.

Was die Anklageschrift und die First Information Report (FIR) betrifft, so ergab die Recherche, dass die übermittelten Dokumente mit den Originaldokumenten übereinstimmen, wobei der Namen des Antragstellers nicht im FIR aufscheint, jedoch nach den polizeilichen Untersuchungen in die Anklageschrift aufgenommen wurde. Angeführt wird auch, dass zur Fallnummer XXXX der XXXX Polizeistation zwei separate Strafverfahren anhängig sind, vom Antragsteller wurde jedoch nur eine Kopie eines der beiden Fälle übermittelt. Der Vater des Antragstellers erwähnte nichts von einem gegen seinen Sohn laufenden Verfahren und auch den Angaben der ortsansässigen Bevölkerung zufolge war kein Verfahren gegen den Antragsteller anhängig.

Der übermittelte Personalausweis konnte wegen der derzeit im Gange befindlichen Umstellung auf eine Onlineüberprüfungsmöglichkeit nicht auf Echtheit überprüft werden.“

I.6. In weiterer Folge wurde der BF am 01.03.2016 nochmals vor dem BFA einvernommen, insbesondere zum Ergebnis des vom Vertrauensanwalt der Republik Österreich erstellten Berichtes.

Der BF führte dazu aus, dass nach seiner Kenntnis – die er über seinen Vater erhalten habe – niemand mit dem Parteiobmann vor Ort gesprochen habe. Auch habe sein Vater gedacht, dass jemand von der Polizei Auskünfte über seinen Sohn einhole.

Der BF könne jetzt den Haftbefehl gegen seine Person vorlegen, welchen er über seinen Onkel erhalten habe, dies mit Hilfe eines Rechtsanwaltes. Mittlerweile seien schon Gerichtstermine festgelegt, nämlich der 03.04.2016 sowie der 13.03.2016. Deshalb wurde dem BF vom BFA aufgetragen über den Stand bis zum 17.04.2016 Informationen vorzulegen.

I.7 Am 14.04.2016 teilte der BF dem BFA schriftlich mit, dass ein Urteil sich verzögern würde.

I.8. Im September 2016 erfolgte eine Vollmachtbekanntgabe hinsichtlich RA Mag. Robert Bitsche; dieser brachte im November 2016 weitere Dokumente ein. Dieser Dokumente wurden einer Übersetzung zugeführt. Demnach handelte er sich um Dokumente aus Februar bzw. März 2016 bzw. 2014. Eine weitere Dokumentenvorlage erfolgte im Juni 2017 betreffend angebliche Gerichtsvorladung für den 15.05.2017 sowie ein Gerichtsprotokoll, in dem der BF angeblich an 101. Stelle als Beschuldigter stehe.

I.9. Am 20.07.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine asylrelevante Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.10. Mit Schriftsatz vom 09.08.2017 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung durch Mag. Irene Oberschlick vertretenen – BF angefochten. Neben kurzer Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes wird in der Beschwerde ausgeführt, dass der BF ein glaubwürdiges Fluchtvorbringen erstattete, welches von der Behörde falsch beurteilt wurde; darüber hinaus habe es die Behörde unterlassen zusätzliche Erhebungen zu tätigen.

Kritisiert wird insbesondere, dass das BFA auf Seite 52 Bezug genommen auf eine „homosexuelle Lebensweise“ des BF habe, welche er gar nicht vorgebracht habe.

Aber auch andere Widersprüchlichkeiten in der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde aufgezählt, etwa die Beweiswürdigung hinsichtlich des Rechercheergebnisses des Vertrauensanwaltes und die Begründung, dass das behauptete anhängige Verfahren nicht die Person des BF betreffe; die divergierenden Ergebnisse der Ausführungen des Vaters des BF; seine Mitgliedschaft zur BNP und das angebliche Nichtbefragen des Parteivorsitzenden. Es habe auch keine Kontaktnahme zum Anwalt des BF gegeben.

Es wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem BF Asyl zu gewähren, in eventu, die sonstigen Spruchpunkte entsprechend abzuändern oder aufzuheben, allenfalls den Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das BFA zurückzuverweisen.

I.11. Mit Schreiben vom 11.08.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.12. Mit Eingabe vom 02.12.2020 gab der nunmehrige rechtsfreundliche Vertreter des BF, Dr. Manfred Schiffner, seine Vollmacht bekannt.

I.13 Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand Dezember 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 20.01.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

I.14. Am 20.01.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsanwaltes des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.

Eingangs legte der BF diverse Einnahmenbelege für Hausreinigung vor, für das Gesamtjahr 2020 in der Höhe von € 14.942,–; darüber hinaus eine Einstellungszusage mit einem Einkommen von € 1.500,? brutto monatlich. Neben Mitgliedbestätigungen in bengalisch-orientierten Vereinen überreichte der BF medizinische Unterlagen betreffend seinen Gesundheitszustand. Weiters legte er Unterstützungsschreiben von drei Firmen, in denen er Reinigungsarbeiten durchführe, vor.

Der BF habe Diabetes, Bluthochdruck und dadurch bedingt auch trockene Augen. Er müsse regelmäßig Medikamente nehmen.

Der BF habe Kontakt zu seiner Familie, aber nur alle zwei bis drei Monate. Seine Familie seien seine Eltern und zwei Schwestern, die alle in Bangladesch leben. Sein Vater war Geschäftsmann und habe auch viel Landwirtschaft. Er habe Kontrakte vermittelt, etwa beim Straßenbau oder Plantagen. Finanziell ginge es der Familie gut.

Festgestellt werden konnte, dass mit dem BF eine Unterhaltung in deutscher Sprache durchaus gut möglich war, der Sprachwortschatz ist mehr als ausreichend. Der BF war sichtlich bemüht mit vollen Sätzen zu antworten. Hinsichtlich seines Studiums in Österreich führte der BF aus, dass er sich nicht mehr erinnern könne, welche Studienrichtung er inskribiert habe.

Der BF habe keine Verwandten in Österreich oder der EU. Er habe keine Kinder und auch keine Beziehung. In seiner Freizeit gehe er mit Freunden spazieren oder ins Fitnessstudio. Er würde auch gerne Städte besichtigen, etwa Linz, Villach oder Vorarlberg.

Seine Freunde seien bengalische Arbeitskollegen. Er selbst arbeite als Reinigungskraft. An Miete zahle er ca. € 300,– monatlich. Er habe einen Master in Business Administration. Diese Ausbildung habe er 2012 an der Universität XXXX /England absolviert.

Er sei von Dezember 2008 bis September 2012 in England gewesen. Dann sei er mit dem Flugzeug mittels Direktflug mit einer bengalischen Airline nach Bangladesch zurückgekehrt.

Da im Administrativakt enthalten ist, dass der BF seinen Reisepass in England zurückgelassen habe, wurde diesbezüglich genauer nachgefragt. Der BF meinte, er habe seinen Reisepass bei der „Immigration“ in England wegen einer Visum-Verlängerung zurückgelassen und sich stattdessen einen gefälschten Reisepass besorgt, um nach Bangladesch zurückzukehren. Seinem überraschten Rechtsvertreter entglitt die Frage, warum er dies getan hätte. Der BF meinte dazu: „Da ich die BNP unterstütze und zu meiner Familie zurückkehren musste, musste ich über diesen Weg dorthin. Mit meinem Reisepass hätte es länger gedauert.“ Weshalb es für den BF leichter gewesen wäre, sich einen gefälschten Reisepass zu besorgen als seinen gültigen Reisepass von der englischen Behörde abzuholen konnte der BF letztlich nicht argumentieren. Eine finanzielle Unterstützung an die BNP habe er nicht geleistet, er war nur mit der BNP „verbunden“. In weiterer Folge gab der BF an, er habe keinen Asylantrag in England gestellt, er hätte auch keine Probleme bei der Ausreise am Flughafen Heathrow gehabt, ebenso wenig bei der Einreise in Bangladesch, weil der Dokumentenfälscher, ein Bengale mit britischer Staatsbürgerschaft, in beiden Staaten Kontakte habe; der BF sei auch nicht in England gesucht worden, was eine überstürzte Flucht verständlich gemacht hätte.

Der zeitliche Druck habe sich dadurch ergeben, weil er von Problemen des Vaters erfuhr; dieser sei bedrängt worden, sein Hab und Gut aufzugeben bzw. zu verkaufen. Der BF wollte durch persönliche Anwesenheit herausfinden, wer die Personen seien, die den Vater so bedrängten; dazu nahm er auch Kontakt auf mit den Einwohnern seiner Umgebung sowie dem „Chairman“. Dies habe der BF deshalb so gut gemacht, weil er zuvor, als er in Bangladesch gewesen sei, auch politisch aktiv gewesen war. Da der BF seit vier Jahren nicht mehr im Heimatland gewesen sei, habe sich das Problem entwickelt, dass sie die Grundstücke des Vaters in Besitz nehmen wollten.

Der BF habe, nachdem er nach Bangladesch zurückgekehrt war, im Unternehmen des Vaters geholfen. Der BF konnte, konfrontiert mit seiner Aussage vor dem BFA vom 06.03.2014, AS 89, dass er „ein Karrieremensch sei und er das kleine Unternehmen des Vaters jederzeit führen könne, dies ihm aber keinen Spaß mache“ bzw. „er könnte es jederzeit machen, es würde ihn aber nicht reizen“, keine bzw. keine schlüssige Antwort geben.

Der BF gab an, dass er durch Befragung der ortsansässigen Nachbarn erfahren habe, dass die Grundstücke zu einem niedrigen Preis verkauft werden sollten, um so den Hindus zu schaden. Der Vater wollte die Grundstücke aber nicht verkaufen. Es wären die Liegenschaften des Vaters gewesen und nicht die des BF. Der BF habe versucht den Druck auf den Vater mittels des Chairmans und seiner Parteianhänger zu lösen. Der BF musste aber eingestehen, dass auch der Vater Hindu und Mitglied der BNP sei und den Chairman kannte.

Da im Administrativakt der Bericht des Vertrauensanwaltes der Republik Österreich aus dem Jahr 2016 Widersprüche zu der Fluchtgeschichte des BF aufzeigte, wurde der BF dazu befragt. Er gab an, dass es zwei Anzeigen gegen ihn gäbe, eine wegen der Verwendung von Explosivstoffen, eine wegen Ausübung von Widerstand gegen die Staatsgewalt. Die Anzeigen gegen seine Person begründete der BF damit, dass er ab Jänner 2013 Sektionssekretär der Jubo Dal, einer Unterorganisation für die Jugend der BNP, im Wahlbezirk gewesen sei. Er habe nach seiner Rückkehr nach Bangladesch nichts gearbeitet, sondern „nur meinen Vater bei seinem Handel unterstützt“. In weiterer Folge meinte der BF, er habe eine Zweistelle der Vermittlungstätigkeit des Vaters geführt, weswegen ein Angestellter die Firma verlassen musste.

Zu allfälligen religiösen Fluchtgründen befragt gab der BF, der der hinduistischen Glaubensgemeinschaft angehört, an: „eigentlich hatte ich kein religiöses Problem. In Bangladesch gehören die Hindus der Awami League an. Da ich Hindu bin und die BNP unterstütze, war ich das Ziel.“ Aber auch seinen Vater hätte dies betroffen.

Zu dem fluchtauslösenden Anlass gefragt konnte der BF einen solchen nicht benennen. Er habe „keine Sicherheit mehr gesehen. Ich fürchtete um mein Leben. Ich hatte Angst, von der Polizei in Untersuchungshaft genbracht zu werden und dort gefoltert zu werden.“ Konkret nach dem Anlassfall nachgefragt blieb der BF vage: „Ich hatte Angst, dass man mich verschwinden lässt“.

„Alle im Dorf“ hätten gewusst, dass der BF Anhänger der Jubo Dal sei. Er habe über seinen Anwalt versucht etwas gegen die Anzeigen zu unternehmen, ohne jedoch konkret auszuführen, was dies gewesen sei. Vielmehr verwies er auf die von ihm in der Verhandlung vorgelegte zweite Anzeige, die er per Post von seinem Anwalt erhalten hätte. Diese Unterlagen habe er im Oktober des vergangenen Jahres erhalten. Über seinen Anwalt nachgefragt gab der BF an, dass er diese Dokumente jedoch nicht in die deutsche Sprache übersetzen ließ. Die Unterlagen hätten ihm € 200,– gekostet, die Versandkosten inkludiert.

Abschließend wurde noch auf den Länderbericht, Stand Dezember 2020, sowie die aktuellen Auswirkungen der Corona-Pandemie, tagesaktueller Stand, eingegangen. Sowohl der BF als auch sein Rechtsanwalt gaben diesbezüglich keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der hinduistischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali (AS 9, Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Verhandlungsschrift [im Folgenden: VS] 19). Seine Identität steht fest (AS 67, 127 ff.).

Der BF ist in Bangladesch geboren und hat dort gelebt. Er hat die Grundschule und das College besucht (AS 9) und war von 2008 bis 2012 in XXXX /England, um sein Masterstudium zu absolvieren (VS 8).

Der BF ist ledig und hat keine Kinder (AS 9 ff.). Er hat keine Verwandten in Österreich und keine Beziehung (AS 13, 91). Seine Familie, bestehend aus den Eltern und zwei Schwestern, lebt in Bangladesch (AS 13, 67, VS 5). Zwischen dem BF und seinen Verwandten besteht aufrechter regelmäßiger Kontakt (VS 5).

Der BF ist im November 2013 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Er ist selbständig als Reinigungskraft tätig und verdient ca. € 1.500,– monatlich; seine Mietkosten betragen ca. € 300,–.

Der BF hat ein Studium in Österreich inskribiert (AS 325), kann sich aber nicht mehr an das Studienfach erinnern (VS 17 f.). Er hat Deutschkurse besucht und merkt man das Bemühen des BF, gut Deutsch zu sprechen, eine Unterhaltung in deutscher Sprache ist möglich (VS 6 f.).

Der BF gibt an, einige Freunde zu haben (AS 373), zumeist bengalische Arbeitskollegen (VS 7 f.). Er interessiert sich für Bücher und reist im Bundesgebiet herum (VS 7). Der BF ist nicht Mitglied in einem Verein und er engagierte sich während seines Aufenthalts im Bundesgebiet auch nicht ehrenamtlich (VS 7 f.).

Der BF verdient seinen Lebensunterhalt als Reinigungskraft (VS 4). Er ist nicht in die Grundversorgung einbezogen.

Er ist strafrechtlich unbescholten. Der BF hat zwar Diabetes und Bluthochdruck sowie trockene Augen, aber eine lebensbedrohliche Erkrankung machte er nicht geltend.

II.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Nicht festgestellt werden kann eine konkrete politische oder religiöse Verfolgung des BF in Bangladesch.

Der BF hatte nach seinen Angaben keine Probleme bei der Ausreise und auch keine Probleme bei der neuerlichen Einreise nach Bangladesch.

Dass der BF Bangladesch aus politischen Gründen verlassen hat, wird nicht festgestellt. Es gibt nicht zwei Anzeigen gegen den BF, die erst nach seiner Flucht im Jahr 2013 erstattet wurden. Dass der BF Mitglied und „Sektionssekretär“ des Studentenflügels der BNP, nämlich der Jubo Dal, war und deshalb Verfolgungshandlungen ausgesetzt war, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Festgestellt wird, dass der BF einen konkreten fluchtauslösenden Vorfall nicht benennen konnte.

Festgestellt wird, dass der BF in Bangladesch keiner Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt war und einer solchen im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland auch nicht ausgesetzt wäre.

Festgestellt wird, dass der BF nicht in der ursprünglichen Anzeige genannt wird, nunmehr aber sein Name in Dokumenten zum Strafverfahren auftaucht. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF tatsächlich von einem bengalischen Gericht gesucht wird.

Festgestellt wird, dass der BF allfälligen Behelligungen durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen ausweichen kann.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

COVID-19:

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).

Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).

Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 8.5.2020

Politische Lage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).

Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).

Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).

Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.11.2020): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 10.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 11.11.2020

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020

?        CIA – Central Intelligence Agency (4.11.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 10.11.2020

?        DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020

?        DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020

?        DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.11.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 10.11.2020

?        Guardian, The (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 10.11.2020

?        Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 10.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020

?        NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail

?        Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 10.11.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020

Sicherheitslage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).

Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/2019yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia25-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020

?        AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 13.11.2020

?        BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 16.11.2020

?        EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 10.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 16.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 16.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        SATP – South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 10.11.2020

?        TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 16.11.2020

Rechtsschutz / Justizwesen:

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem „Scharia Recht“. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).

Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, „Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

Sicherheitsbehörden:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat, die innere Sicherheit sowie Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen; sie werden aber nicht immer angewandt (USDOS 11.3.2020).

Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 21.6.2020). Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 9.2020). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 9.2020).

Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über 2 Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 9.2020).

Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“ (AI 30.1.2020; siehe auch Abschnitt 5). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, sodass diese straflos bleiben. Auch im Falle einer Beschwerde herrscht weitestgehend Straffreiheit. Wenn allerdings die Medien Polizeiversagen öffentlich anprangern, werden durch die politische Ebene die zuständigen Polizisten oft bestraft (AA 21.6.2020).

Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten „Bangladesch Police“, die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 9.2020).

Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt etwa 15 RABs mit insgesamt ca. 9.000 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 9.2020). Ihnen werden schwere Menschenrechtsverstöße wie z.B. extralegale Tötungen zugeschrieben (AA 21.6.2020). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete „Gang“-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 9.2020). Die Regierung streitet weiterhin das Verschwindenlassen von Personen, Folter und andere Verstöße durch Sicherheitskräfte, sowie außergerichtliche Tötungen, etwa durch Angehörige des RAB ab. Die Sicherheitskräfte versuchen seit langem, unrechtmäßige Tötungen zu vertuschen, indem sie behaupteten, dass es bei einem Schusswechsel oder im Kreuzfeuer zu Todesfällen gekommen ist. Hunderte Menschen wurden angeblich in solchen „Kreuzfeuer“ getötet (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 9.2020).

Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leicht bewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 9.2020).

Border Guard Bangladesh (BGB) – ehem. Bangladesh RiflesRifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry [Innenministrium], wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BGB ist auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 9.2020).

Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches „Platoon“ [Zug] mit jeweils 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 9.2020).

Special Branch of Police (SB): Sie ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewäh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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